Suche löschen...
Universitätszeitung
- Bandzählung
- 9.1965
- Erscheinungsdatum
- 1965
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-196500003
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19650000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19650000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Bemerkung
- Teilweise mit vorlagebedingtem Textverlust.
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 9.1965
1
- Ausgabe Nr. 1, 07.01.1965 1
- Ausgabe Nr. 2, 14.01.1965 1
- Ausgabe Nr. 3, 21.01.1965 1
- Ausgabe Nr. 4, 28.01.1965 1
- Ausgabe Nr. 5, 04.02.1965 1
- Ausgabe Nr. 6, 11.02.1965 1
- Ausgabe Nr. 7, 18.02.1965 1
- Ausgabe Nr. 8, 25.02.1965 1
- Ausgabe Nr. 9, 11.03.1965 1
- Ausgabe Nr. 10/11, 18.03.1965 1
- Ausgabe Nr. 12, 25.03.1965 1
- Ausgabe Nr. 13, 01.04.1965 1
- Ausgabe Nr. 14, 08.04.1965 1
- Ausgabe Nr. 15, 15.04.1965 1
- Ausgabe Nr. 16, 29.04.1965 1
- Ausgabe Nr. 17, 06.05.1965 1
- Ausgabe Nr. 18/19, 13.05.1965 1
- Ausgabe Nr. 20, 20.05.1965 1
- Ausgabe Nr. 21, 28.05.1965 1
- Ausgabe Nr. 22/23, 10.06.1965 1
- Ausgabe Nr. 24, 17.06.1965 1
- Ausgabe Nr. 25, 24.06.1965 1
- Ausgabe Nr. 26, 01.07.1965 1
- Ausgabe Nr. 27, 08.07.1965 1
- Ausgabe Nr. 28, 15.07.1965 1
- Ausgabe Nr. 29, 22.07.1965 1
- Ausgabe Nr. 30/31, 29.07.1965 1
- Ausgabe Nr. 32/33, 26.08.1965 1
- Ausgabe Nr. 34, 02.09.1965 1
- Ausgabe Nr. 35, 16.09.1965 1
- Ausgabe Nr. 36/37, 23.09.1965 1
- Ausgabe Nr. 38, 30.09.1965 1
- Ausgabe Nr. 39, 07.10.1965 1
- Ausgabe Nr. 40, 14.10.1965 1
- Ausgabe Nr. 41, 21.10.1965 1
- Ausgabe Nr. 42, 28.10.1965 1
- Ausgabe Nr. 43/44, 04.11.1965 1
- Ausgabe Nr. 45, 11.11.1965 1
- Ausgabe Nr. 46, 18.11.1965 1
- Ausgabe Nr. 47, 25.11.1965 1
- Ausgabe Nr. 48/49, 02.12.1965 1
- Ausgabe Nr. 50, 09.12.1965 1
- Ausgabe Nr. 51, 16.12.1965 1
-
Band
Band 9.1965
1
- Titel
- Universitätszeitung
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Probleme des künstlerischen iskussionen um die Arbeit der En sembles unserer Universität, die in den letzten Wochen geführt wurden nd noch geführt werden, lassen es ange- tacht erscheinen, einige, an sich selbst- Verständliche Fragen noch einmal zu Stel en bzw. Antworten auf sie, die ebenso Selbstverständlich sind, nochmals zu durch lenken. i Das laienkünstlerische Schaffen an un- trer Universität entwickelt sich ebenso He jede andere künstlerische Produktivi- it von Laien- und Berufskünstlern als ‘eil der sozialistischen Nätionalkultur und ‘ird als besonderer Teil dieses Allgemei- en durch die grundlegenden Ziele be- mmt, die wir uns in der Kulturrevolu- n stellen, nämlich: allseitig entwickelte ilistische Persönlichkeiten zu formen, gebildete sozialistische Nation her- ubringen und die objektiven, durch ökonomische sozialistische Basis ge- nen Möglichkeiten real-humanistischer schlicher Beziehungen durch entspre- de kulturell-subjektive Faktoren zu nzen, d. h. eine den Bedürfnissen so- stischer Lebensformen entsprechende lektuelle, ästhetische und volitive, so- eine sozialistische weltanschaulich- ilische Formung der Menschen unse- t Gesellschaft zu erreichen. Das laienkünstlerische Schaffen über- Rupt, d. h. auch die Tätigkeit von En- Rubles und Gruppen an Universitäten M Hochschulen, kann diese Aufgaben in Agenden „Ebenen“ lösen helfen: ADie laienkünstlerische Tätigkeit hilft • die Persönlichkeit formen. Sie be reichert nicht nur deren Kunstverständ nis. Derjenige, der bestimmte Lebens- Prozesse künstlerisch widerspiegeln will, muß tiefer in das Leben eindringen. Laienkünstler, die von Dichtern oder Komponisten geschaffene künstlerische Abbilder des Lebens reproduzieren wol len, müssen nicht nur tief in das Innere dieser künstlerischen Abbilder oder Ge stalten eindringen; sie beginnen auch — inwiefern sie sich dessen bewußt sind oder nicht, ist eine andere Frage — das Leben und die Menschen mit den Augen des Dichters oder Komponisten zu se hen, der diese Gestalten schuf, zumin dest werden sie in dieser Richtung be einflußt, A Eigene künstlerische Tätigkeit kann Wein Ausgleich zu einer andersgearte ten beruflichen manuellen, wissenschaft lich-theoretischen, politisch-praktischen pder anderen Tätigkeit sein. Sie kann eine Form der Freizeitgestaltung dar- (stellen, die Persönlichkeitsbildung mit Unterhaltung, Vergnügen und Entspan- nung verbindet. • Künstlerisches Laienschaffen kann H helfen, kulturelle Bedürfnisse zu be friedigen, die Berufskünstler allein nicht Zu befriedigen vermögen: es kann das geistig-kulturelle Leben der Werktäti gen respektive der Studenten und Wis- Senschaftler unserer Universität berei- Siern. Sicher gilt dies für unser Aka demisches Orchester, für das Louis- Fürnberg-Ensemble, das Ensemble „Pa- Wei Kortschagin“, für den Universitäts- Aor und auch für die Studentenbühne. A Schließlich stellt das laienkünstleri- • sehe Volksschaffen einen Bereich des gesellschaftlichen Lebens dar, in dem künstlerische Talente entdeckt und ge fördert werden können, die dann zu Önern bestimmten Zeitpunkt eine Aus- Bildung an künstlerischen Hoch- und Pachschulen erhalten, um später pro fessionell künstlerisch tätig zu sein. Offenkundig werden von den möglichen Aktionen des Laienkunstschaffens vor [lern die unter 1 bis 3 genannten für die 2 Volkskunstzentrum unserer Universi- f vereinigten Ensembles und Gruppen chtig sein. Wollen wir die Aufführung des Stückes ie Zeugen oder Unsere kleine Stabili- 'hing“ von Tadeucs Rozewicz durch die Hdentenbühne der Karl-MMarx-Universi- • beurteilen, so bietet uns die Frage, e die genannten Funktionen durch eine Idle Aufführung erfüllt werden konn- ', einen gewissen methodischen Aus- ngspunkt. 1 ihrem Programm erklärt die Studen- enbühne sinngemäß, sie betrachte die Aufführung dieses Stückes als Klassen- tapf. als Element einer Kritik an der räußerlichung des Menschen, die durch e westliche Lebensweise hervorgerufen rde; sie wolle gegen Gleichgültigkeit menschlichen Lebensfragen aufrufen d fruchtbare Diskussionen provozieren. Aber bereits die erste Diskussion zeigte, 8 die Waffen, mit denen sie in den ‘mpf zog, eher den Träger als den ge- nten Gegner verletzten, daß Zweideu- Gkeiten der künstlerischen Aussage Ele- pte in die Diskussion hineintrugen, die ht als fruchtbar, sondern für unser Ästig-kulturelles Lebens als negativ ein- “chätzen sind. Aber kann man die darauf folgende, echtigte, notwendige und harte Kritik nur damit erklären, daß Beziehungen zu bestimmten Auffassungen in der Theater hochschule sowie eine bestimmte politi sche Situation uns zwingen, strengere Maßstäbe anzulegen und einen etwaigen kritisch-realistischen Gehalt der Auffüh rung nicht gebührend zu würdigen? Eine solche Frage führt zu einer zwei ten: Ist „Die Zeugen oder Unsere kleine Stabilisierung“ tatsächlich kritisch reali stisch? Wenn