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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 8.1964
- Erscheinungsdatum
- 1964
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-196400001
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19640000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19640000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Bemerkung
- Teilweise mit vorlagebedingtem Textverlust.
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 8.1964
-
- Ausgabe Nr. 1/2, 9. Januar 1
- Ausgabe Nr. 3, 16. Januar 1
- Ausgabe Nr. 4, 23. Januar 1
- Ausgabe Nr. 5, 30. Januar 1
- Ausgabe Nr. 6, 6. Februar 1
- Ausgabe Nr. 7, 13. Februar 1
- Ausgabe Nr. 8, 20. Februar 1
- Ausgabe Nr. 9, 27. Februar 1
- Ausgabe Nr. 10, 5. März 1
- Ausgabe Nr. 11, 12. März 1
- Ausgabe Nr. 12/13, 19. März 1
- Ausgabe Nr. 14, 2. April 1
- Ausgabe Nr. 15, 9. April 1
- Ausgabe Nr. 16, 16. April 1
- Ausgabe Nr. 17, 23. April 1
- Ausgabe Nr. 18, 30. April 1
- Ausgabe Nr. 19, 14. Mai 1
- Ausgabe Nr. 20, 21. Mai 1
- Ausgabe Nr. 21, 28. Mai 1
- Ausgabe Nr. 22, 4. Juni 1
- Ausgabe Nr. 23, 11. Juni 1
- Ausgabe Nr. 24, 18. Juni 1
- Ausgabe Nr. 25, 25. Juni 1
- Ausgabe Nr. 26, 2. Juli 1
- Ausgabe Nr. 27, 9. Juli 1
- Ausgabe Nr. 28, 16. Juli 1
- Ausgabe Nr. 29, 23. Juli 1
- Ausgabe Nr. 30, 30. Juli 1
- Ausgabe Nr. 31, 6. August 1
- Ausgabe Nr. 33, 13. August 1
- Ausgabe Nr. 33, 20. August 1
- Ausgabe Nr. 34, 3. September 1
- Ausgabe Nr. 35-38, 24. September 1
- Ausgabe Nr. 39, 2. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 40, 8. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 41, 15. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 42, 22. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 43, 29. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 44, 5. November 1
- Ausgabe Nr. 45, 12. November 1
- Ausgabe Nr. 46, 19. November 1
- Ausgabe Nr. 47/48, 26. November 1
- Ausgabe Nr. 49, 3. Dezember 1
- Ausgabe Nr. 50/51, 10. Dezember 1
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Band
Band 8.1964
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DR. KLAUS SCHUHMANN: Dramatik aus dem Äther Wer Heute Auskunft über Gestalten und Probleme der sozialistischen Gegenwarts literatur geben will, kommt nicht umhin, das Hörspielschaffen der letzten Jahre zu überschauen und sich mit der Arbeit eini ger junger Autoren vertraut zu machen, die vorwiegend auf dem Gebiete der Funk dramatik die Gestaltung der Zeitprobleme versuchen. Unter den Namen der Hörspiel autoren tauchen immer wieder zwei aus dem Kreis jüngerer Schriftsteller auf: Manfred Bieler und Rolf Schneider. Sie repräsentieren zusammen mit einigen namhaften Vertretern der mittleren Gene ration, wie Günter Rücker, Bernhard See ger und Gerhard Rentzsch, das sozialisti sche Hörspiel. Ein Blick in die bisher erschienenen drei Hörspielbücher bestätigt, daß sich die Hör spielautoren in der Mehrzahl den Pro blemen der Gegenwart zugewandt und Texte vorgelegt haben, die sich mit den Leistungen der Romanschriftsteller, Dra matiker und Lyriker durchaus messen können. Nicht selten ist es so, daß es den Hörspielautoren früher und auch künstle risch überzeugender als anderen Schrift stellern gelingt, den Widersprüchen und Konflikten unserer Tage auf die Spur zu kommen. Dieses Faktum kann freilich nicht allein aus der Spezifik des Hörspielgenres erklärt werden, denn Bernhard Seeger oder Man fred Bieler müssen sich in ihren Hör spielen „Rauhreif“ und „Nachtwache“ ebenso mit der Wirklichkeit auseinander setzen, ihre Stoffe auf Gestaltbarkeit prü fen und schließlich Fabel, Figuren und Konflikte künstlerisch meistern, wie das für alle anderen