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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 7.1963
- Erscheinungsdatum
- 1963
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-196300009
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19630000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19630000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Bemerkung
- Teilweise mit vorlagebedingtem Textverlust.
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 7.1963
-
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Band
Band 7.1963
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.A Is der Krieg in weiter Ferne lag, da hat er Hurra '^geschrien. Als er da war, ist er geflohen. Weil er « mit der Angst zu tun bekam, glaubte er alles ver- loren, war er überzeugt, daß wir nicht siegen werden 1 ', 10 Urteilt der Brigadekommandeur Serpilin, der wenige Jahre zuvor, 1937. wegen angeblicher zersetzender Pro- Paganda für die Überlegenheit der faschistischen Armee Vethaftet und verurteilt worden war, über seinen "idersacher von der Militärakademie, den Obersten Baranow, den man jetzt aufgegriffen hatte, als er aus Feigheit bei der allerersten geringen Gefahr seine Kommandeursachen und seine Papiere verbrannt hatte, den Baranow, der sich auf der Akademie stets Cem anpaßte, was seiner Meinung nach „oben“ ge- alen würde, der es nicht einmal wagte, offenkundigen Mümern zu widersprechen, und der die Schwächen ’S vermeintlichen Gegners groß herausstellte, wäh- and er seine starken Seiten verschwieg. — Und Ser- Pin fuhr in seinen Gedanken fort: „Das fehlte noch! ^ u ßer dir gibt es noch einen Hauptmann Gussew, Eine Panzerjäger (über 400 Werst hatte diese kleine ^Ppe heldenmütig kämpfend zurückgelegt und mit Sner Pak den Kessel durchbrochen), und wir sind auch Doch da, die Lebenden und die Toten..." Der Roman von Konstantin Simonow, in dem dies , als eine von vielen Episoden beschrieben ist, ist sin Kriegsroman und kein historischer Roman in dem Snne, daß der Autor hierin das Anliegen verfolgt, ein ,anorama des Großen Vaterländischen Krieges zu Schnen. Hätte er eine solche mehr oder minder ^erliche Beschreibung geben wollen, so hätte er sich deh Wohl kaum auf das erste halbe Jahr des Krieges Deschränkt, auf die Zeit des tragischen Chaos der "sten Wochen und opferreicher Rückzugsgefechte Die Lebenden und die Toten •hu zum "iy,, rsitätszeitung, Nr. 31, 15. 8. 1963, S. 1 vnern ist Simonows Buch, bestechend durch die Benittelbarkeit des Nacherlebens, die nur einer 261 kann, der dabeigewesen ist, und durch die Blick- Fwg auf die wesentlichen Erscheinungen, Zeuge seshren Größe und Lebenskraft der sozialistischen 3öggschaft auch in der Periode des Personenkults und 3 Auswirkungen. Es schlägt allen Versuchen ins ’ diese Erscheinungen dem Wesen des Sozialis- “razuzuordnen und in ihm zu dieser Zeit nur geistige 8 ^ung zu sehen. Nedonow zeigt hier schon diejenigen Kräfte, die Be diese krankhaften Erscheinungen ganz aus dem Sie der sowjetischen Gesellschaft verbannen, die dgtigen Menschen in ihrer Gesamtheit schlechthin, "qasle erreichen dies nicht durch Schweigen und 5" sondern mit Beharrlichkeit. so ist Simonows Buch zugleich ein Zeugnis von qröße der sowjetischen Literatur, eben deshalb, 34 die ganze Wahrheit über den Personenkult 11 ist . von ihm geförderten Erscheinungen schreibt; V. die Wahrheit, die nur einer schreiben kann, der BHich auf dem Standpunkt des Sozialismus steht • ?