ja, gegen wen richtet sich die Kritik? Vielleicht konnte die Bühnen aufführung den Eindruck erwecken, es handle sich um eine höchst abstrakte Kri tik „der Gleichgültigkeit“, sozusagen um ein literarisches Ausmalbild, in das die Studentenbühne schwarz und braun auf tragen wollte, Böswillige jedoch auch rote Farben eintragen können? Tatsächlich operiert Rozewicz auf einer Ebene hoher Allgemeinheit. Seine Gestal ten sind mehr symbolische Typen als kon krete Menschen. Ihre „Gesichtslosigkeit" und Allgemeingültigkeit wird durch den Verzicht auf konkrete Namen unterstri chen. Es agieren „der Mann“, „die Frau“, „er“, „sie“, „der Zweite“ und der „Dritte“. Offensichtlich ist der Autor — hier kann man der Bemerkung im Programm zu stimmen — um eine symbolische Bedeu tung von hoher Allgemeinheit bemüht. Aber diese Allgemeinheit ist zugleich konkret örtlich und zeitlich bestimmt. Das Stück handelt in der Volksrepublik Polen, etwa zwischen 1963 bis 1965. Zwar sind die Details, die Ort und Zeit bestimmen, nicht zahlreich. Aber sie sind eindeutig, und ihre Aussagekraft wird dadurch er höht, daß der Autor die ganz natürliche Frage nach dem Wo und Wann des Ge schehens in uns durch die Führung des Dialoges erweckt und unser Drängen nach Antwort dadurch steigert, daß er mit einer solchen Antwort lange wartet. „Die Frau“ erklärt vom Panorama vor ihrem Fenster: „Allein diese Aussicht ist tausend Zloty wert." Nach ihrem Aus bruch: „So kann man nicht leben!" und ihrer Beruhigung mit einer Tasse Tee nennt sie ihren Mann Franek (und nicht Johann oder William oder Francois). Im Vers des „Dritten“ erscheint der spezi fisch polnische Name Stanislaus, später spricht die gleiche Person von einem zu grunde gegangenem Franciszek. Im Monolog des „Zweiten“ (bei dem der- „Dritte“ fortgegangen war) ist von der- Jugend die Rede, die in die Zeit der großen Krise fiel, vom zweiten Weltkrieg, von der Besatzungszeit, vom Wiederauf bau und der Stabilisierung. Der „Zweite“ spricht davon, daß er vor zwanzig Jahren zum letzten Mal einen Freund gesprochen und diesem sein Inneres enthüllt habe. „Heute", so erklärt er dann, „gibt es keine Freundschaft mehr, und eigentlich kann man sich auch nicht mehr richtig ausspre chen“. Wie soll man das anders verstehen, wenn nicht als Angriff gegen die Volks macht in Polen? In der Inszenierung der Studentenbühne fehlen diese die konkreten Umstände charakterisierenden und Denkimpulse ein deutig in dieser Richtung gebenden Ak zente. Offensichtlich äußert sich darin ein subjektives Bemühen, das Stück, das im Nachwort der westdeutschen Ausgabe als kritisch schlechthin bezeichnet wurde, kri- • tisch-realistisca umzufunktionieren. Gelang dies? Jeder, der sich mit Kunst befaßt, weiß, wie das Streichen oder Hin zufügen bestimmter Details nicht nur den konkreten individuellen Inhalt ver ändern, sondern unter Umständen auch den wesentlichen Inhalt von Kunstwerken erheblich beeinflussen kann. Aber er weiß auch, daß von der organischen Ein heit eines gegebenen künstlerischen In halts und seiner künstlerischen Form eine innere Logik der Gestaltung ausgeht, die auch „verlorene“ Glieder ahnen und das Gesamtwerk trotz alledem in einer be stimmten Richtung wirken lassen kann. Diese „innere Logik“ wird in „Die Zeu gen oder Unsere kleine Stabilisierung“ durch die Gestalten oder besser „Unge stalten“ seiner Menschen und die welt