Suche löschen...
Universitätszeitung
- Bandzählung
- 10.1966
- Erscheinungsdatum
- 1966
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-196600005
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19660000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19660000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Bemerkung
- Teilweise mit vorlagebedingtem Textverlust.
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 10.1966
-
- Ausgabe Nr. 1, 06.01.1966 1
- Ausgabe Nr. 2, 13.01.1966 1
- Ausgabe Nr. 3, 20.01.1966 1
- Ausgabe Nr. 4, 27.01.1966 1
- Ausgabe Nr. 5, 03.02.1966 1
- Ausgabe Nr. 6, 10.02.1966 1
- Ausgabe Nr. 7, 17.02.1966 1
- Ausgabe Nr. 8, 24.02.1966 1
- Ausgabe Nr. 9, 03.03.1966 1
- Ausgabe Nr. 10, 10.03.1966 1
- Ausgabe Nr. 11, 17.03.1966 1
- Ausgabe Nr. 12, 24.03.1966 1
- Ausgabe Nr. 13, 31.03.1966 1
- Ausgabe Nr. 14, 07.04.1966 1
- Ausgabe Nr. 15, 14.04.1966 1
- Ausgabe Nr. 16, 21.04.1966 1
- Ausgabe Nr. 17, 28.04.1966 1
- Ausgabe Nr. 18, 05.05.1966 1
- Ausgabe Nr. 19, 12.05.1966 1
- Ausgabe [Mai], Sonderausgabe -
- Ausgabe Nr. 20, 19.05.1966 1
- Ausgabe Nr. 21, 26.05.1966 1
- Ausgabe Nr. 22, 02.06.1966 1
- Ausgabe Nr. 23, 09.06.1966 1
- Ausgabe Nr. 24, 16.06.1966 1
- Ausgabe Nr. 25, 23.06.1966 1
- Ausgabe Nr. 26, 30.06.1966 1
- Ausgabe Nr. 27, 07.07.1966 1
- Ausgabe Nr. 28, 14.07.1966 1
- Ausgabe Nr. 29, 21.07.1966 1
- Ausgabe Nr. 30, 28.07.1966 1
- Ausgabe Nr. 31, 11.08.1966 1
- Ausgabe Nr. 32, 18.08.1966 1
- Ausgabe Nr. 33/34, 25.08.1966 1
- Ausgabe Nr. 35, 08.09.1966 1
- Ausgabe Nr. 36/37, 15.09.1966 1
- Ausgabe Nr. 38, 29.09.1966 1
- Ausgabe Nr. 39, 06.10.1966 1
- Ausgabe Nr. 40, 13.10.1966 1
- Ausgabe Nr. 41, 20.10.1966 1
- Ausgabe Nr. 42/43, 27.10.1966 1
- Ausgabe Nr. 44, 03.11.1966 1
- Ausgabe Nr. 45, 10.11.1966 1
- Ausgabe Nr. 46, 17.11.1966 1
- Ausgabe Nr. 47, 24.11.1966 1
- Ausgabe Nr. 48, 01.12.1966 1
- Ausgabe Nr. 49, 08.12.1966 1
- Ausgabe Nr. 50, 15.12.1966 1
-
Band
Band 10.1966
-
- Titel
- Universitätszeitung
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
III Professor Dr. phil. habil. Kurt SCHNELLE, Romanisches Institut QUO VADIS, land jenseits der Realitäten und der Kunstdinge aus.“ Das hat nun freilich in der bürgerlichen Gesell schaft einen tiefen Grund. Schreibt doch der be kannte französische Soziologe Raymond Aron in seinem Buch Die industrielle Gesellschaft folgendes: „Der Verlauf der Wissenschaft ist eine Addition des Wissens. Hingegen ist der künstlerischen Betäti gung der Fortschrittsbegriff wesensfremd, weil sie keine Akkumulation kennt.“ In diesem Sinn blei ben Kunst, auch Religion, einzigartige Erscheinun gen, deren. Eigenart in ihrer Ursprünglichkeit be steht. Passen sie in die Zeitgeschichte, dann her damit. Wer nicht hineinpaßt, gehört zu den „Pin schern“. Hier offenbart sich nun die Schizophrenie des bürgerlichen Fortschrittsdenkens, seine Ent fremdung von der schöpferischen Welt des Künst lers durch die Mehrwertrate. Immerhin gibt es ge nügend Hinweise darauf, daß sich die bürgerliche Literaturwissenschaft aus der allgemeinen Krise des Denkens herausfinden möchte. Und hier richtet sie in Frankreich schon lange ihren Blick auf Er folge der marxistischen Literaturwissenschaft. Aber auch in Westdeutschland nimmt die Besinnung zu. Horst Rüdiger (Bonn) hat sich vor nicht zu lan ger Zelt an eine Bestandsaufnahme der Situation gemacht. In seinem Aufsatz Zwischen Interpreta tion und Geistesgeschichte forderte er, den Provin zialismus sowie die alten Ordnungsschemata «er Literaturwissenschaft zu überwinden