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Erstaunt fragte sic sich: War es denn wirklich Liebe, die dich dem heißblütigen Husaren in die Arme trieb? War es nicht Strohfeuer, welches blendend hell aufflackert, um so schnell schon wieder zu verlöschen? Und indem sie diese Frage sich selber stellte, begann bereits der Heilungsprozeß ihrer wunden Seele sich zu vollziehen. „Ich bin bereit", hatte Annemarie gesagt, und es lag so viel Demut, so viel unbewußte Hingebung in diesen Worten, daß nur die Gegenwart der Dienerschaft Tollen an einem erneuten Ausbruch seiner Gefühle hinderte. Er beugte sich zu seiner Braut, ihre Hand drückend, daß es sie fast schmerzte. „Du, mein Süßes," flüsterte er in verhaltener Leiden schaft. „Wie Du mich glücklich machst! Wollen wir an dem 1. Dezember festhalten? Und dann noch für die Dauer von vierzehn Tagen gegen Süden fliegen? Dann führe ich mein kleines Weibchen in das warme Nest. Was meinst Du, mein Einziges?" Annemaries Augen leuchteten. Der Ton von Tollens Stimme war von einer solchen Innigkeit durchdrungen, die sich beglückend in des jungen Mädchens Herz schmeichelte. Nicht so wie die leidenschaftlichen Liebesbeteuerungen des andern, der betören wollte. Hoher Stolz schwellte des jungen Mädchens Brust und mit ihm ein höherer Liebesreiz. Wieviel Schönes würde ihr das Leben bieten; sie kam sich selber plötzlich ein klein wenig wichtig vor. Lebhaft fragte sie: „Nach dem Süden wollen wir?" „Ja, mein Kleines. Wir müssen doch für ein Weilchen uns ganz allein gehören." Sie senkte den Blick in freudiger Erregung. „Sieh mir ins Auge, Süße," bat Tollen. „Freust Du Dich?" Annemarie erhob den Blick. Ein kleines, schelmisches Lächeln drängte sich auf ihre Lippen. „Ich glaube, Enno," hauchte sie. „Du glaubst?" lachte Tollen, das halb verlegene, halb schelmische Gesicht betrachtend. „Du bist ein kleiner Schelm. Willst mich nicht gleich verwöhnen mit holden Geständnissen. Gut so. Es könnte ein Unglück geben. Ich könnte Dich hier auf offener Straße beim Schopfe nehmen und Dich ans Herz drücken." , Annemarie wehrte lachend ab. Und sie blickten sich in die Augen. Endlich war man auf Tollenhof angelangt. Wie ein Schloß ragte das stattliche Gebäude aus dem umgebenden Grün der Bäume hervor. Es war ursprünglich ein fester, viereckiger Kasten gewesen, doch hatten Generationen nach ihrem Geschmack daran gebaut und gemodelt, so daß es mit seinen Türmchen, Nischen und Türbögen einem wahr haft feudalen Fürstensitze glich. Hier hinein führte Tollen sein holdes Bräütchen, in eine gediegene Pracht vergangener Jahre. Denn an der Ausstattung war aus Pietät niemals viel geändert worden. Annemarie staunte alles an. Es war eine andere Welt, in die sie eintrat, als jene, die sie soeben verlassen. Ein Diener in einfachem, grauem Dienstrock mit Silber- .knöpfen, ein altehrwürdiger Mann, trat ihnen auf der Diele entgegen. „Die gnädige Frau Gräfin lassen in ihr Zimmer bitten." „Gut, alter Knabe," entgegnete Tollen gut gelaunt. „Schau sie Dir mal an, Felix, die künftige Gräfin Tollen. Gefällt sie Dir, he?" „O gnädiger Herr, Gott segne der Gnädigen Eingang." Annemarie reichte gerührt dem alten Mann die Hand, die dieser ehrerbietig mit seinen Lippen berührte. Nun durchschritten sie mehrere Sale von wunderbarer Pracht. Felix eilte voraus, dem Paare die Türen zu öffnen. Die große Stille des geräumigen Hauses legte sich be klemmend auf des juugen Mädchens Herz. „Wie still und feierlich es hier ist!" bemerkte sie zu ihrem Verlobten gewandt. „Wärest Du nicht bei mir, würde ich mich fürchten." Tollen lachte. „Wir werden schon bald Leben ins Haus bringen, nicht wahr, meine Liebe? Wenn erst Deine Feldherrnstimme im Kommandoton durch.die hohen Räume erschallt —" scherzte Graf Tollen. Felix erlaubte sich in aller Ergebenheit ein kleines Schmunzeln. Die junge Gnädige sah gerade nicht darnach aus, als würde sie ein allzu strenges Regiment führen. Aber