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ZUR EINFÜHRUNG Wie sein Werk, das Konzert für Orchester, op. 16, ist der Name des jungen Komponisten Hans Poser bei uns noch unbekannt. Poser ist 1917 im Vogtland geboren, er stammt also aus dem sächsischen Musik winkel. Jetzt ist er Lehrer für Theorie und Kom position in Hamburg. Seine Hinwendung zur Musik geschah während sechsjähriger Gefangenschaft in Kanada, wo er sich durch Selbststudium und eifrige Bemühung das musikalische Rüstzeug erwarb. Für Poser ist die Begegnung mit Hindemiths Schaffen entscheidend und für seine Entwicklung wichtig ge worden. Das bedeutet, daß sich Poser zunächst von den Musizierformen und Inhalten der Romantik ab wendet und sich der formal so sehr gestrafften und konzentrierten Musik barocker Ausrichtung zu wendet. Das ist schon ersichtlich aus dem Titel sei nes Werkes, das er ,,Konzert" nennt, also Wettstreit der verschiedenen Klanggruppen, weiter aus der rhythmischen Prägnanz der verwendeten Themen, der Hinneigung zum polyphonen Musizieren und seiner Einstellung, Musik mehr als Spiel und nicht so sehr als Mittel, Ethisches zu künden; aufzufassen. Der erste Satz bezieht seine Energie aus dem syn kopischen Anfangsthema, mit dem die tiefen Strei cher, die Fagotte und Hörner einsetzen. Ein zweiter Gedanke wird vom Streichorchester vorgetragen, dem sich kurz darauf ein drittes Thema zugesellt, das aus tiefen Lagen aufsteigt und in eine vom Schlagzeug beherrschte Episode einmündet. In der Durchführung werden die einzelnen Themen mit einander verquickt. Die polyphonen Techniken des Kanons, des Fugato und der Engführung spielen eine große Rolle. Eine etwas veränderte Wieder holung des ersten Teiles schließt diesen Satz ab. Der zweite Satz bringt eine Fülle von Melodien, die ebenfalls wieder polyphon zueinandergesellt werden. Der Mittelteil des liedartig gebauten Satzes gibt den Holzbläsern Gelegenheit zu Solistin her Aussage vor einer pochenden Klangkulisse. Den Schluß bilden eine lebendige Toccata und eine sich daraus entwickelnde F'uge. In der rhythmisch sehr interessanten Toccata tritt das Klavier als neue Klanggruppe zum Orchester hinzu. In die sich zu nächst mit allen Mitteln der Fugentechnik ent wickelnde Fuge ordnet sich später als cantus firmus im Kanon eine Choralmelodie ein, die den Hörnern. Trompeten und Posaunen anvertraut ist. Mit dem Anfangsmotiv der Toccata schließt die Fuge. Das ganze Werk, ohne Hindemith nicht denkbar, zeigt das große handwerkliche Können Hans Posers. Es zeigt auch seinen Willen, zu einer objektiven Musik hinzusteuem und die Ichhaftigkeit der Ro mantik zu meiden und zu überwinden. Alexander Scriabine (1872—1915). der Moskauer Komponist, ist der Mystiker un ter den Komponisten. Seine Abhängigkeit von Chopin, Liszt und Wagner ist in jedem Takte spürbar. Scriabine ist ein Ex ponent der bürgerlich-individualistischen Welt, die sich im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, in den Jahren vordem ersten Weltkriege, in ihrer Aus weglosigkeit in mystischen Spekulationen verlor. Vor allem die zweite Schaffensperiode Scriabines ab op. 30 ergibt sich dieser verzückten Hingabe an okkulte und satanische Absichten, die Scriabine in einer ekstatischen und schon den Expressionismus ankündigenden Sprache ausdrückt. Sein Klavierkonzert fis-moll op. 20 gehört seiner ersten Schaffensperiode an, die sich träumerisch