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ZUR E INFÜHRUN G Der Dienst als salzburgischer Konzertmeister, den W. A. Mozart seit seinem 14- Jahr in der Kapelle des Erzbischofs versah, die kleinbürgerliche Enge Salzburgs an sich, bedeuteten für ihn immer ein Hemmnis seiner Entwicklung. Er sehnte sich hinaus in künstlerische Ungebundenheit und wollte sich der Welt als Virtuose und Komponist wieder präsen tieren. Den erbetenen Urlaub für sich und den Vater schlug der ihm wenig gewogene Erzbischof ab mit dem Bemerken „er könne es nicht leiden, wenn man so ins Betteln herumreise“. So reichteWolfgang kurz entschlossen sein Abschiedsgesuch ein und begab sich im September 1777 in Begleitung der Mutter voll froher Zuversicht auf die Reise, glücklich, das Salz burger Joch abgeschüttelt zu haben. In Mannheim machte das durch Joh. Stamitz be gründete Orchester stärksten Eindruck auf den jungen Komponisten durch seine strenge Disziplin, die ihm neue Art des Vortrages, der dynamisch aufs feinste abgestuft war und die solistische Behandlung der zahlenmäßig sehr eingeschränkten Bläser. Da nach anfänglich großen Hoffnungen die Bemühungen um eine Anstellung bei Hofe ebenso wie vorher L11 München fehlschlugen, plante Mozart mit Einver ständnis des Vaters eine Reise nach Paris, das noch immer als Kunstmetropole galt. Doch „voller Ver wunderung und Schröcken“ mußte der Vater plötz lich in einem Briefe seines Sohnes lesen, daß er Ab stand nahm von seinen Pariser Plänen, statt dessen aber alle Kräfte einsetzen wollte, der jungen Sänge rin Aloysia Weber recht bald zu Berühmtheit zu ver helfen, gar mit ihr eine Reise nach Italien plante! Nach den bisherigen jugendlichen Schwärmereien hatte liier in Mannheim das erste Mal die ganze Ge walt der_Liebe den 22jährigen erfaßt, und seine Leidenschaft brachte ihn so um alle Vernunft, daß er seine Kunst nur noch dem Aufstieg der Geliebten dienen lassen wollte. Energischst, doch voller Liebe, machte ihm der zutiefst erschütterte Vater die Un- sinnigkeit dieses Planes klar und verlangte die sofor tige Abreise nach Paris — und Wolfgang gehorchte, wenn auch innerlich widerstrebend. Paris aber nahm ihn diesmal nicht mit offenen Armen auf, wie damals das Wunderkind. Von seinen Erfolgen als Komponist war hier nur wenig bekannt. Sein sehnlichster Wunsch, für Paris einen Opern auftrag zu erhalten, erfüllte sich nicht. Zwar arbei tete er an zwei Opernplänen, die sich aber nach langen Verhandlungen zerschlugen. Das einzige, was davon übrig blieb, war die Musik zu dem Ballett „Les petits riens“. Die schon oft bewiesene Fähig keit Mozarts, sich dem jeweils herrschenden Stil an zupassen, trifft auch hier den der französischen Tanz musik ausgezeichnet. Jedoch sind diese Tanzszenen trotz aller Anpassung echte Mozart-Musik, die in manchem Anklänge an schon vorhandene Werke tänzerisch gestaltet, oder auch in späteren Werken wiederkehrt. Die Ouvertüre, die dieser Folge an mutiger RoKokostücke vörangestellt ist, zeigt in der individuellen Behandlung der Bläser deutlich das Mannheimer Vorbild. Bei der Aufführung dieses Balletts, das einer Oper Piccinis angefügt wurde, war Mozarts Name auf dem Theaterzettel nicht einmal vermerkt. Das Konzert für Flöte, Harfe und Orchester war nur für den Privatgebrauch des Bestellers gedacht und- erlebte keine öffentliche Aufführung. Es spiegelt die elegante, heitere Musik der damaligen französischen Welt besonders charakteristisch wider. Der locker gefügte erste Satz bringt eine Fülle von Gedanken, die in der Durchführung in Sequenzen verarbeitet sind; dem langsamen, idyllischen Mittelsatz folgt ein Rondo im französischen