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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 7.1963
- Erscheinungsdatum
- 1963
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-196300009
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19630000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19630000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Bemerkung
- Teilweise mit vorlagebedingtem Textverlust.
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
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- -
-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 7.1963
-
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Band 7.1963
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as 20. Jahrhundert, dae Zeitalter der imperiali stischen Kriege und der Revolution — wir wis sen: diese, unsere Zeit ist eine Zwangsstellung, wie man sich auch stel len mag, man ist ge zwungen, Stellung zu nehmen. Es gibt kein „ewoeco, rot reunit nicht in der Entschei dungsschlacht der beiden Klassen, der Bour geoisie und des Proletariats. Man kann nicht heraus aus der Haut, die die Zeit ist"» Dieser Grundgedanke Joh. R. Bechers — er stand im ersten Heft der „Linkskurve“ des Jahres 1929 — bestimmt nicht nur das Schaffen der revolutionär-proletarischen Schriftsteller in Deutschland in ihrem Kampf gegen Faschismus und Krieg, er ist auch einer der fundamentalen Leitsätze bei der Entwicklung einer sozialistischen deutschen Nationalliteratur nach 1945. Er kehrt, ausgearbeitet und vertieft, in den Dokumenten des VI. Parteitages der SED, in den Reden der Genossen Chruschtschow und Iljitschow und in den Berliner Bera tungen des ZK der SED mit Künstlern und Schriftstellern vielfach wieder. Die Beantwortung der Frage, wie sich ein Künstler zu seiner Zeit stellt, welche Po sitionen er in den Klassenkämpfen seiner Tage bezieht, wem er Freund und wem er Feind ist — das entscheidet in erster Linie nicht nur über den politischen, sondern vor allem auch über den ästhetischen Wert sei nes Werkes. „Parteilichkeit, Volkstümlich keit und künstlerische Individualität als Ausdruck der Mannigfaltigkeit unserer Kunst sind wichtige Kriterien für die künstlerische Meisterschaft“, sagte Walter Ulbricht auf dem VI .Parteitag der SED. 2 ) Gerade deshalb arbeitete der VI. Partei tag auch die besonderen Aufgaben der Literatur- und Kunstwissenschaftler her- aus, die für die künstlerische Entwicklung der sozialistischen Literatur eine große Verantwortung tragen und dieser Verant wortung nur dann gerecht werden können, wenn sie sich aktiv in den Prozeß unserer gesamten Kulturrevolution einschalten. „Vor allem geht es darum, die Entwick lung der sozialistischen Kunst in den Mit telpunkt der Kunstwissenschaft und Kunst kritik zu stellen.“ 3 ) Es versteht sich, daß in diesem Zusammenhang der Erforschung und Propagierung der sowjetischen Litera tur größte Bedeutung zukommt, besonders unter dem Aspekt, den Vorbildcharakter der Sowjetliteratur für die sozialistischen Literaturen in anderen Ländern heraus zuarbeiten. Für die Literaturwissenschaft ler der Deutschen Demokratischen Repu blik ist es eine vordringliche Aufgabe, vie len jüngeren Schriftstellern ihren eigenen Entwicklungsweg deutlicher und bewußter zu machen, indem sie sie mit den revolu tionären Traditionen der sowjetischen und der deutschen sozialistischen Literatur be kannt und vertraut machen. In einer in Westdeutschland verlegten Publikation mit dem Titel „Ansichten. Zur Literatur der Zeit“ (Verlag Ernst Rowohlt, Hamburg 1962) hat Hans Mayer zwei Aufsätze