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Unter den Bedingungen des ökonomischen Systems des Sozialismus rückt die Meisterung der ökonomischen Gesetze im gesamten ge sellschaftlichen Reproduktionsprozeß in den Mittelpunkt und stellt neue Ansprüche an die Planung und Leitung, insbesondere an die Gewährleistung der planmäßigen proportio nalen Entwicklung. Dabei gilt es, schrittweise den Übergang zur allseitigen Ausnutzung der Produktivkraft Wissenschaft und damit ver bunden die geistige Arbeit der Forscher um fassend in den gesamten Reproduktionspro zeß einzubeziehen. (Aus dem Referat Walter Ulbrichts auf dem 15. Plenum des ZK der SED) ÖKONOMISCHE GESETZE - GESETZE DES HANDELNS Zum Gesetz der planmäßigen, proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft Von Prof. Dr. Jürgen Becfier und Rolf Hähnel 1. Auf dem 14. Plenum des ZK der SED im Dezember 1970 haben W. Stoph und andere Redner wieder holt die planmäßige proportionale Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR als die bestimmende Richtung her gesellschaftlichen Vorwärtsbewe gung bezeichnet. Dementsprechend sieht der Volkswirtschaftsplan 1971 vor, „durch die planmäßige propor tionale Entwicklung der Volkswirt- Schaft sowie die Konzentration auf diejenigen Betriebe, Kombinate, Ob jekte und Aufgaben, die zu einem hohen Zuwachs des Nationaleinkom mens beitragen, die sachlichen Vor aussetzungen für eine kontinuier liche, stabile, ökonomische Entwick lung zu schaffen und vorhandene Disproportionen schrittweise zu be seitigen. Wir gehen unter Berück sichtigung der Erfahrungen der letz ten Jahre davon aus, daß das Funk tionieren des ökonomischen Systems des Sozialismus einen realen bilan- zierten Plan voraussetzt“ 1 * 3 . Damit ist die Frage nach dem Wesen und der Wirkungsweise des Gesetzes der Planmäßigen proportionalen Ent wicklung aufgeworfen. 2. Nach dem ökonomischen Grund gesetz des Sozialismus bestimmt da Gesetz der planmäßigen proportio nalen Entwicklung der Volkswirt schaft am deutlichsten und umfas sendsten das Wesen der sozialisti schen Produktionsweise. Die Weite seines Wirkungsfeldes ist schon im Begriff Volkswirtschaft ent halten. Er erstreckt sich auf die Ge samtheit aller Betriebe. Einrichtun- gen und Institutionen der Produk tion, Distribution, Zirkulation und Konsumtion sowie auf zahlreiche Be teiche außerhalb der materiellen Produktion (Kultur, Volksbildung, Landesverteidigung, Sozialwesen u. a m.). Auf seiner Grundlage und in Verwirklichung seiner Erfordernisse - in enger Wechselbeziehung mit der Gesamtheit der ökonomischen Gesetze des Sozialismus — gestaltet der sozialistische Staat — als „poli tische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land, die gemeinsam Unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirk lichen 1 “ — das ökonomische System des Sozialismus als Kernstück des entwickelten gesellschaftlichen Sy- 8tems. Diesem Gesetz der planmäßigen Proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft sprechen die Revi- Sionisten entweder die Objektivität ab oder sie fassen es als abstraktes allgemeines Gesetz der proportiona- en Entwicklung der Wirtschaft, als Objektive Notwendigkeit proportio naler volkswirtschaftlicher Entwick lung schlechthin. Vor letzterem warnte bereits Karl Marx in der Einleitung' zur Kritik der Politischen Ökonomie, indem er schrieb: „Es gibt allen Produktionsstufen gemein same Bestimmungen, die vom Den ken als allgemeine fixiert werden; aber die sogenannten allgemei nen Bedingungen aller Pro duktion sind nichts als diese ab strakten Momente, mit denen keine wirkliche geschichtliche Produk tionsstufe begriffen ist". 