und das Bild einer Nationalliteratur zu formieren: „Bei einem solchen Unternehmen würde man freilich nicht um hin können, auch die gesellschaftlichen Vorausset zungen der Literatur intensiver zu untersuchen, als es in Westdeutschland bisher üblich war ... Im übrigen ist nicht einzusehen, weshalb es die Lite raturhistoriker im westlichen Teile Deutschlands den Kollegen im Osten überlassen sollten, die ge sellschaftlichen Grundlagen der Literatur auf ihre Weise, das heißt unter dem Vorzeichen des histo rischen Materialismus, zu erforschen.“ Wir nehmen das zunächst als eine Bestätigung des eingeschlagenen Weges auf. Allein damit kann es nicht getan sein, denn noch ist sehr viel zu tun. Wir wollen weiter voran, noch haften uns einige der Entstehungsgeschichte der Literaturwissen schaft vertraut gemacht hat, wird immer wieder Zeugnisse dafür finden, wie aktiv von dieser Seite nicht nur in den Entwicklungsprozeß der Dichtung, sondern auch des gesellschaftlichen Lebens einge griffen wurde. Und eigentlich sollte den Literatur wissenschaftler nichts mehr ermutigen als der Tat bestand, daß sich die Idee des gesellschaftlichen Fortschritts im 17. Jahrhundert nachdrücklich bei ihrer Anwendung auf die Überwindung der nor mativen Modellkunst der Antike im literarischen Bereich herausstellte. Der Aufstieg des Bürger tums, die Entwicklung eines modernen Weltbildes, die Differenzierung der Wissenschaften trugen zur Überwindung von Geschmacksurteilen bei und lei teten die geschichtliche Betrachtung der Literatur ein. Geschichtliche Betrachtung der Literatur aber förderte einen vorwärtsweisenden Erkenntnis gewinn zutage. Man muß hier bedauern, wie weit Raymond Aron hinter die Vorläufer der industriel len Gesellschaft zurückgefallen ist. Die prägnante Formulierung von Werner Krauss: „Geschichtliches Denken ist das Ergebnis der großen literarischen Auseinandersetzung, die um das Schicksal der klassischen Kunst am Ende des 17. Jahrhunderts geführt wurde“, verweist auf ein weiteres Problem. Es handelt sich dabei um das Bemühen, das Wesen literarischer Phänomene überhaupt zu fas sen. Schon Wolfgang Kayser mußte feststellen, daß bereits die Poetik des Aristoteles Ergebnis einer solchen Besinnung war. Jahrhundertealt ist das Bestreben der „Poetik“, feste Gesetze zu ent- decken, nach denen sich die Dichtung formieren sollte. Die Poetiken des Mittelalters und die der Renaissance, die auch noch weiterwirkten, waren normativ, verlangten eine Unterordnung der dich terischen Praxis. Es ist ein altes Problem, das hier im Mittelpunkt aller Diskussionen steht: die Verwobenheit politisch moralischer Überlegungen mit ästhetischen Fragen. Anders aufgefaßt, kann man hier auch von der Inhalt-Form-Problematik sprechen. Diese Frage lag schon in den über Jahrhunderte wirkenden rhetori- Teiles des menschlichen Wesens zu überwinden. Er macht daher oft genug den Versuch, die Totalität der Lebensäußerung unter bestimmten Gesichts punkten einzufangen, und zwar beeindruckt von den historischen Verhältnissen, denen er unterlag und die er nicht schuf oder die er nicht schaffen konnte. In einer solchen Situation ist es natürlich, daß sich der Dichter zuweilen als Prophet, als Weg weiser oder, wie Victor Hugo, als eine Fackel an sah, die dem Volk den Weg zu weisen suchte. Da sich die marxistische Ästhetik auf dem histo rischen Boden der Eigentumsformen, der Klassen und ihrer Ideologien zu bewegen hat, ist klar, daß es unwissenschaftlich und damit unmarxistisch ist, in einer gänzlich veränderten gesellschaftlichen