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Dresdner Journal : 22.12.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-189712227
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18971222
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18971222
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1897
-
Monat
1897-12
- Tag 1897-12-22
-
Monat
1897-12
-
Jahr
1897
- Titel
- Dresdner Journal : 22.12.1897
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vez»»»»ret»: FOr Dresden vierteljLhrllch: * Mark bO Pf., bei den Kaiser» vch deutschen Postanstaltr» Merteljährlich «Mark; außer» halb des Deutfchen Reiche» Pop» und SteiilpeljulchlaM. Gin-elne Nummern: 10 Pf. Erscheinen: DLg'.ich mu Bu-nahme der Sonn- und Feiertage abend». Ferner -Anschluß: Nr. 1L-S Dresdner Journal. U»kL»»t„»r»,eP»tzre«: Für den Naum einer gespal tenen Zeile kleiner Schrift »0 Pf Unter „Gingest,: dt ' dir Zeile LV Pf Bei Tabellen- »ad Ziffernsatz entsprechender Ausschlag Her,u»,eber: Königliche Exveditton de» Dre»dner Journals Dre»den, Zwmgerstr 20 Fernspr -Anschluß: Nr. 18S7 M 2S7. Mittwoch, den 22. Dezember abends. Amtlicher Teil. Bekanntmachung. NaLlrästc zur Arzneitaxe und zur thierärztlichen Arzncitaxe auf das Jahr 189K betreffend. Zu der durch die Beiordnungen vom 15. Tecember 1896 — Seite 2 und 3 des Gesetz- und Verord nungsblattes vom Jahre 1897 — eingefüdrten 13. Äustage der Arzneitaxe und 8. Auflage der Mer- arztlichen Arzneitaxc für da- Königreich Sachsen sind Nachträge aus das Jahr 1898 ausgestellt und an die Apotheker, sowie an die Bezirksärzte bez. Bezirks- thler.'rzle des Landes vertheilt worden. Unter Hinweis auf die Vorschrift in Z 1 der an gezogenen Verordnungen wird dies mit dem Bemerken andurch bekannt gemacht, daß diese Nachträge in der Hofbuchdruckerei von C. C. Meinhold u. Söhne hier und zwar der Nachtrag zur Arznritaxe für 25 Pf. und der Nachtrag zur thierärztlichen Arzneitaxe für 15 Pf. käuflich zu haben sind. Dresden, am 16. Tecember 1897. Ministerium des Inner«, II. Abtheilung. Mer;. Körne!-. tkrueauungeu, Versetzungen re. im öffentlicher» Dienste. I« GeschtflSbereiche »e» Miatftertumö »e» Kultus unS äffentltchen Unterricht». Erledigt ist die unter Kol- lamr der obersten Schulbehörde stehende 2. ständige LtKrerstelle an der Schule zu BeierSdors. Die Stelle gewährt ein Ein kommen von 1000 M. Gehalt, 120 M. Wohnungsgeld und 72 M. für Uebcrstunden. Bewerbungsgcsuche, denen bis in die neueste Zeit reichende Amtszcugnisse sowie das Zeugnis über musikalische Leistungen beizusagen sind, sind blS zum A Januar 18S8 bei dem König! Bezirksschulinspeltor Bach in Löbau einzureichen. nichtamtlicher Leit. Z» re» Vorgängen in Ostnsien. Bei Erörterung der Vorgänge an den Küsten Chinas ist in deutschen Blättern auch die Vermutung ausgesprochen worden, daß durch die gegenwärtigen Ereignisse der Anfang zur Teilung des chine sischen Reiches gemaät werde. Wir haben die Ansicht gestern als unzutreffend bezeichnet und werden in dieser Auffassung heule durch die „Nordd. Allg. Ztg." bestärkt Das Berliner Blatt schreibt: „In dem chatsächlichen Hergang der Tinge, soweit er bis setzt erkennbar geworden ist, findet die Vermutung keinerlei Anhalt. Menn dre Besetzung Hongkongs durch England und der Verlust beträchtlicher Gebiets teile KeS chin fischen Südens an Frankreich den Zer fall des Gciamtreichs nicht zur Folge gehabt hat, so ist n:cht abzusehen, warum der Erwerb