Schriftsteller auch zu trifft. Überschaut man jedoch das Reper toire der Gegenwartsstücke an den Thea tern und vergleicht sie mit dem Hörspiel programm der letzten Jahre, dann wird offensichtlich, daß die Hörspielproduktion zum eigentlichen Zentrum unserer Dra matik geworden ist. Das gilt für die Aktualität und Bedeutsamkeit der Thematik ebenso wie für den Grad der literarischen Bewältigung. Ebenso er staunlich ist, daß ein großer Teil der Hör spielmanuskripte später zum Fernsehfunk wanderte oder als Bühnenaufführung be arbeitet wurde, um Stücke zu ersetzen, die wir auf unseren Bühnen vermissen. Die Hinwendung zum Hörspiel und die Bevorzugung dieses Genres im Bereich der dramatischen Literatur verdient die Auf merksamkeit der Literaturkritiker und -Wissenschaftler, weil sich in diesen Er scheinungen Entwicklungstendenzen und ästhetische Fragestellungen abzeichnen, die bislang wenig beachtet und erforscht wur den. Abgesehen von den persönlichen und literarischen Beweggründen einzelner Autoren muß gefragt werden, ob es sich dabei um ästhetische Vorgänge handelt, die aus den gesellschaftlichen Verände rungen und aus der geistigen Struktur der Übergangsperiode erklärt werden können. Zugleich scheint es notwendiger denn je geworden zu sein, die Gattungsmerkmale des Fernseh- und des Hörspiels wissen schaftlich zu definieren und abzugrenzen, das würde nicht nur vor Feldgriffen bei der Umarbeitung von Hörspielen bewah ren, sondern die Eigenwertigkeit und Spezifik der Kunstgattungen, ihre Lebens fähigkeit und ihren ästhetischen Wert sichern helfen. Die im vorigen Jahr veranstalteten $ Wochen des Gegenwartshörspiels“ unter strichen noch einmal, wie nützlich und not wendig ein Gespräch über all diese Pro bleme ist. Unser Anliegen kann es zu nächst nur sein, einige der jüngsten Hör spiele vorzustellen und auf einige Pro bleme der künstlerischen Arbeit aufmerk sam zu machen. Unter den Hörspielen, die im Oktober gesendet wurden, verdienen zweifellos Rolf Schneiders „Ankläger“, Bernhard Seegers „Fünfzig Nelken“, Gerhard Rentzschs „Ge schichte eines Mantels“ und Manfred Bie lers „Das Hemd und der Rock“ die meiste Aufmerksamkeit. Seeger und Bieler entdeckten ihren Stoff in der unmittelbaren Gegenwart, beide interessierten sich wie in ihren voran gegangenen Hörspielen für menschliche Konflikte im Alltag der Republik. Seeger wählt eine kritische Situation im Leben des Parteiarbeiters Willi Prange, Bieler verfolgt den Weg eines Rückkehrers und sein Bemühen, ein neues Zuhause zu fin den. Rolf Schneider griff die Vorgänge um Rolf Hochhuths Drama „Der Stellvertre ter“ auf und setzte ebenso wie Bieler und Seeger die thematische Linie seiner bis herigen Hörspiele fort. Gerhard Rentzsch siedelte die Handlung seines Hörspiels im Jahre 1947 an und schrieb dennoch ein ganz und gar zeitnahes Hörspiel über die Entstehung neuer Denk- und Verhaltens weise im Zusammenleben der Menschen. Bernhard Seegers Hörspiel „Fünfzig Nelken“ beeindruckt durch seine Problem stellung und fordert zugleich zum Wider spruch heraus, weil sie der Autor nicht zu bewältigen vermag. Das ist zu einem guten Teil schon durch die Anlage des Konflikts bedingt. Seeger stellt zwei Ge nossen und ihre Familien in den Mittel punkt seiner Geschichte. Die beiden Partei arbeiter unterscheiden sich nicht nur alters mäßig, sie sind vor allem recht unter schiedlicher Meinung über den Sinn ihrer Arbeit. Willi Prange, der Sekretär für Landwirtschaft, hat in Jahrzehnten des Kampfes (im Zuchthaus, an der Front und dann beim Neuaufbau) gelernt, hohe An forderungen an sich zu stellen, selbstlos zu sein und seine persönlichen Interessen ganz der Sache unterzuordnen. Das stellt ihn