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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 9.1965
- Erscheinungsdatum
- 1965
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-196500003
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19650000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19650000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Bemerkung
- Teilweise mit vorlagebedingtem Textverlust.
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 9.1965
1
- Ausgabe Nr. 1, 07.01.1965 1
- Ausgabe Nr. 2, 14.01.1965 1
- Ausgabe Nr. 3, 21.01.1965 1
- Ausgabe Nr. 4, 28.01.1965 1
- Ausgabe Nr. 5, 04.02.1965 1
- Ausgabe Nr. 6, 11.02.1965 1
- Ausgabe Nr. 7, 18.02.1965 1
- Ausgabe Nr. 8, 25.02.1965 1
- Ausgabe Nr. 9, 11.03.1965 1
- Ausgabe Nr. 10/11, 18.03.1965 1
- Ausgabe Nr. 12, 25.03.1965 1
- Ausgabe Nr. 13, 01.04.1965 1
- Ausgabe Nr. 14, 08.04.1965 1
- Ausgabe Nr. 15, 15.04.1965 1
- Ausgabe Nr. 16, 29.04.1965 1
- Ausgabe Nr. 17, 06.05.1965 1
- Ausgabe Nr. 18/19, 13.05.1965 1
- Ausgabe Nr. 20, 20.05.1965 1
- Ausgabe Nr. 21, 28.05.1965 1
- Ausgabe Nr. 22/23, 10.06.1965 1
- Ausgabe Nr. 24, 17.06.1965 1
- Ausgabe Nr. 25, 24.06.1965 1
- Ausgabe Nr. 26, 01.07.1965 1
- Ausgabe Nr. 27, 08.07.1965 1
- Ausgabe Nr. 28, 15.07.1965 1
- Ausgabe Nr. 29, 22.07.1965 1
- Ausgabe Nr. 30/31, 29.07.1965 1
- Ausgabe Nr. 32/33, 26.08.1965 1
- Ausgabe Nr. 34, 02.09.1965 1
- Ausgabe Nr. 35, 16.09.1965 1
- Ausgabe Nr. 36/37, 23.09.1965 1
- Ausgabe Nr. 38, 30.09.1965 1
- Ausgabe Nr. 39, 07.10.1965 1
- Ausgabe Nr. 40, 14.10.1965 1
- Ausgabe Nr. 41, 21.10.1965 1
- Ausgabe Nr. 42, 28.10.1965 1
- Ausgabe Nr. 43/44, 04.11.1965 1
- Ausgabe Nr. 45, 11.11.1965 1
- Ausgabe Nr. 46, 18.11.1965 1
- Ausgabe Nr. 47, 25.11.1965 1
- Ausgabe Nr. 48/49, 02.12.1965 1
- Ausgabe Nr. 50, 09.12.1965 1
- Ausgabe Nr. 51, 16.12.1965 1
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Band 9.1965
1
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I Geschichtsbewußtsein und Entscheidung Vortrag von Nationalpreisträger Prof. Dr. Walter Markov, Direktor des Instituts für Allgemeine Geschichte, auf dem Kolloquium „Die Entstehung des antifaschistischen und nationalen Geschichtsbewußt- leins in Deutschland nach dem Sturz des Hitlerreiches" ito- Or der ind wel len Es ten ten an, uch äu- dh- ien, im- ner ind ges eht. jnd olle ein- mte ner es Er- An- tre- nel- fas- ‘ro- en- urf ind be- ih- die ier an- ten es es ine rk- die in ard he- Ität md ren ing wir cht en- dit itt- läf- lieh eilt cig- sti- an aft- Vir ger ige ind Alenn Historiker, die von Marx und I W Lenin gelernt haben, der 20. Wieder kehr des Befreiungstages gedenken, 0 richten sie den Blick nach vorn. Sie er- Jossen seine Bedeutung an den Früchten, er in unserer DDR trägt, und zu de- Den wir — nicht an erster, aber auch nicht dn letzter Stelle — die Bemühungen um sozialistisches Geschichtsbild zu zäh- an uns berechtigt fühlen; um ein Ge- ^ichtsbewußtsein, das dem Handeln Mit verleiht und Haltepunkte weist. Von dem Beginnen dieses befreienden Neuen in unserer Gesellschaft und in un- Srer jungen Wissenschaft, zu dem der [Mai das große Tor aufgestoßen hat, soll Mte, hier, die Rede sein. Für die meisten unter Ihnen, für die Ju- M in den Hörsälen unserer