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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 7.1963
- Erscheinungsdatum
- 1963
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-196300009
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19630000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19630000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Bemerkung
- Teilweise mit vorlagebedingtem Textverlust.
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 7.1963
-
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- Ausgabe Nr. 2, 10. Januar 1
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- Ausgabe Nr. 5, 31. Januar 1
- Ausgabe Nr. 6, 7. Februar 1
- Ausgabe Nr. 7, 14. Februar 1
- Ausgabe Nr. 8, 21. Februar 1
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- Ausgabe Nr. 11, 14. März 1
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- Ausgabe Nr. 21, 24. Mai 1
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- Ausgabe Nr. 31/32, 15. August 1
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- Ausgabe Nr. 41, 10. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 42, 17. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 43, 24. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 44, 31. Oktober 1
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- Ausgabe Nr. 46, 14. November 1
- Ausgabe Nr. 47, 21. November 1
- Ausgabe Nr. 48, 28. November 1
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- Ausgabe Nr. 51/52, 12. Dezember 1
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Band
Band 7.1963
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Foto: Geris DER GETEILTE Warum ging der Manfred weg? auf Ihre Er Universitätszeitung, 30. Mai 1963, Seite 6 kennen und verar- war jedenfalls stets habe erfahren, daß' Teile von Theorie, rie, als Schriftsteller beiten soll. Ich selbst theoriefreundlich und besonders diejenigen unserem Lande der Sozialismus schon eine Kraft geworden ist, imstande, Menschen zu bilden. Das ist eine Erfahrung, die weit über Eindrücke — sagen wir aus einer Bri gade — hinausgeht. Aber man gewinnt diese Erfahrung eben nirgends deutlicher als im Produktionsbetrieb, weil man hier am klarsten erleben kann, wie sich die durch schnittlichen Schichten unseres Volkes in den letzten 15 oder 20 Jahren entwickelt die sich in Briefen oder in Äußerungen großer Schriftsteller widerspiegeln, mit die meiste praktische Hilfe geben können. Ich lese immer wieder die Briefe von Gorki, in denen sehr viel Literaturtheorie steckt, oder die Bände von Becher oder Brechts Theorie. Ich bin nach Halle gezogen, um diese Sphäre näher kennenzulernen, als das vor her bei gelegentlichen Besuchen möglich war. Es besteht eine gewisse Milieuähn lichkeit in der Erzählung sowohl mit der Stadt Halle als auch mit dieser Waggon fabrik. Das Wichtigste waren dort für mich nicht in erster Linie die Produktionsvorgänge, die ich zum Teil auch schon wieder’ ver gessen habe. Aber etwas anderes möchte ich nicht gern vergessen und es möglichst in jeder Entwicklungsphase neu empfinden: Wie sich der wirkliche Kampf um den Sieg des Sozialismus in dieser wichtigen Sphäre abspielt und wie sich dort zeigt, daß in haben, was für andere Menschen es schon geworden sind, obwohl sie mit ungeheuren Konflikten kämpfen und mit sehr viel Relikten aus der Vergangenheit belastet sind. Das entscheidende Erlebnis war