Volltext Seite (XML)
fangen wollten. Auch um den vorhandenen Traditionen besser entsprechen und die SPD nicht in eine gefährliche „Geschichtslosigkeit" zu manövrieren, gehen die traditionell refor mistisch eingestellten Historiker etwas anders an die Geschichte der Arbeiterbewegung heran. Sie geben Einschätzungen der Ge schichte, die in mancher Hinsicht von der imperialistischen Konzeption abweichen und der historischen Wahrheit ein Stück näher kommen. Sie entwickeln zwar keine Alter native zu Godesberg, legen aber doch For schungsergebnisse vor, die unsere Kenntnis von der Geschichte bereichern und hin und wieder Anknüpfungspunkte für eine anti imperialistische Geschichtsschreibung bieten. Das gilt z. B. für eine Reihe von Schriften zur örtlichen Arbeiterbewegung. Wir nennen Georg Eckert: „Die Braunschweiger Arbeiter- bewegung unter dem Sozialistengesetz“. Eckert schätzt den Einfluß von Marx und Engels auf die deutsche Arbeiterbewegung hoch ein und macht der marxistischen Ge schichtswissenschaft viele Quellen zugäng lich. 17 ) Auch Christian Paulmann bemüht sich in seiner Arbeit „Die Sozialdemokratie in Bremen 1864—1964“ um eine gewisse Objek tivität, zumindest für das 19. Jahrhundert. Auch er erkennt den Einfluß des Marxismus auf die deutsche Arbeiterbewegung an. 18 ) Ähnliches gilt auch für die Schrift von Her mann Herberts: „Zur Geschichte der SPD in Wuppertal.“ Soweit Herberts Fragen des 19. Jahrhunderts behandelt, kann man weit gehend mit ihm einverstanden sein.' 9 ) Sehr widerspruchsvoll ist der Bildband ..100 Jahre deutsche Sozialdemokratie“, der gemeinsam von imperialistischen Historikern, wie Weimer Conze und Frolinde Balser, und reformistischen Geschichtsschreibern, wie Georg Eckert und Susanne Miller herausge geben wurde. 20 ) Dieser Bildband zeigt schon in der Zusam mensetzung der Herausgeber, daß man die Grenzen zwischen den einzelnen Gruppen nicht allzu starr ziehen darf. Sicher spiegelt das Auftreten von Eckert und Osterroth, von Herberts und Paulmann Differenzen inner halb der Sozialdemokratie und der Gewerk schaften wider, und es ist sicher auch als Konzession an das Geschichtsbewußtsein vie ler organisierter Arbeiter in Westdeutschland zu werten, aber es führt eben nicht zu einer echten Alternative in der Auswertung der Geschichte. Auch die bisher genannten Schrif ten — einschließlich des „Bildbandes“ — stüt zen in vielen Punkten die heutige Politik der SPD-Führung. Allerdings hat der Bildband auch eine positive Seite. Weil sich die Her ausgeber bemüht haben, ein repräsentatives Werk herauszubringen und den Band mit vielen Bildern und Dokumenten auszustatten, wurde ihnen die Geschichte zum Verhäng nis. Die abgedruckten Bilder, Dokumente und Quellen beweisen nämlich die Godesberger Thesen nicht, und sie können das auch gar nicht, weil der geschichtliche Ablauf nicht mit dieser Konzeption übereinstimmt. Eine wirkliche Alternative ist von diesen Historikern bzw. historisierenden Politikern jedoch nicht zu erwarten. Die Alternative geht vielmehr von der Arbeiterklasse West deutschlands selbst aus und von denjenigen Kräften, die sich ihr und ihren revolutio nären Traditionen am engsten verbunden fühlen. Objektiv ist das durch zunehmenden Widerspruch zwischen den Interessen der Werktätigen und der Politik des westdeut schen Monopolkapitals bedingt. Dieser Wider spruch führt Teile der Arbeiterklasse und solche Historiker, die eng mit ihr verbunden sind, immer wieder zu einer Besinnung auf die revolutionären Traditionen des Kampfes der Arbeiterklasse gegen den bürgerlichen Staat; zu dem Versuch, echte Lehren aus der Geschichte der Arbeiterbewegung, aus ihren Erfolgen und Niederlagen zu ziehen. Das äußert sich z. B. im „Handbuch für die Ver trauensleute der IG Metall“ in zahlreichen, von der offiziellen Geschichtspropaganda ab weichenden Einschätzungen. In diesem Hand buch werden Marx und Engels als Pioniere der Arbeiterbewegung und als Schöpfer des wissenschaftlichen Sozialismus gewürdigt, während Lassalle in den Hintergrund tritt. Das „Handbuch“ lehnt die Thesen von der angeblichen Integration der Arbeiterbewegung in den Staat entschieden ab und verficht die Meinung, daß es Widersprüche zwischen Ka pitalisten und Arbeitern gibt, die durch den Kampf der Arbeiter — vor allem der Gewerk schaften — gelöst werden müssen 21 ). Im „Archiv für Sozialgeschichte“ hat Bert Andreas einen Artikel „Zur Agitation und Propaganda des ADAV 1863 64“ veröffent licht, der sich grundlegend von den Auffas sungen bürgerlich-imperialistischer und rechts sozialdemokratischer Historiker unterscheidet. Andreas beschäftigt sich mit dem Ursprung und der Kontinuität der deutschen Arbeiter bewegung und untersucht zu diesem Zweck das Verhältnis von „Bund der Kommunisten“ und ADAV. Er kommt dabei zu dem Ergeb nis, daß Lassalle in mehr als einer Beziehung auf der Arbeiterbewegung der Jahre 1848 '49 aufgebaüt habe. Andreas schreibt, schon heute ließen sich Tatsachen anführen, die „auf eine nicht unbedeutende Rolle ehemaliger Mitglie der des Kommunistenbundes bei der Früh- entwicklung des ADAV hinweisen und damit auf eine Kontinuität in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung seit 1848".2) Die konsequenteste Antithese zu den Ge schichtsfälschungen der Conze und Schieder, Anders und Markscheffel hat jedoch Prof. Wolfgang Abendroth veröffentlicht. In seinem Buch „Aufstieg und Krise der deutschen So zialdemokratie“ erweist er sich erneut als