von Anfang gegen den fünfzehn Jahre jüngeren Kreissekretär Herbert Rutsch, den ganz andere Erlebnisse und Erfahrun gen zur Partei führten, und zu einem Teil sein Versagen erklären. Zugleich verfolgt der Hörer, wie sich Schritt für Schritt die Brüchigkeit der Prangeschen Ehe erweist. Aber diese einander verschränkten Vor gänge entgleiten Seeger. Das Versagen des jüngeren Genossen ist nicht — wie es an gemessen wäre — die Folge seiner Lebens führung in der privaten Sphäre, sondern wird aus seinen Fehlern in der politischen Arbeit (Gründung einer Groß-LPG) er klärt. Für den Hörer wird der Zusammen hang zwischen der am Beginn des Hör spiels angelegten Problematik in der Ehe von Herbert und Gerti Rutsch mit der Ab setzung Rutschs als Kreissekretär nicht deutlich, weil der Autor die Gestaltung schuldig bleibt. Seeger muß eine Partei brigade bemühen, die dem Kreissekretär seine politischen Abenteuer nachweist, er muß eine Gestalt schaffen (Usch Rieck), die gegen Rutsch argumentieren kann und seine Irrtümer glaubwürdig macht. Wenn Prange und Rutsch in ihrem Gespräch am Schluß des Hörspiels zum Ausgangspunkt der Handlung zurückfinden und der Ältere dem Jüngeren noch einmal rät, Ordnung in seiner Familie zu schaffen, bestätigt Seeger dann selbst, daß die wirtschafts politische Fehlentscheidung Rutschs moti vieren soll, was er als inneren Prozeß künstlerisch nicht bewältigte. Welche Möglichkeiten der Konfliktgestal tung gewählt werden konnten, um die eben beschriebene Problematik glaubwür dig zu gestalten, demonstriert Bernhard Seeger mit der Prangeschen Familien problematik. Ebenso wie der auf persönliche Vorteile bedachte Rutsch als Parteiarbeiter schei tern mußte, bleiben dem zu jedem Opfer bereiten Willi Prange Enttäuschungen und Niederlagen nicht erspart. In diesem Sinne gehören Prange und Rutsch als zwei Er scheinungsformen einer Problematik zu sammen. Prange lebt — im Gegensatz zu Rutsch — geradezu besessen für seinen Be ruf und vergißt dabei seine Verpflichtun gen als Vater und Ehemann. Seine gewiß nicht kleinbürgerliche Frau wünscht, ihr Mann hätte „wenigstens“ ein bißchen von Rutsch. Ihre Wünsche sind recht gut zu verstehen. Sie möchte, daß sie für die opferreichen Jahre in ihrer Ehe durch die Fürsorge des Mannes im Kreis der Fa milie ein wenig entschädigt wird. Diese Fürsorge vermißt Pranges Frau vor allem bei der Erziehung ihres Sohnes, der die Oberschule besucht und ebenso wie andere Jugendliche vor Probleme gestellt wird, die ohne die Bereitschaft und Aufgeschlos senheit der Eltern schwer zu lösen sind. Der Vater bleibt seinem Kind die Ant wort auf viele Fragen schuldig, seine Er ziehung führt schließlich immer mehr zur Entfremdung beider. Es zeigt sich, daß der erfahrene und im Umgang mit Menschen gewandte Parteifunktionär seinem eigenen Sohn wenig zu sagen hat. Der Sohn ist der Erzählungen aus der schweren Jugendzeit des Vaters im Kapitalismus überdrüssig. Prange dagegen begreift nicht, daß den Sohn andere Fragen bewegen, und seine Erziehungsmethoden versagen. Die Wün sche des Vaters, der im Sohn seine „Traumjahre“ erkennen möchte, und die Ideale des Sohnes lassen sich nicht über einbringen. Willi Pranges beispielhafte Einsatzbereitschaft als Parteisekretär löst noch nicht die Widersprüche, die ein Sieb zehnjähriger in seiner geistigen Entwick lung durchstehen muß. Was dem Vater selbstverständlich erscheint, begreift der Sohn erst allmählich. Dem Vater fehlt die Geduld, seine in jahrelangem Kampf ge wonnenen Erfahrungen so zu vermitteln, daß sie dem Sohn helfen, die sozialistische Wirklichkeit zu verstehen. Was Prange im Gespräch mit Stefan zu antworten weiß, ist nicht angetan, das Vertrauen