für mich die in den Menschen verwurzelte Realität des Sozialismus. Ich wollte in der Er- Welche Rolle spielt das Dabei gewesensein und die Kenntnis der Gesetzmäßigkeiten der ge sellschaftlichen Entwicklung für den Schriftsteller? Waggonfabrik Zahlung? Welchen Einfluß hatte die Kenntnis der materiellen Pro duktion und des Milieus — zum Beispiel das Geschehen in der Für diese Dichterlesung während der Festwoche brauchte das Institut für Deutsche Literaturgeschichte nicht zu werben, obwohl bis dahin die Erzählung, allein im „Forum - * erschienen, die meisten unserer Wissenschaftler und Studenten nicht, zumindest nicht vollständig, kannten. Aber zu viel schon hatte man über Christa Wolfs „Geteilten Him- mel" — eine vielversprechende, poesievolle Erzählung unserer neuen Belletristik — ge lesen und gehört, so daß man sich hartnäckig in den großen Knäuel literaturinteressier ter Universitätsangehöriger hineindrängte, die im Hörsaal 40 der alten Universität um die letzten freien Treppenstufen stritten. Als Christa Wolf einen Teil ihrer Erzählung — ein Ausschnitt aus dem Schlußkapitel — vorgetragen hatte und sich der tosende Beifall langsam beruhigte, stellten einige der Schriftstellerin noch Fragen. Blenden wir kurz in das Kolloquium ein. zählung zum Ausdruck bringen, daß Rita erfährt, der Sozialismus ist kein Phantom, ist kein Hirngespinst einiger Leute da oben, sondern der Sozialismus ist einfach zum realen Leben von Hunderttausenden geworden, ob sie es wollen oder nicht, und inwieweit sie sich dessen bewußt sind oder nicht, das ist schon wieder eine andere Frage. Und deshalb war für mich so wert voll, daß ich diesen Betrieb mehrere Jahre kannte und nun am Beispiel dieser Bri gade diese vielen Stadien, die unendlich mühsamen Schritte, mit erlebte, mit denen sich in ihr etwas verändert, was sich dann nach außen in einer höheren Pro duktionsziffer ausdrückt. Für uns Schrift steller ist es das Interessanteste, wie es dazu gekommen ist und was dieser Vor gang bedeutet. Insofern empfinde ich es auch als wertvoll, ökonomische Probleme zu studieren; ich habe .mich im Betrieb in tensiv mit der Seifert-Methode, mit Pro blemen der Normen und mit der Produk tion in den einzelnen Etappen beschäftigt. Das half mir, über dem Stoff zu stehen. Das ist eine dicke Mappe Material, die ich brauchte, um das Fazit zu ziehen: Was ist es, was auf einen jungen Menschen so einwirken könnte, daß es mit dazu bei trägt, diesem Mann nicht nach dem Westen zu folgen. Das war das, was mir den Be trieb interessant gemacht hat. Verlangen Sie, daß ich Ihnen die Ge schichte erzähle? Doch kurz zum Haupt grund: Er liegt zwischen dem von ihm nicht bewältigten Widerspruch zwischen diesen beiden Lebensmöglichkeiten und in dem durch sein Leben und durch seine Um gebung in ihm angelegten Hang, einem ge wissen Sog zu folgen, der ein Sog der Leere ist, was er auch weiß. Er ist ein Mensch, dem dieser Charakterzug des sich Aufgebens in einer bestimmten Situation zum Verhängnis werden kann. Das ist ein Charakterzug, den wir unbedingt er kennen müssen beim Menschen, die um uns und mit uns leben, damit wir über haupt eine Möglichkeit finden, mit ihnen zu reden, wenn wir es ernst meinen, sie zu gewinnen. Manfred geht nicht weg, weil er glaubt, drüben ist das gelobte Land — dazu ist er zu klug. Aber in dem Moment, wo er in eine für ihn ungerecht verlaufene An gelegenheit hineingeraten