Hochschu- 160, ist diese gewordene sozialistische B8enwart nahezu gleichbedeutend mit nem eigenen Leben, Ihren Erwartungen 2d Strebungen, Ihren Herausforderungen UDd Antworten. Was davor lag an Alp- Bäumen auf unserem Volk, ist für Sie zu "’em Gestern geworden, das man in gute Wer auch weniger gute Bücher einge- "reint hat, und der bevorstehende Wech- der Generationen zeichnet sich davor 60, 'n der Bundesrepublik ist mir von jun- V Menschen des öfteren glaubhaft ver- ihert worden, daß sie sich weder für die iden noch für die Untaten ihrer Väter Veressierten: das sei ihre Welt und ihre kSnantwortung nicht. Man erkennt die tnd der Retuscheure, die Wert darauf 18en müssen, ihre Spuren zum Kata- /'’Phenherd zu verwischen; man kennt Bsreichend ihre Methoden, Vergangen- 65 in wirtschaftswunderliche Verpak- BDg eingesargt zu bewältigen. Aber wir Een uns, auch um die Stimmen gesun- 3 Gegenkräfte zu wissen, die im Bun- Bugendring durchdrangen und erklär- IE »Mit dem 8. Mai endete eine Ära der reiheit. Deshalb ist dieser Tag für uns 8 Tag der Niederlage, sondern der Be- 0 des Wiederaufbaus einer demokrati- Nn Ordnung. Der 20. Jahrestag des Jgsendes ist für uns ein Anlaß, uns er- t,zu der Verantwortung und Verpflich- & izu bekennen, die aus dieser Vergan- Teit entstehen 3d in der Tat: Geschichte hat niemals Weinem Jahr Null angefangen: weder 422 die drüben in Restaurationsputz auf- Bührt wird, noch jene, die der Kommu- B8nQus über die Wunderwerke der Surgeoisie in den Kosmos hinaustürmt. 2SWirklichung der tragenden Idee eines Vtalters, oder genauer: Idee als seine drwirklichung ist immer auch der Weg, 650 Menschen gehen, um zu einem Ziel v. gelangen und sich von ihm zu einem Sder höheren abzustoßen. daEinfach ist das nie. Ich denke aber doch, kn Sie, meine junge Freunde, es nun ein /’n wenig leichter haben, als es vor 406m Menschenalter war, zu einer um- iösenden sozialistischen Geschichtskonzep- 60 durchzudringen. Der Kontrast zu Nsen Erstlingen auf deutschem Boden, die 12t auf einer Schulbank zu gewinnen ien und vor die die Götter mehr als 8, Schweiß setzten, dieser Kontrast ver- Röchaulicht, was der Sieg der Roten Ar- 2 und ihrer Verbündeten über den nShismus eigentlich meinte — jener Sieg, 608 den wir hier weder stehen, lehren “ hören noch gar schreiben würden. am für tent für al tar- Bil ¬ der eh- nde Curt elle er Wege und Umwege zum Sozialismus Waren über KZ, Emigration oder 4 Kriegsgefangenschaft viele, und es F“8t von seiner mitreißenden Kraft, daß kauch Menschen, die seinerzeit auf ver- e'edenen Seiten der Front standen, un- L seiner Fahne zu gemeinsamen Auf- , “Werk zusammengeschweißt hat. Auch uns deutschen Historikern ist das so, 16 unsere Erfahrungen mit und unter Ea 1000jährigen Reich waren daher nicht Schartig. Diejenige, von der ich berich- 3 kann, ist nicht mehr als eine unter BGren, und sicher nicht die bemerkens- "Srteste. 