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vom Dorf verhaftet und ins Schloßgefängnis, das sich in einem Kellergewölbe befand, transportiert. „Verflucht!" keuchte der Baron, sich mühsam aus einer Schneegrube arbeitend, in die er bis unter die Arme ge sunkenwar. „HimmelundHölle,ichbinvomWegeabgekommen!" Kalter Angstschweiß perlte ihm aus allen Poren, und seine Kniee wankten. Es war stockdunkel rings um ihn herum. Er wußte wirklich nicht vor- noch rückwärts. Und nun begann es auch noch zu schneien. Immer dichter fielen die Flocken, immer verzweifelter wurde seine Lage. Da fluchte er nicht mehr, eine furchtbare Todesangst schlich in sein Herz. „Sollte es doch wahr sein," flüsterte er, „was ich so oft belacht, daß es einen ewigen Richter über uns gibt? Ach, und sollte der heute über zwei Frevler seinen Spruch ge fällt haben?" In seiner Herzensangst versuchte der Flüchtling zu beten, wie er es einst als Kind getan. Doch es blieb Nacht um ihn, und die Kräfte schwanden von Sekunde zu Sekunde mehr. Da schrie er zu Gott um Hilfe. Er bekannte seine Sünden und empfand einen Ekel vor seinem bisherigen Leben, das ihm in dieser Stunde wie ein Bild von blutroten Farben vor der Seele stand. Und nun wurde es stille in seinem Innern, so still wie die Winternacht hier draußen über der endlosen Flur. Ein anderes Bild wurde vor den Augen seiner Erinnerung aufgerollt, ein gar liebliches, wunderbares. Er sah sich als unschuldiges Kind auf grüner, blumiger Au, bunter, blühender Rosen. Der Himmel lachte ihn an und die Sonne küßte ihn. Die Vöglein sangen so schöne Lieder, und bunte Falter umgaukelten ihn. Und nun trat ein Weib in lichtem Ge wände zu ihm. Ach das war so schön und hatte so milde Augen. Es war seine Mutter, die er nur als Kind gesehen. „Ich habe deine Reuetränen gesehen," sagte sie sanft. „Ich habe dein Gebet gehört, darum komme und ruhe an meiner Brust. Du sollst süß und sanft einschlasen." — Und nun sang sie ihm ein gar wunderbares Wiegenlied. So schön konnte sie singen, wie die Engel des Himmels. Da schlief er müde ein. Man hatte weder eine Spur vom Rentmeister noch eine vom Baron gefunden. Beide wurden sofort von der Polizei steckbrieflich verfolgt. Als am Tage nach Neujahr der Briefträger aufs Schloß kam, da meldete er dem Grafen, es läge an der Landstraße ein Erfrorener. Gleich fuhr der Graf mit ein paar Leuten zur Stelle. Und da fand man den Baron Ignaz von Radkowski als Leichnam kalt und erstarrt im Schnee liegen. Der Schlitten beförderte den Toten zur Stadt, denn im Schloß war kein Raum für ihn. Ilse lag von all der Aufregung, die ihr die letzten Tage gebracht, fieberkrank zu Bett. Wie ein schrecklicher Traum kam ihr das alles vor. Aber, als ihre Nerven sich erst ein wenig beruhigt und der Vater ihr einmal alles genau erzählt, da jubelte ihr Herz in seliger Wonne auf; sie umarmte den Papa und stammelte: „So ist ja Edgars Unschuld erwiesen, und ich hatte mich nicht getäuscht, als ich zu ihm sagte: „Der Gott, der die Menschenherzen kennt, wird auch Sie freisprechen. Und nun müssen wir an ihm alles gut zu machen suchen, Papachen." „Soweit das möglich!" seufzte der alte Herr. „Ich will gleich zu ihm hinaus. Ich will ihn bitten, mir von jetzt an mein Freund und Berater zu sein, denn ich sehne mich nach einem solchen, wo ich eingesehen habe, wie elend man mich betrogen hat." -I- sk- Jetzt verging kein Tag, wo Edgar nicht auf ein paar Stunden im Schlosse weilte. Vom Fortziehen war keine Rede mehr. Schon