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„und werde am Neujahr die Wohuung kündigen. Wir gehen sobald als möglich." „Vater, wenn er unschuldig wäre . . . wenn er in der Verzweiflung den Tod suchte!" „Wenn er unschuldig ist, hat er zum Selbstmord keinen Grund." „Aber ich . . . meine Worte treiben ihn dazu! Ich sah es ihm au, Vater, er geht in den Tod!" „Was hast du ihm denn gesagt?" „Daß ich den Tod einem Weiterleben mit ihm vorziehe, daß ich ihn verachte." „Nachdem seine Schuld nicht erwiesen ist, war das etwas hart, Marie! Eine gütliche Vereinbarung wäre mir erwünschter gewesen. Ich wollte ihn auf eine Trennung vorbereiten, ihn von der Notwendigkeit einer solchen überzeugen, aber . . . sein Benehmen gibt mir ernstlich zu denken; er machte ganz den Eindruck . . . Es ist zum Verrücktwerden!" „Vater, ich bin nicht hart!" rief die junge Frau dem Weinen nahe. „Ich mußte ihm ja so begegnen! Wüßte ich, daß er unschuldig ist . . . o, wie wollte ich ihn lieben, ihn trösten!" „Natürlicher würde ich es finden, wenn du an seine Unschuld glaubtest! Wenn die ganze Welt gegen mich gewesen wäre. . . verfehmt, verachtet — deine Mutter hätte nicht von mir gelassen! Mir drängt sich die Vermutung auf — du liebst ihn nicht!" „Vater, ich liebte ihn! In den letzten Monaten aber ist alles in mir erkaltet. Mein Mann im Ge fängnisse, wegen Unterschlagung! Es ist nicht aus- zudeMu; mir schauert vor ihm!" „Bedenke, Marie, er wäre ein Märtyrer, wenn er unschuldig ist!" „Vater, ich bin nicht hart ... ich kann ja ... o, ich bin so unglücklich . . ." Ein heftiges Schluchzen erstickte ihre Stimme; sie sank in einen Stuhl und ließ ihrem Schmerze freien Lauf. In diesem Augenblicke drang von unten herauf — ein seltsamer Gegensatz — der Gesang zweier Kinder, deren silberhelle Stimmen von einem wohlklingenden Bariton begleitet wurden: „Stille Nacht, heilige Nacht, Alles schläft, einsam wacht Nur das traute, hochheilige Paar; Holder Knabe im lockigen Haar, Schlaf in himmlischer Ruh!" „Großpapa, jetzt kommt das Christkind!" rief der kleine Georg in freudiger Aufregung. Da ließ sich der Oberst auf das Sopha nieder und hob die beiden Kinder zu sich herauf. Atemlos lauschten diese der lieblichen Melodie, in die sich das leise Schluchzen der Mutter mischte. In den wetterharten Zügen des alten Soldaten aber begann es verräterisch zu zucken; sein Kopf sank tief herab und er vergrub das Gesicht in die dichten Locken des Knaben. „Ja, das Christ kind soll kommen!" rief er plötzlich, und mit hastigen Schritten verließ er das Zimmer. Seine Lieben durften nicht sehen, wie ihm die Augen in Tränen schwammen, und nicht ahnen, welch ein tiefer Schmerz sein Inneres durchwühlte. III. Verläßt man das die Stadtbefestigung umschließende Glacis von Ingolstadt auf der südlichen Seite, so befindet man sich nach einigen hundert Schritten in einer Art Urwald — den Donauschütten. Als die den Erdball beherrschende Technik dem Strome seine derzeitige Bahn noch nicht zugewiesen hatte, war er in zahlreiche Arme geteilt, die, dem Geäste einer knor rigen Eiche ähnlich, sich heute noch weit in die Ebene erstrecken. Vor Jahrtausenden vorhanden gewesene, nunmehr längst verschwundene Hindernisse zwangen wohl einstmals den Strom, in jenen merkwürdigen Krümmungen und Windungen sich Bahn zu brechen, wie wir sie heute vor uns sehen, und die uns, ange sichts des ebenen Geländes nach den Naturgesetzen