1933 waren wir ungefähr so alt wie Sie %63t und auch keine Engel. Wir hatten kSefähr ebensoviel Flausen im Kopf wie aUte unsere Kinder, und wir trauten uns 2 die Erdkugel nebenher auf den Kopf v stellen. Als Werkstudent hatte man Rdammt wenig Geld, aber Zeit und ^t, über sich nach Belieben zu verfü- i' n - und das hob die gute Laune selbst u trüben Tagen der Weltwirtschaftskrise. s ’ n durfte sich - alles schon dagewesen 1 nGinen Bart stehen lassen, so er sproß, 1nd sich für Theorien und Weltanschau- pen in der Weimarer AHles-ist-relativ- publik unverbindlich begeistern. Einige kGDge lasen Marx, bewunderten das (I inne Unternehmen Sowjetunion, vertei- HBten im Seminar Pokrowskij gegen Otto |.Msch und setzten den deutsch-nationa- V, Herrn Oncken durch den Hinweis in aFlegenheit, daß ihn Lenin des Zitierens n würdig befunden habe. • heHann breeh plötzlich der Faschismus NSTsin, und alles wurde anders. Die kom- Ünste kleinbürgerliche Mehrheit an den ueVersitäten grölte ihm zu oder schaltete " jedenfalls gleich. Der fortschrittliche Student mußte sich entscheiden: Wie schwer wog die Fessel der echten,Über zeugung? Sollte er abhauen, den braunen Staub von den Füßen schütteln? Noch war es ja möglich. Mancher hatte einen ausländischen Paß und unter Um ständen genügend Einsen in den Taschen, um im freien Strasbourg oder sonstwo warm empfohlen anzukommen. Oder sollte er bleiben und abschalten, sich taub stel len für alles, was abseits der Dissertation lag, innere Emigration spielen? Mein Professor gab mir, was hin und wieder vorkommt, einen vernünftigen Rat: „Promovieren Sie auf alle Fälle sofort - wer weiß, ob Sie später noch dazu kom men!“ Ich befolgte das, mehr als schnell sogar — und wenn Sie in die Arbeit hin einschauen, merken Sie es ihr noch un vorteilhaft an; der alte Herr verdiente Anspruch auf Dankbarkeit, aber er löste nicht unser Problem: Durfte man denn gehen als Historiker, der verpflichtet war zu verstehen oder kein Historiker war, seine Lebensaufgabe prostituierte — lieber ein lebender Hund als ein toter Held? E s war aber viel komplizierter: es ist meistens alles viel komplizierter. Wir waren ein Dutzend. Um uns herum war Terror, ein teils verwirrtes, teils verzag tes Volk, seine Besten in Haft, auf der Flucht. Niemand war da, den man fragen konnte in dem kleinen feuchtfröhlich ver schlafenen Rheindorf Bonn. Direktiven er reichten uns nur spärlich, mit großen Ver zögerungen, sie waren allgemein, unper sönlich — und anders konnte es unter den neuen Bedingungen, die sich erst einspie len mußten, nicht sein. Wir waren alle geblieben. Aber nun fragte sich: was tun? Wo so viele politisch Fähigere, die an der Spitze des Kampfes gestanden hatten, als Opfer der faschisti schen Verfolgung Freiheit oder gar Leben verloren hatten, wollte, mußte die zweite Garnitur einspringen, helfen — jedoch wie? Man war auf sich gestellt, und diese zweite Entscheidung zu treffen, war viel leicht noch ärger, weil mehr als Einzel schicksale daran hingen. Es gab der Ein wände viele: Man muß sich auf sparen, konnte man hören. Jetzt nützt es nichts, keiner hört auf euch, erwiderte ein auf rechter Sozialdemokrat, das Volk muß sich von Hitlers Lügen erst selbst über zeugen, in zehn Jahren oder so. Der Ein satz sei unrationell, Verschwörerromantik, wurde uns zugesetzt, Aufwand und Ergeb nis stünden in keinem Verhältnis. Schließ lich gab es auch welche, die da dozierten: Wartet doch wenigstens ab, bis man euch etwas befiehlt! Die Warner blieben auf ihre Art im Recht. Unsere Bilanz war schlecht, wenn man so will: — ein paar Monate ange strengter illegaler Arbeit