von Nieder lassungen und der Aufenthalt deutscher oder russiscber Kriegsschisse in dem einen oder dem anderen Hasen eine gewaltsam zersetzende Wirkung ausübcn sollte. ES kommt hinzu, daß, soweit sich die politische Lage in Ostafien zur Zeit übersehen läßt, bet keiner der euroräischen Großmächte die Neigung vorausgesetzt werden kann, der Wahrnehmung ihrer Interessen m China eine Form zu geben, die zu so weitgehenden Konsequenzen führen könnte" Zu dieser offiziösen deutschen Auslassung stimmt die russische Auffassung von der Bedeutung des Ein- üuutt und Wissenschaft. Historische Romane. (Schluß.) Unter den historischen Hintergrundsromanen, d. h. den freien Erfindungen, die, ohne eigentliche geschichtliche Vor gänge und Gestalten in sich aufzunehmen, nur den Lebens odem einer Zeit in sich bergen uns ihre charakteristischen Züge und Farben tragen, zeichnet sich der Roman „Vom heißen Stein" von Ernst Muellenbach (E Lenbach; Stuttgart, Verlag der I G Eottaschen Buchhandlung Nachfolger 1897) durch fick re Anlage und Durchsührung, eine gewisse Anmut der gestalten und einfach poetische Stimmung sehr vorteil'aft aus Der Roman spielt in einer ungenannten Reichsstadt, offenbar Köln, und den Nhemlanden, kurz ^or und nach Ausbruch des dreißig jährigen Krieges, und dem Helden, wie der Heldin, über Ler während des ganzen Verlaufs der Handlung das Damoklesschwert eines Herenprozesses schwebt, eröffnet sich die lichte Aussicht auf das freie und mitten im Kampf mit der spanischen Weltmacht blühende und gedeihende Holland. Ohne die Aussicht könnte nicht leicht ein deut scher Roman aus jenen dunklen Tagen zu erquicklichem Abschluß kommen, und das Talent Muellenbach» neigt entschieden mehr der heiteren, zuversichtlichen Lebensauffass ung, der anmutenden Schilderung zu als der Darstellung des Grauenhaften und Düsteren Selbst in den wenigen Scenen dieser Art, die im Roman „Vom heißen Stein" unoermciolich sind, sucht der Verfasser das Schreckliche durch guten Humor und eine leise Ironie zu mildern, die zum voraus erraten läßt, daß der Teufel, der umgeht nach alter deutscher Auffassung wieder einmal der dumme Teufel ist Erfindung, Gestaltenzeichnung und VortragSton des Romans sind ZeuaniS dafür, daß da» frische und glück liche Talent de» Verfassers, seine entschiedene Neigung zu lausens des russischen Geschwaders in den chinesischen Hasen Port Arthur, wie aus eurem heute vorliegenden Aussatze der „Nowoje Wremja" ersichtlich ist. Dar russische Blatt, dessen Darstellung sich im Einklang mit den Andeutungen der offiziösen russischen Teleqraphen- agentur hält, meint, daß die ostasiatische Meldung niemand überraschend gekommen sein könnte. Denn Rußland habe bereits seit dem chinesi'ch japanischen Kriege nach einem zweckmäßigeren Standort für seine Flotte gesucht, als ihn Wladiwostok darbiele. Die chinesische Regierung sei diesem Streben sehr wohl wollend entgegengekommen; es müsse daran erinnert werden, daß russische Krugsschiffe noch im vorigen Jahre in der jetzt vielgenannten Bucht Kiao-Tschau gelegen hätten Tie Übersiedelung des russischen Ge schwaders aus dem bisher benutzten japanischen Hasen nach Port Arthur sei denn auch unter voller Zu stimmung Chinas crfolgt. Letzteres rechne zweifellos darauf, daß die guten nachbarlichen Beziehungen zwischen den beiden gewaltigen Reichen noch mehr sich sestigen müßten, wenn die russische Seemacht im Stillen Ozean einen geeigneten Stützpunkt