Situation auf eben diesen Ursprung des Sendungs bewußtseins zurückzugreifen. Damit ist nicht in Frage gestellt, daß Kunst eine Assimilierung der Welt darstellt, also eine Art ihrer Eroberung ist, ein soziales Band, eine Bereicherung des Mensch lichen. Sie ist in diesem Sinne auch Bewußtwerdung und Spiegel der Gesellschaft. Das bringt natürlich alle umlaufenden Theorien vom Eigenwert und von der Autonomie der Kunst ins Wanken. Die materialistische Ästhetik ist mit dem gesamten Problemkreis des sozialen Lebens und der historischen Entwicklung und des politi schen Kampfes verbunden. Sie bildet einen Teil der historischen Erkenntnisse des Menschen, und die Kenntnis ihrer Geschichte hilft Lehren der Geschichte erschließen. In der Französischen Revolution wurde bereits von Robespierr e geäußert: „Nach der Fähigkeit zu denken, ist diejenige, seine Gedanken seinen Mitmenschen mitzuteilen, die hervorragendste Eigen, schäft, die den Menschen vom Tier unterscheidet; sie ist zugleich das Zeichen der ewigen Bestimmung des Menschen für das gesellschaftliche Leben, das Band, die Seele, das Werkzeug der Gesellschaft, das einzige Mittel, sie zu vervollkommnen, die Stufe von Macht, Erkenntnis und Glück zu erreichen, deren sie fähig ist.“ Folglich ist, historisch-konkret und nicht nur unter aufklärerischen, Prämissen LITERATURWISSENSCHAFT? D ie überwältigend vorwärtsdrängende Entwick lung in allen Bereichen unseres Lebens, in den Wissenschaften, in der Ökonomie und Politik, die dringliche Bewältigung der nationalen und inter nationalen Fragen halten auch die Literaturwis senschaft an, sich erneut über einige Grundfragen zu verständigen. Es ist jeder Wissenschaft geboten, im Verlauf ihrer Entwicklung über sich selbst zu reflektieren, um mit dem eingeschlagenen Weg ins reine zu kom men. Das geschah früher zuweilen in einem ab strakten und dunklen Drang oder auch aus einer gewissen pragmatischen Insuffizienz heraus, wobei wir bestimmte Etappen des bürgerlichen Geschichts denkens im Auge haben. Für einen Wissenschafts zweig nun, der von Anbeginn in einer methodologi schen Auseinandersetzung mit den historischen und positivistischen Wissenschaften stand, aus denen er hervorwuchs, ist eine Besinnung nur dringlicher. Es handelt sich nicht nur um den Charakter der damaligen Entgegnungen. Sie wirken in Grundpro blemen weiter, mit denen sich die bürgerliche Literaturwissenschaft unserer Tage konfrontiert sieht. Dazu tritt ein weiteres Problem: Die Literatur wissenschaft sieht sich ja auch angefeindet von den Dichtern selbst, und es hat zuweilen den Eindruck, als ob der Literaturwissenschaftler eine Art lästi ger Parasit sei. Hat er Glück, kommt er noch als Handlanger weg. Das kommt daher, daß der Dich ter ja auch über kritische Potenzen verfügt oder verfügen sollte. Die Verwirrung beginnt nur da, wo die Dichter über ihre Ästhetik reden, ohne zu mer ken, daß sie über ihre Kunst sprechen. Die Litera turwissenschaft hingegen sucht sich auf das zu stüt zen, was die Literatur in ihrer Gesamtheit tatsäch lich historisch leistet. Sie sucht keinen Streit über eine früher den akademischen Himmel verklärende Idee des Schönen, sie will das Kunstwerk auch nicht auf einen Gebrauchswert reduzieren, sofern sie eine marxistische Literaturwissenschaft ist. Es scheint in der Diskussion zwischen den Dichtern und den Literaturwissenschaftlern eher darum zu gehen, ob so eine lebendige, tausendfältige Sache wie die Literatur überhaupt mit wissenschaftlichen Krite rien zu bemeistern ist. Das ist eine Frage, die sich für die