und danach bis zu einem Jahrzehnt Zuchthaus. Hier schien die Geschichte dem Histori ker nochmals Unrecht zu geben. Sogar Leute, die unseren Argumenten einen ge wissen Respekt nicht versagten — auch solche gab es unter den Beamten des Strafvollzugsdienstes — schüttelten über uns komische Idealisten die Köpfe, als Hitler nacheinander in Wien und den Sudeten, in Prag und Memel, schließlich in Warschau, Paris, Athen und wer weiß wo einmarschierte. Es war beklemmend, wenn am Mast immer wieder nach einem Sieg das Hakenkreuz hochging. Doch kam unweigerlich die Frage nach den letzten Reserven: Wie stark ist die Sowjetunion wirklich? Wird sie im Ernstfall den Blitz kriegern standhalten? Gewiß, man glaubte es, klammerte sich sogar daran, aber Ge naueres wußte niemand, und man trat stellenweise auftretendem, trotzikistisch an gehauchtem Defätismus eher gefühlsmäßig als räsonabel entgegen. Der faschistische Raubzug auf Moskau zerrte schwer an den Nerven, und der Historiker wurde von den Kameraden um Auskunft bestürmt. Er war leicht im Vor teil, weil er wußte, daß Napoleon fast auf den gleichen Tag in einem Monat Juli los gezogen war, und immerhin war dessen Ausgang von 1812 bekannt. Dennoch nahm die Aufforderung zur Revision des Ge schichtsbildes bisweilen auch seltsame For men an. Die Nazis unter der Bewachung trösteten uns damit, man würde uns viel leicht in Sibirien ansiedeln, wenn es dem nächst deutsche Kolonie würde, und auf diese Weise kämen wir dahin, wohin es uns zöge. Ein magenkranker Hauptwacht meister. von den Faschisten als Schrumpf germane gedemütigt, empfahl anderer seits. dieweilen es „mit Rußland aus sei", auf Amerika zu setzen. Nie habe ich erlebt, daß sich Nichthisto riker soviel mit Geschichte befaßten, wie damals, und ihr Bild schwankte. Ob es nicht am Ende so sei, daß mal Klassen und ein andermal doch Rassen die Ge schichte machten und wir augenblicklich in eine solche Ebbe geraten wären, wurde gefragt. Ob blonde Bestien denn nicht wirklich schon Zivilisationen und ihre Vernunft zerstört hätten? Aber mit „Rußland" und mit der Ar beiterklasse war es mitnichten aus. Die Geschichte wurde von deren Roter Armee in der Winterschlacht und in Stalingrad in einer klaren Handschrift geschrieben, in der die Lektion gelernt werden konnte. Ein sonst ziemlich griesgrämiger Franzose brüllte über den Flur: Mais, c’est comme Verdun, und man bedeutete ihm: Nicht ganz; an der Wolga liegt ein rotes Verdun. Sogar der Anstaltslehrer grub Ahnenbil der aus Felix Dahns Kampf um Rom aus, den Untergang der letzten Goten am Ver- suv beweinend: denn wann hatte jemals davor ein deutscher Feldmarschall mitten im Krieg kapituliert? Unser Verstehen von der Geschichte hat die Kriegswende bestätigt: die Lehre von Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist. Aber genügte es, den Kopf oben zu behalten, Solidarität zu üben, Zuversicht auszustrahlen, zu überzeugen, geduldig und manchmal auch ungeduldig zu erzie hen, schon an das Morgen zu denken und die lebendige Kraft zu zeigen, aus der Deutschland Wiedererstehen würde? bermals zwang sich eine Entscheidung auf: In guter Haltung auf den Sieg zu warten, den wir hinter unseren Zellen türen nicht beschleunigen konnten? Ja, wenn unsere Anstalt wenigstens