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Ober Beethoven Karl August Varnhagen von Ense an Ludwig Uhland. Prag, 23. Dezember 1811 Die letzten Tage im Ausgang des Sommers lernte ich in Teplitz Beethoven kennen und fand in dem als wild und ungesellig verrufenen Mann den herr lichen Künstler von goldenem Gemüt, großartigem Geist und gutmütiger Freundlichkeit. Was er Fürsten hartnäckig abgeschlagen hatte, gewährte er uns beim ersten Sehen: er spielte auf dem Fortepiano. Ich war bald mit ihm vertraut, und sein edler Charakter, das ununterbrochene Ausströmen eines göttlichen Hauchs, das ich in seiner übrigens sehr stillen Nähe immer mit heiliger Ehrfurcht zu empfinden glaubte, zogen mich so innig an ihn, daß ich tagelang der Unbequemlichkeit seines Umganges, der durch sein schweres Gehör bald ermüdend wird, nicht achtete, und besonders die letzten Tage nur mit ihm und seinem Freunde Oliva, einem der besten Menschen, den Kerner auch gekannt hat, zubracbte. Wüßt ich es nicht durch unverwerfliche Zeug nisse, daß Beethoven der größte, tiefsinnigste und reichste der deutschen Tonkünstler ist, so hätte der Anblick seines Wesens es mir, sonst in der Musik ganz Unkundigen, unwidersprechlich dargetan. Er lebt nur für seine Kunst, und keine irdische Leidenschaft entstellt ihre Ausübung bei ihm, unglaublich fleißig und fruchtbar ist er. Er sucht das Weite auf seinen Spaziergängen und auf einsamen Wegen zwischen Bergen und im Wald, beruhigt in die großen Züge der Natur blickend, denkt er Töne, freut er sich seines eigenen Herzens. Ich erwähne solcherlei, damit Du ja nicht versuchen mögest, ihn mit irgendeinem andern Musiker zu vergleichen, sondern ihn bestimmt absondern mögest. Könnte ich Dir sagen, wie schön, wie rührend ernst und fromm, als küsse ihn ein Gott, der Mann aussah, als er uns auf dem Fortepiano himmlische Variationen vorspielte, die so reines Erzeugnis eines waltenden Gottes waren, daß der Künstler sie dem Verhallen überlassen mußte und, wie gern auch gewollt, sie nicht auf dem Papier festhalten konnte! Diesem nun, mein teurer Freund, habe ich alle Deine Gedichte, die abzuschreiben leider nicht Zeit war, auf sein Begehren geschenkt, und Du kannst hoffen, bald einen Teil davon komponiert zu sehn. Ich freue mich dabei, als wären sie von mir.