erhalte. Die ganze diplomatische Welt habe das jetzt cin- qetretene Geichehnis seit langem vorausqesehen und sich mit demselben abgefui den. Tann beißt eS weiter: »Ten größten Eindruck wird der russische Schritt zweifellos in Japan machen. Aber Prätensionen wird die japanische Regier ung hieran» keinesfalls abzuleiten berechtigt sein. Tie chrnesilche Regierung hat, indem sie einen Hafen den russischen Schiffen als Winterquartier cinräumte. nur eben dasselbe qelhan, was seitens der japinüchen Regierung bereitwillizst Rußland gegen über stets geschehen ist, denn da» russische Geschwader kommt nach Porr Arthur direkt aus einem japanischen Hasen, woselbst es lange Zeit hindurch ständig stationiert war. Die russischen Seeleute sind in Japan stets gastfreundlich aiirgenommrn worden, die Politik und die Pnsse der Japaner haben sich aber immer von einem leichtgläubigen Mißtrauen in die Friedens liebe Rußland- beeinflufien lasier', sodaß schon hieraus allein der Wunsch herzuleiten ist, unsere maritime Streitkraft an einem ruhigeren und günstigeren Platz unterzubringrn Das Erscheinen des russischen Geschwader» vor Port Arthur ist nicht die Einleitung zu neuen Aktionen, e» ändert nicht- an der bisherigen Lage der Dinge, bietet niemand neue Nachbarn oder neu: Gesahren und Sorgen. Leine neue Gruppierung der In teressen findet statt, die bestehenden Borrechte werten nicht verletzt, keine Besitzergreifung vollzieht sich, da die russischen Schiffe mit Wißen und Willen der chine sischen Regierung in den chinrsischen Hasen einlausen. Lurz, die diplomatisch» Karte, in der die Einflußsphären der einzelnen Mächte in Lssasien verzeichnet sind, umerliegt keiner Veränder ung, denn der Einzug der Russen in Port Arthur bleibt inner- bald der Grenzen desjenigen Ewfiusse», den die diplomatische Welt Rußland in Bezug aus China längst stillschweigend zu- gestanden hat. Diese Skizzierung müssen wir besonders des halb als wichtig unterstreichen, weil es durchaus unrrwünscht ist, daß der notgedrungene Schritt Rußland- irgend jemanden zu politischen Abenteuern, etwa zur Besteergreifung neuer .Beobachtungspunkte' :c. ermutigt, denn ein solches Bor gehen würde weder bei Rußland noch bei den antcren an ter Attsrechterbaltung des Friedens im seinen Osten interessierten Mächten Billigung finden:' AuS diesen Darlegungen sticht scharf der Satz her vor, daß keine Macht aus dem russischen Schritt für sich ein Recht her lei en dürfe, nunmehr nach Belieben ein Beutestück in China sich zuzulegen. Kurz und energisch weist auch der russisch offiziöse „Nord ' in Brüssel die Ausstreuungen zurück, als könnten Nuß land, Frankreich und Deutschland eine Aufteilung des chinesischen Gebiets im Plane haben. „Rußland wird", erklärt daS Blatt, „um keinen Preis an einer Korn dination teilnehmen, die eine Zertrümmerung des Staates zum Zweckehat, zu welchem Rußland seit langem in freund schaftlichen Beziehungen steht. Rußland hat vielmehr in dem obwaltenden deutsch-chinesischen Konflikt seinen freundlichen Einfluß auf beide Staaten geltend ge macht, um sie zu einer aus gegenseitigen Zugeständ nisten sich gründenden Verständigung zu bringen." DiS klingt klar und v.rständig uno entzieht nun hoffentlich den Gerüchten von einem Gegensatz, in den die deutsche Politik in Astasien zu Rußland geraten einfach klarer Erzählung und ru reizvoller Ausgestaltung des einzelnen, da» schon in seinen Novellen erkennbar war, ist