3. ■ Jedes der ökonomischen Gesetze widerspiegelt einen objektiv not wendigen, wesentlichen, inneren und sich wiederholenden Zusammenhang zwischen ökonomischen Prozessen und Erscheinungen. Er wird als öko nomisches Erfordernis durch das Handeln der Menschen auf der Grundlage ihrer Interessen zur Wirklichkeit. Die ökonomischen Ge setze des Sozialismus sind also selbst Gesetze des Handelns der Menschen. Und dieses Handeln ist untrennbarer Bestandteil der von der Partei ge leiteten einheitlichen Willensbil dung der Gesellschaft. Das Gesetz der planmäßigen proportionalen Ent wicklung der Volkswirtschaft bringt als objektives Gesetz der sozialisti schen Produktionsweise die quali tative und quantitative Einheit des gesamtgesellschaftlichen Reproduk tionsprozesses im Sozialismus zum Ausdruck. Diesem Gesetz liegt dem entsprechend das unter Führung der Partei vom sozialistischen Staat in dieser oder jener Weise geleitete Handeln der Werktätigen zugrunde. In der Verfassung der DDR vom 6. 4. 1968 heißt es: „In der Deut- selten Demokratischen Republik gilt der Grundsatz der Planung und Lei tung der Volkswirtschaft sowie aller anderen gesellschaftlichen Bereiche. Die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik ist die so zialistische Planwirtschaft. Das öko nomische System des Sozialismus verbindet die zentrale staatliche Pla nung und Leitung der Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung mit der Eigenverantwortung der so zialistischen Warenproduzenten und der örtlichen Staatsorgane.“ (Art. 9/II1.) In diesen verbindlichen Fest legungen der Verfassung ist bereits ersichtlich, daß unter Planung nicht ein mehr oder weniger passives Be achten sich herausbildender Propor tionen zu verstehen ist, sondern ein bewußtes Gestalten der gesellschaft lichen Entwicklung auf der Grund lage der kollektiven schöpferischen Arbeit der Werktätigen unter Lei tung des sozialistischen Staates. 4. In der Volkswirtschaft der DDR geht es, wie G. Schürer auf dem 14. Plenum herausarbeitete, um die „Wechselwirkung von Dynamik, Effektivität und Proportionalität, aber nicht im Sinne des Vorranges, sondern im Sinne der Herstellung dieser Einheit“ 4 5 . Dehn es hat sich gezeigt, „daß sich der Weg, der Dy namik der Volkswirtschaft einen Vor rang vor der planmäßigen porportio- nalen Entwicklung zu geben mit dem Ziel, die Bilanz später auf höherer Ebene herstellen zu können, nicht als gangbar erwiesen hat. Im Gegenteil, die dadurch entstandenen Wider sprüche haben das Entwicklungs tempo beeinträchtigt“? Insofern kann es auch nicht eine „planmäßig ge wollte temporäre Disproportion" 5a geben. Den konkreten Weg zur Si cherung der Einheit von Dynamik, Effektivität und Proportionalität zeigt der Ministerratsbeschluß über die Durchführung des ökonomischen Systems des Sozialismus im Jahre 1971 vom 1. 12. 1970 (GBl. Teil II, Ny. 100/1970, S. 731-746). 5. Im Buch „Politische Ökonomie des Sozialismus und ihre Anwendung in der DDR“ wurden, um von abstrak ten Proportionalitätsbetrachtungen wegzukommen, die Begriffe „Plan mäßigkeit“ und „Proportionalität“ als synonym angesehen und nur noch vom Gesetz der planmäßigen Ent wicklung der Volkswirtschaft gespro chen. Dieser Standpunkt verkennt, daß „Planmäßigkeit“ und „Propor tionalität“ zwar eng miteinander verbunden, aber doch relativ unter schiedliche Momente des volkswirt schaftlichen Reproduktionsprozesses sind. (Darauf wurde an anderer Stelle bereits verwiesen 6 ). Er eröffnet im übrigen auch „Begründungsmög lichkeiten“ für offene Bilanzen. 6. „Planmäßigkeit" bedeutet zunächst sprachlich vorher bestimmte zielgerichtete gesteuerte Tätigkeit. Die Planmäßigkeit der menschlichen Tätigkeit ist das Resultat des be wußten Denkens und Handelns der Menschen in ihrem praktisch-gesell schaftlichen Tun. „Planung der Volkswirtschaft bedeutet, präzise Aussagen über zukünftige ökono mische Zusammenhänge und Pro zesse zu machen, die Grundlinie der ökonomischen Tätigkeit der Men schen in der sozialistischen Gesell schaft vorzuzeichnen und die Voraus sage durch die so orientierte Praxis zu verifizieren.