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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 18.1974
- Erscheinungsdatum
- 1974
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-197400002
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19740000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19740000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Parlamentsperiode
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-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 18.1974
-
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Band
Band 18.1974
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Mein Vers ist wie eine Taube dhz dppdd das Victor Jara Hier die Adressen, an die ihr eure Proteste richten könnt Senor Presidente de la Cotte Senor Ministro de Justicia Augustinias 1419, Santiago de Chile Suprema de la Republica de Chile Senor Ministro de Relaciones Plaza Mont-Varas Exteriores de la Republica de Chile Santiago de Chile Landarbeiter schießen lassen, die un bebautes Land besetzt hatten. Zehn Tote waren die blutige Bilanz. Vic tor Jara machte daraus ein Lied: Viele Male sah und hörte ich Vic tor Jara auf den Wahlkundgebun gen des dramatischen Jahres 1970, seine mitreißenden und anklagenden Lieder gehörten zum Massenkampf im Wahljahr wie die Reden Salva dor Allendes oder Luis Corvalans. Ein besonders beeindruckendes Lied, immer wieder mit Begeisterung vom Publikum gefordert, war „Fragen nach Puerto Montt“. Im März 1969 hatte der christdemokratische In nenminister Perez Zujovic auf terarbeit. Hier traf er gleichgesinnte politisch engagierte Künstler, Kom munisten, wie. den Choreographen Patricio Bunster, den Sänger Hanns Stein, den Musiker Eduardo Mou- barak (Absolvent der Musikhoch schule Leipzig) und auch Sergio Ortega, den jungen Kommunisten mit Vollbart und Löwenmähne, mit dem Victor Jara die Hymne „Ven- ceremos“ schuf, heute musikalisches Symbol des Kampfes- und Siegeswil len des chilenischen Volkes. Ein- Chi- 1. Wiederherstellung der Menschenrechte — Schluß mit Fol terungen und Hinrichtungen - Freilassung aller politischen Gefangenen. 4. Der Kampf gegen die Reprivatisierung de verstaatlichten Monopolbetriebe und die erneute Auslieferung der natio nalen Wirtschaft an das ausländische Monorolkapital, in wahrhafter Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit. Im Oktober 1969 traf ich mit Victor Jara auf einer Feierstunde chileni scher Freunde anläßlich des 20. Jah restages der DDR zusammen. Er war seit langem ein aktiver Mitarbeiter des Kulturinstituts Chile-DDR. und hat in den schwierigen Jahren des Kampfes um die diplomatische An erkennung der DDR sich stets als tatkräftiger Freund unseres Landes erwiesen. Auf dieser Veranstaltung erinnere ich mich, überraschte er durch eine neue Nuance seines Lied schaffens — die Satire — in seinem Lied „Las casitas del barrio alto“ (Die Häuschen im Villenviertel), in dem er mit treffender Ironie über die Lebensgewohnheiten der Bour geoisie herzog. Es war überhaupt ein Grundzug sei nes Schaffens: die Vielseitigkeit. Wenngleich unverkennbar in der Interpretation, legte er sich doch in Thematik, Musik und Ausdeutung seiner Stoffe nie auf ein Erfolgs rezept fest. Das hing wohl auch mit seiner Ausbildung zusammen. An der Fakultät für Musik und Musikwis senschaften, traditionell ein „rotes Zentrum“ der chilenischen Staats universität. beschäftigte er sich zu nächst unter Anleitung des Kommu nisten Domingo Piga mit der Thea- das chilenische Volk wollte ihn hö ren! Erstaunlich, mit welcher Differen ziertheit Victor Jara an seine The men heranging. Für ihn gab es keine Tabus