der gute Kerl wußte ja, wies gemeint war. Ja, ja, so war der junge Herr früher gewesen, so lustig, frisch und froh. Seit Jahren lastete eine schwüle Luft in diesen Räumen. Der junge Graf war schwermütig geworden und die alte Gräfin war gelähmt. Nun brachte dieser weiße Engel wohl eine andere Atmosphäre in die Moderluft vergangener Jahre und Zeiten hinein. Felix hatte die Türe zu einem lauschigen, kleinen Gemach geöffnet. Tollen trat mit seiner Braut über die Schwelle. Annemaries Blick fiel auf das Ruhebett, auf dem eine zarte, schlanke Matrone lag. Sie war in schwarze Seide gekleidet, der Schnitt des Kleides war altmodisch, ein weißer Spitzenkragen war am Halse befestigt. Unter einer Spitzen barbe, die zu beiden Seiten des Kopfes in langen Enden herniederfiel, schaute ein kleines Gesichtchen mit vielen Falten hervor. So zart und leidend war es anzuschauen, doch vergaß man diesen Eindruck, wenn mau in die wunderbar milden Augen blickte, die jetzt voller Spannung den Ein tretenden entgegenleuchteten. Der Diener hatte lautlos die Türe geschlossen. Tollen trat auf das Ruhelager zu. „Hier bringe ich Annemarie Kellen, meine liebe: Braut, Mutter." Annemaries Hand löste sich aus der seinen. Rasch trat sie näher: zwei zitternde Arme streckten sich dem jungen Mädchen entgegen. Annemarie ergriff die zitternden Mutterhände, küßte voller Inbrunst die Rechte, daun kniete sie an dem Lager nieder. „Mein liebes Kind, Gott der Herr segne Deinen Aus gang und Eingang." Zwei zitternde Hände griffen sanft nach Annemaries. Kopf, ihn emporhebend, und die schönen, alten Augen blickten lange und tief in die jungen, angstvoll prüfenden und zu gleicher Zeit um ein wenig Liebe bittenden Augen. Dann drückten sich die welken Lippen auf die reine Stirn der Tochter. „Sei mir willkommen, liebes Kind. Und möge Gott Euren Bund segnen." „Ich danke Dir, liebe Mutter," hauchte Annemarie, sich in tiefer Rührung abermals über die Hand der alten Dame beugend. Tollen beobachtete die Szene zwischen Mutt er und Tochter. Annemaries keusche Gestalt mußte fesseln; glückstrahlend suchten seine Augen die der Mutter. Diese reichte ihm die Hand. „Werdet glücklich, meine Kinder," sagte sie mit vor Be wegung zitternder Stimme und mit leuchtenden Augen. Es war unverkennbar, sie war von Herzen mit der Wahl ihres Sohnes einverstanden. Er las mit hoher Befriedigung ihre Gedanken in ihren sprechenden Augen. „Stehe auf, mein liebes Kind," sagte die alte Dame zu der Schwiegertochter. „Und nun wollen wir fröhlich sein." „Ja, das wollen wir," stellte auch Enno Tollen fest. „Wir wollen Leben haben um uns, fröhliches Lachen und Scherzen, und wenn es sein muß, auch mal 'nen kleinen Streit. Nur Leben. Was, Annemarie?" Annemarie, noch von der feierlichen Stimmung ganz benommen, nickte ihrem Verlobten mit glänzenden Augen zu. Die alte Gräfin gefiel ihr gar wohl. Die würde sie verstehen, zu der würde sie mit ihren kleinen Sorgen kommen können, die würde ihr ratend und helfend zur Seite stehen. „Und dann paß mir gut auf, Mutter, daß mir diese kleine Dame hier nicht alle Männerherzen in Flammen setzt," scherzte Tollen. „Aber Enno-" wehrte Annemarie vorwurfsvoll ab, während die alte Gräfin glücklich lächelte. Enno aber sagte: „Ja, meine liebe Annemarie, ich habe wohl allen Grund, ein wenig eifersüchtig zu sein. Der alte Brummbär von Felix war ja ganz weg, ich habe wohl sein Augenverdrehen gesehen —" Jetzt lachte Annemarie herzlich auf. Ihr frohes Lachen tönte erquickend durch das Gemach, daß auch die alte Gräfin mit einstimmen mußte. „Mein Töchterchen," sagte sie, glücklich über den Ueber- mut ihres Sohnes, „so ist er nun. Du wirst große Not mit ihm haben." „Bangemachen gilt nicht, Mutter. Was, Annemarie? Aber Du hast mir noch gar nicht gesagt, Mutter, wie sie Dir gefällt, meine kleine Fee?" Tollen drehte bei diesen Worten Annemarie vor dem Ruhebett der Mutter rundum, sodaß die alte Dame sie von allen Seiten zu