Literaturwissenschaft angesichts der moder nen literarischen Entwicklung zu einem echten Problem entwickelt. In dieser Hinsicht gibt es ge nügend Hinweise auf das Existenzproblem der bür gerlichen Literaturwissenschaft. Aber das ist eine Frage, die uns nicht wenig angeht. Gibt sich doch in den Meinungsäußerungen führender bürgerlicher Literaturwissenschaftler eine Krise der Methodo logie zu erkennen, wo nicht gar überhaupt nach einem Wissenschaftsbewußtsein gesucht wird. In einer Vorlesung in Amsterdam über Die Kunst der Interpretation äußerste Emil Staiger vor Jahren: „Es ist seltsam bestellt um die Literatur wissenschaft. Wer sie betreibt, verfehlt entweaer die Wissenschaft oder die Literatur.“ Nun liegt bei Staiger der Hang zur Aufgabe aller Kausalität und Gesetzmäßigkeit durch seine Adaption existenziel len Philosophierens offen zutage. Das Ahistorische tut sich in der Literaturwissenschaft ja auch da durch kund, daß man die Welt in erster Linie als persönliches Erlebnis sieht und mithin eine objek tive Vorstellung von der Welt, die diesem oder jenem Kunstwerk zugrunde liegt, als überhaupt nicht gegeben ansieht. Der Erkenntnisverzicht also, den etwa auch der Nouveau roman mit einigen seiner Vertreter anbietet, die Trennung des erken nenden Ichs von der undurchdringlich scheinenden Objektwelt, lassen auch das Chaos in der Litera turwissenschaft wachsen. Erik Lunding von der Aarhus-Universität faßte das Problem in seinem Aufsatz Strömungen und Strebungen der modernen Literaturwissen schaft mit den Worten: „Es ist ein ungewöhnlich fesselndes Schauspiel, den im Verborgenen ausge tragenen Kampf zwischen den rationalen und den irrationalen Mächten der Literaturwissenschaft zu beobachten. Ewig ringt der klare Logos mit dem dunklen Mythos. Beständig verwirren sie sich bis zur Aufhebung der Grenzlinien zwischen realer Seinswirklichkeit und imaginärer Kunstwirklich keit, oft tobt sich der Kampf in einem Niemands- UZ 11/66, Seite 4 Schwächen an, und es treten auch neue Aufgaben auf. Überblickt man etwa den Arbeitsbereich der Philologischen Fakultät in der Forschung und auch in der Lehre, so zeichnet sich etwa folgendes ab: — Es gibt Fortschritte im Bereich der Einzelfor schung, in Spezialdisziplinen, von denen einige das Forschungsniveau im internationalen Maß stab mitbestimmen und die Fachwelt aufmerken lassen. — Es gibt erste Erfolge bei der Verständigung über eine gemeinsame methodologische Ausgangsposi tion aller Literaturwissenschaftler (vgl. dazu den Aufsatz von Prof. Träger, UZ 5/66). — In zunehmendem Maße bringt sich die begriffene wissenschaftliche Einheit von Literaturgeschichte und Literaturkritik in Veröffentlichungen und Diskussionsbeiträgen zu aktuellen Problemen un serer literarischen Entwicklung zum Ausdruck. — Es gibt Vorarbeiten zur historischen Durchdrin gung der Entwicklungsprobleme der Literaturwis senschaften in den einzelnen Instituten, die die notwendige Grundlage für eine wissenschaftliche Kritik der bürgerlichen Wissenschaft bilden. — Die Diskussion der Fachwissenschaftler mit den Schriftstellern gewinnt ein höheres Niveau. All das spricht dafür, daß die Literaturwissen schaft sich als Gesellschaftswissenschaft im besten Sinne zu begreifen unternimmt und so zu einem wichtigen, aktivierenden Faktor in der Entwicklung unserer sozialistischen Nationalkultur wird. So hoch steht indessen die Bonne noch nicht, daß nicht einige Schatten zu sehen wären. Ich meine vor allem folgendes: — Noch ist die Tendenz nicht restlos beseitigt, Lite ratur als eine