®ibst teilhatte und teilhat am Kampf des Volkes. Nest - im Gegensatz zu professionellen Schwarz- S k und Kleingläubigen — niemals den Glauben an 35 raft des Volkes und sein Schöpfertum, an den en verloren und ist deshalb in der Lage, solche 36,i „ wie die aus der Feder Pasternaks, daß nur beänger die Wahrheit suchen und die übrigen als “egabte, einem Herdentrieb folgen, durch das ge- le Leben überzeugend zu widerlegen. X. Günter Lippold Sten einen materiell überlegenen Gegner, der erst 0 den Toren Moskaus zum Stehen gebracht werden Bünte. Doch die geschichtliche Wahrheit, die er ver- 2tteln möchte, tritt gerade auf diesem Hintergrund Sutlich hervor. Dabei geht es ihm aber um mehr als Be Veranschaulichung der Ursachen dieses erschüt- Enden, für viele zunächst erschreckend deprimieren- 80 Rückzuges, bei dem viele getötet wurden, noch BXor sie ihren Sammelplatz erreichen konnten, bei sh viele nicht ahnten, wie nahe die Front war und Baldem sowjetische Bombenflugzeuge ohne Jagdschutz L^lose Opfer von Messerschmitt-Jägern wurden. Sein Riegen ist vor allem, das Trotzdem zu zeigen, mit 6 sich die Menschen des Sowjetlandes zusammen- gossen; zu beschreiben, wie die Logik und der Atem B Lebens kaltes Mißtrauen, Schwarzweißmalerei 80 Hohlheiten, all das Starre — hier wie kaum an- Wo unbrauchbar und hemmend — beschämt und Bseite schiebt; zu veranschaulichen, wie der Mensch "Per das Papier der Bürokratie siegt. Neben vielen Einzelschicksalen erzählt Simonow vor kallem die Geschichte des Politleiters Sinzow, zu Niegsbeginn Redakteur einer Armeezeitung, der im pbel der ersten Kriegswochen an der vordersten Wont in einen Kessel gerät, einen verlustreichen Aus- Wch mitmacht, in einen zweiten Kessel eingeschlos- Bwird, ohne sein Verschulden seiner Dokumente einstig geht, waffenlos in deutsche Gefangenschaft Ä schließlich fliehen kann und nach strapazen- rken Märschen die Frontlinie wieder überschreitet. Das gerechtfertigte wie das ungerechtfertigte Miß- Bten, das ihm von nun an vielfach entgegentritt, tilgt Äht in erster Linie durch bloße Erklärungen und ■Querungen, vielmehr macht er diese durch die Tat, uch heldenmütigen Einsatz als einfacher Soldat 6Wbwürdig, ja zwingend glaubwürdig. Und nicht in er Linie die schließliche Aufklärung des wahren ^Verhaltes ist es, die ihm zu seinem Recht verhel- J Wird, sondern das Vertrauen, das er sich durch C Auftreten neu erworben hat, das Wort derer, denen m Kampf zur Seite stand. bHnd so setzt sich überall, oft auf bittere Weise — die sabrheit durch — nicht von selbst, sondern durch das Emüdliche und unerschrockene Wirken vieler auf- 4ter Menschen; die Wahrheit des Einzelfalles und ' Geschichte. V r degradierte Serpilin wird deshalb wieder zum esral befördert und mit der Leitung einer Division “nut, weil er als Brigadekommandeur hervorragend BPfte und weil er letztlich Recht behalten hatte, bend Baranow eines unwürdigen Todes starb. Gter rächte sich der ungerechtfertigte, blitzartige 6teg des tapferen Jagdflieger-Kommandeurs eines Bärbezirkes, der doch im Grunde ein Oberleutnant 8 iben war, weil er mit der Beförderung nicht das siden eines Generals erlangt hatte. So hatte er ein fgshtes Kommando geführt, und die Hälfte der Flug- 88 War nicht einsatzfähig. fedöschlossene Männer mit klaren Köpfen waren es, 3tdurch ihr Handeln nachwiesen, daß man die Okku- fn töten konnte und sie stehenblieben, wenn man Sootete; die Ordnung in das Chaos brachten, ein kp an dem auch der Autor jenes Romans Schuld %6 an den Sinzow denken muß: in diesem Buch ftscinen künftigen Krieg läßt jener das faschistische “tgehland unter den ersten Schlägen der sowjetischen | streitkräfte zusammenbrechen. Vom Antikommunismus Thornton Wilders Ein Beitrag zur UZ-Literaturdiskussion - Von Dr. habil. Eberhard Brüning In der amerikanischen Gegenwartsliteratur spielt der Name Thornton Wilders eine nicht geringe Rolie, Dieser Name ist aber nicht nur in