noch im fröhlichsten Wuchs begriffen, und so bleibt nur zu hoffen, daß es sich nicht bloß in der Breite, sondern auch in der Höhe und Tiefe bewähren werde Nur uneigentlich und gleichsam mit dem kleineren Teile seines poetischen Gehalts geqört hierher die Erzählung „Das Odfeld" von Wilhelm Raabe, die in dritter durchgesehener Auslage (Berlin, Verleg von Otto Janke) auf dem Weihnachtsmarkt erschienen ist Das Talent Raabes, eine seiner stillen und tief innerlichen Geschichten mit einem weithin sichtbaren und laut lärmenden Vor gang der Weltgeschichte in Bezug zu setzen, um die Tinge bester hervortreten zu lasten, die ihm als das bessere Teil und als die Lichtpunkte in der Angst des Irdischen er scheinen, bedarf keines Rühmens „TaS Odfeld" mit dem historischen Hintergründe des siebenjährigen Krieges, im besonderen der Siege, die Prinz Ferdinand von Braun schweig über die ins Reich eingedrungenen Franzosen er» socht, gehört zu der Gruppe der kleineren Romane Raabes, deren Eigenart und gewinnende Kraft mehr und mehr erkannt wird; es weist die Vorzüge diese- Gruppe auf, nur Laß der sonnige sieghafte Humor de- Dichters in diese Erzählung nicht vollglänzend, sondern mit ge brochenen Strahlen hereinfäll: Einen merkwürdig geteilten Eindruck hinterläßr der Roman „Martin Bötzinger", ein Lebens- und Zeitbild aus dem siebzehnten Jahrhundert von I. H Löffler (Leipzig, Fr Wilhelm Grunow 1897). Er ist ohne alle Frage das Werk eines wahrhaften poetischen Talents, das wirkliches Leben geschaut und die in Wonne und Wehmut wechselnden Grundstimmungen des Daseins in sich vertieft hat Phantasiereich, dem Wahrhaften und Echten zu gewandt. in der Fülle köstlicher Einzelheiten zu Zeiten höchst anziehend, die Schicksale der Hauptgestalten in wilder Zeit dem Leser warm und gewinnend ans Herz legend, entbehrt der Roman gleichwohl der plastischen Ge- sein soll, das letzte Stück Boden. Vor allem mag sich die englische Presse, soweit sie noch von einem russischen Gegenschlag gegen Deutschland reden zu müssen glaubt, hierdurch eines Besseren belehren. Auch sind die ruisflchen Auslassungen sehr geeignet, den Eiser der englischen Suche auf der Karte OstasienS nach feiten B.sten sür Großbritannien zu dämpfen. Zuletzt führen wir noch eine japanische Preß- stimme über die deutsche Besetzung der K'ao Tschau- Bucht an. Tie „Jomiuri-Schimbun" veröffentlicht zu dieser Aktion folgende Betrachtungen „DicS Borgchen ist erfolg!, entweder um eine Enrjchädig- ung wegen der ermordercn Missionäre oder einen dauernden Stütz punkt zu erhalten. Ter erste Zweck ist nicht so ernst zu nehmen, weil Ermordungen von Millionären in China schon ziemlich HSung voikamcn und immer durch Gesandte oder Konsuln auf gütlichem Wege eine Geniigthuung erlangt wurde Es lieg! also die Vermutung sehr nahe, daß der neue Fall nichl den Grund, sondern einen Borwand zur Besetzung der Kiao- Tschau-Bucht bildete Diese kann man logar als eine Folge der Haltung Deutschlands in der Liaotong-Frage bezeichnen Ben dem damaligen Dreibund hatten Rußland und Frankreich ihren Lohn eingehcimst, und nur Deutschland ging bisher leer aus. Dies vergaß cS nicht, und lo wartete cS nur aus eine günstige Gelegenheit, um sreilich mehr rm Süden einen Anker platz einzunehmen. Jetzt griff es deshalb gleich tapser und mutig zu ES wundert uns aber, daß cs die Kiao-Tschau- Buchl im Norden erwählte, Lie Rußland doch schon cinmal von China entlehnt hatte Ohne