Illustration zur Geschichte zu sehen. Das kommt sehr deutlich zum Ausdruck in den Fragen der Periodisierung. Dabei ist noch nicht davon gesprochen, wie einzelne Perioden über schrieben werden sollen. Hier findet sich zusätz lich das Problem der Kennzeichnung mit ver schiedenen Begriffen, die einmal aus der Historio graphie, einmal aus der Kunstgeschichte, einmal aus literarischen Strömungen usw. bunt gemischt hervorgezogen werden. — Es gibt auch Hinweise auf neopositivistische und pragmatische Rückzugsgefechte und auf Situa tionsbilder der Literatur, die auf den historischen Verlauf verzichten. — Die Aufsplitterung der aufgegebenen Themen nimmt in einem Maße zu, das Bedenken wecken muß. Nicht nur wegen der Bindung von Arbeits kapazität, sondern auch wegen der Zielstellung von Arbeiten, die vom Thema her nur mit einem dialektischen Meisterstück als verpflichtend und unbedingt zu lösend anzusehen sind. Oft genug findet sich eine Vermischung verschiedener An liegen aus der Soziologie und Pädagogik vor, ohne daß bei der Notwendigkeit der Bearbeitung von wichtigen übergreifenden Schwerpunkten eine entsprechend tiefe methodologische Vorarbeit mit der benachbarten Disziplin geleistet worden wäre. — In einigen Fällen gibt es noch Unklarheiten über die Einheit von Literaturgeschichte und Litera turkritik. Das alles verweist darauf, daß einige Fragen der Literaturwissenschaft noch nicht in die richtige Be ziehung zur gesellschaftlichen Entwicklung gesetzt sind. Wo aber der konsequente historisch-materia listische Ansatz versäumt wird, muß sich dann notwendigerweise zumindest Unsicherheit in der Wertung literarischer Phänomene einstellen. Damit ist die Parteilichkeit der Wissenschaft gefährdet. Werner Krauss hat in seinem Aufsatz Litera turgeschichte als geschichtlicher Auftrag weittra gende Überlegungen zu einem verstehenden Begrei fen unserer Wissenschaft vorgebracht. Es geht ja nicht darum, für das Betätigungsfeld dieser Wis senschaft oder für ihr wissenschaftliches Begriffs system allein zu kämpfen. Ihr wissenschaft liches Element ist in der wissenschaftlich-histo rischen, d. h. marxistischen Betrachtung der Lite ratur vorhanden. Damit ist aber der Fortschritt der Wissenschaft vom Willkürlichen und Intuitiven zur systematischen Integrität gemacht. Wer sich mit sehen Werturteilen der Antike. Die rhetorische Kri tik wurde zur Theorie der Gattungen, der Zentral- begriff der sogenannten Schicklichkeit stellte sich ein: Man faßte einen Unterschied zwischen hohem, mittlerem und niederem Stil. Auf solch Weise machte sich im Wertungsurteil der Rhetorik erstmals die Klassenstruktur der Gesellschaft bemerkbar. Die ersten Ansätze einer schöpferischen Auseinander setzung mit dem aristotelischen Schulgut bietet bereits Dante. Waren die Leitbegriffe Klarheit und Deutlichkeit als Kriterien der Wahrheit noch nicht angegriffen, so stellte sich doch schon die Erkenntnis ein, daß in der akzeptierten Forderung, nur das Wahre könne schön sein, nicht die Forderung nach einer natura listischen Kopie lag. Klarheit und Deutlichkeit zu bieten hieß, die Kunst als Arbeit anzusehen. Man erkannte weiter, daß das nicht allein in handwerk licher Imitation der Antike geschafft werden konnte. Die humanistische Bildungswelt rückte Kunst und Wissenschaft näher aneinander; dazu gesellte sich die Politik als wesentliches Moment des sich eman zipierenden bürgerlich-nationalstaatlichen Den kens. Daher das ästhetische Urteil über politische Dinge, das in den folgenden Jahren der Entgötte rung der bürgerlichen Welt