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Zur Vorbereitung des Doppeljubi läums der Buchstadt Leipzig hatte die Universitätsbibliothek sich vor zwei Jahren entschlossen, eine der wert vollsten Handschriften aus ihren Be ständen als Repräsentativ-Ausgabe und markanten Beitrag der Karl- Marx-Universität herauszugeben. Die Wahl fiel nach Konsultation mit bedeutenden Persönlichkeiten aus dem Lehrkörper auf einen Kodex des ausgehenden 13. Jahrhunderts, den der Herr Dekan der Theologischen Fakul tät, Prof. D. Bardtke, für wichtig ge nug hielt. Die Verhandlung mit dem zuständigen Fachverleger, VEB Edi tion Leipzig, führte nach verschiede nen Überlegungen dazu, den Machsor Lipsiae in würdiger Form und mit wis senschaftlicher Bewertung der Öffent lichkeit vorzustellen. In gemeinsamer Arbeit mit den wis senschaftlichen Mitarbeitern des Ver lages wurden nach einigen Verhand lungen als Bearbeiter der verschiede nen Aufgaben Herr Oberrabbiner Katz aus Bratislava und Herr Dr. N a r k i s s vom Warburg-Institut in London gewonnen.Die beiden genann ten Wissenschaftler willigten um so lieber zur Mitarbeit ein, als es sich um ein hervorragendes frühes Doku ment zur jüdischen Religionsge schichte, aber auch zur allgemeinen Kulturgeschichte, handelt. Die UB Leipzig war auf diesen Kodex durch häufige Anfragen aus dem gesamten Ausland gestoßen. Die Bestände an jüdischen Hand schriften der UB Leipzig waren in der Nazizeit dezimiert worden, aber ver antwortungsbewußte Mitarbeiter der genannten Jahre hatten dieses Prunk stück gesichert, daß es der Verschlep pung oder Vernichtung nicht mehr an- heimfiel. Wertyolle Thora-Rollen wur den vernichtet oder verbrannt, aber der „Machsor“ entging diesem Schick sal. Die Geschichte dieses herrlichen Werkes ist von den wissenschaftlichen Bearbeitern und von der UB Leipzig teilweise rekonstruiert worden. Sicher ist, daß das Prunkstück in der Mitte des 18. Jh. durch Geschenk in den Be sitz der UB gelangte. Der Textband zu dem Druck weist im einzelnen gründlich die Entstehung und das Schicksal der Handschrift nach. Das mit Illuminationen und Illustrationen ausgestattete Werk enthält den Gebet zyklus für Festtage des jüdischen Jah res. Die in leuchtenden Farben beige gebenen Ausschmückungen sind trotz ihres Alters von einmaliger Schönheit. Die Texte bieten für die wissen schaftliche Erforschung Probleme, die bis jetzt in keiner anderen Quelle auf getaucht sind. Wenn man bedenkt, daß hebräische Handschriften nach dem orthodoxen Ritus bis in das 12. Jh. keine Bild-Illuminationen enthalten durften, so zeigt dieser Kodex gleich am Anfang der Liberalisierung mit einmaliger Schönheit den Beginn der illustrierten Dokumente. Wenn auch das hellenistische Judentum der An tike die strenge Bilderfeindlichkeit durchbrochen hatte, so konnte erst in der Entstehungszeit unserer Hand schrift eine Fülle von Darstellungen des Alten Testaments geboten wer den. Die unbekannten Schöpfer dieses Kunstwerkes haben Kenntnis gehabt von der Manessischen Handschrift, was viele Parallelvergleiche beweisen. Die seltsamen Tiergestalten (Löwen, Schlangen, Panther, Elefanten u. a.) sind Symbole, die durch den beglei tenden Text ihre volle Bedeutung fin den und eindeutig erklärt werden kön nen. In Blumenflächen hineingemalte Bilder zeigen Beispiele aus der Vogel welt, wie man sie aus der Zeit um 1400 kennt. Die Buchstaben der Titel stehen oft allein, werden von farbigen Flächen oder Tiergestalten umrahmt und sind von der Schönheit orienta lischer Teppichmuster und mit zartem Rankenwerk verschiedener Blumen geschmückt. Das Wichtigste zur Religions- und Kulturgeschichte sind aber figurale Darstellungen zu Texten des Alten Testaments und zur jüdischen mittel alterlichen Gegenwart. Auffallend sind die tellerartigen Judenhüte,dieim Mittelalter getragen wurden und die auch in nicht jüdischen Handschriften