anschaulich-emotionale Beziehung des Künstlers zu diesen bestimmt. Natürlich kann ein Dichter seinen Gestalten prin zipiell eine Symbolbedeutung von hoher Allgemeinheit geben. Aber es geht um den Charakter dieser Typen und das We sen der Symbole. In dem Stück von Ro zewicz haben wir deformierte Menschen, verstümmelte Fragmente menschlicher Persönlichkeiten vor uns. Ihre glatte wohlgeformte Konversation verläuft in mehreren Ebenen, an deren Schnittpunk ten absurde Sinnzusammenhänge entste hen — etwa derart: Die Frau: „Wie gut, daß die Ideen unserer Zeit nicht so anspruchsvoll sind.“ Der Mann: „Eben... ich habe mir einen Saucefleck auf die Hose gemacht." Sie wirken einerseits komisch durch die Verwandlung einer gespannten Erwartung in ein Nichts, andererseits enthüllen sie eben dadurch deformierte Menschen und deformierte menschliche Beziehungen. Es geht uns dabej nicht primär darum, ob etwa die Szene zwischen der „Frau“ und dem „Mann“ vom Korversationsstil Jo- nescos inspiriert wird oder die Tonart im Gespräch zwischen dem „Zweiten" und dem „Dritten“ an Becketts „metaphysi sches Gespräch“ erinnert und ob dies, wie es im Nachwort zur westdeutschen Aus gabe heißt: „... jene Atmosphäre der Be drohung und Ungewißheit verbreitet, von der das Individuum angesichts der .letzten Dinge' beherrscht wird.“ Es geht darum, daß jede Person in sich verkrüppelt ist, etwas zu sein vorgibt, aber im Grunde wenig oder gar nichts ist. Die gefühlvoll gemachte, im gepflegten Konversationsstil vorgetragene „ästhetisch poetische Sentimentalität“ der Frau wie ihre konventionellen Plattheiten scheinen nur einmal wirklich durch den mensch lichen Aufschrei unterbrochen: „So kann man nicht leben!“ Aber der Autor ent täuscht unsere Erwartung, hier einen, und sei es noch so geringen, aber doch eindeu tigen, Fingerzeig für unser produktives Weiterdenken durch die Spur eines Menschlichen zu finden. Der Aufschrei wird nach einer Tasse Tee zurückgenom men, und ein nicht einmal resignierendes, sondern jedes menschlichen Gehalts ent leertes Gänschen macht vor dem Spiegel Übungen zur Pflege ihres Teints, während ihr Mann behaglich gleichgültig von der grausamen Tötung eines Kätzchens durch spielende Kinder berichtet. Vorher hatte er „vernünftige“ Platthei ten von sich gegeben, hatte sich Religio nen und Ideologien gewünscht, die nicht allzusehr beunruhigen, und freut sich nun des Platzes am Fenster, durch den er den geschilderten Vorgang beobachten kann. Mann und Frau sprechen miteinander und hören einander nicht zu. Die scheinbar bereitwillige Zustimmung zum Bleiben der Mutter erweist sich im weiteren Ver lauf des Dialogs als eigentlich gar nicht ausgesprochen. Das absurde Überkreuzen der Gedankengänge, das aus schon ge nannten Gründen begrenzt lächerliche Wirkungen erzielt, zeigt, daß eigentlich jeder für sich denkt und lebt, dem ande ren fremd geworden ist, ja vielleicht immer fremd war. Diese prinzipielle seelische Verkrüppe lung und Fremdheit, dieses existentielle „Geworfensein“ , des Individuums, das eigentlich nur sich selbst hat und dessen gelegentlicher Aufschrei nach einer mit fühlenden Seele ohne Echo verhallt (der „Dritte“ geht während des großen Mono loges des „Zweiten“ weg; dieser — in sich versunken und auch in dem Augenblick, in dem er „sein Innerstes“ einem ande ren offenbaren will, nur mit sich selbst beschäftigt — merkt gar nichts), wird im