Amerika geläufig, son dern er erfreut sich besonders in den klerikalen Kreisen Westdeutschlands großer Beliebtheit, wo auch er selbst sich außerordentlich wohl zu fühlen scheint. So' durfte er erst 1962 wieder als frommer Sendbote amerikanischer Demokratie 400 Westberliner mit „Geist, Witz und Magie“ erfreuen, wie das „Spandauer Volks blatt“ vom 22. März 1962 zu berichten weiß. Das Schaffen Wilders, der sich bewußt vor den Karren der Ideologen des Im perialismus spannt, wird oft, von den inhaltlich-politischen Tendenzen abstrahie ¬ rend, in falschem Licht dargestellt. Westliche Kritiker versuchen ihn gern als unpolitischen, abgeklärten Humanisten zu charakterisieren. Was hat es mit den literarischen „Phänomen“ Thornton Wilders wirklich auf sich? Wessen Sprachrohr ist er, welche Rolle spielt er eigentlich in der amerikanischen Literatur? Die Ant wort auf diese Frage gibt Eberhard Brüning im nachstehenden Artikel, in dem er Wilder als das darstellt, was er wirklich ist, ein raffinierter und skrupelloser Pro pagandist einer Philosophie der Lebensverneinung, Anwalt eines sentimentalen Sonntagsschulchristentum und bewußter Apologet der kapitalistischen Gesell schaftsordnung. In den dreißiger Jahren siedelte Wil der erstmalig seine Stoffe in seinem Heimatland an und versuchte sogar mit dem Drama „Our Town“ (1938) eine Art Nationaldrama des „ewigen Ame- rikanertums“ zu schaffen. Zunächst ver öffentlichte er jedoch eine Sammlung von Einaktern („The long Christmas Dinner“, 1931), die teilweise als direkte Vorstudien dazu angesehen werden dür fen. Besonders „Pullman Car Hiawatha“ weist starke formale und thematische Parallelen zu „Our Town“ auf. Eindeu tig gibt Wilder zu erkennen, daß für ihn das echte Heil des Menschen im Jenseitigen liegt. „Jedermann“ kann froh sein, die Erde — dieses Jammertal — verlassen zu haben. Deshalb präsentiert er auch die Tote als die „Auserwählte“, denn sie habe den Sinn des Daseins „erkannt“. Den zweitwichtigsten Platz im Einakter — und als Mittler Wilder- scher Philosophie — nimmt eine Geistes gestörte ein. Sie steht zwischen Leben den und Toten, ist im Grunde aber bes ser daran als die anderen Normalbür ger, da sie sich wenigstens selbst ver steht. Unter Zustimmung der Erzengel darf die Verrückte sich für die eigent lich „Normale“ erklären. In den Äuße rungen einer anderen Person dieses Stückes zeigt sich schlagartig die wahre Gesinnung eines Autors, dem das Irdi sche angeblich so unwichtig ist und der mit frommem Augenaufschlag sein Publikum auf überirdische Werte orien tieren will. Einer der Mitreisenden des Pullmanwagens ist ein Ingenieur, der einige Jahre in der Sowjetunion ge arbeitet hat. Seine Gedanken werden wie folgt enthüllt: „Es war das Ver rückteste, was ich je getan hab’. Hat mich um gut drei Jahre zurückgewor fen. Jetzt hätt’ ich mir schon dreißig tausend Dollar ersparen können, wenn ich im Land geblieben wär’. Was hab’ ich auch diesen Kontrakt machen und mit den gottverdammten Sowjets ‘rum- fiedeln müssen! Aber nein, ich hab’ mir eingebildet, es könnt’ interessant sein! Interessant, daß ich nicht lache! Hat mich um drei volle Jahre zurückgewor fen. Und ich weiß gar nicht, ob meine Firma mich wird wieder haben wollen. Ich muß wohl noch nicht trocken hin- term Ohr sein, das ist’s. Ich werd’ ein fach nicht erwachsen“! Diese Worte fin den sich nicht zufällig in diesem Stück. Sie dienen den Kreisen, deren Sprecher ■Wilder ist. Die zutiefst inhumane Ein stellung Wilders zeigt sich ebenfalls in seiner Stellungnahme zum Krieg. Wäh rend die überwiegende Mehrheit der namhaften amerikanischen Schriftstel ler sich gegen den Krieg im allgemei nen und den ersten Weltkrieg im be sonderen aussprach, blieb es diesem be tont christlichen Schriftsteller Vorbehal ten, unumwunden den Krieg als eine heilsame Sache, gleichsam als einen bio logischen Reinigungsprozeß anzupreisen und in dem Einakter „The Long Christ mas Dinner“ eine seiner Person un widersprochen äußern zu lassen: „Viel leicht ist bisweilen ein Krieg doch nichts so Schlechtes. Er läßt eine Menge Gift ab, das sich in Nationen ansammelt. Er ist wie eine Eiterbeule.