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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 8.1964
- Erscheinungsdatum
- 1964
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-196400001
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- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19640000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19640000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Bemerkung
- Teilweise mit vorlagebedingtem Textverlust.
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 8.1964
-
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- Ausgabe Nr. 42, 22. Oktober 1
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- Ausgabe Nr. 45, 12. November 1
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- Ausgabe Nr. 47/48, 26. November 1
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Band 8.1964
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fe Entwicklung des Bündnis ses zwischen Naturwissen schaftlern und marxistisch-le ninistischen Philosophen wirft immer wieder neue Fragestel lungen auf, die jeden Beteilig ten zu einer kritischen Über prüfung seiner bisherigen Po sition veranlassen sollten. Es ist verständ lich, daß gerade im Prozeß des umfassenden Aufbaus des Sozialismus in der DDR im Zusammenhang mit den po litischen, ideologischen und materiell-tech nischen Umwälzungen solche neuen Pro bleme heranreifen. Wir wollen im folgenden versuchen, einige aktuelle Pro bleme auf diesem Gebiet des geistigen Le bens aufzugreifen. Noch nie zuvor gab es so viel Begeg nungen zwischen Naturwissenschaftlern und Philosophen auf bedeutenden und kleineren Konferenzen, in Kolloquien und Aussprachen wie in den letzten Jahren. Ich möchte hier aus der langen Liste solcher Veranstaltungen nur nennen: das Leipziger Symposium „Naturwissenschaft Und Philosophie“ anläßlich der 550-Jahr- Feier, die Greifswalder Tagung ähnlichen Inhalts, die Konferenz in Berlin über „Ge setzmäßigkeit und Kausalität in Natur und Gesellschaft“, die Jenenser Konferenz über „Atheismus und moderne Naturwissen schaften“, die Festlichkeit zum 400. Ge burtstag Galileis, die Konferenz über „Produktivkraft Wissenschaft“ in Leipzig sowie die über Tradition und Fortschritt in der Naturwissenschaft. Drei Lehrstühle bzw. Abteilungen „Philosophische Pro bleme der Naturwissenschaften“ wurden in Berlin. Jena und Dresden gebildet. Führende Naturwissenschaftler traten auf diesen Konferenzen und in Veröffent lichungen vor die Öffentlichkeit und leg ten ihre Gedanken, vor allem zu solchen Problemen wie dem Verhältnis der Grund lagen- zur angewandten Wissenschaft, der Verbindung der Naturwissenschaft zur Produktion, der Möglichkeit der Planung der Wissenschaft im Sozialismus und der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit dar. Ich denke hier nur an solche Professoren wie Stubbe, Rompe, Thiessen, Steenbeck, Ardenne, Fuchs, L ö s c h e u. a. , Eine ähnliche Situation gibt es auf den speziellen Gebieten der philosophischen Fragen der Naturwissenschaft, wo eben falls viele Naturwissenschaftler, wie die Professoren Steenbeck. Schmut zer, Uhlmann, Sterba, Fuchs u. a., von ihrem Gesichtspunkt aus Stel lung nahmen. Es versteht sich, daß in diesen Diskus sionen unterschiedliche Standpunkte auf treten. Aber es ist gerade ein Kennzeichen eines fruchtbaren geistigen Lebens, daß seine Elemente, wie Meinungsstreit und Polemik, voll entfaltet werden. Dabei fällt es manchem Naturwissen schaftler noch schwer, sich entschieden einem sozialistischen Standpunkt anzunä hern. Teilweise wirken Elemente des spät bürgerlichen Denkens