Rußlands Einverständnis isi daher die Besetzung wohl schwerlich ersolgt. Was sür Geheim nisse wird uns die Diplomatie sitzt noch enthüllen?" Eine große Erregung tönt uns aus diesen Be merkungen nicht heraus, und wenn die letzteren charak teristisch sind sür die Volksstunmung in Japan, so kann bortfelbst unter dem unmittelbaren Eindruck der Meldung kein so großer Unwille, keine solche Erreg ung geherrscht haben, als cs in englischen Berichten angcgeben wurde. Zu der Besetzung Port Arthurs liegt noch keine japanische Äußerung vor. Es sei denn, daß man als eine solche die Nachricht von dem Auslaufen der japanischen Flotte aus Nagasaki gelten lassen will. Das Ziel der Fahrt wird nicht anqegebcn, doch liegt die Vermutung nahe, daß die Schiffe den Befehl er- haltcn haben werden, nach Weihaiwei zu fahren, dem auf der Port Arthur entgegengesetzten Seite der Straße von Mtschili auf der Halbinsel Schantung belegenen chinesischen KriegShasen. Tie „Köln. Ztg " erinnert daran, daß dies.r Hafen im jüngsten chinesi schen Kriege von den Japanern erobert worden und slitrem in ihrem Besitze geblieben ist. Tie Japaner sind nach dem Friedensvcrtrag verpflichtet, den Hafen zu räumen, sobalv die Chinesen die letzte Rate ter festgesetzten Kriegsentschädigung, welche sich noch aus 16 Mill. Pfd. Sterl, beläuft, bezahlt haben werden. Tie Verhandlungen, wclche die Chinesen zur Zahlung dieser Summe mit europäischen und amerikanischen Bankhäusern geführt haben, sind aber bisher geschei tert, und so ist einstweilen der japanische Besitz von Weihaiwei unanfechtbar. Übrigens sind die topo graphischen Verhältnisse dieses Hafens solche, daß nach mehrsach früher ausgesprochener Ansicht europäischer Militärs diese Position gegen einen westlichen An griff nicht zu verteidigen sein würde, Weihaiwei da tier als strategischer Punkt minderwertig ist. Für den Augenblick, schreibt das rheinische Blatt, ist diese Frage allerdings nicht praktisch, weil das Mißverhält nis in der Gruppierung der Mächte und Interessen, soweit dasselbe bisher erkennbar lst, sich als so be deutend darstellt, daß dadurch allein schon die Aus sicht auf eine Verwickelung in die Ferne gerückt ist. Tas neue italienische Ministerium ist in der vorgestrigen Kammcrsitzung mit knapper Not einer Niederlage entgangen. Die von der Re gierung zurückgewiezene Tagesordnung, in der die Kammer die Ansicht knndqeben sollte, daß die Art staltung und der inneren Einfachheit, die ihm bleibende Wirkung sichern würden. Er läßt erkennen, daß neben der Wirklichkeit der Thüringer Walbnatur die verschie densten litterarischen Einflüsse auf fernen Verfasser gewirkt haben: an Jean Pau! und Otto Ludwig und Wilhelm Rade und eine Reihe christlich-frommer Volköschrrststellcr erinnern abwechselnd einzelne Kapitel und Stellen des „Martin Bötzinger". Die lebensvolleren Teile LeS Buches sind mehr als einmal von herzgewinnender Frische und wecken reine Mitempsindung, aber die Reflexionen, die kleinen und stellenweis veralteten Künste, mit denen der Verfasser den Reiz der Abwechslung erstrebt, wirken allzu ost peinlich manieriftisch Tie deutschen Vorzüge selbst vergessener Hingabe an den Stoff und gemütssroher An teilnahme am Kleinen, Unscheinbaren, verbinden sich hier wieder einmal mit den alten deutschen Unarten der träume rischen Unbestimmtheit, der unausgereiften Andeutungs- und Änspiclungsluft und des altklugen TreinrrdenS, das die Tinge nicht schlicht