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an die Vergänglichkeit, — und nach des Christfests Hochgenuß — stehn wieder wir am Jahresschluß. — Da schauen wir mit ernstem Blick — auf das Ver gangene zurück; — viel Gutes hat es nicht gebracht. — Durch hinterlist'ger Feinde Macht — war Deutsch land stark von Krieg bedroht, — doch von Begeister ung durchloht — stand Volk und Kaiser Hand in Hand — auf treuer Wacht fürs Vaterland! — Eng land hetzte zum Weltenkrieg — und trug in Frank reich bald den Sieg — davon mit seinem bösen Tun; — in Rußland wollte gar nicht ruh'n — Streik, Meuterei und Anarchie, — trotz Manifest und Amnestie! — In Oestreich tobte weit und breit — viel Wahl rechtskampf und Völkerstreit, — in Ungarn war es ebenso, — und nur Italien konnte froh — sich seinem inn'ren Ausbau weih'n; — in Spanien hat nach langem Frei'n — sich Alfons endlich ausgetobt — und mit der Battenberg verlobt. — Beim alten Sultan der Türkei — war Flotten-Demonstriererei, — fünf Großmachtsschiffe waren da, — und Roos'velt in Amerika — hracht' fertig einen Friedensschluß, — dem Japanvolke zum Verdruß! — Kurzum, die ganze große Welt — war förmlich auf den Kopf gestellt, — man sah nirgends Zufriedenheit, — nur Haffen, Blutvergießen, Streit! — Doch fort mit aller Grübelei, — daß alte Jahr ist ja vorbei, — Gott wird uns weiter Kraft verleih'n — und auch im neuen mit uns sein! — Das ist bei dem Silvesterpunsch — des deutschen Volkes Herzenswunsch, — beim letzten Schlag um Mitternacht — sei drum das erste Glas gebracht — der deutschen Einheit festem Band, — dem Kaiser und dem Vaterland, — dem nie der Friedensstern verbleich'. — Pros't Neujahr! Frohlieb Schmerzensreich. °-rbo,-n.) Preisgekrönte Erzählung von HanS v. Echtlitz. (Fortsetzung). V. Ja, unser Herrgott muß manchmal seine Hand rühren, sonst geht das Leben gar so langsam und willenlos dahin. Sein Wille bewegt die Welt, das Leben, das Geschick der Menschen, und ihr ewiges, unruhiges Herz mit all' seiner Liebe, seinem Haß, seinem Leide und Jammer. Im Ellernhof war des Jammers genug, kein lauter Schmerz, der nach außen Beruhigung sucht, nein, stummes Elend, welches den Menschen zu Boden drückt, langsam wohl, — aber sicher. Alles was zu entbehren gewesen, das war auf den Prozeß hingegangen und mehr noch, — die Ställe waren leer geworden. So tropfenweise kam das Elend. Wenn der Sommer mit dem Termin da war, das Korn in die Sense wuchs, — dann war es aus. Die Zeit hält nicht ein, sie ist unerbittlich, die schweren Tage kommen, dem Bangen des armen Menschenherzens zum Trotz, keine Hand wehrt ihr! Der Ellernbauer war nicht verzweifelt, eine un heimliche Ruhe war über ihn gekommen, seit er es gewiß wußte, daß es nun zu Ende. Sollte er sich Vorwürfe machen und sagen: ohne den Prozeß war es nicht so weit? — Auf sein gutes Recht, auf seinen Gott hatte er vertraut, sein Recht war ihm verkümmert und sein Gott hatte ihn verlassen! — Wenn Gott seine Hand in unserem Leben rührt, das empfinden wir wohl nicht immer wie eine erlösende Kraft, oft als einen schwülen Druck, wie unter dem wolkenschweren Dunkel einer Gewitternacht. Da bangt sich die Natur vor dem Himmel und seinen Kräften; aber es kommt doch der Sturm und was morsch ist, das