nach. Das schwächt jedoch keineswegs die Vertrauensbasis, sondern zeigt nur, wie kompliziert und langwierig die Gewinnung,, eines soziali stischen Standpunktes ist. In diesem Zusammenhang sind einige Bemerkungen zum Auftreten von Prof. Havemann notwendig. Dieses Auftre ten war sowohl dem Inhalt als auch der Form nach gegen die Festigung des not wendigen Bündnisses zwischen Naturwis senschaftlern und marxistischen Philoso phen gerichtet, hatte darüber hinaus — und vor allem — politischen Inhalt. Daß es in der „philosophischen Diskussion“, die Have mann hervorzurufen suchte, zuerst und überhaupt um politische Fragen ging, ist inzwischen von Havemann selbst klarge macht worden, indem er in den letzten Tagen westdeutschen Presseorganen Inter views gewährte, wo er zur Politik und zur inneren Lage in der DDR in entstel lender Weise Stellung nahm. Dadurch, daß Havemann es nicht unter seiner Würde hielt, die DDR in westdeutschen Presseorganen zu verleumden und damit den reaktionären Kräften Unterstützung zu geben, hat er die Pflichten eines Hoch schullehrers an den Universitäten der DDR gröblichst verletzt. Man muß sagen, daß für den, der sich mit den philosophischen Fragen der Natur wissenschaften beschäftigt, die philo sophische Konzeption, die Havemann ver trat, nicht neu war. Er trat schon 1956 im mSonntag“ mit revisionistischen Ansichten und Forderungen und einer Negierung der marxistisch-leninistischen Philosophie als Weltanschaulicher Konzeption der Partei auf. Aber neu ist, daß Havemann seit Ende 1962 in seiner sogenannten Leipziger Rede, später in Greifswald und in ande ren Erklärungen, vor allem aber in seiner Vorlesungsreihe „Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme“ (Herbst semester 1963/64) und dort besonders in den Vorlesungen über Freiheit und Moral, zu eindeutigen politischen Angriffen gegen die Partei und Staatsmacht übergegangen ist. Seine Differenzen zum Programm der Vollendung des Sozialismus in der DDR und zur entsprechenden Politik unserer Partei bezogen sich sowohl auf die Wirt- Schaftspolitik wie auch auf die Wissen- Schafts, und Kulturpolitik. Die Entwicklung zum Sozialismus erfor dert eine entschiedene Überwindung jedes Sektierertums, jeder Enge in den' geistigen Auseinandersetzungen und bei der Ent wicklung des schöpferischen Meinungs streites. Aber natürlich muß man bei der Beurteilung der geistigen Situation und ihrer Entwicklung von der realen Lage in Deutschland ausgehen. In dem Maße, Wie sich unsere* Politik der Durchsetzung der friedlichen Koexistenz verschiedener gesellschaftlicher Systeme durchsetzt und bei den Volksmassen Unterstützung findet, in dem Maße versuchen die politischen Gegner unserer Entwicklung in verstärk tem Maße, Einfluß auf unsere innere Ent- Wicklung zu erlangen, um die Entwicklung zum Sozialismus aufzuhalten. Bei der po litischen Reife unserer Werktätigen und der Intelligenz wird ihnen das nicht ge lingen. Die geistige Befreiung des Vol kes durch den Sozialismus führt zur Zu- rückdrängung der bürgerlichen Ideologie. Voraussetzung ist allerdings die Erkennt nis; daß es in diesem Prozeß keine Kon zessionen an die bürgerliche Ideologie, keine ideologische Koexistenz geben kann. Nach alldem ist leicht zu erkennen, daß Havemann vollkommen zu Unrecht seine Position mit der von Prof. M. Steenbeck gleichsetzt, wenn er schreibt, daß er sich als streitbarer Naturwissenschaftler in der DDR in Gesellschaft von M. Steenbeck be findet. Ich möchte im folgenden einige Betrach tungen zu dem Artikel von M. Steenbeck, der im Heft 12/1963 der Deutschen Zeit schrift für Philosophie unter dem Titel „Essay