ist, kämpft er nicht weiter, und es erscheint ihm für sein eigenes kleines Leben besser, die Jahre seines Lebens in einer gut funktionieren den Maschine zu vollbringen als in einer, über deren zeitweise Unebenheiten er selbst nicht hinwegsieht. < 2 5 Es gibt verschiedene Typen von Schrift stellern. Der eine muß einen ungeheuren Berg erleben, dem anderen genügt ein kleines Erlebnis zum Schreiben, natürlich vor einem Hintergrund an Lebenskenntnis, der immer da sein muß und aus dem er eine größere Sache entwickeln kann. Das ist also verschieden. Ich würde für das Da beigewesensein lieber sagen Lebenskennt nis, die sich jeder auf seine Weise erwirbt. Jeder, der schreibt, sollte meiner Ansicht nach die Grundgesetze der Entwicklung kennen und ganz bestimmte Entwicklungs gesetze sehr genau kennen, z. B. die heute bei uns in der DDR ganz entscheidenden Entwicklungsgesetze, die der sozialistischen Ökonomie. In Westdeutschland leben doch sehr ta lentierte Schriftsteller. Böll zum Beispiel hat ein sehr großes Talent, und doch glaube ich, daß sein „Billard um halb zehn“, gegenübergestellt mit der „Entscheidung“ von Anna Seghers, den Vergleich nich aushält, allein Von der Konzeption her, von der Größe der Frage stellung usw. Ich bin davon überzeugt, daß der große Roman über das Deutschland unserer Tage, über das Deutschland in der Mitte unseres Jahrhunderts, nur von einem Kom munisten geschrieben werden kann, der ein sehr großes Talent haben muß. Welche Anregungen gab Ihnen Ihre Tätigkeit als Literaturkri tikerin für Ihr literarisches Schaffen? Es ist meiner Ansicht nach ein kompli zierterer Weg, wenn man als Literatur kritikerin tätig war und zu schreiben be ginnt. Es sind mehr Hemmungen da, als wenn man sozusagen unbeschwert an das Schreiben herangeht. Ich würde das auch begrüßen, wenn Schriftsteller auch gleich zeitig literaturkritisch arbeiten, und hier und da geschieht das ja auch. Trotzdem sollte man bei diesem Anliegen berück sichtigen, daß damit große subjektive Schwierigkeiten verbunden sind — und zwar nicht nur auf diese oberflächliche Art: jetzt kritisiere ich dich, dann kritisierst du mich, also laß ich es lieber. Es be stehen da psychologische Hemmungen, je mand zu kritisieren, den man im Grunde sich selbst überlegen weiß, wobei einem das nicht hindert, irgendwelche Fehler und Mängel zu sehen, die dieser überlegene Kollege macht. In Ihrer Frage klang auch an, inwiefern die Theorie für den Schriftsteller wichtig ist. Ich finde, daß man theoretische Pro bleme, insbesondere die ästhetische Theo Christa Wolf während ihres Vortrags es selbst nicht kennt, sondern nur über dimensional das Alte, das dem Neuen an haftet, nur das Schlechte, Niedrige im Menschen — genährt nicht zuletzt durch eine Atmosphäre der Unaufrichtigkeit im Elternhause. Vergebliche Mühe sei es, so meint er, Moral in die Welt bringen zu wollen. Einzig vernünftig sei es, den Kopf einzuziehen und alle Ideale fahrenzulassen und keine Kraft und Leidenschaft an Un abänderliches zu verschwenden. Kann ihre Liebe diese Belastung durch solche entgegengesetzte Lebenshaltungen tragen? Als Manfred — ausschlaggebend beein flußt durch die gewiß unvernünftige Ab lehnung eines wissenschaftlichen Projekts, für das zu kämpfen er nicht die Kraft auf bringt — den Schritt in die andere Welt geht, tut er es in dem Glauben, daß ihm Rita folgen wird. Und als sie am Sonntag vor dem 13. August 1961 zu