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Nagt zu Nr. H -es Weckutles sür Ntichenbrau-, SitMur, Neußu-i un- Rabtusttin. Sonnabend, den 29. September 1906. September Betrachtungen des Rentiers Frohlieb Schmerzensreich. Mit Weidmannsheil und Büchsenknall — hielt A September überall — Einzug im ganzen deutschen Aich, — und mit dem Jagdbeginn zugleich — trat Wechsel in der Witt'rung ein, — heut' Regen, morgen Sonnenschein! — So ging'n die Tage schnell dahin, Wechselnd bis zu des Herbst's Beginn. — Das nahm Mich noch mehr den Mut, — davon, daß vielleicht Albwegs gut — die Weinernte noch sei im Jahr; — Wer macht sich der Wunsch nicht wahr — und kein Swher Begehr wird sein — nach „Neunzehnhundert- Wer" Wein! — Doch war wenigstens zum Aus gleich — die Obsternte dafür sehr reich, — die Bäume Mgen übervoll — und des Obstzüchters Geldsack Hwoll, — war'n auch die Früchte billig sehr, — von Tag zu Tage immer mehr. — So war's in Deutsch land weit und breit, — hierzu kam die Manöverzeit, — Ao wieder deutsche Disziplin — der Welt im schönsten Acht erschien, — die sich von neuem hat bewährt — and wo der Kaiser hochverehrt — nach deren Ende Ai Breslau — abnahm die große Truppenschau. — Dort sprach er noch das große Wort, — „von den Schwarzsehern fort und fort", — die sich jetzt zum Schaden vom Land — breit machen fast in jedem ^>tand. — Doch hat sich auch sehr amüsiert — der Kaiser, weil ihm vorgeführt — schön seine Wünschel rute hat — der Prinz von Schönaich Carolath. — A Baden öffneten sich weit — die Herzen zu der Mdhochzeit — von dem großherzoglichen Paar, — ?es weit'ren wurde achtzig Jahr — der Großherzog un Mond noch alt, — gleichwie die ehrwürd'ge Gestalt vom Altenburger Herzogsgreis, — dem sein Volk lauten Jubelpreis — wollt' bringen, Edelmut zum dohn, — als plötzlich starb sein Schwiegersohn, — der Prinz Albrecht, Braunschweigs Regent, — die Uncht'ge Frage nun entbrennt, — wer sein Nachfolger lverden soll; — der Cumberländer zeiget Groll — "och immer gegen Preußens Thron, — drum wird's ein deutscher Fürstensohn. — Dann sah man ferner "ach Berlin — für Erbprinz Hohenlohe ziehn — Herrn Bernhardt Dernburg, den erkor — zum Kolonial- direktor — sich Bülow, der auch Bernhardt heißt, — und diese Tatsache beweist, — Deutschland setzte die Schweiz schachmatt, — denn zu dem „großen Bern hardt" hat, — es wie die Schweiz nun endlich doch — auch seinen „kleinen Bernhardt" noch! — Des weitren lagte man noch viel, — so der deutsche Jurist in Mel, — die deutschen Aerzte in Stuttgart; — zu Sing es ferner wieder hart — zum deutschen Sozialisten lag — in Mannheim, wo mit wucht'ger Sprach' — Zernichtete die ganze Welt, — Bebel, der Barrikaden held! — Der andren Länder Politik — zeigte uns Oestreichs Mißgeschick, — das zu keinem Abschlusse kommt — mit Ungarn, und in Rußland frommt — Ar Aufenthalt dem Zar nicht mehr, — weshalb mit seinem Hause er — aus Furcht jetzt schwimmt auf hoher See — nach Trepow schnellem Todesweh. — In Frankreich schrie man wieder schon — nach einer Dreyfuß-Revision, — Kulturkampf steht ihm auch bevor, — aus England klang an unser Ohr — des Kriegsministers Lobgesang — auf den rüstigen Vor- Aärtsgang — von dem gesamten deutschen Heer; — doch trotz der uns erwies'nen Ehr', — schielte John Bull in letzter Zeit — doch auf die Bagdadbahn mit Neid. — In Mailand tagte unterdes — der große