eines Naturwissenschaftlers über Philosophie und Einzelwissensdiaften“ ver öffentlicht wurde, anstellen. Es handelt sich um einen interessanten Artikel, der aus aktueller Sicht grundsätzliche Fragen aufwirft und Ansichten des Verfassers zeigt, denen man teilweise zustimmen muß, und die teils diskutabel sind. Es kann sein, daß mancher Philosoph, als er den Artikel las, etwas schockiert war, weil Steenbeck dort einige Wahrhei ten über die Philosophie sagt, die unange nehm sind. Aber wenn man den Artikel richtig liest, muß man sagen: Es kann sich nur der getroffen fühlen, der sich — wie man sagt — die Jacke anzieht. Die „unan genehmen“ Wahrheiten über die Philo sophie stimmen — nur für den dialekti schen Materialismus treffen sie nicht zu. Implicite wird das auch von Steenbeck ausgedrückt Wenn Steenbeck die Philosophie kriti siert, dann hauptsächlich in Richtung der spekulativen Philosophie (besonders in Form der Naturphilosophie) und des me chanischen Materialismus. Das ist das We sentliche, und in dieser Kritik sind wir mit Steenbeck vollkommen einig. Vor allem lehnt Steenbeck die Natur philosophie ab: „Wir sind auch jeder Art von „Naturphilosophie gegenüber miß trauisch, mag das Gedankengebäude noch so originell und imposant sein.“ (S. 1476) Das Wesen der Naturphilosophie be stand und besteht eben gerade darin, sich als „Überwissenschaft" anzusehen, die den einzelnen Wissenschaften Vorschriften über konkrete Ergebnisse und Arbeitsmethoden machen zu können glaubte. Historisch ge sehen hatte diese Naturphilosophie ihren Höhepunkt mit Schellings „Ideen zu einer Philosophie der Natur“ und „Ent wurf eines Systems der Naturphilosophie“.- Aber sie stellte schon damals einen bei nahe anachronistischen Versuch, den Pro zeß der Loslösung der exakten Naturwis senschaften von der Philosophie aufzuhal ten und die idealistische Spekulation der sachlichen naturwissenschaftlichen For schung überzuordnen, dar. Hatte doch Schelling an die Stelle der mühevollen Versuche der Naturwissenschaft, die wah ren Gesetzmäßigkeiten der Natur zu er kennen und die Erscheinungen in ihren objektiven Zusammenhang zu stellen, sym bolische Anlegungen, Analogien und phan tastische Gedanken gesetzt, die der Philo sophie allgemein den Vorwurf einbrach ten, daß sie ein Verfahren sei, willkürlich und leichtfertig mit Tatsachen umzusprin gen und, daß sie dem empirischen Ma terial gewalttätig begegne. Tatsächlich trifft dieser Vorwurf ja auch für die Methode zu. Wir stimmen Steenbeck voll zu, wenn er schreibt, daß ein noch so geistreiches Gedankengebäude seine Bedeutung unbe dingt verliert, „wenn es auch nur mit einer einzigen gesicherten Tatsache in Wi derspruch gerät (S. 1423). Die Naturwissenschaft warf die natur philosophischen Systeme einfach beiseite. Als Zeichen der bei den Naturwissenschaf ten damals vorhandenen Stimmung im Moment der Ernüchterung vom Einfluß der Naturphilosophen möge ein Ausspruch Liebigs gelten, der sagte: „... ich kann den Schreck und das Entsetzen nicht schil dern, als ich aus diesem Taumel zum Be wußtsein erwachte.“ Nun könnte man sagen: Nun gut. aber das ist doch alles schon über 100 Jahre her. Aber Steenbeck sagt zu Recht, daß so etwas immer wieder vorkommt, daß einige Philosophen so etwas möchten. Welche Philosophen möchten das auch heute noch? Ich denke z. B. an Dingler, aber auch besonders an die Philosophen des Neotho+ mismus mit dem ihm nahe verwandten sogenannten Nietzeschen Realismus, bei dem die Wissenschaft den religiösen Dog men untergeordnet wird. Daraus entsteht die feindliche Einstellung dieser Philo sophie gegenüber einer Reihe von