Gavotterhythmus, das die musikalischen Einfälle immer neu variiert. Die weit bedeutendere konzertante Sinfonie für Oboe, Klarinette, Horn und Fagott, die Mozart für seine in Paris weilenden Mannheimer Freunde schuf, kam infolge undurchsichtiger Intrigen ebenfalls nicht zur Aufführung. Sicherlich wäre gerade dieses anmutige Werk geeignet gewesen, ihm in Paris die Aufmerksamkeit des Publikums zu erringen, schon der damals dort sehr beliebten Übergangsform von „Sinfonie“ und „Konzert" wegen, einem Nach kommen unseres alten Concerto grosso. Der erste Satz, der mit einer Kadenz der 4 Bläser schließt, trägt mit seinen vielfältigen Themen frischen Charak ter, während der zweite Satz in wunderbarer Süße die Soloinstrumente schwärmerisch singen läßt. Der Schlußsatz bringt, dem Pariser Geschmack zuliebe, Variationen, die den Solisten Gelegenheit geben, ihr Können unter Beweis zu stellen und schließt mit einem ruhigen, seelenvollen Gesang. Die von Mozart so heiß ersehnte Beachtung brachte ihm endlich die Aufführung seiner beiden dort ent standenen Sinfonien. Die sogenannte „Pariser Sin fonie“ in D-dur, läßt wiederum die Zugeständnisse spüren, die er dem herrschenden französischen Ge schmack macht. Gegenüber manchen früher ent standenen Sinfonien bew'egt sie sich mehr auf der Linie geistvoller Unterhaltungsmusik, die besonders in den ersten beiden Sätzen auf Tiefe der Gedanken verzichtet. Alle Wiederholungen sind fortgelässcn; denn, so schreibt Wolfgang an den Vater „bey und in Teutschland ist der lange Geschmack, i:i der Tat ist es aber besser kurz und gut ". Das Andantino ist hei terstes Rokoko, während das Finale am stärksten echt Mozart’sche Züge trägt^zumal in dem plötzlic h in. moll einsetzenden Seitenthema. Eine späteren stark gekürzte Bearbeitung gab der Sinfonie die end gültige Form. Der mit dieser Aufführung endlich errungene Erfolg war aber nicht von Dauer, und zu der inneren Unzu friedenheit Mozarts kam seine Sehnsucht nach Aloysia, die ihn immer unruhiger werden ließ. Seine pessimistische Stimmung spiegelt sich besond-rs in den in dieser Zeit entstandenen Violin- und Klavier sonaten wider. — Der Schicksalssehlag, der ihn mit dem Tode der über alles geliebten Mutter so plötz lich traf, ließ ihn völlig verzweifeln. Der Aufenthalt in Paris war ihm nun völlig verleidet. Jetzt wurde er auch dem Plane des Vaters zugänglicher, in Salzburg, wo sich eine Umbesetzung des Orchesters notwendig machte, erneut den Konzertmeisterposten anzu nehmen. Dem Vater lag unendlich viel daran, seinen Sohn, der durch die Erlebnisse der letzten Zeit seiner efost so festen Führung entglitten war, wieder in seiner Nähe zu wissen. Die heimliche Hoffnung Wolf gangs, am kurfürstlich-bayrischen Hofe, wo Aloysia inzwischen als Primadonna gefeiert wurde, ebenfalls in Dienst treten zu können, zerschlug sich jäh. Kalt wies das geliebte Mädchen den jungen Komponisten ab; am Ziele ihrer Wünsche blickte sie hochmütig herab auf den stellungslosen Kapellmeister, der ihr damals in so uneigennütziger Weise den Weg zum Ruhme ebnete. Innerlich zutiefst verwundet, mußte Mozart einsehen, daß er zuviel erhofft hatte von dem vergötterten Wesen, das sich nun als kalt und ego istisch erwies. Mit diesem letzten furchtbaren Schlag brach auch sein letzter Widerstand, in dem ver haßten Salzburg wieder in Dienst treten zu müssen, zusammen. Enttäuscht in seinem künstlerischen Streben, enttäuscht von der Geliebten, so kehrte - r ohne die Mutter heim in die Enge Salzburgs. Und trotzdem — oder gerade weil keiner seiner stolzen Plähe in Erfüllung ging, reifte ihn das Leid, dessen Leben erst dem Künstler die letzte Weihe gibt. Ruth Butowski