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ZUR EI-NFÜHRUNG Freudig begrüßt von Vater und Schwester, herzlichst willkommen geheißen von seinen Freunden, so war W. A. Mozart — 23jährig — von seiner großen Reise nach Paris in das kleinbürgerliche Salzburg zurückgekehrt. Keiner seiner ehrgeizigen Pläne hatte sich erfüllt, voll inneren Widerstrebens hatte er den Konzertmeislerposten in der Kapelle des Erz bischofs, als den einzigen Ausweg, wieder angenom men. Der Kampf um Anerkennung in Paris, das Er leben enttäuschter Liebe hatten ihn zum Manne reifen lassen. Der innere Konflikt mit dem Vater war nur scheinbar bereinigt, das alte, schöne Vertrauens verhältnis zwischen Vater und Sohn wollte sich nicht wieder einstellen, zumal dieser glaubte, auch jetzt in seiner bevormundenden Art dem Sohne, der künst lerisch längst über ihn hinausgewachsen war, Vor schriften machen zu können. Doch trotz dieser Kämpfe mit dem Vater und dem engherzigen Erz bischof, trotz der Sehnsucht, aus den ihn um strickenden Fesseln wieder hinauszukommen in künstlerische Freiheit, entstanden in dieser Zeit viele Werke, überreich an blühender Melodik — ein her vorstechender Wesenszug Mozarts, der ihn im Schaffensdrange die ihn umgebende trübe Welt so völlig vergessen ließ, daß er — auch im tiefsten Elend — zahllose Werke schuf, die oftmals in ihrer gelösten Heiterkeit nichts von seiner wahren Stim mung verrieten. Seine damals entstandenen Sinfonien lassen ver muten, daß der Erzbischof wenigstens in dieser Hin sicht etwas toleranter geworden war und auch den Sinfoniker Mozart gelten ließ. Daß dieser es auch ernst nahm mit seinem Amt als Domorganist, be weisen die zahlreichen geistlichen Werke, von denen die „Krönungsmesse“ das bekannteste ist. Für festliche Gelegenheiten schuf er wiederum ent zückende Serenaden und Divertimenti, deren schönste der heutige und folgende Mozart-Abend zu Gehör bringen. Das Divertimento in D-dur für Streichquartett und zwei Hörner gibt der Solo violine, wie in den früheren Serenaden, schöne solistische Aufgaben. Der Grundcharakter ist düster und pessimistisch. Am meisten wahren die Ecksätze Serenadencharakter, doch das Andante mit seinen d-moll-Variationen über ein beinahe exotisch an mutendes Thema ist weit entfernt von unbeschwer ter, fröhlicher Serenadeiistimmung. Selbst das gra ziöse Menuett, dessen Melodie von i. Geige und Bratsche in Oktaven vorgetragen und von der 2. Geige wie mit Gitarre begleitet wird, ist trotz des damit erzielten Ständchencharakters ebenso voll düsterer Stimmung wie alle anderen Sätze, die dieses Werk weit aus dem Rahmen geselliger Unterhal tungsmusik herausheben. Ganz das Gegenstück hierzu ist die heitere Serenade in D-dur, die wie die Haffner-Serenade eine große Zahl Menuette, Rondos, Märsche und sinfonische Sätze in überquellender Fülle aneinanderreiht. Die beiden Ecksätze haben sinfonisches Gepräge, da zwischen ist nach altem Brauch eine Concertante in zwei Sätzen eingefügt, die diesmal nicht der Solo violine, sondern einem Bläsersextett virtuose Auf gaben stellt. Nur das Andantino zeigt vorüber gehend wehmütige Stimmung, während im Trio des Menuetts des Posthorns muntere Signale erschallen. Beiden Werken kamen Mozarts Erfahrungen von Mannheim und Paris zustatten, besonders die Bläser stimmen sind selbständiger behandelt und greifen ebenso in die Thematik ein wie teilweise die Brat schen und 2. Geigen, wodurch gegen frühere Werke eine größere Beweglichkeit des gesamten Orchesters erreicht wird. Auch auf dem Gebiete der Konzertmusik für zwei Soloinstrumente schuf Mozart damals zwei der schönsten. Die Symphonie concertante für Violine und Viola — der Form