wissen schaftlichen Gesetzen und Theorien. Selbstverständlich ist diese Art Philo sophie bodenlos und durch die Gesamt entwicklung der Einzelwissenschaften überholt. Man darf aber nicht unterschät zen, daß sie viel zur Diskreditierung der Philosophie überhaupt beigetragen hat. Wir leiden heute noch sozusagen an den Nachwirkungen. • Die Ablehnung schlägt um in ihren Ge gensatz und daher in ein neues Absurdum, wenn sie Verabsolutiert Wird. Diese Ne gation jeder Beschäftigung mit Philosophie, die im Grunde ja schon wieder ein philo sophisches Kredo ist, ist bei den Natur wissenschaftlern weit verbreitet. Steenbeck nennt diese, seine Kollegen aus dem na turwissenschaftlichen Bereich „philo sophische Selbstversorger“. Er lehnt diese Art L’art-pour-l’art-Standpunkt in der Wissenschaft ab und hält Philosophie und Philosophen als Gesprächspartner der Na turwissenschaftler für durchaus nötig. Was fordert Steenbeck von der Philo sophie und den Philosophen? Die Philosophie soll von der Anerken nung der Grundtatsache ausgehen, daß es eine reale Welt gibt, „in der es objektive Regeln für das Geschehen gibt, die von der Person des Beobachters oder des Deu ters nicht abhängen“. (S. 1472) Er fordert eine Philosophie, die das Grundaxiom der exakten Naturwissen schaft anerkennt, daß in dieser real existierenden Welt objektive Gesetze herr schen, auf deren Erkenntnis erst die sichere Wissenschaft beruht. Jede weitere Einsicht in solche objektiven Gesetzmäßig keiten stellt einen Baustein zur Erwei terung und Vertiefung des Gebäudes der Wissenschaften dar. Um diese Gesetze zu erkennen, gibt es nur einen Weg, nämlich von der Beobach tung, der Erfahrung, dem Experiment aus zugehen und die so ermittelten Tatsachen zusammenfassend-ordnend zu einer Theo rie zu gestalten. Steenbeck betont ausdrücklich, daß Wis senschaft und wissenschaftliche Erkenntnis weit mehr ist als reine Empirie, das heißt, eine Tatsache gewinnt erst wissenschaft liche Bedeutung, Tragfähigkeit, über den bloßen Fall hinaus, wenn sie in eine ob jektive Gesetzmäßigkeit sinnvoll eingebaut ist. Ist diese Forderung für die Philosophie zu akzeptieren? Ich möchte sagen ja, und dreimal ja. Es entspricht das ganz der Natur unseres wissenschaftlichen materia listischen Weltbildes. Wir fordern von der Wissenschaft reinste Sachlichkeit, die Er kenntnis der Natur, wie sie ist, ohne etwas hinzuzutun. Wir fordern die Aufdeckung des objektiven Zusammenhangs der Einzel erscheinungen der Wirklichkeit und die Abstraktion ihrer wesentlichen Seiten. Vielleicht könnte man mit Steenbeck darüber streiten, daß er — wie übrigens viele Naturwissenschaftler — in seinen Darlegungen, trotz gegenteiliger Beteue rung, etwas zum Empirismus, zur Über betonung des rein Erfahrungsmäßigen, neigt, und die Kraft des Denkens, der Ab straktion oder — wenn man so will — der Deduktion, unterschätzt. Aber das ist kein prinzipieller Unterschied in der Welt ansicht, und sicher wäre in einer ausführ lichen Diskussion dieses Problems schnell Einigung zu erzielen. In zwei Fragen, die mit dem soeben Gesagten unmittelbar in Zusammenhang stehen, möchte ich allerdings mit Steen beck polemisieren. 