ver- öffentlicht: einen, in dem am Beispiel von Arbusow Probleme der Sowjetliteratur ab gehandelt sind, und einen zweiten über Pasternaks Roman „Doktor Schiwago". In den vergangenen Jahren veröffentlichte Hans Mayer in der DDR bereits mehrere Aufsätze zu einzelnen Fragen oder größe ren Zusammenhängen in der Entwicklung der Sowjetliteratur, darunter etwa die ge dankenreiche Studie über Wsewolod Wisch newskis „Optimistische Tragödie“ oder die ebenso interessante wenngleich in einigen Partien widersprüchliche Unter suchung ,-.Deutsche Literatur und Sowjet literatur“. 4 ) Indessen besteht zwischen den früher in der DDR publizierten Arbeiten und den zwei vor kurzem in Westdeutsch land publizierten ein so großer Unter schied, daß sich die Notwendigkeit ergibt, sich mit einigen Thesen Hans Mayers aus einanderzusetzen, die vor allen Dingen in dem Aufsatz über „Doktor Schiwago“ aus gesprochen sind und die nicht unwider sprochen bleiben können. Welche Problematik entstand, als Paster nak im Jahre 1956/57 seinen Roman publi zierte? „Doktor Schiwago“ ist ein Roman, der das Leben der russischen bürgerlichen Intelligenz darstellen soll. Die Handlung beginnt im Jahre 1903, als der Titelheld zehn Jahre alt ist, und endet mit dem Tod Schiwagos gegen Ende der zwanziger Jahre. Die Vorkriegszeit wird als Idyll ge schildert: „Gutmütige Kapitalisten geben Geld für die Revolution, sie helfen als reiche und uneigennützige Gönner armen Mädchen, die Intelligenz genießt völlige geistige Freiheit usw. Die Darstellung des. Volkes vollzieht sich indessen unter einem Aspekt, der von einem Vertreter der Intel ligenz, dem Onkel Schiwagos, so formu liert ist: „Der Herdentrieb ist eine Zu flucht für Unbegabte, ganz gleich ob es sich dabei um die Treue zu Solowjow, Kant oder Marx handelt. Die Wahrheit suchen nur die Einzelgänger, die mit allen denen brechen, die die Wahrheit nicht genügend lieben. Gibt es denn auf der Welt etwas, was der Treue wert wäre? Derartiges gibt es nur wenig.“ 5 ) Im Buch gibt es keinen Unterschied zwischen der Februar- und der Oktoberrevolution. Der Bürgerkrieg er scheint als Rechtfertigung der Weißgardi sten, die die volle Sympathie Pasternaks finden, während die Rotarmisten mit mehr tierischen als menschlichen Eigenschaften, mit Zügen von Haß und Verachtung dar gestellt sind. Keine Gestalt im Roman — auch nicht die Haltung des Autors — bildet zu dieser Darstellungsweise einen Gegen pol. Im Tod des Dr. Schiwago erhebt sich die Aussage zum Symbol des Untergangs der gesamten bürgerlichen russischen In telligenz. Insgesamt handelt es sich um einen Roman, der objektiv der Sozialisti schen Oktoberrevolution keinerlei Bedeu tung für Rußland und die Menschheit zu billigt, sondern noch im Jahre 1956 in der Revolution die Verkörperung von Unglück, Leid und Ruin des Geistesarbeiters sieht und nachträglich die größten Verbrechen rechtfertigt, die im Namen der „Ruhe“ des Spießbürgers gegen das Volk und die Sowjetmacht verübt wurden. Pasternak schickte das Manuskript seines Buches im Jahre 1956 an die Redaktion der Zeitschrift „Novyj Mir“ mit der Bitte, es zu drucken. Die Redakteure der Zeitschrift sandten Pasternak das Manuskript zurück, legten einen Brief mit einer ausführlichen kritischen Analyse bei und baten ihn, diese Kritik zu durchdenken und richtige Schluß folgerungen daraus zu ziehen. Pasternak beachtete die helfenden Hinweise aber nicht, sondern übergab die Romanvorlage ausländischen Verlegern. Innerhalb kurzer Zeit inszenierte die Reaktion mit Hilfe dieses Buches einen antisowjetischen Kulturfeldzug, der in der