für sich wirken laßen kann Dazu die Häufung interessanten Stoffes, mancherlei Wissens von dec Zeit und den Zuständen, die nicht Fleisch und Blut geworden sind. Dann wieder sind die Bilder au« dem Hof-, Pfarr- und Volksleben dc« siebzehnten Jahrhunderts von so echter und intimer Wahrheit, die Bäume des Thüringer Waldes rauschen so traulich und voll in dw gelungensten Scenen de« Romans herein, dann spielen die Lichter wahren Humors so neckisch uns blitzend über die steife Grandezza und Lie urwüchsige Roheit der Zeit de« großen Krieges, daß man den: Ver fasser widerstandslos ein Stück seines Psaoe« folgt, bis die Ungleichheit der Komposition und Ausführung und die Ungleichheit Les Tons abermals sehr fühlbar werden. Im Vergleich mit den seelenlosen und aus der Virtuosität LeS Handgelenks hervorgehenden Durch'chnittSerzählungen ist „Martin Bötzinger" ein dichterische» Werk, und wem e« genügt. Laß er prächtige Scenen und Seiten in einem B iche findet und daß seine Phantasie von Bild zu Bild und Weise der Neubildung des Kabinetts es diesem schwierig mache, ein selbständiges RegicrungSprogramm aufzustellen und zu entwickeln, ist bei zehn Stimm enthaltungen nur mit 200 gegen 184 Stimmen ab- qelehut worden Da die Minister und UnterstaatS- sckretäre an der Abstimmung teilgenommen haben, erscheint der NuSgang einem Pyrrhussiege sehr ähn lich, und eS klingt sehr optimistisch, wenn die Kammerabstimmung die folgende offiziöse Deutung erführt: In parlamentarischen Kreisen hält man die Abstimmung trotz des geringen Stimmenunterschiede» der Mehrheit und Minderheit deshalb für sehr be deutsam, weil eS sich dabei um einen Angriff aller vereinigten gegnerischen Gruppen handelte. Liegt doch gerade die hauptsächliche Gefahr für das aus Ele menten der Rechten und der Linken zujammengesetzte Ministerium darin, daß es von allen vereinigten Gruppen der Opposition angegriffen wird! Diese Opposition läßt sich aber nicht nach der alten Schablone beurteilen; auch gelangen in der italieni schen Deputiertenkammer nicht mehr die früheren Parteigcgensätze: Rechte und Linke zum Ausdrucke, sondern es handelt sich um parlamentarische Kämpfe der verschiedenen persönlichen Gruppen, deren jede sich in den Besitz der Regierungsgewal: setzen möchte. Trotzdem war eS, wie die „Nat -Ztg." zutreffend hervorhebt, ein unnatürlicher Zustand, daß Rudini, als er an Stelle CriSpiS an das StaatSrvder berufen wurde, sich nicht bloß aus seine Parteigenossen von der jungen Rechten, sondern auch auf verfchiedene Gruppeii der Linken und die Radikalen, die der Losung Cavallottis folgten, stützen mußte. Nicht durch gemeinschaftliche Interessen, sondern durch den Haß gegen oen früheren Konseilpräsidenten CriSpi wurden diese Gruppen zusc.mmengchalten, und eS war vorauSzuseben, daß eine solche „Solidarität" nicht von Dauer sein konnte. Taß anderseits die Gegensätze: Rechte und Linke nicht mehr als Maßstab für dv Neubildung eine- Ministeriums dienen konnten, leuchtete ohne weiteres ein. Wie die alte Rechte, die Konsorteria, bei der Begründung und Befestigung de» italienischen Nationalstaates große Dienste geleistet hatte, so bewährte sich die Linke bei der Ordnung des Finanzwesens. Sobald aber neue Ausgaben an die Regierung herantraten, mußte auf den schematischen Wechsel von Kabinetten der Rechten und der Linken verzichtet werden. Tie Idee RudiniS, in der Regierung gewissermaßen eine höhere Einheit für die früheren