reißt er fort und vernichtet es und die zuckenden Blitze be leuchten unheimlich das Bild der Zerstörung, — und dann wird es Morgen. Wer je in einem blühenden Garten gestanden, über den der Gewittersturm getobt, — der weiß es, was das bedeutet. Die welken Blätter und tauben Blüten sind geknickt, aber was gesund und stark war, das hat seine Knospen gesprengt und — blüht. Der Arm Gottes hat sie berührt. Wenn er in Schmerz und Leid das Menschenherz erfaßt, da sieht er, wessen Herz faul und tot, oder ob es in seinem innersten Fühlen doch in ihm gewurzelt ist. Der Ellernbauer hatte nicht mit tauben Ohren seit zwanzig Jahren jeden Sonntag unter der Kanzel gesessen, um nicht zu wissen, daß ein Christ dornige Wege gehen muß, daß ihm sein Gott in Schmerzen oft am nächsten ist. Da waren viele, die da meinten, wie sein Hergott solche Ungerechtigkeit zulassen könne? Das hörte er nicht gern, er war oft nahe daran, aufzufahren, wenn einer verzagt und kleinmütig war. Neben ihm sollte niemand einen Zweifel aussprechen; den letzten Halt durfte man ihm doch nicht nehmen? Das Schwerste kam ja noch, wenn er von dem Ellern hof fort mußte mit dem weißen Stock! Das war's. Ob sein Gott das auch von ihm fordern würde? Gewiß, die Sonne ging jeden Tag auf, und jeden Tag weiter kam es näher für ihn, langsam und doch so gewiß, wie es Frühling werden mußte. Die Saat, welche er säete, wuchs nicht mehr für ihn, und doch würde sie hinein müssen, wenn der Schnee fort war. Das ist einmal so, säen und ernten, Sommer und Winter, das hört nicht auf, da man die Kraft Gottes dran sieht und seinen Willen. Aber war dies Gottes Wille, daß es so kommen mußte? Der Ellern bauer fragte es sich ost genug und fand doch immer eine Antwort. — Gott läßt sich nicht erforschen. Während auf dem Ellernhof drückender Friede und Ruhe herrschte, gerieten Vater und Sohn auf der Beekenmühle oft aneinander. Der Junge wollte fort, aber der Alte hielt ihn mit aller Gewalt, wie man das Einzige hält, was einem zum Leben zieht. Fritz Haller blickte düster vor sich hin, vom Alten war nichts zu erreichen; der hatte gelacht, als er ihm gedroht, er werde zu fremden Leuten gehen: er werde ihn wieder holen lasten, wenn nicht anders, durch Gericht. Sie waren beide gleich eisenköpfig, sie hatten's probiert! Der Junge war wohl still zuletzt, aber er hatte seinen Willen, und der Alte ging um ihn herum, als wollte er es heraus haben. Der hatte seinen Willen, das war recht, aber noch war nicht die Zeit zum Reden. Der Alte würde es schon erfahren, was er wollte, — aber zuletzt. Wie das den Alten kränkte, er fürchtete sich beinahe vor dem Sohn, was der wohl vorhaben möchte! Fritz Haller war bei aller Aehnlichkeit mit dem Alten eine offene, ehrliche Natur, — das war's, wobei er ihn zu fassen suchte. „Du meinst wirklich Fritz, ich soll den Alten dort sitzen lassen für mein Geld? Das hätte ich ja dann billiger haben können. Nein, so dumm ist Dein Alter nicht. Meinst Du, ich hätte ihm bloß die Hölle heiß gemacht, weil er der Ellernbauer ist, aus alter Feind schaft? Nein, mein Junge, da kennst Du mich schlecht. Der Ellernhof und die Beekenmühle, die gehören zu sammen. Freiwillig wäre aber der Ellernbauer nie vom Hof weggegangen, er klammert