1. Steenbeck sagt, daß diese außerordent lich erfolgreiche Arbeitsmethodik eine naturwissenschaftliche Arbeitsmethodik, die zugegebenermaßen philosophische Ele mente enthält, ist. Das stimmt und stimmt auch nicht. Es ist dies insofern richtig, als sich die Naturwissenschaft dieser Arbeits methode bedient. Es stimmt aber nicht, daß diese Methode neben oder gegen die Philosophie entstanden wäre. Diese Methode entspricht der besten materialistischen Tradition — in der Natur wissenschaft und Philosophie. Sie wurde von den größten Köpfen der klassischen Naturwissenschaft und den seinerzeit pro gressiven bürgerlichen Materialisten im Kampf gegen die Scholastik ausgearbeitet und angewendet. Nicht nur Galilei und andere Naturwissenschaftler, sondern auch Bacon, Gobbes zählen zu ihren Vä tern. Selbstverständlich ist sie nicht nur in der modernen Naturwissenschaft in weiterentwickelter Form prinzipiell rich tig, sondern bildet auch — verbessert und verfeinert — das Fundament des modernen philosophischen Materialismus. 2. Steenbeck fordert, daß auch die Ge sellschaftswissenschaften die erfolgreiche Methode der „Großmacht“ Naturwissen schaft übernehmen sollten. Das heißt im plicite, daß die Gesellschaftswissenschaften nach seiner Auffassung noch mit zu wenig „Rohstoff“ arbeiten, zu wenig von Tat sachen ausgehen. Ich will hier nicht über die Sprachforschung, die Literaturwissen schaft, die Völkerkunde u. a. Wissenschaf ten sprechen, die Steenbeck mit zur Ge sellschaftswissenschaft zählt, sondern über die Gesellschaftswissenschaften, den Marxismus-Leninismus, in engerem Sinne. Ich meine, daß es seit Marx und En gels zu den Grundforderungen einer materialistischen Einstellung zum Leben, zur Gesellschaft, gehört, von den konkreten Tatsachen, von der realen Analyse einer Situation und ihrer Veränderung auszu gehen, Ohne das ist wissenschaftliche Ge sellschaftstheorie gar nicht möglich. Marx selbst gab das beste Beispiel da für durch seine Arbeit am „Kapital“. En gels stützte sich ebenfalls auf eine Fülle von Fakten in h^ie Lage der arbeitenden Klasse in England" oder in „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“, Lenins Werke „Die Entwick lung des Kapitalismus in Rußland“, „Die Agrarfrage in der proletarischen Revolu tion“ u. a. setzen diese Tradition fort. Auf dieser Grundlage entstehen auch die Be schlüsse der kommunistischen und Ar beiterparteien in der Welt. Dazu gehören auch jene Erkenntnisse, wie sie in den bekannten Thesen der Be ratung der kommunistischen und Arbeiter parteien niedergelegt sind, wie sie in der Auseinandersetzung mit den chinesischen Dogmatikern formuliert werden, und schließlich u. a. auch die Richtlinien des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft in der DDR. Die zweite Forderung, die Steenbeck an die Philosophie im Verhältnis zur Natur wissenschaft stellt, geht dahin, daß die Philosophie nicht unmittelbar in den Ein zelwissenschaften mitarbeitet (denn dazu sind Spezialkenntnisse notwendig, und wer die hat, ist schon Fachgelehrter), daß sie aber die einzelwissenschaftlich gewonne nen Erkenntnisse zu beurteilen vermag. „Die Philosophie kann und soll aber den Fachgelehrten auf Verbindungen und Wi dersprüche seiner Ergebnisse mit den anderen Sparten und auf deren Einbau möglichkeit und Einbauschwierigkeiten hinweisen. Sie soll die Möglichkeit der Erkenntnis, ihre Geschichte, Fortschritte und Irrtümer zeigen, ihre Dynamik und die Einsicht in die jeweiligen Grenzen vertiefen...“ (S. 1486). Dieses lebendige Wechselverhältnis zwischen Philosphie und Einzelwissenschaft begründet der dialektische Materialismus tiefgehend und grundlegend. Wir haben einen zweiseitigen Zusammenhang vor uns: Einmal stützt sich die marxistische Philosophie auf die Ergebnisse der Einzelwissenschaften, aber zum anderen hat sie auch eine bedeu tende Rückwirkung auf die Einzelwissen schaften. Die philosophische Verarbeitung der einzelwissenschaftlichen Ergebnisse ist aber nicht bloß eine Summierung, son dern eine Verallgemeinerung des letzte ren, die aus der Philosophie eine beson dere, selbständige