östlich der Elbe gelegen hätte, aber 80 km vom Westwall und in Erwartung der Amis! Gehörte es sich für Revolutionäre, ihnen einfach gerührt in die Arme zu sinken? Hatte es andererseits einen Sinn, ein hohes Risiko auf sieh zu nehmen für eine Ak tion, die auch im besten Falle das Gesamt geschehen nicht beeinflußte? Was nützt aber andererseits das bessere Wissen um Geschehen, wenn es sich nicht bestätigt? Nach der Landung in der Normandie entschlossen wir uns für die Vorbereitung des Aufstandes. Wie man das macht, wußte niemand richtig, denn in diesem Punkt waren alle Anwesenden unerfah ren, Bücherwissen half da wenig oder nichts. Es wurde leidenschaftlich disku tiert, und die Ansichten über Zweck und Anlage gingen bisweilen heftig auseinan der. Mehr taktische und mehr strategische, sektiererisch und opportunistisch gefärbte Haltungen stießen aufeinander, Vorsicht und Tatendrang. Auch veränderte sich die Lage ständig durch Abtransport und eine Typhusepidemie, die die Hälfte der An staltsinsassen erfaßte und die vorgesehenen Kampfgruppen zusammenschmelzen ließ; zwei militärisch vorgebildete Kameraden fielen so nacheinander für die Leitung aus, die infolgedessen — horribile dictu — auf einen Zivilisten überging. Als wir dann am 10 April 1945 unver sehens zum Niemandsland zwischen den Fronten wurden, ging alles viel glatter, als befürchtet worden war. Gegen nur ver einzelten Widerstand wurde die Befreiung am 11. ohne Verluste binnen einer knap pen Stunde durchgeführt. Verständlicher weise waren wir recht stolz, daß unsere Posten die erste amerikanische Patrouille freundschaftlich, aber bestimmt in Emp fang nehmen durften. Jedoch hatten wir damit nicht ausge lernt. Das Revolutionskomitee hatten wir, aus der Not eine Tugend machend, zu zwei Drittel aus Kommunisten zusammen gesetzt, und die Besatzung zögerte nur vier Tage, um der kleinen „Roten Repu blik“ vor ihrer Nase den Garaus zu ma chen und uns unser mangelndes Koalitions- geschick heimzuzahlen. Das Revolutions komitee wurde verhaltet und durch einen homogen bürgerlich-sozialdemokratischen Ausschuß ersetzt. Daran war es nicht un schuldig, denn es hat perspektivisches Den ken vermissen lassen. Es kümmerte sich nach dem Erfolg um Verpflegung,' frische Hemden für die Kranken und 1000 andere gute und nützliche Dinge, für die es sich vor den Kameraden aus mehr als ein Dut zend Nationen verantwortlich fühlte. Wäh rend seine Beauftragten, vor Müdigkeit umfallend. Decken und Mäntel ausgaben, die Hühner und die Frauenabteilung vor Belästigung durch undurchsichtige Insas sen bewahrten, arbeitete der Klassenfeind politisch — und wir erhielten noch vor Kriegsschluß am schönen Rhein den Vor geschmack von einem Arrangement zwi schen in- und ausländischer Reaktion, das in seiner Konsequenz zur imperialistischen Restauration im benachbarten Bundesdorf Bonn führte. D ie Überlebenden sind inzwischen 20 Jahre älter geworden und lächeln. wenn sie sich bei seltenen Gelegenhei ten Wiedersehen, über ihre stürmische Naivität von damals. Sehr wenige von ihnen haben sich dem schreibenden Ge werbe ergeben, und der Rechenschafts bericht. den im Abschluß an die Ereig nisse Kamerad Jean Steichen aus Luxem burg verfaßte, während ich mit Fleckfie ber lag und Salutschüsse