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ZUR EINFÜHRUNG Die Tänze aus Galanta von Zoltän Kodäly (geb.1882 in Ungarn) sind ein Zeugnis für das Urteil der Welt, diein Kodäly den bedeutendsten ungarischen Komponisten der Gegenwart neben Zela Bartök sehen will. Wie Bartok schöpft er die Kraft seiner Musik aus dem ungarischen Volkstum. Ungarische Volkslieder und Volkstänze sind mit ihrer Ursprünglichkeit und Urtümlichkeit, mit ihrer Würzigkeit und dem gesunden Geruch des Volkes in seine Musik eingedrungen'. Darum ist das weltberühmt ge wordene Orchesterwerk „Tänze aus Galanta“ so ein dringlich: breite Melodien strömen saftig und vollblütig durch das gesamte Stück, rassige, tanzfreudige Rhyth men geben ihren kraftvollen Pulsschlag dazu, ein sinnen- freudiger Glanz ist über das Ganze ausgebreitet. Durch die stete Wiederholung wird das Aufreizende und An treibende der Tänze besonders spürbar. Kaum ein Werk der gesamten Literatur kann als Beweis des unverwüst lichen Lebens der aus dem Volke hervorquellenden Musikgüter so herangezogen werden wie dieses. Ungarn hat der Neuen Musik viele gangbare Wege gewiesen. Kodäly ist einer derjenigen ungarischen Meister, die mutig neue Bahnen schritten und damit vorbildlich wurden für ganze Generationen von Komponisten. Reinhold Gliere, ein in Rußland hochangesehener lebender Meister, geb. 1875 in Kiew, hat mit dem Kon zert für Harfe und Orchester ein erstaunliches Alters werk geschaffen. Geschrieben im Jahre 1945, enthält es in einer natürlichen, ungekünstelten Form alle jene Ten denzen, die das russische Volk von seinen Komponisten wünscht und fordert. Gliöre kann sich noch auf die große russische Tradition berufen, da er selbst bei Rirnsky- Korssakow und Tomojew studiert hat und Tschaikow- skijs Pathos noch selbst in sich hat einsaugen können. Diese Meister beeinflussen seinen Stil und die Art seiner Instrumentation. Er bleibt dieser Art treu, die wir als ■spezifisch russisch anzuschauen gewöhnt sind. Im Schlußsatz, im dritten Satze dieses Konzertes, klingt unverkennbar russisches Volkslied auf. Im Wechselspiel mit der Harfe ergeben sich dabei reizvolle und eigen artige Klangwirkungen. Schon der rauschende, voll griffige Harfeneinsatz zu Beginn des ersten Satzes deutet auf die 1 Absichten Gliöres hin, klanglich seltene und wenig gehörte Dinge auszusagen. Im Wechsel zwischen solistischen und sinfonischen Elementen ergeht sich dieser Satz. Das Soloinstrument betont das Virtuose, das Brillante und Konzertante —-das Orchester mahnt zur sinfonischen Vertiefung. Die Fülle von klanglichen Kombinationen verraten die ungebrochene Kraft des alten russischen Meisters. Der langsame zweite Satz ist ein Thema mit Variationen, in dem ebenso die Phantasie Gliöres ihre Spannkraft beweist. Es gibt wenig Werke für Harfe und Orchester, so daß wir für dieses Konzert dankbar sind. Eine Serenade will heiter, leichtfüßig, unterhaltsam sein. Sie hat sich gewissermaßen selbst die Aufgabe gestellt, durch geistvollen Witz und launiges Geplauder Wohl wollen und Freundlichsein zu erzielen. Bohnslav Martinu gelingt diese Art unterhaltsamer Verzauberung recht gut. Eine durchsichtige „trockene“ Instrumentationskunst, die er den Franzosen abgelauscht hat, kommt ihm dabei zu Hilfe. Es^dingt alles, als werde es gleichsam staccato gespielt. Dieses Stakkato erinnert an das perlende, etwas gedämpfte Gelächter, das geistvolleWortspiele und kluge Anspielungen in einem Gespräch hervorzurufen pflegen. Dieser Art des Musizierens, des Plauderns mit den' Tönen, des Jonglierens mit Melodien, Phrasen und Mo tiven, hat sich Martinu zugewandt. Es