sehen bekam. „Das laß Dir nicht von dem großen Unband gefallen, mein Kind," warnte die alte Gräfin gut gelaunt. „Halte ihn fest am Zügel, sonst macht ihn das Glück noch ganz übermütig." „Ausflüchte helfen Dir nichts," sagte der Sohn, glücklich sein holdes Lieb in seine Arme nehmend. „Meine Anne marie hat solche Angst gehabt vor Deiner Kritik. Nun heraus mit der Sprache. Kurz und bündig: Wie gefällt sie Dir?" „Muß ich erst sagen? Fühlt Ihr denn nicht, wie un endlich glücklich ich über mein Töchterchen bin? Ei, die soll wohl kritischeren Augen gefallen, wie den meinen." „Na, siehst Du, mein Goldenes, da haben wir den Salat. Alle Angst war vergebens. Veni, vidi, vici!" Annemarie legte ihr Köpfchen an die Brust ihres Ver lobten. Sie lächelte glücklich zu ihm auf. O er war ja gar nicht so ernst, so respektheischend, so gemessen, wie sie ihn bisher gekannt. Er war lustig, voller Humor, und auch die alte Gräfin, vor der sie solche Furcht gehabt hatte, war gut und herzlich, war wie eine echte, rechte Mutter. Ihr bangte nicht mehr vor der Zukunft; die hohen, stillen Räume konnten sie nicht schrecken. Schnell eilte sie hin zu der alten Dame, umfaßte sie und küßte sie herzlich. „Habe mich lieb, wie Du ihn liebst," bat sie in reizender Kindlichkeit. „Kind, Kind," sagte die alte Gräfin gerührt. „Mache ihn glücklich, und meine Liebe und Dankbarkeit sollen keine Grenzen kennen." Achtes Kapitel. ' . In Annemarie war eine stille Zufriedenheit eingezogen nach dem Besuch aus Tollenhof. Sie hatte einen herrlichen Nachmittag mit den beiden prächtigen Menschen verlebt: dieses Beisammensein hatte ihr ganz andere Werte gezeigt, als sie bisher gekannt hatte. Mutter und Sohn wurden von einer unendlichen Liebe zu einander getragen, und daß sie in diesem Bunde die Dritte sein durfte, legte ihrem ganzen Wesen eine gewisse Würde auf. Mutterliebe, wie war sie doch so schön! Sie hatte sie in dieser Weise niemals kennen gelernt, und sie nahm diese segensvolle Liebe hin wie ein göttliches Himmelsgeschenk. Ihr Verlobter hatte ihr den ausgedehnten Besitz gezeigt, war mit ihr in die Stallungen und Wirtschaftsgebäude gegangen, über die Felder gefahren; den Park hatte sie durchstreift — es war spät geworden, als sie heimkehrte. — Von nun an sah sie, wenn auch nicht mit jubelndem Glück, doch mit einer warm empfundenen Herzlichkeit der Ankunft ihres Verlobten entgegen. Die Erinnerung an Erich Tobaben verblaßte, doch konnte sie nicht ganz in Annemarie ausgelöscht werden, da bei dem Gedanken an Tobaben in ihr immer von neuem der Vor wurf rege ward, ihrem Verlobten etwas verheimlichen zu müssen. Aengstlicher denn zuvor mußte sie ihre Verirrung vor Tollen verheimlichen; ein Geständnis, jetzt abgeben, würde sie in seinen Augen mehr denn je herabsetzen. Auch lag ihr viel an der guten Meinung ihrer Schwiegermutter, die sie sehr hochschätzte, ja, die sie in der kurzen Zeit unendlich lieb gewonnen hatte. Nein, sprechen durfte sie nicht darüber, jene Episode mußte aus ihrem Leben ausgelöscht sein. Doch sie ließ sich nicht so rasch auslöschen. So ckamen immer wieder Zeiten, wo eine große Mut losigkeit das arme, von Gewissensbissen gequälte Mädchen überfiel. Dann hätte sie weinen mögen und sie faßte mehr als einmal den Entschluß, Enno Tollen ein volles Geständnis abzulegen. Trat aber der gereifte Mann mit dem strengen, herrischen Blick, der sich zwar bei ihrem Anblick milderte und eine warme Glut über sie ausstrahlte, an sie heran, da sank ihr der Mut. Sie konnte,- sie durfte ihm nicht von jenem unwürdigen Liebesverhältnis reden. Sie würde es nicht ertragen, wenn er sich von ihr mit Verachtung wandte. Trat Enno in solch trübe Stimmung hinein, dann ruhte sein Blick wohl mit Sorgen auf ihr. Er konnte sich offenbar nicht erklären, was Annemarie so bedrücken könne; auf Fragen ging sie nicht ein. So hielt er es für das beste, diesen sonderbaren, ungesunden Zustand nicht zu beachten oder ihn