die Kapitulation der Hitlerfaschisten kundtaten, ist ver schollen. Unter den ersten Äußerungen einer neuen deutschen Geschichtsschrei- bung wird man ihn — bis dato jedenfalls — leider vergeblich suchen. Dennoch scheint TtnnHiiiiiiiiiiitniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiitiiiiiiiiimiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiirnnnimtiTmirinininitiiiiiriniHiinHtiiiiiiiiiiiiii Brief aus Leningrad Erinnerungen an das Frühjahr 1945 Von Dozent M. Kusmin, Kandidat der historischen Wissenschaften, Unterleutnant der Reserve Vor 20 Jahren, Ende Januar 1945, trennte uns die Frontlinie, die sich durch das vielgeprüfte polnische Land im schnellen Tempo immer weiter nach Westen bewegte. Hinter uns lag die Weichsel, die Kämpfe tobten an der Oder, vor uns lag die Elbe. Der hei lige Volkskrieg, der uns im Morgen grauen des Sonntags im Juni 1941 aufgezwungen wurde, ging zu Ende, unserem unsterblichen Sieg entgegen. Wenn ich heute nach 20 Jahren auch an meine Teilnahme an den großen Ereignissen des Jahres 1945 denke, so möchte ich vor allem von der Helden tat des Sowjetvolkes sprechen, von seiner Erfüllung der internationalen Pflicht. Die Offensive der Sowjetarmee, die am 12, Januar 1945 in einer Front breite von 1200 Kilometern begann, war äußerst schnell. 40 bis 45 Kilo meter am Tag (das war die „Norm“) legte die „Königin der Waffen", die Infanterie, zurück, in deren Reihen auch ich durch die verschneiten polni schen Ebenen zog. Unsere 21. Armee stand unter dem Kommando des Ge neraloberst D. N. Gussew (ehemaliger Stabschef der Leningrader Front). Sie gehörte zur Ukrainischen Front und nahm den Kampf Ende 1944 auf. Die faschistischen Armeen wurden aus Schlesien hinausgeworfen. Schle sien war das zweitwichtigste Wirt schaftsgebiet des dritten Reiches. Un vergeßlich war der Enthusiasmus der Einwohner, Bergleute und Metallarbei ter, die sich zum Schutz ihrer Betriebe erhoben hatten (diese Betriebe wur den zum erstenmal in ihrer Ge schichte volkseigen), sagten zum erstenmal: „Wir sind Oberschlesier! verwechselt uns nicht mit den Faschi sten!" Hindenburg, das unrühmlich be kanntgewordene Gleiwitz, Brieg, das waren die deutschen Bezeichnungen der schlesischen Städte, an deren Be freiung auch unsere 128, Rotbanner- Schützendivision aus Pskow teilnahm. In diesem Gebiet war es also, wo Teile und Einheiten der faschistischen Wehrmacht versuchten, uns Wider stand entgegenzusetzen. Die „Frie densstifter" von Versailles hatten die Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen mitten durch das Land der art gezogen, daß viele Bergarbeiter orte und Siedlungen durchschnitten wurden. Und diese „Grenzziehung" konnte man anschaulich mit eigenen Augen im Winter des Jahres 1945 ver folgen. Nachdem unsere Einheiten den verzweifelten Widerstand der Hitler truppen gebrochen hatten, umzingelten sie Breslau. Die Einheiten der 128. Di vision erhielten den Befehl, die Verteidi gung des äußersten Ringes des Bres lauer Kessels zu organisieren. Die Ver teidigung wechselte mit aktiven Kampi- handlungen unserer Truppen im Gebiet von Neiße im März 1945. Das Empfinden des nahen Sieges war sogar in der Natur zu spüren. Die warmen Sonnentage, das üppige Auf blühen der Wiesen, die Freude auf