“ In dem abendfüllenden Stück „Our Town“ werden dann die bereits ange deuteten „Lebensweisheiten vertieft“ und weiter „verallgemeinert“. „Our Town“ ist im gewissen Sinne ein „Lehrstück“; es enthält eine Moral, nämlich: Der Mensch soll auf hören, an der Oberfläche zu leben, und er soll sich des Lebens bewußter werden! Eine an sich lobenswerte Forderung; es fragt sich nur, zu welchem Zweck wird sie aufgestellt. Wilder fordert seine Mit menschen auf, das Mittelklassenleben intensiver zu genießen, mehr Obacht auf die kleinen Dinge des Alltags zu geben und nicht „herumzutrampeln auf den Gefühlen derer, die... die um uns sind“ (alles nach dem Motto: seid nett zueinander!). Dann ist ein jeder besser vorbereitet auf das eigentliche Leben im Jenseits! Es geht also Wilder kei nesfalls darum, das Leben sinnvoll in den Dienst zur Weiterentwicklung der Menschheit für ein besseres Dasein hier auf der Erde, in den Dienst des gesell schaftlichen Fortschritts, der Verhinde rung von Kriegen, Seuchen oder Hun gersnöten, der Ausmerzung der Aus beutung, der Unterdrückung und Ge walt zu stellen — und deshalb bewuß ter zu leben. Denn diese Probleme exi stieren in der sterilen und sentimenta len Mittelstands- und Kleinstadtwelt Wilders gar nicht. Die dürftigen Ereignisse des Stückes werden von der gesellschaftlichen Um welt losgelöst und in eine zeitlose Ebene projiziert. Der Stage Manager sagt zwar, daß es in der Stadt auch eine Fabrik gibt, aber von Arbeitern und ihren Arbeitsbedingungen ist keine Rede, von Konflikten zwischen dem Unternehmer — von dessen Familie immerhin knapp gesagt wird, die Fa brik „habe ihr ein Vermögen einge bracht“ — und den Ausgebeuteten schon gar nicht. Auch ein sogenannter pol nischer Stadtbezirk findet Erwähnung, aber’ wir erfahren nur, daß dort Zwil linge angekommen sind, kein Wort fällt über die Spannungen zwischen den Alteingesessenen und den osteuropäi- schen Einwanderern oder über die un terschiedlichen sozialen Verhältnisse. Alles wird verniedlicht und entschärft. Auch die „Daugthers of the American Revolution“ sind ein harmloser Verein und nicht eine erzreaktionäre Institu tion. Wilders Konzeption vom Leben und der Funktion des Menschen als Lebe wesen liegt natürlich eine ganz be stimmte Weltanschauung zugrunde. Sie wird geformt durch ein mechanistisch idealistisches Weltbild, das auf einem verspießerten Sonntagsschulen-Chri- stentum basiert. In Wilders Sicht wie derholt sich das Leben von Generation zu Generation in gleicher, unveränder licher Weise. Es gibt für ihn weder eine Vorwärtsentwicklung und Veränder lichkeit der gesellschaftlichen Zustände noch des Menschen selbst. Alles ist sta tisch. Das Leben der Menschen auf der Erde ist gekennzeichnet durch Blindheit und Unwissenheit, erst im Jenseits sind tiefere Erkenntnisse möglich. („Blind sind die Menschen — nichts als blind.... So sah das also aus: am Le ben zu sein. Eingehüllt in eine Wolke der Unwissenheit...“.) Das ist im Grunde eine antihumanistische, inhu mane Einstellung. Darüber dürfen auch nicht die sentimentalen Schilderungen der harmonischen und friedvollen Ein zelbeziehungen der Menschen unterein ander sowie der Schlußappell „Geht in euch!