Weltfriedenskongreß — und's schlaue Nordamerika — intervenierte in Kuba. — So ging zu End' der Herbst- Nrond nun, — in Hongkong der große Taifun, — lrug nicht zu seiner Schönheit bei, — daß von solch' großem Unglück frei, — sich der künft'ge Oktober Zeig — Hofft mit euch Frohlieb Schmerzensreich. Freigesprochen. Familien-Roman v. Ludw. Nutzer. (Fortsetzung). „Ich übernehme die Führung der Krankenträger, Herr General", sagte Hartfeld, als der Adjutant sich entfernt hatte, „und werde nicht rasten, bis wir die Vermißten gefunden haben." „Ja, tun Sie das, Herr Leutnant", erwiderte Ar General. „Unter den Krankenträgern befindet sich vielleicht keiner, der die beiden Vermißten persön lich kennt." Nach einigen Augenblicken fuhr er mit angegriffener Stimme weiter: „Ich habe mit dem Herrn Major seit siebzehn Jahren auf die Nachricht gewartet, die ich Ihnen soeben vorgelesen, und bin wohl der einzige auf der Welt, der sein trauriges Schicksal kennt. Lieber Hartfeld — Sie ahnen nicht, wen Sie auf dem Schlachtfelde suchen!" „Ich weiß, daß ich den treuesten Freund meines verstorbenen Vaters suche, Herr General." „Nein, Sie suchen Ihren Vater selbst!" „Herr General . . .!" rief Hartfeld erblafsend, während Irma einen leichten Schrei ausstieß und dann laut aufschluchzend in die Arme ihres Bruders sank. „Ich war so lange der Vertraute des Unglücks Ihres Vaters", fuhr der General fort, indem er seine Hand auf die Schulter Hartfeld's legte, „und wollte nun auch an seinem Glücke teilnehmen, wenn er zum erstenmal seine Kinder umarmen darf. Das scheint mir nicht vergönnt zu sein. Ich kann den Gedanken nicht fassen, daß ihn das Schicksal unmittelbar vor dem lang ersehnten Augenblick hinweggerafft haben soll." Hartfeld's Brust wogte heftig; es war, als ob er nach Atem ringe. „Major Berger ist unser Vater, Irma!" kam es endlich überquellend von seinen Lippen. „Und er liegt wahrscheinlich schwer verwundet auf dem Schlachtfelde! Komm, Irma, wir müssen ihn finden, ihn retten, ihn und Schütz ... es darf nicht sein, daß er stirbt!" „Ja, eilen wir, Georg . . . eilen wir!" rief Irma in fieberhafter Erregung. „Der arme unglückliche Vater . . .Vater! Träumt's mir denn nicht? Komm', Georg, wir müssen ihn retten ... wir müssen auch . . . o, Gott, hab' Erbarmen! Es wäre ja entsetzlich!" Stumm und bewegt reichte der General Irma und ihrem Bruder die Hand und einige Augenblicke später befanden sich die Geschwister im Freien. Sie eilten die dunkle Dorfstraße dahin und besprachen, während sie bald Einzelnen, bald Gruppen von Ge fallenen ausweichen mußten, aufgeregt und leise das soeben Vernommene. Die Angst um den Vater und den teuren Freund beflügelte ihre Schritte und nach kurzer Zeit erreichten sie den Verbandplatz. Im Hofe des Bauerngutes wurden bereits die zum Aufsuchen der Vermißten bestimmten Träger geordnet, deren Führung Hartfeld übernahm. Irma eilte in eines der Gebäude, um bei ihrer Vorgesetzten Urlaub zu erbitten. Bald darauf kam sie mit Verbandstoffen und einem umhängbaren Fäßchen wieder zurück, daß sie an einem Brunnen mit Wasser füllte. „Soll ich nicht auch eine Flasche Wein mitnehmen, Irma?" fragte Hartfeld. „Ja, das wird gut sein für Dich selbst", erwiderte diese mit gedrückter Stimme. „Schwer Verwundete und Sterbende verlangen nur Wasser!" Gleich darauf setzte sich die mit Tragbahren und Laternen ausgerüstete