Literaturgeschichte kaum eine Parallele findet. Reaktionäre Kreise, besonders in Westdeutschland, erreichten sogar, daß Pa sternak der Nobelpreis für Literatur des Tahres 1958 zuerkannt wurde, während gleich zeitig der zweifellos bedeutendste sowjetische Schriftsteller, Michail Scholochow, der für den Nobelpreis vorgesehen war, abgelehnt wurde. Daraufhin veröffentlichte die Re daktion der Zeitschrift „Novyj Mir“ im Jahre 1958 den Brief, der im Jahre 1956 an Pasternak gesandt worden war. Aus der vorangestellten Erklärung wird ersichtlich, daß sich bedeutende Schriftsteller und Wissenschaftler dem Inhalt des Briefes voll anschließen und damit gleichzeitig ihrer Empörung über das Verhalten Pasternaks Ausdruck geben. Insgesamt zeichnen ver antwortlich: K. Fedin, K. Simonow, B. Lawrenjow, A. Agapow, A. Kriwitzki, A. Twardowski, J. Gerassimow, S. Golubow, A. Dementjew, B. Saks, W. Owetschkin. Sie sprachen im Namen aller sowjetischen Künstler und Wissenschaftler. Pasternak wurde auf Grund seiner Haltung, die eines sowjetischen Schriftstellers unwürdig ist, aus dem Schriftstellerverband ausge schlossen, und die Sowjetregierung, N. S. Chruschtschow persönlich, stellte es ihm anheim, die Sowjetunion zu verlassen, da er die elementarsten Begriffe von Ehre und Gewissen eines sowjetischen Staatsbürgers verletzt hatte. Die genannten sowjetischen Schriftsteller und Wissenschaftler betonten: „Das Buch Pasternaks, in dem die Okto berrevolution und das Volk, das diese Re volution durchführte, wie auch der Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion ver leumderisch geschildert werden, ist im Ausland erschienen, wurde von der bürger lichen Presse auf den Schild gehoben und von den reaktionären Kräften in der Welt in ihr Rüstungsarsenal aufgenommen.“ Die Verleihung des Nobelpreises an Pasternak „steht mit der antisowjetischen Kampagne um den Roman ,Doktor Schiwago' im Zu sammenhang und ist eine rein politische Aktion, die gegen unser Land gerichtet ist und auf die weitere Verschärfung des kalten Krieges hinzielt.“ 6 ) Selbst in der westdeutschen Presse gab es Stimmen, die bestätigen, daß nur politische Maßstäbe ausschlaggebend dafür waren, daß Paster nak den Nobelpreis erhielt. 7 ) Hans Mayer greift in die Auseinander setzung für oder gegen Pasternak 1962 ein. Welche Position bezieht er als Literatur wissenschaftler der DDR? Auf welche der beiden Fronten stellt er sich, die sich im ideologischen Kampf um das Thema Pa sternak deutlich Herausgebildet haben? Wie schätzt er die Grundkonzeption des Romans ein? Er geht ganz richtig von einer wichtigen Szene aus, die im vierten Kapitel des zwei ten Buches geschildert wird. Dr. Schiwago verrät während eines Gefechts im Bürger krieg die roten Partisanen, auf deren Seite er als Arzt Dienst tun muß, sympathisiert mit den Weißen und spielt mit dem Ge danken, zu ihnen überzulaufen. Pasternak ergreift in diesem Fall, wie aus der Detail schilderungen und dem Gesamtzusammen hang, in den die Szene gestellt ist, hervor geht, kräftiger für die Weißgardisten als für die sowjetischen Partisanen Partei. Überraschenderweise erklärt nun Hans Mayer, daß es für einen Interpreten die ser Szene „verhältnismäßig gleichgültig ist. ob einer die Handlungsweise des Doktors in jenem Augenblick seines Lebens als gegenrevolutionär oder als tiefmenschlich“ auslegt. Er geht so weit, zu behaupten, daß alle „antiöstlichen“ Kritiker das Thema des Romans ebenso wie die Redakteure von „Novyj mir“ verfehlen würden. Er er kennt nicht, daß der Autor des Romans, Pasternak, indem er die Möglichkeit offen