wegzuscherzen, was ihm oftmals gelang. Wohl kam ihm vorübergehend der Gedanke, sie liebe ihn nicht, und es sei ein heißer Kampf, der sich in ihrem Herzen abspiele. Das hätte ihren gedrückten Zustand vollständig erklärt. Wenn sie aber wieder auf seinen scherzhaften Ton ein ging und sich in hingebender Weise an ihn schmiegte, verwarf er allsogleich sein Mißtrauen. So waren nun wohl drei Wochen hingegangen. Auf Siebeneichen war man eifrig mit der Ausstattung beschäftigt, da die Hochzeit ja sehr nahe bevorstand. An den Beratungen nahm auch Tante Emmeline regen Anteil, und wenn etwas sie verstimmte, so war es der Ge danke, all ihr bißchen Hab und Gut den Geschwistern aus geliefert zu haben und Hinfort als Bittende zu ihnen kommen zu müssen, wo sie nach eigenem Ermessen hätte geben können. Sie wußte es aus Erfahrung, daß ihr Schwager es mit der Zinszahlung nicht so genau nahm bei ihr, und daß sie dadurch schon immer in Verlegenheit geraten war. Herbert kam selten nach Siebeneichen, was Herrn von Kellen unendlich verstimmte. Denn gerade die Verwirklichung des Gedankens, Herbert von der Tasche los zu werden, sollte die verfahrene Karre wieder flott machen. Mit Gewalt ließ sich allerdings hier nichts erwirken. Herr von Kellen fuhr zwar des öfteren nach Hamburg hin über, um seines Sohnes, wenn auch nur für kurze Zeit, habhaft zu werden und ihn immer von neuem an das be sprochene Heiratsprojekt zu erinnern; aber es nützte nichts., „Sieh mal, Papa," hatte er letzthin zu ihm gesagt, „die Sache läßt sich doch nicht so übers Knie brechen." „Was heißt übers Knie brechen?" brauste Herr von Kellen auf. „Es muß doch einer Verlobung eine längere Werbung vorausgehen. Und mit dieser zu beginnen, ist doch wahrhaftig Zeit, wenn in absehbarer Zeit von einer Ver lobung die Rede sein soll. Du hast doch die beste Gelegen heit, Dich Fräulein Grotkopp zu nähern, bist in ein paar Minuten von Deinem Garnisonort in Hamburg. Und ich glaube, sie wartet darauf. Junge Mädchen mit den gefüllten Säckeln im Hintergründe lieben vorzugsweise die blanken Knöpfe. Und dann fällt doch auch Dein Adel in die Wagschale." „Na, von der Grotkopp, Papa, da laß ich lieber meine Finger — " „Warum?" „Einmal wegen der Anständigkeit, denn, soviel ich ge merkt habe, legt sich Erich Tobaben bei der reichen Patrizier tochter mächtig ins Zeug." > „Erlaube mal, es wäre ein ehrlicher Kampf." „Nicht so ganz. Tobaben sprach mir davon, daß er sich ernstlich um Hete Grotkopp bewerbe, und dann würde es mir auch wohl sehr schwer werden, den gewiegten Frauen kenner aus dem Sattel zu heben, wenn er auch noch nicht ganz fest drin sitzt." „Dann bleiben noch die beiden anderen. Oder weißt Du etwas besseres?" fragte der Vater gereizt. „Vielleicht, Papa. Doch wenn kein Vermögen bei uns ist." „Vermögen?" Junge, mach bloß keinen dummen Streich! Dir bliebe nur Amerika und uns die Blamage." „Keine Bange. Ich bin doch kein Reiter auf dem Regen bogen. Ich stehe mit beiden Beinen fest auf der Erde." Das beruhigte nun zwar Herrn von Kellen, doch machte sich eine leichte Mißstimmung nach und nach auf Sieben eichen bemerkbar. Die Zeit ging hin in gefährlicher Unentschlossenheit; das Kapital von Tante Emmeline konnte natürlich bei der Lebens weise der Kellens und deren zerrütteten Verhältnissen nicht zunehmen. Und wie schließlich Annemaries Mitgift zusammen- bringeu? Diese unliebsamen'Gedanken drängten sich bei der herr schenden trüben Witterung immer stärker in den Vordergrund. Der Herbst war vollständig eingezogen mit seinen Stürmen und Regengüssen. Wie ein toller Geselle fuhr der Wind sausend durch die Bäume, daß sie sich stöhnend und ächzend der Uebermacht beugen mußten. In tollem Wirbel umtanzten die welken Blätter das Gutshans; die fast kahlen Zweige der breitästigen Kastanien klopften leise mahnend an das Fenster, als wollten sie die Bewohner drinnen an die Ver gänglichkeit alles Irdischen ermahnen. Fortsetzung folgt. 1