ihm nach West berlin fährt, weiß sie selbst noch nicht, ob sie ihm folgen oder zurückkehren wird. Doch da es ihr hier unmöglich ist, die Ge gensätze — wie sie es bisher tat — zu über sehen, zu vergessen, hinwegzuwünschen; da sie spürt, wie sehr sie aneinander vor beireden, wie sehr ihre Gedanken in ver schiedenen Sphären kreisen, fühlt sie, daß sich der Himmel über ihnen geteilt hat und trifft ihre Entscheidung. Die Liebe — ohne innere Wahrheit ein Selbstbetrug — konnte nicht stärker sein als die tausendfältige Bindung an das, was sie in der kalten Fremde als besonders heiß und nah emp fand. Ta Christa Wolf in ihrer Erzählung vor “-'allem Wissenschaftler und Studenten gestaltet, ist es die Sache nicht nur von Li teraturwissenschaftlern, sondern von Uni versitätsangehörigen überhaupt, wohl mehr als anderer, diese Geschichte, ihre Wahr heit und deren künstlerische Meisterung, zu beurteilen. Ein beeindruckender Vorzug der Erzäh lung ist ohne Zweifel die künstlerisch ge lungene Glaubwürdigkeit der einzelnen Charaktere und der Motive ihrer Handlun gen. Die Trennung von Rita und Manfred, Ritas Entscheidung ist kein willkürlicher, gleichsam vom Schriftsteller vollzogener Akt, sondern wächst organisch, man kann fast sagen vom ersten Tag ihrer Begeg nung an Man sehe sich die Stufen von Ri tas Erkenntnis an, daß ihre Liebe sinnlos ist: Ehe er es mir sagte, kam ich nie auf die Idee, daß wir in eine ungünstige Zeit hin eingeboren seien. Er dachte sich manchmal Verwandlungen aus: Hundert Jahre früher wollte er leben oder hundert Jahre später. Ich spielte dieses Spiel nie mit, und er warf mir Mangel an Phantasie vor... Dann, an dem Abend bei Manfreds Pro fessor, als sie auf entgegengesetzte Dinge ihr Glas erheben — er „auf unsere verlo renen Illusionen“ und sie „auf alles, was wir lieben“, — da wünscht sie sich, die Zeit möge stillstehen. Und später, als er ihr an einem Beispiel seinen Unglauben an die Aufrichtigkeit des Menschen zu begründen sucht: Ich müßte ihm widersprechen ... Aber was soll ich sagen? Ich nütze ihm nichts. Jetzt müßte ich älter sein, dachte sie unglücklich. Ich weiß nicht, wann wir anfingen, an einander vorbeizureden, überlegte sie zu rückblickend. Die ersten Zeichen muß ich übersehen haben. Ich war seiner zu sicher geivorden. Ich betrog mich, indem ich mir immer wiederholte: Was auch geschehen mag, wir lieben uns. Ich gab ihm Grund, daran zu glauben — was auch geschah. Dann kommt die bange Frage, für welche Schicksalsfälle Liebe Sicherheit geben kön nen, und die Furcht, ihn zu verlieren: Wir sind gegen nichts gefeit. Wir sind allen Gefahren genauso ausgesetzt wie andere Leute. Uns kann alles passieren, was an- • , deren passiert. Das alles hatte sie schon mehr oder we niger gedacht und gefühlt, zu vergessen ge sucht und immer von neuem befürchtet. Christa Wolf: Der geteilte Himmel, Erzählung. Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1963, 293 Seiten, Preis 6.50 DM. F s wäre zwar falsch zu sagen, es geschehe Enicht viel in der Erzählung, doch eines ist sicher: Aus der äußeren Dramatik der Handlung bezieht sie ihre Spannung kaum. Es sind keine uns überraschenden, außer gewöhnlichen Ereignisse, die sich vollzie hen. Auch der Ausgang der Erzählung ist dem Leser von Anfang an bekannt, und er betrachtet zudem das Geschehen — mit den Augen des Mädchens Rita — aus ab klärender zeitlicher Distanz. Wenn diese Geschichte,- die