um Ilses wegen hatte er alles vergeben und vergessen. Der Graf ließ ihm in der Verwaltung der Forsten fortan völlig freie Hand und das wurde ihm zum großen Segen. Edgar sichtete das Material seiner Untergebenen gehörig. Ueber die Hälfte entließ er und setzte brauchbarere Leute an ihre Stelle. Ottos Getreue wurden vom Gericht wegen Wilddieberei und Hehlerei hart bestraft. Er selber rang noch immer mit dem Tode. Sein Lamen tieren hatte er auf dem Schmerzenslager allmählich verlernt. Er lag still da wie ein Toter, nur leises Seufzen ver riet, daß er noch lebte, und auf dem wächsernen, verzerrten Gesicht stand die Furcht vor Tod und Gericht nur zu deut lich geschrieben. Der Sanitätsrat kam täglich und wunderte sich jedes mal, daß der Patient noch immer nicht von seinen Qualen erlöst sei. Edgar bemühte sich mit derselben Aufopferung wie die Müllersleute um diesen Menschen, der sie alle hatte ver derben wollen. Und gerade diese treue, echt christliche Sorge um ihn machte ihn stille mit der Zeit. Es war, als schämte er sich, als wäre er doch nicht ganz unempfindlich gegen das Brennen der feurigen Kohlen, die man auf sein schuldiges Haupt gesammelt. O wie klein kam dieser Mann sich jetzt vor! — Scham und Reue erfüllten seine Seele. Der Schmerz und die Todesfurcht, das Erbarmen und die Liebe seiner Pfleger hatten ein Herz, das härter als Stein gewesen, weich gemacht. Und wunderbar, was niemand geahnt, wurde dennoch wahr: Der Revierförster Otto erholte sich allmählich. Nachdem er länger als einen Monat mit dem Tode gerungen, konnte der Sanitätsrat konstatieren, daß keine direkte Lebensgefahr mehr bestände. „Der Mann ist zäher als eine Katze," sagte er und meinte, so etwas noch nicht erlebt zu haben. Wieder herrschte große Aufregung im Schloß. Ein Brief von Annette war eingetroffen, ein schwarz umrandeter Trauerbrief, so konfus und so verwirrt, daß man unbedingt an dem gesunden Verstand der Schreiberin zweifeln mußte. Eine Mörderin nannte die Verzweifelte sich darin, eine Gattenmörderin. Aus den wirren Worten war folgender Zusammenhang zu erraten: Annette hatte, wie sie ja schon zu Weihnachten offen genug schrieb, in der vornehmen Welt den leichten Sinn fröhlicher Genußmenschen liebgewonnen, und sich in den Strudel der Freuden gestürzt, die sie bisher nicht kennen gelernt. Als vielbewunderte germanische Schönheit wurde sie von der Herrenwelt umschwärmt und umschmeichelt. Das tat ihr wohl und sie wünschte, daß dieses Leben nie ein Ende nähme. Da tauchte plötzlich ihr Gatte, der müde welke Greis, auf, redete ihr ins Gewissen und forderte von ihr, ihm in die Heimat zu folgen. Es gab einen sehr erregten Auftritt zwischen den un gleichen Eheleuten, und diese Aufregung war zu viel für den schwachen alten Mann, es traf ihn ein Herzschlag. Er war tot. — Annette aber mußte in einem Sanatorium untergebracht werden, da man sie für hochgradig nervös hielt und Schlimmes befürchtete. Das war aus dem Briefe zu entnehmen. Zum Schluß aber stand da klar und verständlich: „Mein Vater laß mich zu dir zurückkehren. Ich bin des Treibens müde, und mein armes Herz sehnt sich nach dem Frieden der heimatlichen Fluren. Ich will versuchen, in Waldengrund gesund zu werden. Ich habe Ilse stets ver lacht wegen ihres naiven Sinnes, wegen ihres Heimwehs. Jetzt beneide, bewundere ich sie. — Hier ist alles Tand und Flitter, Lug und Trug, ich habe Heimweh." Als die Veilchen im Schloßpark blühten, führte Ilse eine bleiche, kranke Frau am Arm