“ 7 Im Gesetz der planmäßigen pro portionalen Entwicklung der Volks wirtschaft bringt das Merkmal „planmäßig“ das qualitativ Neue in der gesellschaftlichen Tätigkeit zum Ausdruck. Die planmäßige Leitung der Wirtschaft im gesamtgesellschaft lichen Rahmen ist nur unter sozia listischen Produktionsverhältnissen, deren Kernstück das gesellschaftliche sozialistische Eigentum an den Pro duktionsmitteln ist, möglich. Unter sozialistischen Produktionsverhält nissen sind alle antagonistischen Klassenwidersprüche beseitigt; die persönlichen Interessen und die ge sellschaftlichen Erfordernisse stim men prinzipiell überein. (Diese Über einstimmung darf aber weder statisch noch als automatischer Prozeß ver standen werden, vielmehr ist sie ständig bewußt herbeizuführen). „Planmäßig“ bedeutet also einheit liche Leitung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses durch die Gesellschaft und im Interesse der Gesellschaft, basierend auf der Be wußtheit im Handeln der Menschen. Bei dieser Bestimmung des Begriffes „planmäßig“ ist auch zu beachten, daß es nicht nur um die Festlegung der Proportionen in der Volkswirt- schaft geht, sondern um die bewußte Gestaltung der gesellschaftlichen Ent wicklung entsprechend den Erforder nissen der ökonomischen und ande ren gesellschaftlichen Zielstellungen unter den objektiven natürlichen und gesellschaftlichen Bedingungen. „Planmäßigkeit“ , ist damit eine bewußt gesteuerte Tätigkeit, die - ausgehend von einer Zielstellung mit einem bestimmten Zweck und unter Verwendung verschiedener Mittel und Methoden — ein be stimmtes Resultat anstrebt, das bei unveränderten Wirkungsbedingun gen dem ideell vorwegbestimmten Ziel nahekommt oder mit ihm iden tisch ist. Demzufolge bedeutet, der Begriff „planmäßig“ in der Formu lierung des Gesetzes, daß ausgehend von den erkannten objektiven Mög lichkeiten der sozialistischen Pro duktionsweise (unter Zugrundele gung der aus dem konkreten histo rischen Entwicklungsniveau resul tierenden Notwendigkeiten), die Ent wicklung unter aktiver Einbezie hung aller gesellschaftlichen Kräfte im Interesse des gesellschaftlichen Fortschrittes gesteuert und mit opti malem gesellschaftlichem Nutzeffekt gestaltet wird. Diese „Planmäßig keit“ kann nur unter sozialistischen Produktionsverhältnissen voll in der gesellschaftlichen Praxis durch gesetzt werden, weil ihr keine anta gonistischen Klassenwidersprüche ge sellschaftliche Fesseln anlegen. Die ideell vorausbestimmte plan mäßige Entwicklung der Gesell schaft und ihrer Teilsysteme schlägt sich in den schriftlich fixierten Plä nen, als strategische Zielsetzungen für die gesamtgesellschaftliche Ent wicklung und ihre einzelnen Teilbe reiche, nieder. Die Pläne bestimmen das Handeln der Menschen in ihrer praktisch-gesellschaftlichen Tätigkeit in der Gegenwart und für den zu künftigen — im Plan abgesteckten — Zeitraum. Sie bringen verbindlich die objektiven Erfordernisse zum Ausdrude. Die Pläne, basierend auf wissen schaftlichen Analysen und Progno sen, werden — ausgehend von der Erkenntnis des Wirkens des gesam ten Systems der objektiven ökono mischen Gesetze des Sozialismus und anderer gesellschaftlicher Gesetzmä ßigkeiten — als ideell vorweggenom menes Resultat erarbeitet. Ihre Rea lisierung ist das Werk der bewußten Tätigkeit der Menschen unter einer einheitlichen gesamtgesellschaftli chen staatlich geleiteten Organisa tion. Diese schafft wiederum der schöpferischen Initiative der Werk tätigen innerhalb der geplanten gesellschaftlichen Entwicklung breite Möglichkeiten der vollen Entfaltung. Das zweite — unmittelbar mit der Planmäßigkeit verbundene — Merk mal, die „Proportionalität“ bedeutet nicht nur ein bestimmtes absolutes volkswirtschaftliches oder zweigliches Größenverhältnis, das sich in jeder auf Arbeitsteilung