unmöglich erscheinen. Dem vom Schlamme der Hochwasser gedüngten Boden entsprießt eine durchwuchernde, mannigfaltige Pflanzenwelt, die in großer Breite und oft in Längen von mehreren Meilen sich die Ufer entlang zieht. Wohl vor Jahrhunderten schon hat die Axt hier einzelne Wege gebahnt, und zuweilen erscheinen größere Flächen, die in neuerer Zeit der Landwirt urbar zu machen versuchte: allein der größte Teil der Schütten ist Wildnis. In buntem Wechsel und die Zweige in einander verschlungen, stehen hier die Traubenkirsche und die Birke, die Zitterpappel und der Maßholder, die Silberweide und die Eiche. Und am Fuße dieser Bäume wechselt die Heckenkirsche mit dem Wasser schneeball, die Tamariske mit dem gelben und roten Hartriegel und der von wildem Hopfen umschlungene Sanddorn mit dem Pfaffenkäppchen. Waldrebe und Bittersüß klettern, die Stämme umrankend, in die Höhe, streben dann in zierlicher Anmut von den Aesten herab, um die schwarzglänzende Einbeere zu küssen, die neben dem Wunderveilchen und dem blauen Eisen hut den Rasen des Waldes ziert. Und durch diesen zur Sonimerszeit undurchdring lichen Urwald schlängeln sich die Altwasser der Donau. Von Purpurweiden und Schwarzerlen eingeschlossen, scheinen die stillen Fluten jenen Tagen nachzutrauern, als sie noch lebhaft dahinrauschen, Bäume entwurzeln und kleine Strauchinseln mit sich führen konnten. Nun schmücken Wasserrosen und Schwertlilien die grünen unbeweglichen Spiegel. Die Blumenbinsen nicken leise den Rebendolden und Wasserfedern zu, und zwischen Tannenwedel und Pfeilkraut, schießen muntere Duck entlein umher, die, gleich den Mummelblättern, von Zeit zu Zeit unter- und wieder auftanchen. Ringsum herrscht der Friede einer harmlosen Wildnis. Zuweilen nur stört ein hoch in den Lüften kreisender Raubvogel diese träumerischen Fluten und ihre Be wohner. In ergibigen Spiralen senkt er seinen Flug abwärts, um schließlich aus großer Höhe pleilschnell Herniederzustürzen. — Wie ein dunkler, schlammiger Ast anzusehen, steht unmittelbar an der Wasserober fläche regungslos ein gewaltiger Hecht. Gierigen Blickes auf Beute lauernd, ahnt er es nicht, daß ein gefährlicher Räuber die leichten Bewegungen feiner Kiemen erspäht hat. Plötzlich schlagen sich scharfe Krallen in seinen Rücken. Mit noch ungebrochener, von Todesangst erhöhter Kraft schießt der kräftige Fisch mit seinem entsetzlichen Feinde eine Strecke vor wärts und sucht dann unterzutauchen. Einige Augen blicke schwebt der Fischadler in Gefahr, mit in die Tiefe gezogen zu werden; wild peitschen die langen Flügel den Wasserspiegel, und der Schnabel holt zu kräftigen Hieben auf den Kopf des Hechtes aus. Nach kurzer Zeit aber streicht der prächtige Raubvogel mit seiner schweren Beute über das Wasser dahin, erhebt sich dann langsam und verschwindet hinter den Bäumen. Wer, vom Wege abweigend, sich tiefer in das Innere der Schütten begibt und hier achtlos weiter schreitet, kann stundenlang umherirren, bis er einen Ausweg findet. Von allen Seiten hemmen die labyrinth artig verschlungenen Altwasser oder undurchdringliches Gestrüpp seinen Fuß, immer wiederholt sich dasselbe Bild, und große Gefahren umgeben denjenigen, der in dieser unwirtsamen Gegend von Nacht und Nebel überrascht wird. Und in dieser Wildnis finden wir Hartfeld wieder. Seine infolge der langen Haft geschwächte Wider standsfähigkeit war durch die mit Nahrungsmangel verbundenen