theoretische Wissen schaft macht, der eine heuristische Rolle gegenüber den Einzelwissenschaften zu kommt. Beide Wissenschaftssphären för dern sich also gegenseitig. Wie soll die wechselseitige Entwicklung sowohl der Einzelwissenschaft als auch der Philosophie in der Praxis sich vollziehen? Es wird nur in schöpferischer Zusam menarbeit von marxistischer Philosophie und Natur- bzw. Einzelwissenschaften möglich sein. Sicher sind die Versuche na turwissenschaftlicher Denker, sich zu phi losophischen Fragen zu äußern, hoch ein zuschätzen, sie zeigen, wie notwendig der Schritt zur philosophischen Verallgemei nerung ist, aber das wird ebensowenig ausreichen, wie Versuche der Philoso phen, allein die Probleme, ohne Kritik der naturwissenschaftlichen Seite zu lösen. Nur als Diskussionspartner können beide Seiten Denkanregungen austauschen und Ergebnisse erzielen. Auf alle Fälle hat der Philosoph nicht die Funktion des Rich ters über eine einzelwissenschaftliche Er kenntnis. Eine gesicherte naturwissen schaftliche Erkenntnis ist zu akzeptieren und zum Ausgangspunkt weltanschaulicher und methodologischer Überlegungen zu machen. Beide Seiten müssen sich Grund kenntnisse vom anderen Wissenschafts gebiet aneignen. Die dritte Forderung an die Philosophie lautet, daß sie die Dynamik im Wachsen unseres Wissens nicht nur zuläßt und dul det, auch wenn so etwas unbequem ist, sondern fördert und ermutigt, gerade wenn es ganz Neues und Unerwartetes bringt. Der größte Vorzug der marxistischen Erkenntnistheorie ist es aber gerade, daß sie die Unbegrenztheit unserer Erkennt nisfähigkeit wissenschaftlich begründet, gegen jeden Dogmatismus und Agnostizis mus. Sie gibt dem Einzelwissenschaftler Optimismus und das Gefühl der unbe grenzten Macht des menschlichen Den kens, trotz aller momentanen Schwierig keiten, die oft Schwankungen und Zwei fel bei Wissenschaftlern im täglichen Ge triebe hervorrufen. Natürlich muß demzufolge auch die marxistische Philosophie als Ganzes Raum haben für ihre eigene Weiterentwicklung. Ihrem kritischen, revolutionären, dialek tischen Wesen entspricht es, daß ihre Ur teile nicht den Charakter von Vorurteilen annehmen können. Wie wir sehen, stimmen die Grundfor derungen, die Steenbeck als Naturwissen schaftler an die Philosophie stellt, voll kommen mit dem Standpunkt des dialek tischen Materialismus überein. Es gibt keine Philosophie, die man so voll inne rer Überzeugung akzeptieren könnte, wie den dialektischen Materialismus. Sind wir etwa zufrieden, wenn „mar xistische Arbeiten" entstehen, wo der Ver fasser versucht, irgendwie der Natur Vorschriften machen zu wollen, wie sie sich zu verhalten hat? Wenn alte richtige Einsichten auf neue Verhältnisse oder Er kenntnisse oktroyiert werden? Wenn aus wirklichen Vorgängen, Zuständen u. a. nur das ausgewählt wird, was uns paßt und Widersprechendes beiseite gelassen wird? Wenn objektive gesellschaftliche Vorgänge ungenügend konkret untersucht und durch Allgemeinheiten und Meditation ersetzt werden? Ich bin sicher, daß wir darüber alle einig sind, daß dies unmarxistisches Herangehen ist. Daß solche Fragen aber von Naturwis senschaftlern und nicht nur von Steenbeck aufgeworfen werden, zeigt, daß wir Philo sophen die Interessen und Bedürfnisse der Naturwissenschaftler bei der Klärung ihrer philosophischen und gesellschaftlichen Pro bleme noch nicht im erforderlichen Maße und auf dem entsprechenden Niveau be friedigen. Die „Sünden“ der Philosophen lassen sich in drei Gesichtspünkten zusammenfassen (ohne damit die Fortschritte und Lösungen zu ignorieren): 1. Es gab teilweise ein vulgäres und nihilistisches Herangehen an neue und neueste naturwissenschaftliche Entdeckun gen. 2. Naturwissenschaftliche Ergebnisse wurden ungenügend dialektisch-materiali stisch interpretiert. 