läßt, seinen Helden scheinbar entschei dungslos zwischen den Fronten handeln zu lassen, nicht nur eine unmittelbar politi sche, sondern zugleich auch eine eminent ästhetische Entscheidung getroffen hat, welche die Grundlinie des Romans von vornherein festlegt. In dem Augenblick, in dem der Literaturkritiker „in der Ent scheidungsschlacht der beiden Klassen, der Bourgeoisie und des Proletariats“, sich da mit begnügen will, die Steilung dieses Helden in diesem Roman als gleichgültig aufzufassen, begibt er sich der Möglichkeit, die ästhetischen Qualitäten, die aus der Haltung des Romanhelden entspringen, wissenschaftlich exakt zu fixieren. Das wird zunächst sehr deutlich an der Frage des Typischen. Pasternak greift in der Gestalt des Doktor. Schiwago einen negativen gesellschaftlichen Typ aus den Kreisen der vorrevolutionären russischen Intelligenz auf und bewertet ihn ästhetisch positiv. Das führt notwendigerweise dazu, daß eine realistische Darstellung der Ent wicklung der russischen Intelligenz in den Jahren vor und nach der Großen Soziali stischen Oktoberrevolution nicht zustande kommt, daß die wirklichen Triebkräfte der Geschichte, die Bahnbrecher des Neuen, in seinem Roman entweder gar nicht oder bis zur Unkenntlichkeit verzerrt auftreten. Hans Mayer weicht auch der eindeutigen Bewertung dieses gesellschaftlichen Typs und seiner ästhetischen Darstellung im Roman Pasternaks aus. Er versucht, Schi wagos Lebensproblematik nicht als typisch, sondern als Einzelfall aufzufassen und be gründet diese Meinung so: „Die Kultur geschichte bringt immer wieder neue Bei spiele einer seltsamen Dialektik von Ein zigartigkeit und Typenmäßigkeit. . . Immer wieder erwies es sich, daß der geschicht liche Augenblick solche ausdrückliche Sin- . gularität durchaus begünstigte.“ 8 ) Als Exempel für diese „seltsame Dialektik“ führt Mayer die Namen Nietzsches, Stefan Georges und Kart Kraus’ an, ohne zu be denken, daß hier Erscheinungen, die inner halb einer antagonistischen Gesellschaft gesetzmäßig auftreten, nicht mechanisch auf eine Gesellschaft ohne antagonistische Widersprüche übertragen werden können. Deshalb geht es in diesem Zusammenhang auch nicht an, Romane und Dramen Maxim Gorkis, Alexej Tolstois und Konstantin Fe dins lediglich des gleichen oder ähnlichen Themas wegen in eine Reihe mit Paster naks Roman zu stellen, wie das Mayer tut, weil bei diesen Schriftstellern der Sowjet literatur die ästhetische Wertung verschie dener Typen der russischen Intelligenz vom Klassenstandpunkt aus prinzipiell entgegengesetzt vorgenommen wird. Man kann also überhaupt nicht davon sprechen, daß Pasternaks Roman im gan zen wie im einzelnen ein Zeugnis der Sowjetliteratur ist... Auch in der Einschätzung der Schaffens methode Pasternaks werden durch Hans Mayers Interpretation am Einzelbeispiel Fragen aufgeworfen, die allgemeinerer Natur sind: Der Literaturkritiker ergreift ostentativ dafür Partei, daß der Autor keine Partei ergreife. Mayer schreibt: „Pasternak sieht seine Gestalt zwar auf weite Strecken hin, distanziert und ver meidet triviale Identifizierungen zwischen Romanerzähler und Romangestalt, muß aber natürlich die Figur von innen her er leben, um ihre Motive und ihr Verhalten dem Leser zu berichten ... Es geht nicht um den Erzähler, sondern das Roman geschöpf“ 9 ) wird im Essay behauptet. Ob Pasternak im Einklang mit seinem Volk, seinem Staat und seiner Umwelt lebe, sei unwichtig, wichtig sei nur, daß Schiwago diesen Einklang nicht habe. Abgesehen davon, daß durch diese ab rupte Trennung zwischen der weltanschau lichen