“ hinwegtäuschen. Immer erweist sich Wilder als ein Verfechter des Sta tus quo, als ein Apologet der kapitali stischen Gesellschaftsordnung. Der so wjetische Literaturwissenschaftler R. S a m a r i n erklärte im Zusammen hang mit seiner Einschätzung des spä teren Stückes „the Skin of Our Teeth“ (1942) mit Recht: „So bemüht sich Wil der, versehen mit der Bibel und den Beispielen der mittelalterlichen Dem agogie. den Amerikanern den Gedanken von der Unmöglichkeit der mensch lichen Entwicklung einzuflößen und sie von der Unerschütterlichkeit und Un veränderlichkeit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu überzeugen.“ Aber Wilder ist viel gefährlicher als jene, die ihre Parteinahme offen zur Schau tragen. Sein Einakter und auch seine längeren Dramen sind wie ein schleichendes Gift. In ihnen wird auf gefährliche und raffinierte Weise Un sinn für Tiefsinn, Mystizismus für Common Sense und Krankheit für Ge sundheit ausgegeben. Räumt man den sich modernistisch gebärdenden und die klare Sicht behindernden technischen Apparat und seine Spielereien beiseite, so entblößt sich als „lebensphilosophi scher Kern“ in jedem Fall die absolute Negierung des menschlichen Daseins auf dieser Erde. Wilder bot seine abgestandene Weis heit in einer unkonventionellen und für den Broadway mehr oder minder „neuen“ Verpackung. Er benutzte dabei in großzügiger Weise Elemente, die wir dem epischen Theater zuzuordnen ge wohnt sind. Natürlich drängt sich ein Vergleich mit Bertolt Brechts Theorie und Praxis des epischen Theaters auf. Sowohl Brecht als auch Wilder haben wesentliche Anregungen für ihre Büh nenwerke aus dem Studium des chine sischen und japanischen Theaters emp fangen. Dennoch welch grundlegende Unterschiede. Während Wilder episie- rende Details verwendet, um durch for malistische Spielereien und Taschen- spielertricks die Zuschauer von seinen inhaltlichen Banalitäten akzulenken und seine ideologische Mission zu ver- schleiern, stellt sie Brecht in den Dienst der fortgeschrittensten Weltanschauung. Hier: formale Episierung, da; episches Theater. Echte Episierung eines Dra menstoffes bedeutet doch immer Dar stellung geschichtlicher Prozesse in ma terialistischer und dialektischer Sicht. Es war auch notwendig, sich mit der Resonanz von „Our Town“ beim deut schen Publikum und bei der deutschen Kritik zu befassen. Dieses Stück ist nach 1945 an zahlreichen westdeutschen Theatern aufgeführt worden und hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, Wilder zu einem der populärsten ame rikanischen Schriftsteller in West deutschland zu machen. Frederic Mel- STREIT linger (Das Theater am Broadway, Berlin 1950) und Hanns Braun (Thea ter in Deutschland, München 1956) wol len uns zwar nachträglich noch ein reden „Our Town“ habe wie eine „Offenbarung" auf die deutschen Ge müter gewirkt, aber ein Querschnitt durch die zeitgenössischen Theaterkriti ken beweist etwas anderes. So äußerte u. a. Friedrich Luft („Die Neue Zei tung“) zur Westberliner Aufführung von 1948/49: „Die fragwürdige Wiederholung eines überholten und in seinem ersten Witz schon wieder etwas ranzigem und zu dem inzwischen unglücklich imitierten Experiments mit der Auflösung der Bühne, des Aufweichens des Dramas durch das sich, spät-expressionistisch zierende Gefuhlskabarett. Das liegt hinter uns. Warum immer wieder? Und wenn — warum nicht besser?“ Ein anderer Theaterkritiker („Nord deutsches Echo“) schrieb zur Kieler Aufführung 1947/48 treffend: „Es wäre wohltuend, dieses Mach werk mit sarkastischem Witz zerpflük- ken zu können. Aber über dem Amü santen einer solchen Kritik würde der Leser vergessen, daß es sich um eine Krankheitser^cheinung der Kunst han delt ... Man, geht doch nicht ins Thea ter, um £wei Akte lang Banalitäten und im dritten Akt Frivolitäten über sich ergehen zu lassen. Es ist jetzt sehr modern, Massenversammlungen von Leichen auf der Bühne weise Reden hallten zu lassen.