freilich verlorenging. Aber die Emanzipation der Kunst drängte ihrer seits wieder zu ihrer wissenschaftlichen, d. h. histo rischen Bewältigung. Hohe Schulen der Kunst ent stehen, der Lehrling wird Student, und der Glanz der Wissenschaft strahlt auch auf die Kunst. Damit nun findet sich die Literatur auf einen Thron erhoben. Freilich war die Traditionsmacht noch nicht so erschüttert, daß man hätte die antiken Modelle beiseite legen können. Das behinderte die Entfaltung literaturgeschichtlicher Konzeptionen, und die Literaturgeschichte blieb ein Zweig anti quarischer Forschung, leistete nur Nebenarbeit, hatte keinerlei Kredit. Die eigentliche Literaturwissenschaft konstituierte sich erst in dem Augenblick, da man die geschicht lichen Inhalte literarischer Erscheinungen erkannte. Nach vielen einzelnen Fortschritten bemühte sich Hegel um die Erfassung aller Kunstformen in ihrer historischen Entwicklung. Freilich trug die von ihm entdeckte organische Einheit des Kunstwerks einen „formalen“ Charakter; die Form drückte einen Inhalt aus. der die Totalität der Welt sein sollte, d. h. die Idee. Der Satz: „Das allgemeine Bedürf nis der Kunst also ist das vernünftige, daß der Mensch die innere und äußere Welt sich zum gei stigen Bewußtsein als einen Gegenstand zu erheben hat, in welchem er sein eigenes Selbst wieder erkennt“, wurde von Marx erweitert und revolu tioniert. Der Mensch bemächtigt sich der Natur und formt sich selbst durch Arbeit im Verlauf der Ge schichte. Diese praktische Aktivität, deren Wesen in der Arbeit liegt, setzt nicht nur einfach theoretische Aktivität fort. Sie ist nicht nur Darstellung oder Vergegenständlichung einer Idee; das wäre purer Idealismus. Sie beschränkt sich auch nicht auf eine reine Widerspiegelung des Bewußtseins oder des Denkens Denn „die Produktion liefert dem Bedürf nis nicht nur ein Material, sondern sic liefert dem Material auch ein Bedürfnis. Wenn die Konsum tion aus ihrer ersten Naturroheit und Unmittel barkeit heraustritt — und das Verweilen in der selben wäre selbst noch das Resultat einer in der Naturroheit steckenden Produktion —, so ist sie selbst als Trieb vermittelt durch den Gegenstand; das Bedürfnis, das sie nach ihm fühlt, ist durch die Wahrnehmung desselben geschaffen. Der Kunst gegenstand — ebenso wie jedes andere Produkt — schafft ein kunstsinniges und schönheitsgenußfähi ges Publikum. Die Produktion produziert nicht nur einen Gegenstand für das Subjekt, sondern auch ein Subjekt für den Gegenstand“. (Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie.) Für Marx gehorcht der Künstler einer inneren Notwendigkeit, die ihn treibt, sich in einem sinnlich wahrnehmbaren Objekt zu realisieren. Während nun andere Produkte der Arbeit in der bürgerlichen Gesellschaft der Zerstückelung, der Atomisierung ihrer gemeinsamen gesellschaftlichen Grundlage unterworfen sind, versucht der Künstler mit seinem Werk das Ganze zu erfassen, die Grenzen der Ent fremdung zu sprengen und die Entäußerung eines gesehen, das literarische Zeugnis auch Widerspiege lung der durchlebten Geschichte. Lenin hat darauf verwiesen, daß diese Widerspie gelung „kein einfacher, unmittelbarer, spiegelartig- toter, sondern ein komplizierter zwiespältiger, zick zackartiger Akt ist, der die Möglichkeit in siel» schließt, daß die Phantasie dem Leben entschwebt“. (Philosophischer Nachlaß.) Das wiederum stellt an eine wissenschaftliche Verständigung mit der Lite ratur und Kunst außerordentlich hohe Ansprüche. Der Literaturwissenschaftler kann also nicht ohne Schaden an den