Geschichte der kurzen Liebe zwischen Rita und Man fred, dennoch so erregend ist, dann mag das davon zeugen, wie sehr es der Autorin gelungen ist, eine Alltags-Oberfläche auf zuwühlen und die darunterliegenden Kon flikte, widerstreitende Gefühle und Ge danken so zu gestalten, daß man sich ihrer Dramatik nicht entziehen kann. Es ist die Dramatik des Wahrhaften, die die Schrift stellerin in den Beziehungen der beiden Liebenden und der sie umgebenden Men schen zu entdecken und mit viel Einfüh lungsvermögen, mit viel Poesie zu gestal ten wußte. Es ist die Dramatik des lang samen und sprunghaften, mühsamen und so widersprüchlichen inneren Wachstums des Menschen unserer Jahre — hier der Jahre 1960 und 1961, der Zeit vor dem 13. August eben dieses Jahres. Rita, verliebt in den Chemiker Manfred N Herrfurth, der in einem Institut an sei ner Dissertation arbeitet, folgt ihm — er wartungsvoll, doch nicht ohne Scheu, her austretend aus einem einförmigen Leben — in die Universitätsstadt, um Lehrerin zu werden und zunächst bis zum Beginn des Studiums in der Waggonfabrik zu arbeiten. Hier, ähnlich wie später an der Universität, stürzt viel Neues, Problematisches auf sie ein, sie lernt Menschen im Widerstreit zwi schen Eigennutz und gesellschaftlicher Ver antwortung, zwischen blindem Eifer und ehrlicher Sorge, zwischen Trägheit und Un rast kennen. Ratlos ist sie über die Zerwürfnisse in der Brigade, aber sie bewundert Rolf Me- ternagel: Vor ihren Augen hatte ein Mensch einen Packen auf sich genommen, von niemanden gezwungen, nicht nach Lohn' fragend, hatte einen Kampf begon nen, der fast aussichtslos schien ... Sie fragt sich, warum einer so werden kann, wie ihr Mitstudent Mangold, voller Zitate, aber nicht fähig, sich in einen Men schen hineinzuversetzen; doch ist da auch einer, der sie und ihre Freundin vor fal schem Urteil bewahrt, der Geschichtsdozent Schwarzenbach: Die Partei war nachsichtig und geduldig mit uns, wenn auch anspruchsvoll. Seitdem halte ich etwas von diesen Eigenschaften: Nachsicht, Geduld. Revolutionäre Eigen schaften, Genosse Mangold. Sie waren nie darauf angewiesen?' Sie empfindet Abscheu vor dem zu Hause wie als kaufmännischer Direktor im Werk unaufrichtigen, charakterschwachen Vater Manfreds, aber da ist auch Wendland, der junge Werkleiter, der eine große Bürde Verantwortung mit einer bewundernswür digen Gelassenheit und Zuversicht trägt. Wenn Rita auch nicht alles begreift — sie wird ergriffen; wenn sie auch oft ratlos ist — sie sucht nach Rat; und sie beobachtet an sich selbst, daß „ihre eigene Mutlosig keit in Ungeduld umschlug“. An diesem Punkte liegt der feine Riß zwischen ihr und Manfred, den sie erst nur unbewußt, dann aber immer Wieder und immer deutlicher wahrnimmt. Er nimmt das Rauhe, Unfertige, der neuen Wirklich keit für ihr Wesen, unfähig, das zu sehen, was Rita von Tag zu Tag besser begreift oder zumindest richtig fühlt, und bei ihm schlägt das Nichtverstehen in Skepsis und Resignation um. „Du kennst das Leben nicht“, sagt er. sie zur Gleichgültigkeit an haltend, ihre Ungeduld dämpfend, weil er bevor sie sich in Westberlin die Frage vor legt, ob es denn ungewöhnlich sei, wenn ein Mädchen seinen Liebsten verlor, und sie sich, abgestoßen von dem fremden Le ben in der fremden Stadt, für das lebendige Leben entscheidet, dessen Probleme sie selbst hierher mitgebracht hat. Fast kurios ist diese kleine Szene, als sie — mit Manfred in einem Westberliner Cafe sitzend — von ihrer Brigade aus dem Wag- gon-Werk erzählt, von Meternagels An strengungen, das Prinzip ehrlichen Arbei tens mit Macht durchzusetzen: „Sogar der Parteisekretär nahm ihn sich vor“, sagte sie zu Manfred, roährend der Ober die Suppe hinstellte. „Er sagte; ,Hor mit deinen Überspitzungen auf. Du treibst mir die Leute nach dem Westen! 