des Soh nes zu gewinnen. Bernhard Seeger schachtelt innerhalb des Familienkonflikts mehrere Probleme ineinander. Das erschwert auch hier eine echte Bewältigung. Das Hörspiel büßt an Wirkung und künstlerischer Geschlossen heit ein, weil der Autor die angelegten Konflikte nicht austragen läßt oder aber Konfliktsituationen schafft, die nicht vor bereitet wurden und deshalb wenig glaub würdig sind. Nicht genug, daß Prange und seine Frau über den Sinn ihrer Arbeit und den Anspruch auf persönliches Glück in Streit geraten, der Vater-Sohn-Konflikt nimmt solche Ausmaße an, daß Prange in ein familiäres Dilemma gerät, das sich wenig von dem des Kreissekretärs Rutsch unterscheidet. Der Dialog, den das Ehe paar Prange nach der Absetzung Rutschs führt, deutet auf eine schwere Vertrauens krise. Der Sekretär für Landwirtschaft wird von seiner Frau verdächtigt, Rutschs Absetzung manipuliert zu haben. Dieser Verdacht läßt auf Mißtrauen und Vorbe halte Lena Pranges schließen, die weit über das hinausgehen, was Seeger tatsäch lich angelegt hat. Der offene Schluß enthob ihn der Sorge, eine Lösung anbieten zu müssen. Prange ist in einen anderen Kreis versetzt worden und auf diese Weise vor erst einmal aus seiner Familienproble matik entrückt. Daß ihm diese Wendung seines familiären Geschicks gelegen kommt, wünscht in diesem Falle wohl nie mand mehr als der Autor selbst. Sicher ist es nur ein Zufall, daß Man fred Bieler in seinem Hörspiel „Das Hemd und der Rock“ ähnliche Konflikte auszu tragen sucht wie Bernhard Seeger. Bei einem Vergleich beider Texte wünscht man im geheimen, Seegers Prange ver stünde mit seiner Frau ebenso zu spre chen, wie Bielers Herbert Jantz mit Helga Bugenhagen. Auch diese beiden Gestalten Bielers fragen nach den Glücksmöglich keiten in der sozialistischen Gesellschaft und suchen die Erfüllung ihrer Wünsche im Zusammenleben als Familie. Helga Bugenhagen glaubt sich um diese Erfül lung betrogen. Nachdem sie von ihrem Mann verlassen worden war, fand sie mit Jantz zusammen, der auf die Baustelle in Hohenfurth gekommen war, um seine Be währungsprobe als Genosse zu bestehen. Den Genossen bleibt der Brigadier Jantz diesen Beweis nicht schuldig, um so mehr aber der Frau. Helga wünscht, daß neben der Arbeit noch Zeit für das private Glück zwischen Mann und Frau bleiben müsse. Sie wirft Jantz vor: „Du sagst nur: arbei ten. Früh auf stehen. Schicht. Norm, Die erste Zeit dachte ich, du machst es nur deswegen, weil sie dich abgesetzt haben, weil du wieder hoch möchtest. Inzwischen weiß ich: Das ist dir alles in Fleisch und Blut übergegangen. Aber das ist doch kein Ersatz!“ Darauf läßt Bieler eine Antwort folgen, die — wie in anderen Hörspielen auch — dem Hörer als eine echte Poetisie- rung des Alltags stets in Erinnerung blei ben wird, weil Bieler damit erfaßt, was unsere Arbeit zu einem Akt der mensch lichen Befreiung werden läßt. Jantz ist sich dieser Verwandlung des Menschen gewiß. Er sagt zu Helga: „Vielleicht willst du in zwei Jahren studieren. Es kommt auch auf dich zu. Auf jeden von uns kommt das zu. Es ist unausweichlich, weil wir es selber sind, die auf sich zukommen. Das ist das, was wir den anderen, denen da, voraushaben. Daß wir durch unsere Arbeit auf uns sel ber zugehen, daß wir erst wissen, wer wir sind, durch unsere Arbeit.