sich an wie die Schnecke an ihr Haus und bloß der Tod vielleicht hätte ihn wegholen können. Ich habe dies genau gewußt. Jetzt aber wehrt er sich nicht mehr lange, der Prozeß hat ihm den letzten Stoß gegeben. Und dann ist der Ellernhof — mein!" Da sprang der Junge auf. „Oder mein!" Da war es heraus. Der Alte verstand ihn nicht gleich, verblüfft sah er ihn an. „So", stotterte er endlich, nun begriff er erst. „Du willst wohl den Bauern und seine hübsche Tochter dort behalten und Dein Nest dort bauen? Das fehlte noch! Nein, mein lieber Junge, daraus wird nichts!" „Und ich sag' Dir, Vater, Du kriegst den Ellern hof nicht, dafür steh' ich ein", fuhr der Junge auf. „So, mein Junge", höhnte der Alte, „Du würdest nicht gut sitzen, ich habe das Schicksal in Händen und konnte Dich just so gut wegschwemmen wie Deine ganze Gesellschaft dort unten. Ich wollte Dir schon kommen, ich würde es Dir zeigen!" „Vater!" Der Junge war weiß geworden wie die Wand an die er sich schwindelnd gelehnt hatte, mit starren, wehen Augen sah er auf den Alten und mühsam preßte er es zwischen den Zähnen hervor: „Dann hat der Ellernbauer doch Recht! Meineidig bist Du! Und wenn ich Dich nicht anzeige, dann ich's selber!" Es war, als könnten seine jungen Schultern es nicht tragen, als müßte er zusammenbrechen unter der Last, die ihm auferlegt wurde. Die Augen des Alten glühten ihn an, wie ein wildes Tier hätte er sich auf den Sohn stürzen mögen, um ihn zu würgen, ihn still zu machen für alle Zeit, aber dann sank er zusammen auf den Stuhl und wimmerte, um Erbarmen flehend, um „Stillschweigen", ewiges Schweigen. Da hörte er schon die Tür gehen, er sah nicht auf, ein fester Tritt verhallte auf der Diele, — das war die Antwort. Nun wußte er, daß er nichts weiter besaß als seinen toten Reichtum, den Sohn hatte er verloren. Kein Wort fiel seit dieser Stunde zwischen Vater und Sohn. Das war aus und vorbei. Das Mühlrad ging Tag für Tag, auch in der Nacht ging es. Den Beekenmüller hatte die Unruhe gepackt seit dem Augen blick. In der Nacht wandelte er wie ein ruheloser, unseliger Geist durchs Haus in den Mehl- und Korn kammern umher. Die Gesellen hörten ihn dann wohl, aber sie scheuten sich, ihm zu begegnen. Das Licht schien manches Mal in dunklen Nächten über den Schnee, einen glänzenden Streifen in die weiße Winterlandschast hinauswerfend. Die Leute im Hause trauten dem Beekenmüller seit den letzten Wochen nicht mehr, er war sonst sein lebe lang ein nüchterner Mann gewesen. Nun waren die Augen verglast und das rote Gesicht aufgedunsen. Wenn es das war, dann ging es auch mit dem Beeken müller bergab, denn der Junge, der früher immer mit zugegrtffen hatte, faßte nichts mehr an, und tat, als kümmere ihn der ganze Betrieb nicht. Seinetwegen könnte ja wohl die Mühle Feuer fangen, er würde dann kaum vor die Tür gehen, meinten die Burschen. VI. Das war eine heillose Nacht, die Nacht, wo das Eis zu brechen begann und der Tauwind heulend durch die Niederung fuhr, als müsse er alles vernichten. Die Erlen und Weiden bogen sich quietschend und das Wasser klatschte gegen das Bollwerk, in hohen Spritz wellen ging es hinüber. Es hatte jahrelang nicht so viel Schnee gelegen, so schnell hatte das Tauwetter selten