Position des Autors und seines Romanhelden der Blick darauf versperrt wird, daß Pasternak in Wirklichkeit mit dem Ensemble der Ansichten Schiwagos sein konterrevolutionäres Credo manife stiert, wird hier die prinzipielle Frage auf geworfen, welche Rolle die Weltanschau ung eines Schriftstellers überhaupt für sein ästhetisches Wollen und Vollbringen spielt. Es geht, im Gegensatz zu der oben zitierten Ansicht Hans Mayers, immer um beides zugleich; um den Erzähler sowohl wie um das Romangeschöpf, weil hier die Realismusfrage in ihrer Gesamtheit auf ".a. Der FDJ-Chor der Musikerzieher während eines Auftritts zum Universitätsball. Foto; HIFBS .Ipnupita rat tpc IIIIIIIIIIIHIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIilllllllllllllllllHIIIIIIIIIIHIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIHIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII^ Kunst ohne Parteilichkeit? Bemerkungen zu einem Aufsat über Boris Pasternaks ,Dr.Schiwago' Von Dr. habil. Walter Dietze und Wolfgang Neubert geworfen wird, denn gerade von der Tiefe, Breite und Intensität der Erkenntnis aller gesellschaftlichen Prozesse, von der rich tigen Welt-ANSCHAUUNG eines Schrift- stellers hängt seine Fähigkeit primär ab, diese Welt realistisch widerzuspiegeln. Stimmt man dieser prinzipiellen Über legung der marxistisch-leninistischen Ab bildtheorie zu, so ergibt sich daraus die Folgerung, daß Politik und Ästhetik weder innerhalb des künstlerischen Schaffens prozesses noch außerhalb desselben, etwa in der Literaturkritik, voneinander ge trennt werden dürfen. Es ist unmöglich; über das Verhältnis zwischen Pasternak und seinen sowjetischen Kritikern so zu urteilen: „Sicher gibt es hier große Diver genzen politischer Art; in der Bewertung des zaristischen Rußland, der bürgerlichen Intelligenz, der Oktoberrevolution, des Bürgerkrieges. Aber die eigentlichen Ge gensätze sind doch wohl ästhetischer Art.“ 10 ) Vielmehr entspringt die Berechti gung des kritischen Urteils der Redaktion der Zeitschrift „Novyj mir“ gerade aus der Erkenntnis des unlösbaren Zusammen hangs von Politik und Ästhetik bei der Entstehung wie bei der Bewertung eines Kunstwerkes. Die ästhetische Verkehrtheit des Romans „Doktor Schiwago“ läßt sich unmittelbar auf die politisch falschen und reaktionären Prämissen im Denken Paster naks zurückführen. Wie hier am Einzelbeispiel, so vermag eine literaturkritische Methode, die politi sche und ästhetische Fragen undialektisch voneinander trennt, auch in größeren Zu sammenhängen ihrer Aufgabe nicht gerecht zu werden, die wissenschaftliche Charak teristik gesellschaftlicher und literarischer Prozesse in der Einheit ihrer Widersprü che herauszuarbeiten. In dem Aufsatz „Die Literatur und der Alltag“ 11 ) gibt Hans Mayer immanent eine Skizze der histori schen Genesis der sowjetischen Literatur seit 1917. Er bezieht sich auf die zwanziger Jahre im jungen Sowjetstaat und schreibt: „In solchen Zeiten schien jede Arbeit im Zeichen des Ungewöhnlichen zu stehen. Die Geschichte selbst schien den Alltag ins Heroische Überhöhen zu wollen. Die Lite ratur wurde heroisch, weil es die Wirk lichkeit im Bewußtsein der Menschen gleichfalls zu sein schien.