“ Das Leben Helgas, sie hat eine Schule besucht und ist Kindergärtnerin gewor den, bestätigt Herbert Jantz. Und dennoch gerät die junge Frau in Konflikt, als eines Tages ihr Mann aus Westdeutschland zu- zückkehrt, um das gemeinsame Leben dort fortzusetzen, wo es vor fünf Jahren mehr oder weniger unüberlegt abgebrochen wor den ist. Aber das ist nicht möglich: Ein anderer Mann ist an seine Stelle getreten, und auch Helga ist nicht mehr die von früher. Der Weg nach Hause wird für Rudi Bugenhagen nicht leicht. Bugen hagens Rückkehr und seine Beweggründe, die in den sozialistischen Teil Deutsch lands führen, will Bieler verständlich machen. Das vermag er nur zum Teil, weil das Geschehen im Hörspiel ganz auf die Entscheidung Helgas zugeschnitten ist, die zwischen Bugenhagen und Jantz wählen muß. So entsteht eine merkwürdige Dia lektik: Bugenhagen läßt die Vergangen heit hinter sich, Helga dagegen wird der Gefahr ausgesetzt, rückfällig zu werden. Als ihr Jantz davon berichtet, daß die karg bemessene Zeit ihrer Gemeinsamkeit nun auf das Wochenende zusammenge schmolzen wird, weil er sich für die Ar beit auf einer neuen Baustelle außerhalb Hohenfurths gemeldet hat, begehrt Helga auf. Zugleich wirbt der zurückgekehrte Bugenhagen um sie und verspricht all das, was in ihrem bisherigen Leben zur Sel tenheit geworden. In ihren Gesprächen wird das Liebesglück ihrer Jugend be schworen und allmählich zeigt sich, daß sich Helga auch während ihres Zusam menlebens mit Jantz nicht von Bugen hagen gelöst hat. Aber auch Jantz’ Liebe zu Helga erscheint fragwürdig: er hat jahrelang bei Helga gelebt, ohne auf die Scheidung der Bugenhagenschen Ehe zu dringen. Der Verdacht, er habe bei Helga vor allem gut gelebt und mit ihrer Hilfe die Jahre der Bewährung bestanden, läßt sich nicht abweisen. Erst als ihn Bugen hagen Helga streitig machen will, handelt er und fordert von Helga, die Ehe mit Bugenhagen zu lösen. Er sorgt dafür, daß der Rückkehrer eine Arbeitsstelle in der Stadt erhält, wo auch er und Helga leben. Dieses Verhalten gegenüber Bugenhagen stößt auf den Widerspruch der Frau. Jede ihrer Begegnungen mit Bugenhagen läßt ihre Angst und Unsicherheit wachsen. Ihre Versuche, sich von ihrem ersten Mann zu lösen, enden mit immer neuen Verstrik- kungen im Netz ihrer gemeinsamen Er innerungen. Als sie sich schließlich für Jantz entscheidet, steht sie dennoch inner lich Bugenhagen wieder so nahe, daß es ihr unendlich schwer wird, den Schei dungsantrag zu stellen. Als sie Bugen hagen dies als ihr letztes Wort mitteilt, stellt sich heraus, daß er den Kampf um Helga aufgegeben hat und in die Schei dung einwilligt. Diese Schlußgeste Rudis kommt überraschend, es bleibt offen, was ihn zu diesem Schritt bewog, was auf ein mal alles „so klar“ erscheinen läßt, daß er begreift: der Weg nach Hause beginnt erst für ihn. Die „Geschichte eines Mantels“ von Ger hard Rentzsch unterscheidet sich sowohl in der Problemstellung als auch in der Anlage von den Hörspielen Bielers und Seegers. Ein Sprecher führt den Hörer Schritt für Schritt den Weg, den der Elek triker Herbert Krämer zurücklegen muß, bis er einen neuen Mantel an seinem Rad aufziehen und wieder zur Arbeit fahren kann. Krämers Bemühung um den Fahr radmantel wird nicht zur Staatsaktion. Im Gegenteil: Rentzsch nimmt ein in der da maligen Zeit (1947) alltägliches Ereignis, um daran große Veränderungen im Den ken der Menschen sinnfällig zu machen. Das gelingt ihm erstaunlich gut, wenn auch in einer Form des Hörspiels, die der Erzählung sehr nahe kommt. Gerade diese Darstellungsweise ermöglichte es dem Autor, nicht nur seine Hauptgestalt im Blick zu behalten, sondern zugleich eine Anzahl anderer Menschen und deren Schicksale in sein Zeitbild einzuordnen: Frau Karas, die noch immer auf ihren vermißten Sohn wartet und sein Fahrrad hütet, als kehre er schon am nächsten Tag zurück, den protzigen Großbauer Wittkowski, den BGL-Vorsitzenden Lorenz und den Fahrradhändler auf dem Schwarz markt. Rentzsch erzählt nicht nur die Geschichte des Mantels, er schreibt zu gleich auch