der Gestaltung, wenn damit der guten Sache gedient war. Nie verlor er die Verbindung mit der vielgestaltigen chilenischen Folklore, hier liegt eines der Geheimnisse sei ner Massenwirksamkeit, aber er ver fiel auch nicht in museale Volkstü melei. Anknüpfend an die nationa len Traditionen, verwendete er Ele mente der Indianermusik Nordchi les, Perus, Boliviens, aber auch der durch die Afroamerikaner beein flußten Musik des karibischen Rau mes. Besonders interessant sind eine Reihe Schallplatten, die neue Mög lichkeiten des politischen Liedes ausschöpfen. So wurde in ein Lied über den Kampf der fortschrittli chen Studenten Originalton von der Zerschlagung einer Demonstration durch die reaktionäre Polizei ein geblendet. Eine andere Schallplatte „La Poblacion" (Die Siedlung) be schäftigt sich mit dem Kampf der Obdachlosen um ein Heim. Hier wurden Lieder Victor Jaras mit kur zen Gesprächen der Bewohner die ser Siedlung verknüpft. Victor Jara konnte aber auch die leisen Töne an schlagen, die den tiefen Gefühlen des chilenischen Volkes, dem Emp finden der Jugend, dem Streben nach Liebe und Glück Ausdruck verleihen. Dabei scheute er sich nicht, auf die Tradition der „coplas“, einfacher Knittelverse zu einer simplen, einprägsamen Melodie, oder auf die Musik des chilenischen Nationaltanzes, die „cueca“, zurück zugreifen. Victor Jara schrieb viele seiner Texte selbst und komponierte und arrangierte auch die Musik. Ebenso war er aber auch Textautor für an dere Komponisten oder übernahm Lieder aus lateinamerikanischen Ländern und paßte sie seinem Stil und den chilenischen musikalischen Traditionen an. Wo immer Victor Jara in den letzten Jahren sang, da wehte der heiße Atem der revolu tionären Umgestaltung in Chile. Er 5. Energischer Widerstand gegen eine Politik der Verarmung und Ruinierung der kleinen und mittleren Geschäftsleute durch eine hemmungslose Politik im Interesse Her großen in- und ausländischen Monopole. 3. Die Verteidigung des Lebensniveaus und des Redds auf Arbeit, gegen willkürliche Massenentlassungen und die Po litik des Aushungerns der Werktätigen. „Gut — ich werde fragen deinetwegen, aller wegen, deinetwegen, die du allein geblie ben bist, und für den, der ahnungslos starb. Der starb ohne zu wissen warum, dem sie die Brust zerfetzten, weil er kämpfte für das Recht auf ein Stück Boden, um zu leben. Oh — der Unglückliche. der zu schießen befahl, wohl wissend den Weg, ein Blutbad zu vermeiden... Herr Perez Zujovic — Sie müssen verantworten, warum Sie dem wehrlosen Volk mit Kugeln entgegentraten. Herr Perez, Sie haben Ihr Gewissen in einem Sarg begraben, und reinigen wird nicht Ihre Hände aller Regen des Südens.“ war ein Symbol geworden für kämpfende Engagement eines Künstlers. Natürlich war Victor Jara kein So konkret griff Victor Jara mit sei nen Texten und Melodien in die politische Auseinandersetzung ein. Dieser direkten Anfrage und An klage wegen wurde übrigens die ein gangs erwähnte Schallplatte von der Regierung verboten. Heute fällt es mir schwer, die Lieder Victor Jaras auf den Opfertod der lateinamerika nischen Revolutionäre Ernesto Che Guevara oder Torres anzuhören. Er ist selbst denen zum Opfer gefallen. Sie er in seinen Liedern als Mörder entlarvt hat, die „ihr Gewissen in einem Sarg begraben“ haben. Ehe aber die Konterrevolution ih ren blutigen Schlag führte, erlebte ich Victor Jara noch in den Zeiten der großen revolutionären Hoffnung, als seine Lieder in einem Land er klangen, das von einer Volksregie rung geleitet wurde. Unvergeßlich bleibt jener Abend des 5. November 1970. als das Volk auf der breiten Avenida „Alameda“ und vor dem