be ruhenden Produktion auf Grund der Verteilung der gesellschaftlichen Ge samtarbeit herausbildet (z. B. der Anteil der einzelnen Wirtschafts zweige an der Produktion des ge sellschaftlichen Gesamtprodukts). Diese quantitativen Proportionen sind zwar äußerst wichtig, sie rei chen aber für die Charakterisierung des gesamtgesellschaftlichen Repro duktionsprozesses in seiner Vielge staltigkeit von zeitlich und räum lich neben-, mit- und nacheinander ablaufenden Prozessen nicht aus. Der Begriff der „Proportionalität“ muß vielmehr durch mehrere quali tativ verschiedene Arten von Pro portionen bestimmt werden. So durch: — quantitative oder Mengenpropor tionen, d. h. Relationen absoluter Größen (Umfang, Anzahl u. a.) zwi schen verschiedenen volkswirtschaft lichen Komplexen; beispielsweise die Verhältnisse Akkumulation und Konsumtion, Waren- und Kauffonds, auch der Anteil der einzelnen Wirt schaftszweige am Aufkommen und an der Verwendung des National einkommens stellt eine Mengenpro portion dar. — Strukturproportion, d. h, die wertmäßige und stoffliche Gliede rung voneinander abhängiger Wirt- schaftszweige oder der gesamten Volkswirtschaft sowie die Bezie hungen zwischen den Elementen die ser Gliederung. So etwa die Struk tur des Warenfonds des Maschinen baus (Produktion von Baumaschi nen) im Verhältnis zur Struktur des Bedarfs der Bauwirtschaft. Die Strukturproportionen können also nicht als eine statische Summierung einzelner Elemente begriffen wer den. — Zeitproportionen, d. h. die objek tiv bestimmten Zeitabstände im ge sellschaftlichen Reproduktionspro zeß. So vor allem zwischen For schung, Konstruktion und Produk tionswirksamkeit; zwischen Bedarfs änderung u. ä. — Tempoproportionen, d. h. das Verhältnis in der Entwicklungsge schwindigkeit zwischen verschiede nen Wirtschaftszweigen bzw. Seiten des gesellschaftlichen Reproduk tionsprozesses. Beispielsweise bedin gen sich in der Entwicklungsge schwindigkeit Wissenschaft und Pro duktion, Arbeitsproduktivität und Durchschnittslohn, Energieerzeu gung und übrige industrielle Waren produktion, Bauwirtschaft und Bau materialienindustrie usw. Die verschiedensten volkswirt schaftlichen Proportionen — zwischen den Elementen des Re produktionsprozesses (Arbeitskräfte, Arbeitsmittel, Arbeitsgegenstände), — zwischen Gebrauchswert- und Wertstruktur, — zwischen den ökonomischen Wachs- tumsfaktoren, — zwischen den Bereichen (Indu strie, Bauwesen, Landwirtschaft, Verkehrs- und Verbindungswesen, Handel, Nichtproduktionsphäre) und Zweigen (Grundstoff- und metall verarbeitende Industrie usw.) der Wirtschaft und viele andere mehr, stellen in qualitativer Hinsicht stets eine Ein heit von Mengen-, Struktur-, Zeit- und Tempoproportionen dar. Darin drückt sich letztlich die Vielfältig keit im Inhalt des Begriffes „Pro portionalität“ aus. Das Erfassen der Proportionalität in dieser Vielfältig keit ist wesentlich für das Erken nen und Ausnutzen des Gesetzes der planmäßigen proportionalen Ent- wicklung der Volkswirtschaft durch den sozialistischen Staat, insbeson dere mittels seiner ökonomischen Funktionen. 1 W. Stoph, Zum Entwurf des Volks ¬ wirtschaftplanes 1971, ND vom 11. 12. 70, S.4; vgl. auch P. Verner, Aus dem Be richt des Politbüros an die 14. Tagung des ZK der SED, ND vom 10.12.70, S. 5. 3 Verfassung der DDR, Artikel 1/1. 3 Marx/Engeis Werke, Bd. 13, Berlin 1961. S. 620. Vgl. auch die berechtigte War nung von E. Thiele (ökonomische Gesetze des Sozialismus, Berlin 1966, S. 13) vor einer Überbetonung der „allgemeinen“ ökonomischen Gesetze. 4 G. Schürer, Autorität und Stabilität des Staatsplanes erhöhen. ND vom 13. 12. 70, S: 5; vgl. Autorenkollektiv, Politische Ökonomie des Sozialismus und ihre An wendung in der DDR, Berlin 1969, S. 246. 5 Ebenda. 