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Musik ist Spiel, reines, gelöstes Spiel. Aber sie entbehrt nicht der tieferen Bedeutung. Ja, nur der kennt ihr tiefstös Geheimnis, der hinter dem Spiel die Bedeutung ahnt. Manche Musiker haben es uns leichtgemacht. Wer die Tondichtung „Don Juan“ von Richard Strauß hört, dieses geniale Werk eines Vierundzwanzigjährigen, der weiß ohne weiteres, was diese Musik „vorstellen“ soll. Das liegt im Wesen der „sinfonischen Dichtung“. Wenn das volle Orchester zu Beginn losstürmt, sehen wir nach den ersten vier Takten den Helden vor uns: Don Juan, Kavalier, Abenteurer, Frauenverführer. Sein Porträt wird im weiteren Verlauf noch schärfer Umrissen und — im Gegensatz dazu — werden die Frauengestalten charakterisiert, die seine Bahn kreuzen, die seiner Verführungskunst verfallen: Zerlinchen mit einem spielerischen cis-moll, die Gräfin mit blühendem Nonenakkord und üppigem Harfenschlag, Donna Anna mit süßer G-dur-Kantilene, eine trunkene Bacchantin auf dem Maskenfest mit einem Motiv der gestopften Trompeten. Strauß gibt uns aber auch Einblick in die Seele seines Helden: das ewig Unbefriedigte seines Sehnens, das Immer-weiter-Müssen, das Ruhelose ist mit einem kühn chromatischen Motiv gekennzeichnet. So bleibt nur Ekel, Pessimismus, Lebensverneinung. Don Pedro, der Sohn des erschlagenen Komturs, zückt den Stahl (Trompeten!). Don Juan ist tot. „Mein letzter Hauch ist Sühnung und Entgelt; denn er verweht mich selbst und mir die Welt!“, heißt es bei Nikolaus Lenau, dem Dichter des Weltschmerzes, dessen dramatisches Gedicht „Don Juan“ den Komponisten zu seinem Werk angeregt hat. Mit der vierten Sinfonie hatte der Sinfoniker Brahms einen Schlußstein gesetzt. Eine Steigerung war nicht mehr möglich. Und so griff er nur einmal noch nach vielzeiligem Noten papier, um ein Orchesterwerk zu schreiben. Und das war ein Konzert. Ein merkwürdiges Konzert, für 2 Instrumente nämlich, für Violine und Violoncell mit Begleitung des Orchesters, kurz das „Doppelkonzert“ genannt. Nicht gerade etwas gänzlich Neues, denn es greift nur die Übung der Alten auf, die im Concerto grosso dem Orchester das Concertino entgegen stellten. Aber ungewohnt war das doch. Die geistreiche Brillanz der Ecksätze — das Rondo thema des Finales ist einer der sprühendsten Brahmsschen Einfälle — und die blutvolle und zugleich abgeklärte Melodik des Andantes machen das Werk zu einem vollgültigen neben den anderen Brahmsschen Orchesterwerken. Diesem letzten Brahmsschen Orchesterwerk steht sein erstes gegenüber, die „Variationen für Orchester über ein Thema von Joseph Haydn.“ Das Thema übernahm Brahms aus einem Divertimento für 2 Oboen, 2 Hörner, 3 Fagotte und Serpent von Joseph Haydn, der cs mit der Überschrift „Choräle St. Antoni“ versah. Es handelt sich also vermutlich um ein altes katholisches Wallfahrerlied. Brahms übernahm diesen Titel, wie er auch die Instru mentation des Themavortrages der Haydnschen anglich. (Nur nahm er die Geigen hinzu und ersetzte den ungebräuchlich gewordenen Serpent durch Kontrafagott.) Die erste Varia tion (Poco piu animato) knüpft unmittelbar an den Schluß des Themas an. Die zweite (Piu vivace) zeigt bereits eine echt Brahmssche Nachdunklung in Moll. Die dritte (Con moto) bringt mit dem Gesang der beiden Oboen und Fagotte einen wärmeren Gefühlston auf. In der vierten (Andante con moto) scheint die Melancholie eines grauen Herbsttages aufzu wachen. Einen starken Gegensatz bildet dann die fünfte Variation (Vivace), die in ihrem ^ Sechsachtel-Rhythmus fast lustig vorbeikichert, schließlich aber ins Gespenstige verhuscht. Heiter, kräftig, siegesbewußt gibt sich mit den Fanfaren der Hörner und Trompeten die nächste (Vivace), während die siebente (Gracioso) alle Süße und Anmut Brahmsscher Poesie in sich sammelt. Die achte (Presto non troppo) ist ein geisterhaftes Rennen und Hasten, ein geheimnisvolles Schattenspiel. Das Finale endlich setzt in höchster Kunstfertigkeit dem Ganzen die Krone auf, indem Brahms in der Form der Ciaconne über dem achtzehnmal im Baß erscheinenden Thema ei ne Folge von so kunstvoll wie wunderbar gegensätzlichen Variationen aufbaut, bis zum Schluß der Choral noch einmal in vollem Glanz des Orchesters erstrahlt. Max Regers „Vier Tondichtungen na eh A. Böcklin“ sind eines der Werke, in denen der Meister des Kontrapunktes sich als Kolorist gibt. Der programmatische Vorwurf, wie er in den einzelnen Überschriften angegeben ist, ist mit größter Differenziertheit der In strumentation, deutlich beeinflußt von Debussy, in Töne umgesetzt. Es sind vier tönende Gemälde, bald leuchtend, bald geheimnisvoll in der Farbe, zauberhaft wie Böcklins Bilder. Dr. Karl Laux