und ätherisch gibt, in der Scriabine die Artisten des Klaviers Chopin und Liszt zum Vorbild nimmt, in der er seine Werke für den bürgerlichen Salon schreibt, in welchem im letzten Drittel des 19. Jahr hunderts sich das kulturelle Leben abwickelte. Dieser Schönklang der spätromantischen, reichen, satten Welt des Bürgers, diese Eleganz und Fülle des da maligen Daseins durchdringt alle drei Sätze des Konzertes. Schon im ersten Satz feiert dieser berauschende, süße exotische Klang wahre Triumphe. Der Klavierpart ist nur Arabeske, Ornament, .Schmuckwerk. Die rauschenden Passagen rollen und gleiten auf und ab, es wogt, schillert und fluoresziert, der parfümierte Klang betört. Der zweite Satz (langsam) bringt vier Variationen über ein romantisches Streicherthema, das zum Schluß diesen Satz abrundet. Der lebhafte dritte Satz bringt dieselben blühenden Klangwunder, oft mit einer pathetischen Gebärde, mit viel Temposc.hwan- kungen, die‘die empfindsame Seele des sich dem Rausch gern ausliefernden Menschen dieser Zeit da mals ausdrücken sollen. Mit ungestümer Leiden schaft schließt dieser Satz, mit einer Leidenschaft, die sich merkwürdig ausnimmt in der gesicherten bürgerlichen Welt der Jahrzehnte vor der Jahr hundertwende. Franz Schubert schrieb seine siebente Sinfonie in C-dur im März des Jahres 1828, das auch sein Todes jahr werden sollte. Schubert (1797—1828) führte ein Leben, das er selbst, im Hinblick auf die Jahre ab 1823, wo er sich eine tuberkulöse Erkrankung zuzog, als einen ,,Martergang" ansprach. Aber in der Sin fonie in C-dur ist weder eine Todesahnung noch der Anklang an sein leidvolles Leben zu spüren, vielmehr erhebt sich Schubert als echter Romantiker in eine Welt, die traumhaften, außerirdischen Ursprungs ist. Als Robert Schumann dieses Werk im Jahre 1838 bei Schuberts Bruder im Nachlaß entdeckte, war er begeistert von den „himmlischen“ Klängen, sah allerdings auch sofort die „himmlischen Längen" des Werkes, womit er in pietätvoller Verschleierung eine Kritik an Schuberts lyrisch-epischer Breite der Form, an seiner nicht endenwollenden Themen- darbielung ausdrückte. Schuberts C-dur-Sinfonie ist anders als die gedanklich scharfe und knappe Sin fonie eines Haydn oder Beethoven, er neigt zu einem köstlich-ruhevollen Verströmen seiner lyrischen Ein fälle, er reiht wundervolle Perlen gleicher Größe und gleicher Form aneinander, so daß eine Kette von unvergleichlicher Schönheit entsteht. Schubert hat eine andere innere Dynamik als Beethoven — ihm fehlt in der Sinfonie jenes Element der dramatischen Straffung, das Beethovens Werken ihren titanischen Zug gibt. Schubert war als Sinfoniker nicht titanisch. Er war Lyriker, er war Träumer, nach innen ge wandter Mensch voll von Gesang und Melodie. Mit dieser Einstellung kann man sich den vier Sätzen seiner 7. Sinfonie in C-dur nähern, mit ihr wird man auch die schnellen Sätze (1., 3. und 4.) verstehen, die im Grunde ebenso lyrisch und liedmäßig sind wie der 2. Satz. „Himmlisch“ ist alles nach Schumanns Worten, was in diesem Werke erklingt. Lassen wir uns etwas von diesem Abglanz des Himmels über strahlen! Johannes Paul Tbilman Vorankündigung: 8. Abend im Johannes-Brahms-Zyklus am Mittwoch, dem 14. Juni 1950, 19 Uhr „Abschied vom Leben". Mitwirkende: Chor der Akademie für Musik und Theater; Solist: Dietrich Fischer-Dieskau, Berlin, Bariton; Leitung: Professor Heinz Bongartz