6 a Autorenkollektiv Politische Ökonomie des Sozialismus und ihre Anwendung in der DDR, Berlin 1969, S. 568. f 6 Vgl. J. Becher/P. Friedrich/R. Hähnel/ W. Schmidt, Zum Wesen, System und Wirkungsmechanismus der ökonomischen Gesetze im entwickelten System des So zialismus, 'in: „Karl Marx, Das Kapital, Erbe und Verpflichtung“, Berlin und Leipzig 1968, S. 403; J. Becher/P. Fried rich/R. Hähnel/W. Schmidt, Zum Wesen und System sowie zum Wirkungsmecha- nismus der ökonomischen Gesetze des Sozialismus unter besonderer Hervor hebung des Gesetzes der planmäßigen (proportionalen) Entwicklung der Volks wirtschaft; in: Beiträge für das mar xistisch - leninistische Grundlagenstudium 3/1968, S. 33; J. Becher/R. Hähnel: Plan mäßigkeit und Proportionalität in der sozialistischen Ökonomie, UZ 44/68, S. 5. 5 K. Steinitz. Zum Wesen der planmäßi gen proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft, Wirtschaftswissenschaft 6/ 1961, S. 892/3. N eben der gesellschaftlichen Determination der Wissen schaftsentwicklung wurden auf der Arbeitstagung allgemeine Charakteristika der Entwicklung von Theorien, wie Differenzie- rungs- und Integrationsprozesse, wachsender Abstraktionsgrad, die Erfassung der Theorienbildung durch ein allgemeines Programm operativer Schritte und Fragen einer allgemeinen Methode von Problemlösungen behandelt. So wurde versucht, die wissenschaft liche Erkenntnisgewinnung in ihrer ganzen Komplexität zu er fassen. Zugleich wurde auf diese Weise die umfassende Palette der Fragen der marxistisch-leninisti schen Wissenschaftstheorie sicht bar. In seinem Referat warf K. Kannegießer die Frage auf, ob und inwieweit der Theorienbil- dungs- und Entwicklungsprozeß im Sinne der wissenschaftlich- schöpferischen Tätigkeit durch den Einsatz der Heuristik bezüg lich Planung, Leitung und Organi sation überschaubar gemacht wer den kann. Der Referent versteht unter Theorienbildung einen Pro zeß der Überwindung eines Infor mationsmangels über einen Objekt bereich im Zuge eines gesteuerten Durchlaufens verschiedener Stufen. Die erste Stufe wird als konzep tionelle Phase bezeichnet. Sie be steht in der Bestimmung eines De fekts an Wissen und dessen Über prüfung an gesellschaftlichen Kri terien, der Festlegung der Methode Bericht über die Arbeitstagung der Forschungsgruppe „Philoso- oder mehrerer Wissenschaften, phische Probleme der Wissenschaftstheorie und der naturwis- Dabei wurde, auf.die Heraus- senschaftlichen Theorienbildung" (Fortsetzung aus UZ 6/71, S. 5) Strukturen homha suaeteder Ma- thematisierung der Wissenschaften Bezug genommen (Tetzner, „Zur Problematik Empirisches — Theo retisches“) und am Beispiel der Entwicklung der physikalischen Theorie der Nachweis geführt, daß diese Tendenz, den Spielraum für heuristische Operationen, z. B. UND WISSENSCHAFTSTHEORIE der Aufhebung dieses Defekts und Interessant erscheinen in diesem für Extrapolationen der bekannten, in Vorstellungen über Erfolg und Zusammenhang die im weiteren theoretischen Aussagen auf den zu Nutzen wissenschaftlicher Unter- Konferenzverlauf von W. Heitsch untersuchenden unbekannten Ob- suchungen. Daran schließen sich gemachten Ausführungen „Zur jektbereich, wesentlich erweitern, verschieden charakterisierte Be- Methodentheorie Wissenschaft- Die Diskussion über die Fragen ‘obachtungsstufen an: zweckorien- licher Tätigkeit“. Hier wurde in der Konstituierung Wissenschaf t- tierte, zielorientierte, funktionelle einem allgemeinen Schema ziel- licher Theorien wurde in steter und strukturelle Beobachtungs- gerichteter, auf Problemlösungen Auseinandersetzung mit der bür- stufe. Darauf basiert ein heuristi- orientierter wissenschaftlicher Tä- gerlichen Wissenschaftstheorie °e- sches Programm der Theorienbil- tigkeit die Funktion der dialek- führt. Besonderes Augenmerk galt düng, das über Teiloperationen zu tischen Logik als allgemeine Heu- dabei dem scientistischen Wissen realisieren ist: Herleitung der aus nstik (zielorientierendes Prinzip) schaftsbegriff, der die allgemeinen einer Konzeption hervorgehenden im Fortschreiten von einer spezi- Probleme derErkenntnisgewinnung Problemstellung, Präzisierung der fischen Zielstellung bis hm zu entweder auf Logik im Sinne einer Problemstellung Suche nach einem einem algorithmischen Programm semantischen Analyse der Aus- Wissen über ein Nicht-Wissen, Zer- dargestellt. sagen oder die empirischen gliederung des Pioblems in eine Ein weiterer Diskussionsgegen- Aspekte der Forschungstätigkeit Menge Teilprobleme, Aufstellung stand bestand im Entstehen fun- reduziert. Diese vom Neopositivis- eines Losungsplanes, Realisierung damentaler Begriffe, die eine je- mus und von bürgerlichen Wis- der . im. Losungsplan enthaltenen weilige Ordnungsstruktur einer be- senschaftstheoretikern, die dieser Aktivitäten, Verwertung des ent- stimmten Abstraktionsebene aus- Strömung nahestehen (K. Popper), standeneri Wissens und die Ver- bilden. Hieraus erwächst die Mög- vertretenen Auffassungen stellen Wertung des methodischen Infor- lichkeit des theoretischen und me- nicht nur Empirisches und Theo- mationsgewinns. thodischen Wechselwirkens zweier retisches gegenüber, sie trennen PRODUKTIVKRAFT WISSENSCHAFT auch Theorie und Methode. In die sem Zusammenhang trug die Arbeitstagung zur Abgrenzung der Korrelationen von Empiri schem und Theoretischem einer seits, Sinnlichem und Rationalem andererseits bei. Eine Gleich setzung dieser Beziehungen ver kennt, daß in der empirischen Er kenntnis stets Momente des Theo retischen enthalten sind, ihre Fas sung als „sinnliche Stufe der Er kenntnis“ demnach höchst un zureichend ist. Auf der Arbeitstagung wurde deutlich, daß sich die Angriffe der bürgerlichen und revisionisti schen Ideologie auf wissenschafts theoretischem und erkenntnis theoretisch-methodologischem Ge biete verstärken. Die Gründe hier für sind leicht durchschaubar. Die marxistisch-leninistische Wissen schaftstheorie macht die Stellung der Wissenschaft in der Gesell schaft bewußt. Die dement sprechenden Erkenntnisse sind für das Weltbild von Menschen, die unter den Bedingungen der wis senschaftlich-technischen Revolu tion leben, von erheblicher Be deutung. Weiter: Der Sozialismus erweist seine Überlegenheit auch an der methodologischen Funk tion des dialektischen und histo rischen Materialismus. Frau Prof. Mare arbeitete heraus daß sich seine theoretischen Erkenntnisse als Methoden der Erkenntnis und Umgestaltung der Welt bewähren. Im abschließenden Teil der Arbeitstagung entzündete sich die Diskussion an der Frage nach dem Verhältnis von marxistisch-lenini stischer Philosophie und Wissen schaftstheorie. Die Diskussions partner waren sich einig, daß eine Tendenz' der Herauslösung der Wissenschaftstheorie aus der Phi- losophie unverkennbar ist. Kröber und Laitko zeigten anschaulich, daß damit keineswegs eine Ver armung. sondern vielmehr eine klare Herauskristallisierung des Gegenstandes der marxistisch- leninistischen Philosophie ver bunden ist Überdies fördert eine eigenständige Disziplin „Wissen schaftstheorie“ die Integration von Naturwissenschaft und Gesell schaftswissenschaft. Sie vermittelt das Begreifen von Wissenschaft im gesellschaftlichen Gesamtzusam menhang, gibt Impulse für das Übergreifen von Begriffen und Methoden einer Disziplin auf die andere usw. In Anbetracht des erfolgreichen Verlaufs der Arbeitstagung ist zu bedauern, daß trotz zahlreich ver schickter Einladungen verhältnis mäßig wenig Vertreter der natur wissenschaftlichen und gesell- schaftswissenschaftlichen Fach richtungen unserer Universität von der Möglichkeit Gebrauch mach ten, gemeinsam mit marxistisch- leninistischen Philosophen im Zei chen der marxistisch-leninisti schen Fundierung der Ausbildung in Gedankenaustausch zu treten. Dr. K. Ueberschär