nicht variiert, indem er nur Veränderungen an der Melodie, an den Harmo nien, am Rhythmus und an der Lautstärke vornahm, sondern er hat mit Hilfe des immer veränderten Themas andere inhaltliche Aussagen machen wollen. Es sind dadurch in sich geschlossene Musikstücke entstanden, die von gegensätzlichem Charakter sind und das Thema nach seiner ganzen inhalt lichen Tiefe auszuloten versuchen. Den Höhepunkt schafft Brahms im Finale (als ein Beweis dafür anzusehen, daß Brahms meisterhaft disponieren konnte und fähig zur letzten Steigerung war), das selbst wiederum eine Variations folge über einen fünfaktigen ostinaten (immer wiedererklingenden) Baß darstellt, wobei das Haydn-Thema allmählich immer klarer, machtvoller und schöner hervortritt. Dieses Werk ist ein Vorläufer seiner Sinfonien: es ist eigentlich durchaus sinfonisch empfunden und reiht sich also würdig in die schöne Kette seiner vier Sinfonien ein. Antonin Dvorak: 2. Sinfonie d-Moll, op. 70 Antonin Dvorak schrieb seine 2. Sinfonie in d-Moll, op. 70, in den Jahren 1884 bis 1885. Schon lange vorher hatte er diese Komposition geplant, die dem Erscheinen nach die zweite seiner Sinfonien ist. Brahms hatte nach dem Bekanntwerden mitDvofaks 1. Sinfonie in D-Dur an jenen geschrieben: „Ich denke mir Ihre Sinfonie noch ganz anders als diese.“ Diese Aufforderung setzte Dvorak in die Tat um. Er zitierte im ersten Thema ein wichtiges Motiv aus der Hussitenouvertüre, um mit ihm seinen Trotz und seine Kampfein stellung gegen das damalige Deutschtum, das die Tschechen im österreichi schen Nationalistenstaate unterdrückte, auszusagen. Das gesamte Work ist nun ein leidenschaftliches, was im Hauptthema des ersten Satzes mit seinem Abbrechen auf einem verminderten Akkord, der den ganzen Schmerz und die tiefe Enttäuschung ausdrücken will, sofort zu spüren ist. Der ganze Satz erhält sein eigentümliches Gepräge durch jenes Stocken und Neubeginnen mit wildem Aufschwung. Das Adagio zeigt ganz deutlich die dreiteilige Lied form, in der Dvorak seine tiefsten und schönsten Gedanken auszudrücken fähig war. Auch das Scherzo bringt dieses Stocken und Schwanken wie im ersten Satze — und das Finale vor allem zeichnet sich aus durch eine kraft volle Gebärde, in der Entschlossenheit und Trotz vorherrschen. Wenn im 19. Jahrhundert als Grundgedanke der sinfonischen Form das Motto „Durch Nacht zum Licht“ maßgeblich gewesen ist, dann trifft dies für die d-Moll- Sinfonie von Dvorak nicht zu. Darin hat sie wohl eine Sonderstellung. Im sinfonischen Schaffen Dvoraks hat sie diese Ausnahmestellung auch deshalb, weil kein Thema irgendeinem tschechischen Volkslied oder seinem Charakter nachgestaltet ist, weil er in dieser Sinfonie keinen Anklang an heimatliches Liedgut hören läßt. Dvorak spricht in ihr nur seinen eigenen Schmerz, sein Leiden, seine Enttäuschung und seinen eigenen Trotz und Widerstandswillen aus.