dritten Teil aus der privaten in die soziale Sphäre zu heben versucht. Der „Zweite“ wie der „Dritte“, jeder ist nur für sich da, keiner rührt einen Fin ger, und sei es auch nur, um zu erfahren, ob eine Katze oder ein Hund oder ein Mensch zugrunde geht. Denn keiner will „den Platz, den er sich erworben hat" gefährden oder „von seinem Weg“ abge hen, sich mit etwas anderem als mit sich selbst beschäftigen. Jeder Versuch zu engeren menschlichen Kontakten erscheint sinnlos. Der „Dritte“ erklärt es kurzer hand für gleichgültig, wem man etwas offenbare, weil man eigentlich nichts zu sagen habe, er demonstriert dies sogar physisch und läßt den „Zweiten“ bei des sen „Offenbarung“ allein. Der Mensch ist hier dem Menschen und sich selbst fremd geworden. Nicht ein geringfügiges Detail deutet auf Aufgaben hin, die ihn aus den verzauberten Kreis des eigenen Ich hinausführen könnte, kein Bild einer würdigen Zukunft kann ein wirklich gesellschaftlich achtenswertes Handeln aktivieren. Nicht das geringste Detail erinnert un ser produktives Denken daran, daß in Polen neben erbärmlichen, deformierten, ja beinahe nicht mehr menschlichen Spie ßern, die es wohl geben kann, eine Ar beiterpartei besteht mit ruhmvollen revo lutionären Traditionen und echten Zielen beim wirtschaftlichen und politischen Auf bau, daß Kräfte existieren, die eine an dere Welt und andere Menschen verkör pern. Menschen mit Schwächen und Män geln, aber doch Menschen mit würdigen Zielen und echter Substanz. Die Inszenierung der Studentenbühne strich das polnische Lokalkolorit und be mühte sich, durch Denkimpulse im Pro gramm Überlegungen über die westdeut sche Wirklichkeit zu aktivieren. Aber auch Westdeutschland liegt nicht außer halb der Welt, in der es revolutionäre Parteien, Menschen mit echtem Enthusias mus und menschlichen Zielen gibt. Diese Tatsache könnte man vielleicht bei einem kleinen Spießeridyll noch ignorieren; man kann sie nicht ignorieren in einem Kunst werk, dessen symbolische Typen — aller dings zu Unrecht — eine hohe Allgemein bedeutung beanspruchen. Kann man, selbst wenn man die For derung nach realistischer Wahrheit nur darauf beschränkt, im Rahmen der Mög lichkeiten einer Gattung respektive eines Genres die von einem gewählten Aus schnitt des Lebens mögliche künstlerische Wahrheit zu verlangen, eine solche defor mierte Aussage billigen? So fragen heißt schon antworten. N un könnte man — und abstrakt ge nommen träfe dies sogar zu — sagen: Natürlich werden hier keine vollwer tigen Menschen, sondern Fragmente einer spießerhaft elenden Existenz gezeigt; statt menschlicher Beziehungen werden mensch liche Gleichgültigkeit und Isolierung dar gestellt. Aber können nicht von einem Stüde, das nur negative Personen enthält, auch positive Impulse zu einer Empörung gegen Unmenschliches, Häßliches und Niedriges ausgehen? Gelang dies nicht Gogol im „Revisor“ und weitgehend Du dow im „Hauptmann von Köln“? Natürlich ist dies möglich. Aber wo bleibt konkret in „Die Zeugen oder un- sere kleine Stabilisierung“ die beißende Satire? Sind die Fragmente menschlicher Existenz nicht letzthin selbstzufrieden und unerschüttert in ihrer eigenen Nichtigkeit? Nimmt der Autor nicht selbst weit gehend jeder möglichen, sich aus welt anschaulichen Positionen der künstlerisch rezeptiven Subjekte ergebenden Empö rung gegen diese Lebenshaltung den Wind dadurch aus den Segeln, daß