durch die von frischem Grün der Hoffnung neu belebten Gefilde. Die Sonne lachte vom blauen Himmelszelt so recht heiter hernieder, als wollte sie alle Sorgen von den Menschenherzen fortküssen, und die Lerchen trillerten in so ausgelassener Freude, als wollten sie alle Menschenkinder auffordern, mit einzustimmen in den großen Jubelsang, mit dem die Welt ihren Schöpfer Preisen sollte. Ilse verstand das, Annette aber, das bleiche Weib, ahnte nur etwas davon. Sie war müde und wollte ruhen Die treue Schwester geleitete sie in ihr Gemach, küßte sie herzlich aus die blasse Wange und eilte dann wieder hinaus in den sonnigen Frühling. Am Waldesrain duftete es von Veilchen. Und weiße Anemonen zierten den grünen Moosteppich als ein wunder barer Schmuck. Wie Ilse sich eben beugt, um einen Strauß dieser ersten Frühlingsboten zu pflücken, da hörte sie ein frohes Lachen, schaut auf und sieht Edgar mit Jagdtasche und Flinte vor sich stehen. Unbefangen reicht er ihr als einer guten alten Bekannten die Hand, und erbietet sich, ihr behilflich zu sein. Errötend nimmt sie das an. Da plötzlich richtet er sich, ein duftendes Veilchensträußchen in der Hand, hoch auf und spricht, während seine Augen wie in stiller Seligkeit glänzen: „Das Veilchen war wegen seiner schlichten Schönheit stets meine Lieblingsblume. Es ist das Abbild der Treue und Wahrhaftigkeit, es kann nicht heucheln und sich verstellen. — Und du, meine Ilse, meine liebe, süße Ilse, bist das schönste Veilchen, das ich je gesehen. Du kannst gewiß nicht lügen. Du hast es mir ohne Worte tausendmal gestanden, das du weißt, wie unendlich ich dich liebe und daß auch du mich liebst. Meine Ilse!" Er schloß die Geliebte warm und innig in seine Arme, und die Sonne lachte noch einmal so hell durch die knospenden Buchenäste, und die Vöglein des Waldes stimmten ihr frohe stes Jubellied an. Zwei Menschenherzen, zwei edle, gute Seelen schlossen einen Bund für alle Ewigkeit, und segnend neigte der Himmel sich herab auf sie und wünschte ihnen, daß es allzeit Lenz in ihren Herzen bliebe, daß des Lenzes Blumen ihnen nie verblühen. Als die Osterglocken läuteten, feierte man auf Schloß Waldengrund Edgars und Ilses Verlobung. Und als Pfingstglocken das lieblichste der Feste einläuteten und die ganze Erde ihr schönstes Festtagskleid angelegt, da gelobten die beiden glücklichen jungen Menschenkinder sich am Altäre ewige Treue. -r- * Herr von Erlenhus bezog mit seinem jungen Weibe, nach dem sie die Flitterwochen in seiner nordischen Heimat ver lebt, die inzwischen zu einem reizenden Jagdschlößlein aus gebaute Oberförsterei. Der Graf übertrug ihm die ganze Wirtschaft und freute sich des Segens, der ihm von nun an in Wald und Feld erblühte. Und als dann über Edgars Vaterland der schöne Morgen tagte, den sein Vater auf dem Sterbebette prophezeit, da kam auch sein Ahnensitz wieder zu Ehren. Er war in der glücklichen Lage, dank seiner vorzüglichen Forstwirtschaft, denselben seinen Angehörigen zurückzukaufen. Und nun verlebte er mit seinem geliebten Weibe und den blondlockigen, pauspäckigen Kindern in jedem Jahr einige Wochen der Erholung in der meerumschlungenen Heimat. Revierförster Otto war zwar seinen Verletzungen nicht erlegen, aber als ein gebeugter Greis mit schneeweißem Haar schlich er scheu, auf seinen Stab gestützt, umher. Einer nachträglichen Strafe der Gerichte war er durch die Fürsprache des Grafen entgangen. Der Landesherr hatte ihn begnadigt. Aber er war dennoch härter bestraft, als