3. Bei der Kritik des Idealismus wurden positive philosophische Elemente bei gro ßen Naturwissenschaftlern nicht beachtet und eine undifferenzierte Einschätzung ge geben. Born ist eben ganz anders als z. B. Jordan einzuschätzen — um nur zwei Extreme zu nennen. Viele falsche, die philosophische Entwicklung dieser Persön lichkeit nicht achtende Urteile wurden über Heisenberg abgegeben. Ich habe z. B. gestern einen Vortrag Heisenbergs vor dem „Orden Pour le mrite für Wis senschaften und Künste“ gelesen, den er unter dem Titel „Die Abstraktion in der modernen NaturwissensSiaft“ gehalten hat. Die Übereinstimmung mit unseren Auffas sungen geht so weit, daß man fast geneigt ist, bei Heisenberg Abbitte zu tun für viele frühere kritische Auseinandersetzungen. Natürlich übertreibe ich etwas, denn — Heisenberg hat sich eben gewandelt und wenn Studenten frühere philosophische Werke Heisenbergs kritiklos lesen, sind die neuen Schriften, zu denen cs sicher auch noch etwas zu sagen gibt, keine Begrün dung dafür. Ich möchte aber noch etwas sagen, was damit im Zusammenhang steht. Ich ver stehe nicht recht, wenn Steenbeck und an dere Naturwissenschaftler einen Gegensatz zwischen wissenschaftlicher Beweiskraft in der Naturwissenschaft und Philosophie sehen, weil die Philosophie im Gegensatz zur Sachlichkeit der Naturwissenschaft sich mehr oder weniger oft auf die Großen ihrer Wissenschaft berufe. Ich kann da keinen wesentlichen Unter schied sehen. Beruft sich die Naturwissen schaft nicht ebenso oft auf ihre Großen, auf z. B. Newton. Einstein u. a.? Sicher kann man mit Autoritäten Schind luder treiben, mit Heisenberg ebenso wie mit Marx. Die bürgerliche Naturphiloso phie und etwa der Sozialdemokratismus sind der beste Beweis dafür. Ich meine, wenn wir uns auf die Großen unserer Wis senschaft berufen, tun wir dasselbe wie die Naturwissenschaftler, wenn sie auf ihre Großen stolz sind. Wir berufen uns nicht auf die Person, sondern auf die von ihr gefundene Wahrheit, die jederzeit prüf bar ist (Naturwissenschaft = Experiment, Gesellschaftswissenschaft = gesellschaft liche Praxis). Und man kann sagen, genau so wie die Größe von Newton die Natur wissenschaft nicht enthebt, ständig zu prü fen, ob seine Thesen auch unseren neuen Erkenntnissen noch entsprechen (tatsäch lich wurden sie ja schon als begrenzt gül tig erkannt), genauso enthebt uns die Größe von Marx nicht, ständig bemüht zu sein, tiefer in die gesellschaftlichen Ent wicklungsgesetze einzudringen und neue Bedingungen wissenschaftlich zu verallge meinern (was z. B. Lenin mit der Entdek- kung der Gesetzmäßigkeiten des Imperia lismus getan hat). Aber ebenso wie die Newtonsche Mecha nik gesicherte Ergebnisse enthält, enthält natürlich auch der Marxismus z. B. ge sicherte Erkenntnisse, die fundamentaler Natur sind und sich nicht überleben. Ich weiß, daß damit der Gedankenreichtum des umfassenden Artikels von Steenbeck noch keineswegs erschöpfend aufgegriffen ist. Ich habe mir aber nicht zum Ziel gestellt, eine allseitige Beurteilung des Artikels zu geben. Ich wollte ihn hervorheben und werten als einen maßgeblichen Beitrag eines un serer führenden Naturwissenschaftler zum aktuellen Gespräch über das Verhältnis von Naturwissenschaften und marxistischer Philosophie. UZ 12/13 (64), Seite 7 Probleme des Bündnisses zwischen Naturwissenschaftlern und Philosophen Von Dr. Lothar Striebing
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