das baldige Wiedersehen mit der Heimat begeisterten unsere Kämpfer, Komman deure und Politführer und ließen sie hohe militärische Leistungen vollbrin gen. Am 2. Mai kapitulierte Berlin, und fünf Tage später legte auch die Gar nison Breslau die Waffen nieder. Wir erhielten den Befehl, die Sudeten zu überschreiten, die Armee Schörner zu verfolgen und zusammen mit den an deren Einheiten der Sowjetarmee den Helden des Goldenen Prag Hilfe zu leisten, die schon einige Tage aufopfe rungsvolle Kämpfe gegen die zahlen mäßig überlegenen Kräfte der faschi stischen Räuber führten. Und so blie ben hinter uns Schweidnitz, Walden burg und vor uns die Sudeten. Im Vor gelände der Sudeten konnten wir Ge fangene aus den faschistischen Kon zentrationslagern befreien. Es waren ihrer Tausende. In ihrer gestreiften Kleidung mit tätowierten Nummern an den Handgelenken, mit kahlgeschorenen Köpfen und mit schwachen Stimmen begrüßten sie die sowjetischen Kämp fer als ihre Befreier. Ihre Henker, die SS-Wachleute, waren, ohne das Heran. nahen unserer Truppen abzuwarten, nach dem Westen geflohen, unter die liebevollen Fittiche unserer damaligen militärischen Verbündeten. Sicher wird auch heute dieser oder jener der Hen ker dieser Lager, die damals in der Nähe der Sudeten gelegen waren, sei nen für ihn vorteilhaften Geschäften in der Bundesrepublik nachgehen und, angeregt von den revanchistischen Er klärungen seiner Minister, davon träu men, „das Spiel noch einmal zu spie len" und vorläufig auf den Tag zu warten, da in den Erblanden Adenauers und Erhards die Einstellung der ge richtlichen Verfolgung von Teilnehmern, Organisatoren und Anstiftern faschi stischer Grausamkeiten in den besetz ten Gebieten verkündet wird! Doch die Völker der Welt haben nichts vergessen und nichts verziehen. Die Sudeten sind überschritten und wir betreten tschechischen Boden. Hier, nicht weit von dem tschechoslowa kischen Städtchen Nachod, sehen wir eines späten Abends, genauer gesagt in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945, einen alten Tschechen und ein kleines Mädchen von fünf bis sechs Jahren am Wegrand stehen. Man spürt, daß sie nicht die erste Stunde hier stehen, daß schon unsere Panzerfahrer, unsere Ge ländewagen an ihnen vorbeigefahren sind, während sich nun die Einheiten unserer tüchtigen Infanterie vorüberbe wegen — und sie stehen mit zwei selbst gefertigten Fähnchen in den Händen, dem roten sowjetischen und dem drei farbigen tschechoslowakischen und wiederholen immer wieder in unserer Sprache, auf Russisch, mit einer zu Hetzen gehenden slawischen Aus sprache: „Strawsdwytje, Towarischtschi!" Und fügen in ihrer tschechischen Mut tersprache hinzu: „Nasdar". So verlief der erste Tag der Freiheit, der erste Tag des Friedens. Groß und unsterblich ist das Helden tum des Sowjetvolkes in den Jahren 1941 bis 1945. Die militärischen Lei stungen an der Front, das Heldentum der arbeitenden Menschen im Hinter land werden von der dankbaren Menschheit niemals vergessen. Wir, die wir am Leben geblieben sind, müssen bis ans Ende unserer Tage an diese großen Tage des Kummers und der Freude denken, müssen unermüdlich arbeiten, zum Ruhme unserer kommu nistischen Sache. In den ersten Nachkriegsjahren, als die Fundamente des