irdische Richter ihn hätten bestrafen können. Auch der Rentmeister Schneider entging seinem Schick sal nicht. Nachdem er zehn Jahre in Amerika mit seinen Geldern gewuchert und viel hinzugerafft, wurde er durch den Betrug anderer ein armer Mann. Man sagte, daß er von seiner Tochter, die irgendwo Putzmacherin wäre, kümmerlich ernährt würde. Graf Ewald hatte an seiner ältesten Tochter, die still und genügsam bei ihm lebte, bis ins hohe Alter hinein eine treue Stütze. Täglich konnte man Vater und Tochter zum Hirschberg spazieren sehen. Dort oben im Jagdschlößlein, wo die Sonne des Glücks so hell strahlte, vergaßen auch sie alle Sorgen und freuten sich mit den Fröhlichen. Wie hast du mein Kind doch so glücklich gemacht, du guter Edgar," sprach der Graf manches liebe Mal mit Tränen in den Äugen. „Jetzt habe ich dich erkannt! Nie kann ich der ewigen Gerechtigkeit genug dafür danken, daß sie meine Feinde end lich entlarvt und meinen wahren Freund mich kennen lehrte!" — Ende. — Nachrichten des Kgl. Standesamtes zu Reichenbrand vom 3. bis S. Dezember 1910. Geburten: Dem Packer Karl Heinrich Gläser 1 Mädchen; dem Posa mentenarbeiter Max Louis Trommler'1 Knabe. Sterbefälle: Dem Maurer Robert Scholtz 1 Sohn, 5 Monate alt. Nachrichten des Kgl. Standesamtes zu Siegmar vom 1. bis 7. Dezember 1910. Geburten: Dem Eisenbahnassistenten Gustav Iohannes Stübner 1 Tochter. Aufgebote: Der Strumpfwirker Iulius Fritz Teubel, wohnhaft in Reichenbrand, mit Elsa Zilla Bading, wohnhaft in Siegmar; der Schlosser Oswald Robert Meißner mit Martha Klara Sonntag, beide wohnhaft in Siegmar. Nachrichten des Kgl. Standesamtes zn Rabenstein vom 2. bis 9. Dezember 1910. Geburten: Dem Rändermacher Ernst Friedrich Möckel 1 Sohn; dem Geschirrführer Paul Hugo Drechsel 1 Sohn. Hierüber 1 unehelich geborenes Mädchen und 3 unehelich geborene Knaben. Eheaufgebote: Der Handarbeiter Franz Otto Lange mit Anna Auguste verw. Teichmann geb. Vogel, beide wohnhaft in Rabenstein. Sterbefälle: Die Packers-Ehefrau Helene Martha Buschbeck geb. Lämmel, 29 Jahre alt; die Privata und Altersrentnerin Margaretha verw. Bergmann geb. Reiter, 84 Jahre alt- Nachrichten des Kgl. Standesamtes zu Rottluff vom 2. bis 8. Dezember 1910. Geburten: Dem Eisendreher Richard Hugo Wächtler 1 Mädchen; dem Installateur Ernst Hermann Berthold 1 Mädchen; dem Guß- putzer Max Moritz Müller 1 Mädchen; dem Zimmermann Oswald Paul Schmieder 1 Knabe, hierüber 1 unehel. Mädchen. Aufgebote: Der Schuhmacher Paul Amo Irmschler in Chemnitz mit der Repassiererin Ida Frieda Berthold in Rottluff. Kirchliche Nachrichten. Parochie Reichenbrand. Am 3. Advent d. 11. Dezember vorm. 9 Uhr Predigtgottesdienst. Parochie Rabenstein. Sonntag, am 11. Dezember, 9 Uhr Predigtgottesdienst mit Ein weisung der neu- oder wiedergewählten Herren Kirchenvorsteher. — Pf. Weidauer. Abends 8 Uhr ev. Iünglingsverein im Pfarrhause. Mittwoch, am 14. Dezember, abends 8 Uhr Bibelstunde iw Pfarrhaus. Donnerstag, den 15. Dezember, abends 8 Uhr Iungfrauenverein im Psarrhause. Wochenamt vom 12. bis 18. Dezember Pfarrer Weidauer. Volksbücherei Rabenstein (Geöffnet Sonntags von ^11—12 Uhr in dem Erdgeschoß der Zentralschule.) Alle erwachsenen Einwohner Rabensteins werden hierdurch herz lichst zu dem 3. Familien-Leseabende über den plattdeutschen Humoristen Frktz Reuter und seine Werke eingeladen. Er findet Mittwoch, am 14. Dezember im Vereinszimmer des Gasthofes zum weißen Adler von ^9 Uhr abends an statt. Die Büchereiverwaltung.