Hilfskolonne in Bewegung. Hartfeld und Irma eilten so schnell voraus, daß die Leute nur schwer zu folgen vermochten. Vor ihren Augen loderte der Feuerherd des brennenden Bazeilles, dessen mächtige Flammen die Gegend in weitem Um kreise beleuchteten. Hoch über dem Feuermeer zogen dichtgeballte, purpurgefärbte Wolken dahin, hinter denen die schmale Mondsichel über den östlichen Höhen sich dann und wann verbarg. Die Böschungen auf den beiden Seiten der Straße waren bedeckt von Toten. Wohin der Blick der Eilenden sich wandte, die Höhen zur Linken hinan oder die Ausläufer zum Maastal hinab — überall hoben sich die dunkeln Körper ge fallener Soldaten und Pferde von den kahlen Stoppel feldern und zerstampften Wiesenflächen ab, über die der Feuerschein des brennenden Dorfes ausgebreitet lag. Irma blieb anfangs wiederholt stehen und klammerte sich furchtsam an den Arm ihres Bruders. Die Trug bilder der Nacht nahmen ihre Sinne gefangen und alles Regungslose gewann in ihren Augen Leben: Hier lag, den Chassepotkolben an der Wange, ein französischer Soldat, der über die Böschung zielte und sich bewegte, und dort, zur Rechten, ließ eine Plänkler kette sich rasch und schußbereit zur Erde nieder; hier wälzte sich ein Pferd, das auf dem Abhang lag; dort kamen wieder, aufgehäust und oft die Straße sperrend, Tote über Toten, die auf der Erde noch zu kämpfen schienen. Nach längerer Wanderung aber gewöhnte sich das Auge Jrma's an das schaurige Totenfeld. Wie von einem wüsten Traume befangen, schritt sie an der Seite ihres Bruders dahin und Mitleid und Entsetzen betäubten die Angst um den Vater und den Geliebten. „Wir müssen nun über diese Höhe, Irma", begann Hartfeld nach langem Schweigen. „Durch Bazeilles können wir nicht, und der Park von Monvillers muß da drüben liegen. Dort beginnen wir das Suchen." „Glaubst Du, Georg, daß wir sie finden — lebend finden?" fragte Irma zaghaft. „Ich hoffe es. Wir müssen sie finden!" erwiderte Hartfeld. „O, Georg, alles ist tot . . . alles ist tot, wohin das Auge blickt. Wenn nun auch sie . . . nein, das darf nicht sein! Gelt Georg, unser Vater und — Dein Freund sind nicht tot?" „Das kann und will ich nicht glauben", sagte Hartfeld gedrückt. Sie hatten die Hälfte des Berges erreicht und mußten nun eine ausgedehnte Linie eroberter franzö- ischer Batterien durchkreuzen. Irma empfand jedesmal ein Gefühl der Erleichterung, wenn zuweilen ein Feld gendarm in raschem Trabe dahergeritten kam, oder venn ein Posten die Nahenden anrief. Von der Höhe euchteten die Biwakfeuer herab, und in gleichmäßigen Zwischeuräumen hoben sich die dunkeln, massigen Punkte >er deutschen Geschütze vom Erdboden ab, deren Mündungen nach Sedan hin gerichtet waren. Das nächtliche Schlachtfeld bot von dieser Höhe aus ein phantastisches Gemälde dar, das selbst die orgenerfüllten Geschwister ein paar Augenblicke fesselte. Zu ihren Füßen lag Bazeilles, dessen flammende Häuserfirste in das Glutmeer niederstürzten und flam mende Feuergarben in die Höhe warfen. Tief unten dehnte sich das Maastal aus, zuerst iu blasses Dämmer licht und dann in Finsternis gehüllt, die von der Feuerröte Sedans abgeschlossen wurde. An einigen Punkten traten die Konturen entfernter Höhen aus )er Dunkelheit hervor, auf deren anderer Seite ein Weiler oder Meierhof in Flammen stehen mochte, der den Himmel blutrot färbte. Und über diese