Anstrengungen und der langen Fußreise und die Eindrücke der letzten Stunden gelähmt worden. Sein dumpfes Gehirn hatte nur mehr Raum für die Worte: „Ich verachte dich", die immerfort iu seinen Ohren wiederhallten. Scheuen Blickes, den einzelnen Fußgängern ausweichend, war er von seiner Wohnung aus die Theresienstraße entlang nach dem Kreuztor gegangen und hatte bald darauf die Stadtumwallung hinter sich. Dem Unglücklichen war nach den unseligen Worten seiner Frau die Ueberzeugung gekommen, daß sein Leben verwirkt sei. Er hatte eine tötliche Beleidigung erfahren, für die ihm keine Genugtuung werden konnte, denn alles glaubte ja an seine Schuld. Keines klaren Gedankens fähig und vollkommen entmutigt, gewährte ihm das Bewußtsein seiner Unschuld keinen Halt mehr. Die Netze eines bösen Verhängnisses zogen sich über ihn zusammen, und er ließ sich willenlos von ihnen umstricken. Wie ein zu Tode getroffenes Wild ein Plätzchen im Dickicht sucht, um dort ungestört sein Leben auszuhauchen, so trieb es ihn auch aus dem Be reiche der Menschen nach einem Ort, wo ihn niemand finden sollte. Ein paar Momente nur stand er ratlos auf der Straße, da zuckte es ihm durch den Sinn: die Schütten! Und, wie von einem Fluche gehetzt, folgte er dieser Eingebung. Auf dem Fußwege des Festungsglacis dahineilend, gelangte er an den Friedhof, in welchem er an mehreren Punkten schwachen Lichtschimmer gewahrte. Er blieb stehen und sah durch die offene Gittertüre in das Innere des stillen Ortes. Es zog ihn zum Grabe seiner Eltern. Die Wenigen, die da dort vor einem kleinen Erdhügel standen, auf dem ein Christbaum brannte, bekümmerten sich ja nicht um andere Menschen. Weltvergessen haftete ihr geistiges Auge auf dem bleichen, tiefschlafenden Liebling im weißen Kleidchen da unten, den der grüne Baum mit den leuchtenden Früchten und den im Winde flackernden Lichtern er freuen sollte, wie einstmals. Die Finger krampfhaft ineinander verschlungen und den starren Blick auf den verfallenen Grabhügel ge richtet, lehnte Hartfeld an dem hohen Grabstein, der seiner Eltern Namen trug. Es war ein stummes, verzweifeltes Klagen und Flehen, das sein Inneres erfüllte, das hinunterdringen sollte zu ihnen, die ihm das Leben gaben, die ihn so treu und selbstlos geliebt hatten. Sein krankes Hirn wähnte, es müßte ihm an diesem Orte Rettung werden, er würde einen Fingerzeig erhalten, wie er den finsteren Mächten entrinnen konnte, denen er sich rettungslos verfallen glaubte. Aber es geschah weder ein Wunder, noch kam ein erleuchtender Gedanke über ihn. Eine lange Zeit verstrich. Die Christbaumlichter auf den kleinen Gräbern waren längst erloschen, die trauernden Mütter hatten ihre Lieblinge und den Friedhof verlassen, und tiefe Ruhe herrschte auf der Stätte des Todes, über der der fahle Dämmerschein einer dichtbewölkten Mondnacht lag. Einige Augenblicke noch stand Hartfeld zögernd da: dann verließ er entschlossen das Grab seiner Eltern und stürmte davon. Stundenlang war er seitdem in den Schütten umhergeirrt. Was ihn bisher zurückgehalten hatte, seinen Entschluß auszuführen, war die Unschlüssigkeit in der Wahl des Mittels. Mit Ausnahme der Schuß waffe, die er nicht besaß, erschien ihm jedes andere Werkzeug entehrend. Dann sagte er sich, daß man ihn über kurz oder lang auch im dichtesten Gestrüpp finden könnte, und dieser Gedanke war ihm unerträglich. Den Einfall, sich derart aus der Welt