Präsidentenpalast die Amtseinfüh rung ihres Genossen Präsidenten feierten. Die chilenischen Künstler traten auf Freilichtbühnen auf, um ringt vom jubelnden Volk, einer aus gelassenen feiernden Menschen menge. Eduardo Moubarak dirigierte das Sinfonieorchester der Universi tät auf offener Straße vor der Natio nalbibliothek. und wenige Schritte weiter sang Victor Jara, getragen vom Glück der Menschen, die einen großen Sieg errungen — eine Tür aufgestoßen hatten. Als ich wenig später mit Victor Jara und Sergio Ortega bei einem „Ca- fecito“ sprach, waren beide schon ganz erfüllt von der neuen Dimen sion ihrer Aufgabe, die durch den Wahlsieg der Unidad Populär ent standen war. Jetzt ging es darum, nicht nur Kultur für das Volk, son dern Kultur mit dem Volk und durch das Volk zu machen. Victor Jara trat, wie viele andere Künstler, in nationalisierten Betrieben auf, reiste in die Zentren der Agrarre form und in die Bergwerke der nördlichen Wüsten. Überall kündete sein Lied vom großen Neubeginn des chilenischen Volkes, er agitierte mit seinen Mitteln, ohne die spezi fisch-künstlerische Aussagekraft zu verlieren, getreu seinem Motto, das er schon 1969 äußerte, als er den 1. Preis eines chilenischen Lieder festivals gewann: „Ich widme diesen Erfolg den Bauern und der Jugend Chiles und auch denen, die sich da für einsetzen, daß die Kommunika tionsmittel diejenige Musik verbrei ten, die das Volk hören will.“ Und 2. Wiederherstellung der demokratischen Freiheiten, des Rechts der Werktätigen, sich zu organisieren und frei ihre Meinung zu äußern, Aufhebung der militärisch-faschistischen Reglementierung der Universitäten, Wiederherstellung der Pressefreiheit. Erinnerungen an den chilenischen Volkssänger Victor Jara Federzeichnung von Klaus Matthäi: „Solidarität mit Chile" Doz. Dr. Eberhard Hackethal des Aufschwungs der Massenkämpfe eine Vielzahl hervorragender Inter preten und Ensembles hervor. Jede politische Aktion der Volkskräfte war von kulturellen Aktivitäten be gleitet. Das chilenische Volk kann mit Recht stolz darauf seih, der Welt zwei Literatur-Nobelpreisträger, hervorragende Musiker und bil dende Künstler geschenkt zu haben. Um so bedrückender ist die Kultur barbarei der faschistischen Junta, Bücherverbrennung, Terror gegen über Pablo Neruda, die brutale Er mordung Victor Jaras, das ist ent- larvend genug, um zu wissen: Die Junta hat nichts mit dem chileni schen Volk, seiner Kultur, seinen Traditionen gemein. Man sagt, daß Victor Jara noch kurz vor seinem Tode im KZ-Stadion Santiagos für seine Leidensgefährten gesungen habe. Auch wenn er selbst nicht mehr ist — seine Lieder, seine Hal tung als Kommunist werden seine Henker überleben. Victor Jaras Werk ist mitten unter uns: „Mein Vers ist wie eine Taube, die einen Nistplatz sucht, erhebt sich und öff net die Schwingen zum weiten freien Flug.“ Aus „Das Magazin“, Heft 4/74 Zum erstenmal begegnete ich Victor Jara im Jahre 1969 — es muß im Mäi oder Juni, dem chilenischen Herbst gewesen sein. Mein Freund Jose nahm mich beiseite und zeigte mir eine Schallplatte, deren Ver- breitung von der christdemokrati schen Regierung verboten worden war. Der Kommunistische Jugend verband verkaufte - sie illegal, und bald war sie vergriffen. Die Inter preten waren Victor Jara und das Ensemble Quilapayun. Seit ich diese Platte kaufte, die zu Ehren des VI. Kongresses des Kommunistischen Jugendverbandes herausgegeben worden war, ist für mich das Wirken Victor Jaras mit allen Eindrücken, die ich in Chile sammeln konnte, mit der revolutionären Begeisterung der Jugend, der Härte des Kampfes gegen die Reaktion, mit dem großen Aufbruch der Armen dieses rei chen Landes verbunden. Ich erin nere mich, daß ich diese Platte ab spielte für die Bauarbeiter, die ge genüber meiner Wohnung Mittags pause machten. Es war ihre Mu sik, ihre Sprache. Die Plattentasche zeigt die geöffneten, verarbeiteten Hände eines Bauern oder Arbeiters — das erste Lied beginnt so: „Ich lege in deine geöffneten Hände meine Gitarre, mein Lied.