nicht das kleinste Detail zielgerichtet unser Denken und Fühlen zu der empörten Reaktion aufruft: „Möglicherweise können Menschen so sein, aber Menschen sind es nicht, die so sind“. Denkimpulse in dieser Richtung versucht das Programm zu geben, das Stück gibt sie nicht. Im Gegenteil, die Aussage der „Frau“: „Nur die Menschen sind schlecht... wenn auch nicht alle“, auf die der „Mann“ ant wortet: „Im Grunde sind sie gut... wenn auch nicht alle“, wird am Schluß des zweiten Teils durch den „Mann“ zurück genommen, der mit beinahe sadistischer Freude das poetische Bild der schönen Welt unschuldsvoll ' spielender Kinder durch die Schilderung der grausamen Tö tung des Kätzchens zerstört. Implicit wird durch diese Schilderung gewisser maßen die „Bestie Mensch“ auch im Kind entdeckt und universell postuliert, wobei diese Aussage kompositorisch im dritten Teil noch einmal aufgenommen und durch folgende Sätze verstärkt wird: Der Zweite: „...es riecht nach Aas.“ Der Dritte: „Was tun eigentlich die Be hörden? Wo bleibt die öffentliche Mei nung?“ N atürlich können Spielende oder Zu schauer zur Empörung gegen die Welt antagonistischer Klassengegensätze an geregt werden. Aber dies ist nur dann möglich, wenn sie wissen, daß in die ser — und nicht in der sozialistischen Ge sellschaft — Menschen und menschliche Beziehungen so deformiert werden, daß die Konkurrenz antihumanistischen Egois mus laufend produziert und den Men schen vom Menschen isoliert. Aber dies ist das Wissen des Zuschauers und seine weltanschauliche Haltung, nicht das Ver dienst des Dichters. Im Gegenteil. Da Rozewicz darauf verzichtet, mit spezifisch künstlerischen Mitteln — etwa in der Führung des Dialogs oder der Zeichnung der Gestalten — uns ahnen zu lassen, wo her eine solche Deformierung des Men schen kommt und wie ihre Quellen ver stopft werden können; da er diese Defor mierung als existentiell allgemein mensch liches Schicksal hinstellt, befördert er in der Endkonsequenz weder ein richtiges Wissen, noch ein richtiges Empfinden für die Menschen, die den Sozialismus auf bauen oder aufbauen werden, ja er wirkt sogar in entgegengesetzter Richtung. Aufführungen solcher Stücke, so sehr man sich um eine „Umfunktionierung“ bemühen mag, können uns nicht helfen, jene Aufgaben zu erfüllen, die dem laienkünstlerischen Schaffen bei der Per-* sönlichkeitsbildung unserer studentischen Jugend gestellt werden müssen. Im ersten Teil sprechen Rezitator und Rezitatorin: Sie: „Man schlägt ein Bein übers andere^ Er: in Akademien, Konzerten Flugzeugen, Bars und Theater. Sie: Aus Pickeln werden Probleme.“ Man ist versucht zu fragen, ob hier * nicht aus derart entstandenen Problemen ein Theaterstück wurde. I n den folgenden Diskussionen tauchte die Frage auf, ob wir hier eine Tren nung von Politik und Ästhetik feststellen müssen. Tatsächlich wurden weltanschau lich-politische Grundfragen ungenügend beachtet. Nicht überschätzt jedoch wurde die Ästhetik. Auch sie wurde vernach lässigt. Ein echtes Durchdenken solcher ästhetischer Grundfragen wie der Bezie hungen von Kunst und Wirklichkeit, künstlerischer Wahrheit und Parteilichkeit wäre zweifellos geeignet gewesen, solche Fehler zu vermeiden. Von Prof. Dr. Erhard John Bemerkungen zur Aufführung „Die Zeugen oder Unsere kleine Stabilisierung“ Laienschaffens an der Universität
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)