zu schaffen, daß ebensogut ein Unglück wie Absicht angenommen werden konnte, verwarf er bald wieder. Niemand durfte ihn finden. Von seiner Familie wollte er für verschollen gehalten werden, aber nicht als tot gelten. Mit einemmal kam ihm ein Gedanke, der alle bisherigen Bedenken beseitigte: Ein beherzter, kräftiger Schuß unter das Eis der Donau . . . offene Stellen am Ufer werden sich finden . . . dann fortgewirbelt von den reißenden Fluten, weit, weit . . . Hastig wandte er sich der Richtung zu, in welcher sich nach seiner Ansicht der Strom befinden mußte. Wiederholt hatte er während seines Umherirrens kleinere und größere Wasserarme überschritten; nnn aber stutzte er ob der Veränderung, die erst in den letzten Minuten vor sich gegangen sein mußte: Ueber die Eisdecke des breiten Altwassers, an das er soeben gelangt war, schoß mit lebhaftem Rauschen das Wasser dahin. Von Sekunde zu Sekunde stieg dasselbe, und in kurzer Zeit mußte es die Ufer überschreiten. War der Strom ausgetreten? Er blickte um sich und gewahrte, daß die soeben von ihm durchschrittene freie Fläche sich zum See verwandelt hatte; von allen Seiten floß das Wasser zu und immer tosender stürzten die Fluten in dem breiten Rinnsal an ihm vorüber. Hinüber um jeden Preis! War das Eis gebrochen, daun schwimmen. Was lag daran, wenn er triefend drüben augelangte? Bis zur Donau wird er sich noch schleppen können und dann — daun war die Qual zu Ende . . . Fortsetzung folgt. Nachrichten des K. Standesamtes zu Reichenbrand vom 10. bis 16. Februar 1906. Geburten: Dem Handschuhwirker Louis Albert Barthold iu Reichenbrand 1 Knabe; dem Kaufmann Ernst Richard Matthäs in Siegmar 1 Knabe; dem Kaufmann Richard Oswald Bauer in Siegmar 1 Mädchen. Aufgebote: Der Reisende Franz Oswald Klemens Wiesner in Chemnitz mit Frieda Anna Hauenstein in Siegmar; der Schlosser Walter Wolkmar Gerhard Kleist mit Johanna Olga Weber in Nenstadt b. Siegmar; der Geschirrführer Ernst Oskar Reinhold mit Clara Frieda Walther, beide in Rcichenbrand. Eheschließuugc«: Vakat. Sterbefällc: Der Ränderfabrikant August Friedrich Neubert in Reichenbrand 30 Jahre alt; dem Stellmacher Richard Bernhard Kurt Klehr in Siegmar 1 Tochter, 3 Monate alt; der ledigen Ausbesserin Johanna Doris Richter in Siegmar, 1 Tochter, 1 Monat alt. Nachrichten des Kgl. Standesamtes Rabenstein vom 9. bis 16. Februar 1906. Geburten: 1 Sohn dem Justierer Bruno Hermann Starke, dem Handschuhstricker Guido Gruner, 1 Tochter dem Strumpf wirker Ewald Bruno Scheffler, dem Handschuhwirker Carl Otto Hübsch, hierzu 1 unehelich geborener Knabe, sämtlich in Rabenstein. 1 Tochter dem Ofensetzer Friedrich Paul Schönherr in Rottluff. Eheaufgebote: Vakat. Eheschließungen: Der Eisendreher Ludwig William Reichel in Rottluff mit Frieda Helene Häselbarth in Rabenstein. Sterbefälle: 1 Tochter dem Strumpfwirker Bruno Theodor Eichner, 4 Monate alt, in Rabenstein. Die Fabrikwächters- Witwe Amalie Auguste Illig geb. Schindler, 65 Jahre alt, in Rottluff. Kirchliche Nachrichten. Parochie Reichenbrand. Am Sonntag Sexagesimae den 18. Februar u. c. Vorm. 9 Uhr Predigtgottesdienst mit Feier des hl. Abendmahls. Beichte V?9 Uhr. Parochie Rabenstein. Am Sonntag Sexagesimae den 18. Februar u. c. Vorm. 9 Uhr Predigtgottesdienst. ZiMmum, ins Haus sucht I_oks, Siegmar. AnWem MerAM billig zu verkaufen Siegmar, Amalienstr. 3, 1 Tr. 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