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von wissenschaftlichem Sozialistnus und Ar beiterbewegung steht, und so übersieht man den „Bund der Kommunisten“, der schon 1847 entstand und erst recht das „Kommu nistische Manifest.“ Weil es aber 1848/49 schon eine Arbeiterbewegung gab, die man nicht einfach leugnen kann, avanciert Stefan Born zum Führer der deutschen Arbeiter. Über ihn, dessen Verdienste um die „Ar beiterverbrüderung“ wir nicht bestreiten, heißt es bei Conze: „Indem er sich anpaßte und doch fest in seinen Zielen blieb, gelang es ihm, der spontan entstehenden und schnell nach Organisation strebenden Arbeiterbewe gung in Berlin und kurz darauf in ganz Deutschland Form und greifbaren Inhalt zu verleihen, während Marx und Engels unter dem Zwang ihrer Theorie der Revolution sich isolierten und eine eigene Arbeiterorganisa tion mißachteten.“ 5 ) Eine ähnliche Überbewertung der „Arbei terverbrüderung“ finden wir auch in der zweibändigen Schrift der Conze-Schülerin Frolinde Balser, einer Schrift, die 1962 unter dem Titel „Sozialdemokratie 1848/49 bis 1863“ in Stuttgart erschienen ist. 6 ) Neben der Überbewertung Borns und der Arbeiterverbrüderung finden wir bei den im perialistischen Historikern nach wie vor eine Verherrlichung Lassalles und des ADAV. So hat der Heidelberger Historiker Prof. Dolf Sternberger in einer Rede zur 100-Jahr-Feier der SPD in Heidelberg, die 1963 unter dem Titel „Staatsfreundschaft“ in Frankfurt er schienen ist, nachzuweisen versucht, daß die Kontinuität von Lassalle zur heutigen SPD vor allem in der Haltung gegenüber dem bürgerlichen Staat bestehe, in dem Versuch, mit Hilfe der Organisation die Arbeiter fest an den bestehenden Staat zu binden. Stern berger schrieb: „Was ist es dann aber, was sie berechtigt, dieses Datum des 23. Mai 1863 als den Geburtstag ihrer Partei anzusehen und zu feiern... Was ist es, daß sie, die ge treue Opposition und mögliche Regierungs partei der Bundesrepublik, verbindet mit jenem Häuflein von vor 100 Jahren, jener Gruppe von Schustern, Schneidern, Webern und Buchdruckern, aber auch Lehrern, Advo katen und Journalisten...“’). Es ist die Staatsfreundschaft, weil Lassalle „den Staat als solchen bejahte, weil er den Staat nicht abzuschaffen oder absterben zu lassen, son dern ganz im Gegenteil zu gewinnen, zu ver ändern, demokratisch umzugestalten, viel leicht zu erobern gesonnen war; und weil er die Arbeiter mit dem Werkzeuge seines Ar beitervereins. mit dem Werkzeug also einer politischen Partei, zu Bürgern des Staates, ja zu Gesetzgebern des Staates machen wollte. Er wollte die unterdrückte Klasse hineinführen in den Staat... und nicht aus dem Staat heraus, wie Marx“ s ). Conze, Balser, Sternberger sind diejenigen bürgerlichen Historiker, die sich darum be mühen, in die Geschichtspropaganda der SPD von imperialistischen Positionen einzugreifen und die verzerrte Geschichte der Arbeiterbe wegung zu einem Bestandteil der ideologi schen Gleichschaltung der Arbeiterklasse Westdeutschlands zu machen. In diesem Sinne schrieb Sternberger am Schluß seines Auf satzes: „Die Klassenpartei war ein Umweg, ein unvermeidlicher Umweg, sie hat zur Emanzipation der Arbeiterschaft ihr entschei dendes Teil beigetragen, sie hat geholfen, die Klassen, wo nicht abzuschaffen, so doch ab zutragen und auszugleichen, wiewohl sie im mer eine Minderheitspartei geblieben ist eben darum, weil sie eine Klassenpartei sein und auf die Ausbreitung des Klassenbewußt seins warten wollte... lassen wir unserer seits es uns daran genügen, daß die heutige SPD diese Riegel gesprengt hat.“ 9 ) Diese Linie wird in genau derselben Weise vom Parteivorstand der SPD und von den ganz rechts stehenden Historikern der SPD vertreten. Für diese Kräfte sind vor allem zwei Dinge wichtig: Auf der einen Seite muß man den Massen gegenüber' die historische Verwurzelung der Godesberger Politik in der Politik der Sozialdemokratie des 19. Jahr hunderts nachzuweisen versuchen; auf der anderen Seite muß man den Imperialisten gegenüber die lebendigen Traditionen ent schärfen und die SPD als eine seit jeher staatsbej ahende, demokratisch-reformistische, „ungefährliche“ Partei hinstellen. So nimmt es nicht wunder, daß in den Schriften der Carlo Schmid, Fritz Erler, Günter Mark scheffel und Karl Anders dieselben „Argu mente“ auftauchen wie bei Conze, Balser und Sternberger. Diese Geschichtsschreiber erkennen eine echte Rezeption des Marxis mus in Theorie und Praxis der deutschen Sozialdemokratie nicht an und bagatellisie ren den Einfluß des Marxismus auf die deut sche Arbeiterbewegung. So schreibt z. B. Carlo Schmid in seinem Artikel: „Ferdinand Lassalle und die Poli tisierung der deutschen Arbeiterbewegung“: „Sicher gingen in der Auseinandersetzung beider Denkbilder fast alle ersten Runden an Karl Marx... Aber in ihrer tätigen Selbstverwirklichung erwies sich die deut sche Sozialdemokratie nach kurzem Schwan ken doch immer mehr als ein Kind des Gei stes Lassalles, denn als Verwalter, der eschatologischen und apokalyptischen Ge schichtsschau seines Widersachers ... Letztlich war der Sieg des Marxismus innerhalb der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ein Scheinsieg. Der Geist Lassalles wurde zwar aus den Programmschriften vertrieben, aber in der konkreten Alltagspolitik der Par tei hat er sich mächtig ausgebreitet." 10 ) Dieselbe Konzeption finden wir auch in der Schrift „Programme der deutschen So zialdemokratie“, zu der Fritz Erler eine län gere Einleitung geschrieben hat. Auch Erler