1 “ „Rita!“ flüsterte Manfred. „Um Gottes . willen — nicht so laut!“ „Ach so“, sagte sie und sah ihn gründlicha an. „Du hast dich aber auch verändert.' Hier wird am besten deutlich wieweit sich Rita entwickelt hat: Noch ist sie mit vielen Problemen nicht fertiggeworden, aber stark sind schon die inneren Bindun gen an dieses Leben. Daß der Mensch veränderbar ist, ist bel Christa Wolf keine leere Behauptung, son dern ein künstlerischer Beweis — ein Be. weis, der die von literaturwissenschaf, licher Seite warnend erhobenen Einwände gegen die Darstellung ideologischer Ver änderungen im Alltäglichen 1) ad absurdur führt. Dennoch erschöpft sich die Wahrheit de VErzählung nicht in der wahrhaften Dan Stellung der einzelnen Charaktere.1 ihrer Widersprüchlichkeit, ihrer Entwirf lung und der Glaubwürdigkeit ihrer Hand lungen. Mit Recht beschreibt Dr. Streller.. Christa Wolfs Erzählung als ein Gegen stück zu Peter Hacks’ „Die Sorgen und d” Macht“, wozu die Wahrheit des Ganzen bei-der ersteren berechtigt, die wir in denn Theaterstück ungeachtet der Wahrheit VO einzelnem vermissen müssen. Auch Christa Wolf zeigt uns nicht we218 Überlebtes, Unvollkommenes, Bornierte doch nie beherrscht es die Szene, ebens. wenig wie im Leben. Sie sieht das weil sie die Wirklichkeit mit wissenschaf, licher Einsicht in den Gang der Dinge} 111 somit parteilich betrachtet, im richtig2s Licht, sieht mehr: daß die Schwarzenbapp stärker sind als die Mangolds, daß die E mischs den Meternagels letztlich nicht"’ derstehen können, daß ein Martin Ju05 (Manfreds Mitarbeiter) sich durchsetz, wird, wenn es darum geht, ein neues W senschaftliches Verfahren in die Produkt 1 . einzuführen. Das ist die Wahrheit unse Lebens, und nur die Literatur kann Wah sein, die das-ausspricht. Christa Wolfsind deshalb keinen Grund — wie Hacks Manfred Herrfurth!) — vor -Unzulängine keiten der Gegenwart resignierend auf 50 vollkommene ferne Zukunft zu hoffen. 2 diese Zuversicht in die Gegenwart nife- zu tun hat mit Vereinfachung und ’ schweigen der Kompliziertheit,, .dayne kann sich jeder beim Lesen der Erzählpi e selbst überzeugen. Aber man halte hen Sorgen und die Macht“ und den „Getelle Himmel“ nebeneinander, und man wird e greifen, warum technische Brillanz und.ann stilistische Raffinessen nichts taugen, Wan das Ganze nicht wahr ist, und wie sehr be dererseits die künstlerische Meisterschaft % rufen und in der Lage ist, der . Wahr 11 über unser Leben, der Veränderbarkeit Menschen zum Guten Ausdruck zu geb’sts Das ist es, was dazu berechtigt, Chrin Wolf s Erzählung, dieses jüngste Kind as serer jungen sozialistischen Literatur, e- | verheißungsvoll und in.vieler Hinsicht J spielgebend zu bezeichnen. id Günter LipP° Anmerkungen: de? ’) Vgl. Prof. Dr. Rödel: Die Welt veränSod sich — der Mensch auch, UZ, Nr. 17/18 1. 5. 1963. ere 2) Dr. Streller: Richtige Maßstäbe für un5 16 sozialistische Gegenwartsliteratur, UZ NT vom 25. 4. 1963. Eine Aussprache mit Christa Wolf
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