“ Seither habe ich viele Schallplatten mit Liedern Victor Jaras gekauft, als sie nicht mehr illegal kuriserten sondern mit Förderung der Volks regierung herausgegeben wurden. Ich bin Victor Jara später oft per sönlich begegnet, aber diese erste Platte ist mir bis heute die liebste geblieben. Das war meine erste Be gegnung mit Victor Jara. Victor Jara ist tot. Die Faschisten brachen ihm die Hände, als ob sie damit seine Gitarre zum Schweigen ver dammen könnten. Sie ermordeten ihn, weil sie seine Stimme fürchte ten Victor Jaras Lieder können aber nicht durch Terror ausgelöschl werden — sie leben im Widerstands kampf des chilenischen Volkes wei ter, erklingen auf unzähligen Soli daritätsveranstaltungen in der gan zen Welt, weil sie aus dem chileni schen Volk und seinem Kampf her vorgewachsen sind. So wie Victor Jara sang, so fühlten der Arbeiter der Bauer, der revolutionäre Student Victor Jara ist einer der Begründer des modernen politischen Liedes in Chile. Ein gemeinsamer Freund schrieb mir: „Ich glaube wirklich, daß er von allen Künstlern der Be wegung .Das neue chilenische Lied' der beste und vor allem der feinste war. Auch als Textdichter und Komponist. Er fand auch, das weißt Du ja selbst, überall großen An klang.“ Seine tiefe Kenntnis der rei chen chilenischen Folklore — schon als Student wirkte er in einem Folk loreensemble mit —, seine Volks verbundenheit, die ihm als Bauern sohn stets das Gespür für sein Pu blikum erhielt, und seine Partei nahme als Kommunist machten ihn zum Klassenkämpfer mit Gitarre und Lied. Wo Victor Jara auftrat, da war die Partei, da wurden die antiimperialistische Anklage und der kämpferische Optimismus des chilenischen Volkes lebendig. Ein Kunstkritiker schrieb 1971 über ihn: „Die gefühlsstarke Stimme Victor Jaras ist eine .Wahrheit für sich', die durch die deutliche Parteinahme für den Inhalt der Lieder akzentu iert wird, Victor Jara ist ein voll kommener Künstler mit einer festen kulturellen Grundlage; er offen bart mit überraschender Deutlich keit die Ausrichtung des heutigen Menschen und unterstreicht die un veränderlichen und ewigen Werte des Menschen“. zelfall. Die reiche Volkskunst les brachte in den letzten Jahren Verstärkt eure Solidarität mit dem Volk Chiles! Rettet Luis Corvalan und alle anderen Patrioten! Beteiligt euch an der Postkartenaktion der Universität! Ein Leben ist keine Rechenaufgabe Im Oktober wird im Verlag Neues Leben Berlin ein neuer Roman von Günter Görlich erscheinen. Görlichs Roman „Heimkehr in ein fremdes Land“ führt den Leser an den Beginn der Entwicklung un serer Republik. UZ sprach mit dem Autor über sein neues Buch. UZ: „Heimkehr in ein fremdes Land“ beleuchtet am Schicksal eini ger Personen die ersten Jahre des Bestehens unserer Republik. Ist es ein Zufall, daß dieser Roman im Jubiläumsjahr unserer Republik vorgelegt wird? Günter Görlich: Nein und ja. Aber das muß ich wohl näher erklären. Kein Zufall ist, daß ich nach mei ner Rückkehr aus der Gefangen schaft natürlich meine Erlebnisse immer wieder durchdacht habe und die Erlebnisse, die mich stark ge prägt haben — auch in meiner Ent wicklung nach 1945 — verknüpft mit den hinzugekommenen neuen Erfahrungen in diesem Roman verarbeitet habe. Immerhin habe ich zur Bewältigung dieses