Höhen jagten Hunderte von scheuen, reiterlosen Pferden in wilder Flucht hinweg; mit fliegenden Mähnen, ab gerutschten Sätteln und geschleiften Zügeln tauchten sie, wie scharf markierte Schattenbilder, im Feuerscheine auf und verschwanden spurlos wieder in der Finsternis. Da, wo der Rauch die Linien eines Höhenkamms umspielte, mochte man beim Anblick der halbverhüllten Pferde wähnen, es hätten sich die mutigen Reiterscharen der Generale Margueritte und Galliffet vom Schlacht felde aufgerafft und setzten nun den kühnen Todesritt vom Nachmittage in den Wolken weiter, um Carrig- nan—Montmedy zu erreichen. Bald hatten die Geschwister mit den Krankenträgern das Biwak auf dem Höhenrücken hinter sich und wandten sich nun, bergabschreitend, dem Park von Monvillers zu, der düster schwarz vor ihnen ausgebreitet lag. Das Stimmengewirr des bewegten Lagerlebens begann allmählich zu verstummen, und sie befanden sich wieder im Bereiche des Todes, dessen Opfer zahlreich den Abhang bedeckten. Plötzlich vernahmen sie aus einiger Entfernung ein stoßweißes Schluchzen, und kurz darauf gewahrten sie einen Soldaten der in gebückter Haltung unter den Gefallenen umhereilte und das Gesicht eines jeden beleuchtete. Bald wurde auch dieser auf die Nahenden aufmerksam, und er forschte, die Laterne hochhaltend in die Dunkelheit hinaus. „Das ist ja der Diener vom Leutnant Schütz, Irma," sagte Hartfeld überrascht. „Suchen Sie Ihren Herrn, Michel? rief er dann dem Burschen zu. „Oh, Herr Leutnant . . . gottlob, daß Sie kommen", antwortete dieser unter heftigem Schluchzen. „I such' schon drei Stund' und find ihn nit, mein Herrn." „Weinen Sie nicht, Michel", sagte Hartfeld, indem er dem Burschen die Hand reichte. „Wir werden ihn schon finden. Haben Sie den Herrn Major Berger nicht gesehen?" „Nein, Herr Leutnant. Vom Herrn Major weiß i gar nix." „Wo haben Sie denn schon überall gesucht?" fragte Hartfeld im Weitergehen. „Den groß'n Garten da vor uns hab i ganz ab- g'sucht, Herr Leutnant. Da liegen einige Hundert Tote drin; lauter Bayern und Franzosen und alle hab i angschaut. I hab a viele Kameraden von Passau g'seh'n unter den G'fall'nen, aber kein Offizier vom Bataillon." „Wissen Sie auch nicht, wo das Bataillon biwakirt?" „Nein, Herr Leutnant. Wir Diener haben ja z'rück bleiben müass'n, wie's Bataillon heut Fruah um Vier aus Bazeilles nei is. Seitdem hab i mein Herrn und kein lebenden Menschen vom Bataillon mehr g'sehn." „Wie lange sind Sie schon der Diener des Herrn Leutnant Schütz?" fragte Irma den Burschen, als Hartseld zu den Trägern zurückging und ihnen einige Weisungen erteilte. „Zwei Jahre", antwortete Michel. „Kennen Sie meinen Herrn vielleicht, ehrwürdige Schwester?" „Ja", erwiderte Irma gedrückt. „Es freut mich sehr, daß Sie so treu an Ihrem Herrn hängen. Fürchten Sie, daß er schwer verwundet ist?" „Wenn wir ihn nicht finden tät'n, ehrwürdige Schwester! I hab so an Druck iu mir drin, daß i moan, es z'sprengt mi'. Tot wenn mei Herr wär — mi' tät auf der ganzen Welr nix mehr g'freu'n." „Tot?" rief Irma entsetzt. „Oh, sprechen Sie das fürchterliche Wort nicht aus! Das kanu, das darf ja nicht sein!" Gleich darauf kam Hartfeld nach. Sie wandten sich nun einem an den Nordrand des Parkes von Monvillers sich anschließenden Taleinschnitte zu, in dessen Mitte die Givonne zwischen Erlen, Lärchen nnd Akazien lautlos dahinfloß.