nachweisbar sind. Im Laufe der Be arbeitung konnte der Universitätsbi bliothek Leipzig aus der UB Moskau wertvolles Vergleichsmaterial gelie fert werden. Den sowjetischen Genos sen gebührt daher Dank für ihre Mit hilfe zur Lösung einiger Probleme. Der Machsor bringt neue Erkennt nisse für die Geschichte des Juden tums auf mehreren Gebieten. So be weist er erstmalig und endgültig, daß die Bilderfeindlichkeit in der Mitte des 14. Jh: durchbrochen war. Vom liturgischen Standpunkt aus bringt die Handschrift neue Erkennt nisse in der Exegese. Durch den Text vergleich mit den klassischen Ausga ben des Alten Testaments und den Büchern der Chronik liefert die Hand schrift viele Möglichkeiten zu Ver gleichen. Daneben wird die Geschichte des jüdischen synagogalen Gebets durch viele heute unbekannte Texte bereichert. Die bekannten Texte kön nen durch die neue Ausgabe berich tigt und falsche Abschriften korrigiert werden. Für Religionswissenschaftler bietet der Machsor wesentliche An haltspunkte zur Geschichte der Litur gie. Nicht zuletzt soll bemerkt wer den, daß neue Beweise für die Rich tigkeit bekannte) - Ergebnisse der Geschichtsforschung zu Leben und Lage der Juden in Deutschland er bracht werden. Die im Textband im einzelnen gründliche Untersuchung der Bilder des Machsor Lipsiae bietet eine Fülle von neuen Erkenntnissen. Diese be treffen Modalitäten und sittliche Grundsätze im Verlaufe der Festtage des jüdischen Jahres. Als Beispiel sei auf das Blatt verwiesen, das das „Hohelied“ illustriert. Die Illustration erweckt beim ersten Blick den Ein druck einer Darstellung zu einem orientalischen Märchen. Die Meister des Machsor betonen nicht das vor dergründig Sinnliche des bekannten „Hoheliedes", sondern warnen vor. einer- falschen Auffassung des Liedes der Lieder. Fabeltiere versuchen ver geblich, die goldene Einfassung des ersten Wortes zu zerstören. Löwe und Affe symbolisieren den Mann in seinem Verhältnis zur Frau. Wenn er sich in seiner Beziehung zur Frau beherrscht, so ist er stark wie ein Löwe. Wenn aber die Triebe ihn be herrschen, ist er lächerlich wie ein Affe. Solche Beispiele und Auflösun gen der Symbole bietet unsere Hand schrift die Menge. Die Objekte der Texte sind entnommen den Büchern Moses (Pentateuch), dem „Hohelied“, dem Buche „Esther“ und der „Chro nik“. Im ganzen hat das Aktiv der Be arbeiter 68 Blatt der Pergament-Hand schrift zu einem Band in Folio ver einigt. Die Herstellung des achtfarbigen Lichtdruckes durch die Ratsdruk- kerei Dresden kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Farben von Gold über Rot und Blau sind von her vorragender Leuchtkraft und Schöl heit. Die graphische Gestaltung lag i) Händen von Nationalpreisträger Prol K a p r, Leipzig. Den Satz und Dru des umfangreichen Textbandes be sorgte die Offizin-Andersen-Nexö ’’ Leipzig. Der Satz der klassischen he bräischen Ornamentschrift wurde i Gräfenhainichen hergestellt, und u" die Einbindearbeiten in hellem Zie genleder bemühten sich die Leipzig® Firmen Gebr. Heller, G. Engelmal’ 11 und Föste, Lüdekke, Böhnisch & Co- Leipzig. Zum Schluß soll noch bemerkt wer den. daß für die Ausstattung unser Werkes Professor Wolter, Leipzis beratend tätig war. Es wurden im ganzen 650 Exer plare hergestellt, die auf dem Wes der Subskription vor Erscheinen de Werkes bereits fest bestellt wurde' Die UB Leipzig hat sikh zu Repräse™ tativzwecken mehrere Exemplare 85 sichert. Für die gute kollektive Arbe mit unserem Verleger bei der Heral' gäbe wertvoller Handschriften we den in den nächsten Jahren weite 1 * Objekte vorbereitet, die dem hob® Ansehen der Karl-Marx-Universit. in aller Welt, aber auch dem Wunsd der Wissenschaftler im gesamten AV land dienen sollen. Der ökonomisc Nutzen solcher Zusammenarbeit 1 unseren Verlagen läßt sich leicht atl rechnen, wenn man bedenkt, daß e Exemplar des Machsor MDN 1250' kostet.