Parteigegeii'ätze zu finden, durfte also an und für sich nicht von der Hand gewiesen werden, zumal da weder die Rechte noch eine der größeren Gruppen der Linken in der Tepulierten- kammer über eine geschlossene Mehrheit verfügt Nur entsprach die „Mischung" nicht den Interessen und den Begehrlichkeiten derjenigen Gruppen, aus deren Unterstützung der Konseitpräsident blSher angewiesen war Bezeichnend ist, daß insbesondere Giolitti, der Führer der piemontesischcn Gruppe der Linken, der von der jüngsten Ministerkvmbination auSge'chlossen blieb, nicht etwa die allgemeine Politik Rudinis an griff, sondern insbesondere dessen Vorgehen in der Kolonie Eritrea einer abfälligen Kritik unterzog, während gerade die zurückhaltende afrikanische Politik nach der unglücklichen Schlacht bei Adna die Zu stimmung einer großen Mehrheit gefunden hatte. In Teutschland, schließt das obcngedachte Berliner Blatt seine Erörterung, könnte eine ihres Zieles klar bewiißte Politik der italienischen Regierung, gleich viel, ob ihr Männer der Rechten oder der Linken angehöreu, nur mit Genugthuung begrüßt werden, do. mit Ausnahme der Radikalen, alle Parteigruppen am Dreibünde sesthalten wollen. Unverkennbar sind >edoch die Schwierigkeiten, die einer Klärung der inneren Politik entgegenstcben. So lange Crispi getragen wirv, der kann Las Zeu- und Lebensbild mit all' seinen Mängeln über vieles stellen, was in großem litterarischen Ansehen steht Aber der Verfasser selbst giebt den Maßstab an die Hand, daß wir eine gewiss« künstlerische Vollendung begehren, die dann doch fehlt Tie ursprüngliche Einfachst»« seiner Anschauung ist offen bar von zahlreichen in sich widerspruchsvollen Anregungen, wie ein halbwüchsiger Stamm von Gestrüpp überwuchert worden, und wenn dre oeistige Einheit auch keineswegs völlig verschwindet, so wird sie im Wechsel von wirklicher, innerlich miterlebter Darstellung und von erbaulich be schaulicher Sentenzenjägerci doch allzu oft unsichtbar. Der diesjährige historische Roman von Georg Ebers „Arachne" (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlags anstalt 1898) kehrt aus dem sechzehnten Jahrhundert zur Abwechselung wieder einmal ins Altertum zurück und geht in Ägypten unter den Diadochcn Ptolemäo« PhiladelphoS vor sich. Er ist eine Künstlergeschichte und stellt die Ge schicke des Bildhauers Hermon, des Führer« einer kleinen naturalistischen Künstlerschule dar, der sich in Schuld gegen ein ägyptische« Mädchen Lodscha verstrickt, die ihm zu einem Bilde der Arachne, der kunstreichen Weberin, Lie zur Spinne gewandelt wird, Modell stehen soll, und von Lod- scha« Rache getroffen, sür Wochen und Monate da« Augen licht einbüßl Während der Zeit seiner Blindheit, die ihn mit ewiger Unthätrgkeit und trefer Melancholie bedroht, senkt sich der erste unbestrittene Kranz auf Lie Stirn de« bi« dahin hart und vergeblich Ringenden, seine auS dem Brande der Werkstatt in Tennis gerettete Statue Ler Demeter erregt in Alexandria allgemeine Bewunderung Zum Überfluß rettet ihn auch noch die reine Liede seiner jungen Freundin Daphne vor dem Tode, der ihm al« vermeintlichem Verschwörer aegen König Ptolemäo« droht Während all dieser Erlebnisse aber wird der Blind« de« dunkeln Gefühl« nicht Herr, daß sein aeprirsrnc« Götter bild gar nicht sein Werk, sondern da« seine« vermeintlich verstorbenen Kunstgcnoffen Myrtilo« sei. Und sowie er
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