ist alles Spiel bei ihm, niemals läßt er dem Gefühl so viel Raum, daß es die regelnde Vernunft überschwemmte. Der erste Satz huscht dahin in einer ununterbrochenen regen Be wegung, die durch das Ineinandergreifen kleiner leb hafter Motive erzielt wird. Auch der zweite Satz huldigt diesem spielerischen Wesen. In ihm wechseln oft die Klanggruppen des Holzes und der; Streicher ab, wobei die Streicher im Klanggewande der Pizzikato auftreten. Der dritte Satz vertritt die Stelle des Scherzos. Da aber die gesamte Serenade scherzhaften und witzigen Cha rakter trägt, heißt es für Martinu, hier besonders geist reich zu sein. Er läßt die Holzbläser losschwätzen. Sie kichern und fabulieren, so sehr sie können. Es scheint ein Jungmädchengeschnatter zu sein. Der schnelle vierte Satz bleibt dein Gesamtcharakter des Werkes treu. Aul fällig ist, daß im ganzen Werk die geradzahligen, melri^^B sehen Werke bevorzugt werden, und nur im langsamen^^^ zweiten Satz einmal im Wechsel andere Taktarten auf treten. Trotzdem ermüdet das Werkchen nicht. Gute französische Tradition, verbunden mit Martinus tsche chischem Temperament lassen es als ein Beispiel ge konnter Neuer Musik gelten, die nicht welterschütternde Probleme wälzen will, sondern eher zwerchfellerschüt ternde, unterhaltende, heitere Absichten hat. Paul Hindemith beginnt mit der Oper „Mathis der Maler“ jene Wandlung in seinem Dasein, die ihm zum Katholizismus und zur Romantik hinführt. Die geistige Zucht des Barocks, der Hindemith bisher unterworfen war, ließ auf die Dauer das Herz kalt und die Wendung zur Romantik ist für Hindemith zugleich eine Wendung zu Herzenswärme, Gefühl und Verinnerlichung. Die Sin fonie „Mathis der Maler“ setzt mit formalem Geschick Stücke der Oper zu einer Sinfonie, ja vielleicht zu einer sinfonischen Dichtung zusammen. Diese Einmaligkeit in Hinsicht auf ihre formale Zwitterstellung ist neben dem ethischen Werk gerade dieser Musik, die oft in einem Atem mit Wagners „Meistersinger“, mit Pfitz- ners „Palestrina“ genannt wird, einer der Hauptgründe für ihre Berühmtheit. Das 1933 geschaffene Werk glie dert sich in drei Sätze, die programmatische Namen tragen, die das Verständnis der Musik sehr fördern. Sie beziehen sich auf Teilbilder des „Isenheimer Altars“ von Matthias Grünewald, der nach neueren Forschungen Matthias Gotthart Neidhardt hieß. Das Engelkonzert beginnt mit einer langsamen Einleitung, in der das mittelalterliche Volkslied „Es sungen drei Engel“ einen sequenzartigen, grandiosen Aufschwung erlebt. Der eigentliche Sinfoniesatz zehrt von drei Themen, die in kontrapunktisch-konzertierender Art eine Fülle voi^^^ Musik ausschütten. Die Grablegung ist einer der innin^^B, sten und erschütterndsten Sätze der Neuen Musik. Ernst dieser Aussage kann sich niemand entziehen. Dib „Versuchung des heiligen Antonius“ stellt mit einem Realismus sondergleichen die höllischen Anfechtungen dar, denen der Heilige standhielt. Vier großangelegte Themen liefern die Substanz für diesen Satz. Das Thema der Streicher mit dem hohen Trillerton ist der Höhe punkt dieses musikalischen Gemäldes, das eines Dante würdig ist. Es mündet am Schluß in einen sehr lebendigen Lobeshymnus und in ein fast brucknerisch gewaltiges Halleluja. Hindemith hat dieses bedeutende Werk bis heute noch nicht wieder erreichen, geschweige denn über treffen können. Ds wird einmal Zeuge sein von dem musikalischen Streben und Können unserer Zeit. Joh. P. Thilman 2. Philharmonisches Konzert, Mittwoch, den 26.Oktober 1949,19 Uhr Dirigent: Prof. Heinz Bongartz; Solist: Prof. Ludwig Hoelscher, Cello. Werke von Schubert, Dvorak und Brahms