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und promovierte an der Universität Leipzig zum Dr. phil. und zum Dr. iuris utriusque. Gefesselt durch den gemeinsamen Dienst am literarisch wohlgeformten Wort, das präzise Erkenntnisse im Dienste der Wahr heit auszusprechen hatte, heiratete Julius LIPS im Jahre 1924 die damals achtzehn jährige Tochter eines Leipziger Verlegers. Von da an waren wir zwei. Frankfurt am Main war unsere erste Heimat, wo wir auf dem Hühnerweg in Sachsenhausen („ganz nahe bei Goethes Lili“) möbliert wohnten und täglich mit unseren Mappen in die Uni versitätsbibliothek wanderten. Denn dort befand sich damals die beste Literatur alt englischer Autoren, und sein Buch über Thomas Hobbes und die englische Revolu tion von 1647, dem seine juristische Disser tation zugrunde lag, war noch abzurunden. Im Jahre 1925 wurde Julius LIPS von Fritz G r a e b n e r so dringend an das Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum für Völkerkunde berufen (Weule hatte da ohne unser Wissen seine Hand im Spiel gehabt), daß wir darin eine Entscheidung zur Seßhaftigkeit sahen. Wir zogen in die alte Stadt am Rhein. Bald darauf habilitierte er sich mit sei ner Arbeit über „Fallensysteme der Natur völker“ (Leipzig 1926) an der Kölner Uni versität für die Fächer Völkerkunde und Soziologie. Dieses Buch über die erste Ma schine des Menschen, vor dem Rad und vielleicht noch wichtiger als das Rad, die ohne die Anwesenheit des Menschen das schnellfüßige Wild für den Jäger fängt und ihm so Zeit gibt zu neuem Erfinden und zu neuer Kulturentwicklung, ist ein klassi sches Werk der Völkerkunde, und die darin enthaltene Defination einer „echten Falle" ist in viele Sprachen übersetzt worden: „Eine Falle ist eine Einrichtung, deren Mechanismus durch das zu fangende Ob jekt ohne Zutun des Menschen ausgelöst wird, mit dem sofortigen Erfolg, das Tier dauernd festzuhalten oder zu töten.“ Aus den von Julius LIPS nach ihrem Aus lösungsprinzip klassifizierten Fallen der Naturvölker haben sich im Verlauf der technologischen Weiterentwicklung die Saiteninstrumente, die Relaisschaltungen und Automaten entwickelt, wie der Autor des Fallenbuches nachgewiesen hat. Da wir nun seßhaft waren, schickten wir uns an, ein kleines Haus zu erwerben, in dem wir einst an Altersschwäche zu ster ben gedachten. Es war der bescheidene An hang zu dem „großen Haus“, dem Rauten strauch-Joest-Museum für Völkerkunde am Ubierring zu Köln, zu dessen Direktor auf Lebenszeit Julius LIPS nach der Emeritie rung Fritz Graebners ernannt worden war. Gleichzeitig vertrat er als Professor an der Universität die Wissenschaft der Völkerkunde in Köln. Dort zog der Geist einer begeisterten Ju gendlichkeit ein, nahm dem Museum das Odium einer weltfremden Forschungsstätte und gab es der Einwohnerschaft als einen Besitz des gesamten Volkes zurück, wo man gleichsam wie in einem Garten zwischen den Kulturgütern der Welt spazieren- ghen konnte. Julius LIPS begründete dort auch jene öffentlichen Sonntagsvorträge, die so bekannt wurden, daß sie selbst in der Pariser und Londoner Presse als Musterbeispiele moderner Museumswerbung regelmäßig besprochen wurden. Und wer da kam, hörte lebendige Wahrheit über die Prärieindianer Nordamerikas, über die Problematik Chinas und das Leben der Tuareg. Er sprach und lud wissenschaftliche Gäste ein mit Vorträgen über Peru und Australien, über Ceylon und Kamerun — und allsonntäglich war der Vortragssaal so überfüllt, daß die Menschen auf den Stufen des Podiums saßen, um diesen Mann von der Welt reden zu hören und von Reisen, von denen er heimgekehrt war. Denn inzwischen hatten sich die Träume , seiner Knabenzeit verwirklicht. Er hatte die Kanarischen Inseln besucht und Madeira kennengelernt, diesen Zauberort der Schön heit. Er war in Afrika gewesen. Zurückgekehrt gönnte er sich keine Rast. Das Museum, die Studenten und seine Pu blikationen erforderten seine volle Kraft. Die Tage galten den Menschen — er stand dazu damals wie stets dem Volke mit sei ner freiwilligen Arbeit zur Verfügung —, die Nächte aber wurden am Schreibtisch verbracht. Man lese nur seinen klaren Stil, wenn er etwas über die unkodifizierten Rechtsnor men der Schriftlosen schrieb oder kurze, umfassende Überblicke über Teilfragen pu blizierte, Beispiele für den „Extrakt“, den er in allen seinen wissenschaftlichen Arbei ten gab. Irgendwie fand er stets daneben ■ noch Zeit, die künstlerische Seite seines Wesens zu entfalten, etwa, wenn er nach Abschluß eines Fachwerkes ein Theater- stüdc „Heiden vor Afrika“ schrieb und in Buchform veröffentlichte, dessen Titel al lein schon zeigt, wie er über die Menschen des schwarzen Erdteils dachte. Denn wenn es irgendwo dort „Heiden“ für ihn gab, so befanden sie sich auf den Schiffen der Weißen, nicht aber waren sie in dem Erd teil Afrika geboren. So wirkte und arbeitete Julius LIPS in Köln. Sein Wissen und seine Begeisterung schufen Ausstellungen und festliche Abende im Museum, zu denen man aus London und Paris herbeieilte, um dabei zu sein und um Anregungen mit heimzuneh men, die vor allem im Musee d l’Homme, wo unser Freund Paul Rivet wirkte, bald sichtbar wurden. Ein neues großes Buch wurde geplant, zu dem Material aus der ganzen Welt einströmte: Karikaturen des Europäers in der Kunst exotischer Völker. Und dann kam Hitler. Man stellte an Julius LIPS das Ansin nen, sich öffentlich zum Nationalsozialis mus zu bekennen und die Rassenkonzeptio-