“ 12 ) In dieser Zeit entstanden nach Mayers Meinung alle gro ßen und bedeutenden Werke der sowjeti schen Literatur (Scholochows Epos vom „Stillen Don“, Poeme und Gedichte Maja kowskis, die „Optimistischen Tragödien“ Wischnewskis) — in der Folgezeit seien Leben und Literatur auseinandergefallen, seien keine großen Werke mehr entstan den, habe es kaum eine andere Wahl ge geben „als zwischen dem heroischen Kli schee, das für revolutionäre Romantik aus gegeben wird ... oder grotesker Verding lichung von Produktionsprozessen ohne Menschen .. ,“ 13 ) Hier waltet in der Ein schätzung komplizierter Entwicklungspro zesse innerhalb der Sowjetliteratur eine Vereinfachung vor. die edle gesellschaft lichen Vorgänge nach Lenins Tod ganz falsch interpretiert. N. S. Chruschtschow bemerkte auf dem Treffen führender Funktionäre der Partei und Regierung mit Literatur- und Kunstschaffenden am 8. März 1963 zu dieser Problematik: Es ist bekannt, daß es in einigen Werken Schönfärberei gab und daß sich die Partei gegen diese Erscheinung ausgesprochen hat. Es war doch aber nicht alles in jener Epoche schlecht, das Volk hat auch in die ser Periode des Aufbaus des Sozialismus Heldentum bewiesen, und deshalb darf man nicht alles schwarzmalen ... In der Tat, die Jahre des Personenkults haben schwere Folgen gehabt. Unsere Partei hat dem Volk darüber die volle Wahrheit gesagt. Gleichzeitig aber muß man sich vor Augen halten und daran denken, daß jene Jahre keine Periode der Stagnation in der Entwicklung der Sowjetgesellschaft waren, wie sich das unsere Gegner vorstellen.“ 14 ) Unsere Bemerkungen zur Arbeit Hans Mayers über den Roman von Pasternak haben wir mit voller Absicht auf drei Fra gen theoretischer Natur beschränkt: auf die Frage des Typischen, der künst lerischen Schaffensmethode und der Ein schätzung literarischer Prozesse und ihrer Etappen. Wir halten es für wünschenswert, über diese und ähnliche Probleme mit Herrn Prof. Hans Mayer selbst und ande ren Kollegen in die Diskussion zu kom men zu dem Zweck, im Streit um wichtige methodologische Grundpositionen der mar xistischen Literaturwissenschaft Einigkeit und Übereinstimmung zu erreichen. Hans Mayer bemerkt gleich zu Beginn seines Aufsatzes, daß Schiwagos Bekenntnis zur Parteilosigkeit ..gleichzeitig das geheime Gestaltungsprinzip des Pasternak-Ro mans“ 15 ) ist Wir meinen: Es ist gleichzeitig auch das offenbare Gestaltungsprinzip der Unter suchung Hans Mayers. Deshalb kommt Hans Mayer zu einigen Ergebnissen, die vom Standpunkt der marxistisch-leninisti schen Literaturwissenschaft aus prinzipiell unannehmbar sind, und die — wie wir wünschen möchten — ihn veranlassen soll ten, in der parteilichen Prüfung mancher seiner ..Ansichten zur Literatur der Zeit neue Überlegungen, eventuell auch Kor rekturen vorzunehmen. ') Joh. R. Becher: Unsere Front. In: Zur Tra: dition der sozialistischen Literatur in Deuiscn land. Berlin 1962, S. 120 2) Walter Ulbricht: Referat „Das Programm des Sozialismus und die geschichtliche Auf' gäbe der SED“, Berlin 1963. S. 216/17 3) ebenda, S. 220 4) Vergleiche eine entsprechende Einschat" zung in dem Buch von P. W. Balaschow. O. W* Jegorow und A. N Nikoljukin, Seite 76 f. 5) Brief an Boris Pasternak. In: Sowjetwissen' schäft, Kunst und Literatur. 7. Jg. Jan. 19581 Heft 1. S. 33 %) ebenda, S. 30 7) Vgl.: Hans Lipinsky-Gottersdorf: Das EpoS der Revolution. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. Köln. 4. Jg, 1959, Heft 10 S. 886 ff. 3) Hans Mayer: Ansichten. Zur Literatur der Zeit. Verlag E. Rowohlt. Hamburg, 1962, S. 21® 9) ebenda. S. 214/215 10) ebenda, S. 219 11) ebenda. S. 226—242 12) ebenda, S. 227 13) ebenda, s. 230 14) N. S. Chruschtschow: In hohem Ideen gehalt und künstlerischer Meisterschaft lies: die Kraft der sowjetischen Literatur und Kunst. In: Neues Deutschland vom 14. Mäf” 1963. S. 3 13) a. a. O. S. 208 Universitätszeitung, 16. Mai 1963, Seite 4
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