“ Interessant und bemerkenswert ist, daß die Theaterkritiker viel schärfer sahen als Literaturhistoriker, die sich fast ausnahmslos von der verlogenen humanitären Pose täuschen ließen und nicht die „Krankheitserscheinungen der Kunst“ bemerkten oder bemerken woll ten. So rühmte z. B. Franz Lennartz Wilder als „wohl den aussichtsreichsten amerikanischen Nobelpreis-Kandidaten“ sowie als „einen humanistischen Dich ter und einen der großen Moralisten unserer Zeit...“ (Ausländische Dichter und Schriftsteller unserer Zeit, Stutt gart 1955). Hans Mayer nannte 1945 in einem Rundfunkvortrag die Auffüh rung von „Our Town“: „Die bisher wichtigste neue Bekanntschaft auf un seren langsam neubelebten, teilweise noch halbbetäubten Bühnen“ und fand Worte des höchsten Lobes über Thorn ton Wilder, wie „Er ist ein christlicher, ein protestantischer Denker und Ge stalter. Die Botschaft der Menschenliebe durchströmt sein Wesen wie sein Werk“ (Ansichten über einige Bücher und Schriftsteller, Berlin o. J.) Noch be fremdlicher mutet es an, wenn 17 Jahre später Hans Mayer erneut (Ansichten zur Literatur der Zeit, Hamburg 1962) und nahezu mit den gleichen Worten Wilder preist, mit dessen „Bewälti gung“ des Alltags sympathisiert und überdies nach einer Kontrastierung mit Arbusows „Irkutsker Geschichte“ dem sowjetischen Autor gewissermaßen eine Rüge erteilt, weil dieser es nicht habe unterlassen können „einige Figu ren leicht vorbildhaft auszustaffieren, Umwandlungen anzudeuten, ideolo gische Entwicklungen zu skizzieren". Dergleichen Fehleinschätzungen und Überbewertungen Wilders fallen selbst amerikanischen Gelehrten auf. Paul Fussell, Jr. von der Rutgers Uni- versity äußerte nach einem Besuch in Westdeutschland sein Unbehagen über die „deutsche Kanonisation Wilders“ und erklärte: „Ich war verwirrt und bekümmert wegen der deutschen Be wunderung seines Werkes, denn von den amerikanischen Schriftstellern seit den zwanziger Jahren scheint Wilder am wenigsten von den sozialen, intel lektuellen und psychologischen Strö mungen des wirklichen Amerika be rührt zu sein. Das Bild von Amerika, das den Europäern in ,Our Town“ ge zeigt wird, ist pastoral, selbstzufrieden, gespielt zurückhaltend, bestrickend — und gänzlich irreal. Weder ,Main Street 1 noch ,Winesburg, Ohio', ganz zu schweigen von Wolfes .Atamont' oder Faulkners .Jefferson' geben den Deut schen — die unwiderruflich für eine längere Zeit durch lastenreiche militä rische und politische Allianz mit Ame rika verbunden sind — ein genügend trostspendendes Abbild der ,Old Folks at Home'. Aber .Grovers Corner' ist eine Erquickung. Wie angenehm ist es, sich vorzustellen, daß trotz der Strolche, die in Little Rock herrschen, die guten einfachen Menschen von ,Grover’s Corner' die wirklichenVerbün- d et e n sind („Thornton Wilder and the German Psyche“. In: The Nation, 3. Mai, 1958). Diese „Ansichten“ eines bürgerlichen amerikanischen Wissen schaftlers in einer bürgerlichen ameri kanischen Zeitschrift können wir als Marxisten nur völlig unterstreichen, doch es scheint uns gewiß, an der Zeit, daß sie sich herumsprechen, damit end lich nicht mehr ein klerikal-reaktionä rer Demagoge für einen humanisti schen „Denker und Gestalter“ und ein zweitrangiger Schriftsteller für einen bedeutenden Repräsentanten der ame rikanischen Gegenwartsliteratur gehal ten wird. Das Fürnberg-Ensemble bei der Aufführung der „Singschule“ aus Lorizings „Zar und Zimmermann“ KUNST UND LITERATUR IMMEINUNGS.
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