Themas fast zehn Jahre gebraucht. Dies erklärt wohl auch das „Ja“ in meiner Ant wort, denn das Buch hätte ebenso gut auch erst im nächsten Jahr er scheinen können. Natürlich bietet der 25. Jahrestag der DDR viel An laß zum Rückblick auf die Anfänge, und so glaube ich. daß sich in den nächsten Jahren viele Autoren mei ner Generation dieses Themas an nehmen werden. UZ: Die Geschichte der Hauptfigur Ihres Romans, Martin Stein, ist auch die Geschichte des Volkspolizi sten Martin Stein. Schaut man sich die Biographie des Autors an, liegt die Vermutung nahe, daß gerade diese Figur stark autobiographische Züge trägt. Günter Görlich: Natürlich sind in dieser Gestalt autobiographische Elemente stärker enthalten als in anderen Figuren und Geschichten. Aber es ist natürlich nicht die Ge schichte des Günter Görlich. Auch wenn vieles eingeflossen ist, was ich selbst erlebt habe: die Zeit der Kriegsgefangenschaft, das Gesche hen auf Baustellen und Polizeirevie ren, das Milieu im Nachkriegsberlin überhaupt. UZ: Sie gestalten in diesem Roman ein Stück Entwicklungsgeschichte unseres Landes. Gestalten Sie dabei nicht auch ein Stück Ihrer eigenen Entwicklung? Günter Görlich: Natürlich. Ich habe immer gesagt, daß die literarische Gestaltung dieser Zeit wichtig für meine eigene Standortbestimmung war. Ich hoffe, daß dies sichtbar für den Leser wird. Im übrigen denke ich. daß diese Auseinander setzung mit der Zeit auch wichtig für junge Leute ist. Wir haben auf dem Schriftstellerkongreß im ver gangenen Jahr viel über Geschichts bild und Geschichtsbewußtsein dis kutiert. Denn bei vielen Lesern ist zwar das Wissen um die historischen Ereignisse vorhanden, aber eigent liches geschichtliches Bewußtsein kann nur durch die Erkenntnis der Zusammenhänge entstehen, und dies am konkreten Beispiel zu versuchen, ist eine Aufgabe der Literatur. Lite ratur kann durch Dokumentationen nicht ersetzt, sondern bestenfalls er gänzt werden. Dies erklärt für mich auch die große Resonanz von Simo nows Werken über den Großen Va terländischen Krieg. UZ: Denken Sie daran, den Weg des Martin Stein bis in unsere unmittel bare Gegenwart hinein weiterzuver folgen? Günter Görlich: Diese Absicht habe ich nicht. Diese Geschichte ist für mich abgeschlossen. Aber sicher werde ich den Weg meiner Genera tion weiterverfolgen. Mit anderen Figuren, die wieder etwas von mei ner Autobiographie in sich tragen werden. So beabsichtige ich bei spielsweise, meine Erlebnisse und Erfahrungen als Erzieher in einem Jugendwerkhof literarisch umzuset ¬ zen. Ich habe erst kürzlich wieder in meinem pädagogischen Tagebuch aus dieser Zeit geblättert. Natürlich kann eine solche Arbeit für mich nur aus der Sicht des Erziehers ge sehen werden, der die gemachten Erfahrungen aus heutiger Sicht er gänzt. Ich bleibe also am Thema. Aber ich glaube nicht, daß es gut für mich wäre, den Weg des Martin Stein weiter zu verfolgen. Ich glaube, das würde sehr einengen. Eine sol che Erfahrung habe ich gemacht, als ich einen zweiten Teil meines Bu ches „Das Liebste und das Sterben“ schreiben wollte. Was dabei her auskam. ist eigentlich der jetzt er scheinende Roman. Der Verlagsver trag zu diesem Buch wurde bereits 1964 abgeschlossen, und ich wurde einfach nicht fertig. Eben weil es eine Fortsetzung, ein zweiter Teil, werden sollte, jetzt ist es eine Ge schichte zum gleichen Thema. Unser Gespräch sollte auf das neue Buch Görlichs aufmerksam machen. Auf einen Roman, in dem es heißt: „Ein Leben ist keine Rechenauf gabe, die man mit Tabellen und For meln lösen kann.“ (Das Gespräch führte Michael Hinze)
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