die Geschichte der moralischen und politischen Selbstverständigung eines Menschen. Als der Elektriker Krämer ein sehen muß. daß die alte Karas nicht zu bewegen ist, das Fahrrad, mit dem keiner mehr fahren wird, herauszugeben, bleibt nur noch ein Versuch bei Wittkowski. Krä mer kostet es Überwindung, 'beim Groß bauern anzufragen, denn er weiß, wie dessen Warenlager entstand. Der Hunger trieb ihm die Menschen zu, und er machte sein Geschäft mit ihnen: Industriegüter für Materialien. Auf diesem Wege ist Witt kowski auch in den Besitz der Fahrrad bereifungen gekommen, die Krämer weder im Handel noch bei der Gewerkschaft be kommen kann. Wittkowski aber kann noch mehr bieten: Arbeit für Krämer, seinen Sohn, mehr Lohn als der Tagebau und tausend andere Dinge, die das Leben leich ter und bequemer machen. Wittkowskis Angebot ist von politischer Tragweite: Erst besser leben, dann besser Arbeiten. Krä mer weiß, daß er „gekauft“ werden soll. Das wird ihm vollends zur Gewißheit, nachdem er sich überzeugt hat, daß der Oberschulbesuch seines Sohnes Heiner weitaus mehr Garantien für ein besseres Leben bietet als die Lohnarbeit bei Witt kowski. Krämer schlägt den leichteren Weg aus, er schickt dem Großbauern den Fahrradmantel zurück, weil er ehrlich arbeiten will. Der Verzicht auf den „ge schenkten“ Mantel des Großbauern be deutet aber: mehrere Stunden Fußweg zur Arbeitsstelle. Nun bleibt nur noch, das Glück auf dem Schwarzmarkt zu versuchen. Krämer fährt in die Stadt und gerät an einen Geschäfte macher, der ebenso wie Wittkowski die wirtschaftliche Notlage im Lande dazu be nutzt, um sich zu bereichern. Die Preise besagen es. Krämer muß 75 DM bezahlen, ein teures Lehrgeld für eine Handlung, mit der man sich selbst geschadet hat. Die Volkspolizei stellt den Fahrradhändler ge rade in dem Augenblick, als Krämer den Fahrradmantel gekauft und unter seiner Kleidung versteckt hat. Nun erfährt er, was er besser weiß als die beiden Kon trolleure: Unsere Arbeiter draußen, die brau chen Bereifung noch viel dringender. Da haben manche fünf und zehn Kilometer bis zur Arbeit. Sie nehmen doch nicht an, wir sehen zu, wie die Kumpels auf den letzten Latschen fahren, und hier vergol den sich ein paar Schieber die Nase? Also seien Sie vernünftig, machen Sie keinen Spektakel und verschwinden Sie!“ Am Ende der Geschichte ist Krämer nicht nur im Besitz seiner Fahrradberei fung, er ist auch klüger geworden. Rentzschs Epilog macht das besonders sinnfällig. Als Krämer und sein Kollege auf ihren Fahrrädern dem Jungen begeg nen, den sie bereits seit jenem Tag kennen, als Krämers Mantel zerriß, stehen sie sich gleichsam selbst gegenüber. Damals rie ten sie dem erfolglos von Wittkowskis Feldern kommenden Jungen, sich auf andere Weise Kartoffeln zu „organisieren“. Der pralle Rucksack des kleinen „Diebes“ erübrigt jede Frage. Die Taschen der bei den Arbeiter, in denen sie sonst jeden Tag acht Briketts nach Hause fuhren, sind leer. „Die Taschen auf den Gepäckträgern, sonst kantig wie kleine Koffer und zum Bersten voll, sehen jetzt aus wie Walzen, sie hatten sie um die leeren Thermosfla schen gewickelt.“ Die Wochen des Gegenwartshörspiels be stärkten erneut in der Gewißheit, daß das Hörspiel nach wie vor über vielfältige Möglichkeiten gebietet, die neue Wirklich keit künstlerisch zu formen und unserer Literatur zu hohem Ansehen verhelfen kann. Darum verdient auch das Hörspiel schaffen die ganze Aufmerksamkeit der Literaturkritik und es ist an der Zeit, das bisher Geleistete zu überschauen, zu ver gleichen und neue Maßstäbe für die näch sten Jahre zu setzen. Aktuelle Probleme des Gegenwartshörspiels
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