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Menschen fand. Das Falsche registrierte seine Seele sofort mit der Präzision eines Seismographen. Er brauchte nur wenige Minuten mit einem Menschen zusammenzu sein, um zu wissen, ob er kennenswert, das heißt, wahrhaftig sei. Wo er Gekünsteltem begegnete. Heuchlerischem und Verzerrtem, wandte er sich ab. Wie mit Menschen, so ging es ihm mit Ideen. Was er verwarf, verwarf er end gültig. ohne Rücksicht auf Konsequenzen, bereit, mit seiner Habe, seiner Existenz, seinem Leben für das als richtig Erkannte zu zahlen. Welcher Art ist denn nun sein Leben ge wesen? Ein Leben war es für die Wissenschaft. Ein Leben für Ideen mehr als für Sicht bares und für andere mehr als für sich selbst. Ein gebendes, schenkendes Leben, in dem keine Minute unbewußt, keine Mi nute ungenutzt verstrich. Sein Leben war ein Leben der Klarheit und der Freiheit, ohne Furcht und ohne Kompromiß: das Le ben eines Mannes, der in der Menschheit und in der Menschlichkeit seine Erfüllung sieht ' Dieses Leben und das aus ihm resultie rende Werk werden noch ausführlich be schrieben werden, als ein Beispiel für Menschengröße; und die Zeugnisse der Freunde über ihn werden dieser Beschrei bung beigegeben werden. Der damalige Minister für Volksbildung der Landesregierung Sachsen, Helmut Holtz- hauer. unterschrieb am 18. April 1950 ein Dokument des folgenden Wortlautes: „Die Institute für Ethnologie und Ver gleichende Rechtssoziologie der Universität Leipzig werden zu einem Institut für Eth nologie und Vergleichende Rechtssoziologie vereinigt. In Anbetracht der außerordentlichen Ver dienste des verstorbenen Rektors der Uni versität Leipzig, Prof. Dr. Dr. Julius Lips, um die Entwicklung der Völkerkunde führt das neue Institut den Namen: JULIUS-LIPS-INSTITUT FÜR ETHNOLOGIE UND VERGLEICHENDE RECHTSSOZIOLOGIE.“ Und da stehen wir nun, beladen mit Verantwortung, beladen mit Tradition, be laden mit dem Weltruhm eines Lebens werkes. das fortzusetzen, das weiterzu flechten, das im Sinne seines Schöpfers immer wieder neu zu erdenken ist. Wir taten das, so gut wir es vermochten. Wir tun es weiter. Das verwaiste Doppel institut wurde auf- und ausgebaut. Im Julius-Lips-Institut ist die Ausbil dung im Fachgebiet der Ethnologie durch einen vollständigen Studienplan gesichert. Die Absolventen des Instituts nehmen auf vielerlei Gebieten der Praxis wie der Wis senschaft Stellen ein, die dem Niveau ihres Wissens entsprechen. Und sie nehmen auch ehrenamtliche Stellen ein, die den Prinzipien von Julius LIPS entsprechen: Menschen der Mensch heit zu sein. Das Institut hat während der letzten zehn Jahre mit allen seinen Arbeiten ein bedeu tendes internationales Echo erweckt, von Ottawa bis Japan, von Wieh bis Indonesien, von Moskau bis Mexiko. Das Institut ist seiner Spezialisierung auf die ethnologische Wirtschaftsordnung treugeblieben, wie die publizierten Ar beiten, die Arbeiten des Nachwuchses und die Dissertationen der Doktoranden zeigen. Arbeitskollektive der Nachwuchswissen schaftler beschäftigen sich mit neuartigen kartographischen Darstellungen von regio nal begrenzten Kulturbezirken. 1956 erschien „Die Reisernte der Ojibwa- Indianer. Wirtschaft und Recht eines Ernte volkes“ als erster Band einer neuen Reihe, „Völkerkundliche Forschungen“ der Deut schen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Es ist im gleichen Sinne anderes erschienen, das hier keiner besonderen Er wähnung bedarf. Im Jahre 1959 wurde mit Unterstützung des Staatssekretariats für das Hoch, und Fachschulwesen eine neue Forschungs reise zu den Montagnais-Naskapi-India- nern der Labrador-Halbinsel unternom men. um den fortschreitenden Akkultura tionsprozeß zu verfolgen, der über eine Zeitspanne von vierundzwanzig Jahren hin beobachtet werden kannte und über den 1960 auf dem Internationalen Amerika nistenkongreß in Wien berichtet worden ist. Wo immer es einzustehen gilt für die Würde, Freiheit und Ehre der Völker der Erde: Das Julius-Lips-Institut ist mit Tat und Hilfe dabei. Weiterhin wird die Popu larisierung der völkerkundlichen Wissen schaft als eine traditionelle Hauptaufgabe des Instituts betrachtet. Diesem Ziele dient die alljährliche öffentliche Vortragsreihe de s Instituts (nun im zwölften Jahr), die bedeutende in- und ausländische Ethno logen und ihre Forschungen vorstellt. Der Förderung des Verständnisses für die Völ ker der Erde dienen weiterhin die populär wissenschaftlichen aus dem Institut her vorgegangenen Werke, die im Verlage VEB F. A. Brockhaus erschienen sind. In seinem als Brief gestalteten Vorwort zu dem noch nicht veröffentlichten Ge dächtnisband für Julius LIPS schreibt mir Martin Andersen Nexö: „Ich hatte das seltsame, bereichernde, tief wärmende Gefühl, einen Freund, einen sel tenen Menschen in meinem hohen Alter ge wonnen zu haben; einen großen Sucher, einen großen Wisser, dessen umfassendes Wissen sich in Liebe zu der Menschheit umgesetzt hatte... Julius Lips war ein Weiser, ein großer Sucher, und Sie tun gut, sein Werk fort zusetzen.“