sozialistischen Staates des deutschen Volkes, der DDR, gelegt wurden, studierten in den Mau ern der Leningrader Staatlichen Uni versität nicht wenige Sendboten von den Ufern der Oder, Spree und Elbe. Bei uns, an der Historischen Fakultät, erhielten eine marxistisch-leninistische Ausbildung, wurden qualifizierte Histo riker Gerhard Brendler, Christa Ku- pisch, Günther Liebscher, Harald Neu bert, Hans Piazza und andere. Wir denken an sie und glauben, daß sie würdige Erbauer des Sozialismus in der Heimat von Marx und Engels ge worden sind. Unsere Lehrer studieren weiterhin eingehend die Geschichte des großen deutschen Volkes. Es genügt den Na men von Professor W. G. Brjunin, Dok tor der historischen Wissenschaften, zu erwähnen, der einige Jahre an den Universitäten der DDR gelehrt hat. Die Assistenten J. G. Wilunas und D. Mutagi row studieren Probleme der Außen politik Deutschlands der neuesten Zeit. Viele Studenten schreiben Jahres- und Diplomarbeiten zur Geschichte Ihres Landes. In diesen Frühlingstagen, den Tagen der Befreiung des deutschen Volkes vom Joch des Faschismus, suchen Zehn tausende Leningrader in den Vororten unserer wunderbaren Stadt Erholung und viele von ihnen, die die einige Kilometer von Leningrad entfernte Stadt Puschkin besuchen, schmücken mit dem tiefen Gefühl internationaler Solidarität das Denkmal des großen Sohnes des deutschen Volkes, Ernst Thälmann, das auf einem der Plätze der Stadt errichtet ist, mit Blumen. Übersetzer: Hans Grzesiak IIIIIII1IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII1IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII es, daß sich die Erlebnisse von 1945 in zweierlei Hinsicht mit unserem heutigen Thema verbinden. Der wägende Historiker erzählt im kri tischen Abstand nicht mehr Geschichten; er verdichtet sie zu Geschichte, mißt die zurückgelegte Wegstrecke von ihrem Aus gangspunkt. Nachdem die Angespanntheit vorüber war, in der und für die allein — bei Abstraktion von anderen Lebenswer ten — sie sich zuletzt noch bewegt hatten, mußten die Überlebenden erweisen, wozu Kameraden gestorben und wofür sie im Tod gesiegt hatten: als eckige und schwere, doch tragfähige Bausteine eines sozialistischen Deutschland. Wer immer unter uns seitdem an der Werkbank oder auf dem Pult Geschichte webt, steht auf dem von ihnen gelegten Grund, und ihre Vision strömt in unser Werken und Wirken ein. Zum zweiten muß der Historiker vor der anderorten mitunter aufkeimenden Modetorheit warnen, über die berechtigte Genugtuung an eigener Leistung vergessen zu wollen, wer die Schlacht an der Wolga — und um welchen Preis — geschlagen, die Mörder der Völker bis in ihren letzten Berliner Schlupfwinkel verfolgt und dort zermalmt hat. Echter proletarischer Inter nationalismus kennt weder Hochmut der Großen noch Komplexe der Kleinen. Es war für uns, die wir uns nach Maßgabe unserer geringen Mittel eingesetzt hatten, selbstverständlich zu wissen, daß wir nur siegen konnten, weil Lenins Land Opfer und Bürde für eine ganze Welt, die Welt von heute und morgen, auf sich genommen hatte. Wir können keine Geschichte des neuen Deutschland schreiben, ohne zu gleich dieser ihrer Herauf Run ft zu geden ken. UZ 22-2365. Seite 5
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