nach ein echtes Konzert — ist ein geniales Werk, dem das dunkle, leidenschaft liche Es-dur die charakteristische Färbung gibt. Der i. Satz, mit einem großen sinfonischen Tutti be ginnend, scheint voller Trotz und innerer Glut, auch die Themen der Soloinstrumente sind bei aller Vir tuosität voller Emst. Das Andante trägt denselben leidenschaftlichen Charakter, wenn auch gedämpfter, verhaltener. Erst das Finale ist gelöster und erklingt in unbeschwerter Heiterkeit. — Wie auch im Kon zert für zwei Klaviere in Es-dur stehen beide Solisten im friedlichen Wettstreit und singen miteinander ein virtuoses Duett. Dieses Klavierkonzert war ursprünglich für Mozart und seine Schwester Nannerl bestimmt; es ist ein schwungvoll heiteres Werk. Man sieht förmlich die Geschwister Mozart miteinander musizieren, sich unterhalten über ein gemeinsames Thema, es vari ieren und die beiderseitigen neuen Einfälle sich Vor spielen, im Eifer sich dabei manchmal unter brechend — kurz, es ist ein liebenswertes, leben sprühendes Werk, das sich nach dem langsamen, innigen Mittelsatz im Schlußrondo zu ausgelassen ster Heiterkeit steigert. Mitten im rastlosen Schaffen erreichte Mozart der ehrenvolle Auftrag des Münchner Hofes, für den bevorstehenden Karneval eine Oper zu schreiben und mit Begeisterung ergriff er diese Gelegenheit, nach fast zweijährigem Aufenthalt in Salzburg die ihn einengenden Fesseln abzustreifen und seinen Herzenswunsch erfüllt zu sehen, endlich eine große Oper schreiben zu können. Voll rastlosen Eifers arbeitete Mozart an dieser Oper, der der alte Ido- meneo-Stoff zugrunde lag. Er erreichte damit einen Flöhepunkt der opera seria und einen Höhepunkt des eigenen Schaffens, der seine früheren drama tischen Werke weit übertrifft. Die einsätzige Ouver türe trägt tragisch feierliche Züge, so recht die Ein stimmung für die folgende ernste Handlung. Diese Ouvertüre und die Ballettmusiken sind das einzige, was von der damals mit Begeisterung aufgenomme nen Oper heute noch erklingt. Nach dieser Zeit freien Schaffens traf Mozart der Befehl seines in Wien weilenden Brotherrn, sich so fort bei dessen mitgeführten Hofstaat einzufinden, doppelt schwer. Er sah sich plötzlich zurückversetzt in seine lakaienhafte Abhängigkeit, die ihn zwang, mit den Köchen und Zuckerbäckern an der Be diententafel zu speisen und ihn auf eine Stufe stellte mit den übrigen Lakaien. Außerhalb des Dienstes für'den Erzbischof erlaubte dieser keinerlei musi kalisches Auftreten seiner Untergebenen. Mit dieser Behandlung erreichte die Auflehnung Mozarts gegen die gewaltsame künstlerische Unterdrückung ihren Höhepunkt. Im Verlauf einer stürmischen Ausein andersetzung mit dem Erzbischof, in der dieser Mozart „einen elenden Buben, liederlichsten Bur schen, Lumpen und Lausbuben“ nannte, warf ihm dieser, zutiefst in seiner Ehre gekränkt, sein Amt vor die Füße, und sein offizielles Entlassungsgcsuch wurde schließlich gar mit einem Fußtritt des Grafen Arco, einem Höfling des Erzbischofs, beantwortet. Das war der Dank des Erzbistums Salzburg an den größten Musiker, den es je in seinen Mauern be herbergen durfte. So hatte sich Mozart endlich frei- gemacht von den Fesseln, die ihm wohl ein einiger maßen gesichertes Leben, aber niemals künstlerische Unabhängigkeit gegeben hätten. Es war die revolu tionäre Tat eines Vorkämpfers für die künstlerische Freiheit einer späteren Zeit, der nur seinem eigenen künstlerischen Gewissen, seinem Schöpferdrang untertan sein konnte; in der damaligen Zeit der absolutistischen Herrschaft ein unerhört kühnes Wagnis, das ihn für den Rest seines Lebens in schwerste wirtschaftliche Bedrängnis bringen sollte. Ruth Butowski