Fragen der Geschichte, Philosophie, Politik und Ästhetik vorbeisehen, sonst muß er notwendigerweise als Marxist scheitern. Die Literaturwissenschaft, die selbst auf histo rischem Boden steht, hat sich eines historischen Phänomens zu versichern, das natürlich erkenntnis theoretisch andere Probleme aufwirft als etwa die Naturwissenschaft. Aber auch sie stand und steht noch in Diskussion um die subjektiven Einflüsse etwa in objektiv gerichtete Meßprozesse. Man kann an dieser Frage schon darum nicht vorbeigehen, weil von hier aus in bestimmten Zeiten eine Un sicherheit in bezug auf eine objektive Erkenntnis-: möglichkeit entstand, die sich sofort auf die litera rische Entwicklung etwa der dreißiger Jahre über trug und von der auch die Literaturwissenschaft nicht verschont bleiben konnte. Die Verführungen und Spekulationen, denen nun mehr die Literaturwissenschaft erlag, sind vielfäl tiger Art, Hier können sie nicht voneinander abge hoben werden. Wir wollen uns nur bei einigen Fra gen aufhalten, die noch heute nachwirken und die uns verfehlte Wege aufdecken helfen können. Da wäre etwa das Problem des Positivismus in den Wissenschaften. Wie Werner Krauss zeigte, stellte der Positivismus eine Art der ernüchterten Spekulation dar. Man unternahm den Versuch, das gesamte System der Wissenschaft, auch der geschich- liehen, auf eine exakte wissenschaftliche Basis zu stellen. Die Zunahme der gesellschaftlichen Anti nomien in der spätbürgerlichen Gesellschaft ließ den Versuch einer geistigen Verhüllung .des aufge brochenen Widerspruchs hervortreten. Dilthey; vom Positivismus ausgehend, suchte nach dein Schockerlebnis der geschichtlichen Entwicklung im Erleben das Bindemittel für kontinuierliche wissen schaftliche Konzeptionen. Der Weg zum Idealismus und zur Spekulation öffnete sich, und damit war für die Epigonen Diltheys die Geschichtsverneinuns angebahnt. Folglich lag bei dem Versuch der Rekti fizierung der Rückgriff auf positivistische Wissen schaftsgesinnung nahe Andererseits treten auch di® kunstabsolutistischen Richtungen mit Croce und George stärker hervor, die sich von aller Ge schichte und Philosophie überhaupt abzuwenden suchten. Nun ist aber für uns vor allem festzuhalten, daß der Positivismus — auch in seiner Erneuerung - seine Widersprüche vor allem in der Wertung offen bart, weil er hier keinerlei eigenen Gesichtspunkt besitzt: „Das Problem der Wertung, d. h. der Stel lungnahme zu den Bewußtsninserscheinungen, da« Moment der Bewußtseinsbildung überhaupt ist ja für den Positivismus in undurchdringliches Dunkel gehüllt. Er ist allen subjektiven Problemen stets ausgewichen, er hat allenfalls eine vorsichtig zu- rückhaltende erkenntnistheoretische Stellung bezo gen. Man kann aber keine Literaturgeschichte schrei ben. ohne die Akzente der Wertung zu setzen, und da ist nun der Positivismus dem schauerlichsten Subjektivismus verfallen...“ (Werner Krauss). Das steckt unsere Haltung in dieser Frage klar ab Man muß das vor allem darum unterstreichen, wei vor der marxistischen Literaturwissenschaft die For derung steht zu werten, und zwar vom fortgeschrit tensten Standpunkt des gesellschaftlichen Bewußt seins aus. Nicht mehr- und nicht weniger beinhaltet in wissenschaftlich-historischer Sicht der Begriff der Parteilichkeit. Er ist objektiver, weil geschichtlicher Natur. Dieser Standpunkt nun impliziert weiteres: Wie verhält sich das fortgeschrittenste Bewußtsein zum kulturellen Erbe überhaupt? FORTSETZUNG AUF SEITE 5 Wem ak
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)