eingesetzt. Wie sollte das werden für die auf dem Ellernhof, wo das Wasser und das Eis an den Garten trieb? Wenn das Dors keine Hilfsmannschaft schickte, um den Damm zu erhöhen? Sie selber konnten nichts weiter tun, als ihre beste Habe nehmen und den Hof verlassen. Der Ellernbauer lag blaß und elend aus dem Bett, die Gicht plagte ihn in allen Gliedern, und wenn er sich auch hätte rühren können, er wäre doch nicht fortgegangen, daran dachte weder er, noch die Anna, die dort vor dem aufgeschlagenen Gebetbuch saß. Sie las nicht mehr, blaß lehnte sie den Kopf in die Hand. Die Buchstaben tanzten ihr vor den Augen, sie verstand es nicht das Wort: „Rufe mich an in der Not!" Sie hatte sich die Hände schier wund gerungen im Gebet. Wo war die Hilfe? Nun stand sie auf. „Was willst Du tun, Anna?" frug der Kranke. „Sehen, wie weit das Wasser steht, Vater." „Anna, es ist düster und das Wasser dämmst Du nicht. Meinetwegen kann es kommen, ich will am liebsten auf dem Ellernhof auch sterben, wo ich gelebt habe." Vater, sie müssen das Wasser ja stauen, die Leute vom Dorf, sie können uns doch nicht ertrinken lassen; sie brauchen, ja bloß den Damm höher aufzuwerfen!" Sie stand schon an der Tür, die Klinke in der Hand. Der Alte sagte nichts, er war weit weg mit den Gedanken. „Und wenn überhaupt nur das Stau hält, dann ist doch keine Gefahr?" frug sie ängstlich, während die großen, grauen Augen in dem Gesicht des Alten forschten. „Ja, wenn es hält?" gab er langsam zurück. Da stieß sie die Tür auf und lief hinaus. Sie stand da im Sturm, er umtobte sie und warf sie wie ein welkes Blatt hin und her; aber sie hielt ihm stand. Ihre Augen suchten das Dunkel zu teilen. Sie meinte neben sich einen Schein zu sehen und ein unheimliches Rieseln zu hören, das näher kam. „Wasser!" Eine namenlose Angst packte sie. „Hilfe!" schrie sie laut aus; wie ein Flüstern ver hallte es, sie meinte ihre eigene Stimme nicht mehr zu hören. Der Schall brach sich im Sturm und Regen, noch einen, halben Fuß breit weiter und das Wasser drängte in den Hof und ins Haus. Wie eine riesige, graue Fläche lag das Moor und die Wiesen. Nun meinte sie ein Licht zu unterscheiden, oben über ihr mußte es sein, auf der Beekenmühle? Der Nebel täuscht so! Die da oben waren sicher vor diesem grauenhaften Element. Sie hatte sie nie beneidet, aber nun sehnte sie sich hinauf; oder verlangte es sie, die Hand zu erfassen des einzigen Menschen, der sie vor der Not des Lebens hatte schützen wollen, und sie hatte sie fortgestoßen? Er würde nicht wiederkommen, und wenn er kam, war der Ellernhof längst unter Wasfer und ihr war alles genommen, Heimat, Vater, Haus und Erbe, die Stätte ihrer Kinderspiele und Träume, — alles! Sie wollte es auch lassen, wenn es sein mußte, — aber den Alten den sie nicht fortbringen konnte, den durfte sie doch nicht lassen, und mit ihm sterben? In ihr fieberte alles, die klopfenden Pulse und das junge Blut, das zum Herzen strömte, es verlangte nach Leben. „Hilfe!" schrie sie. Gab es denn niemanden, der Erbarmen mit der folternden, wahnsinnigen Todesangst eines Menschen hat? Verschlang dieser entsetzliche Sturm auch das Gebet und Flehen zu dem Gott dort über den Wolken, dessen erbarmende Liebe die letzte Zuflucht seiner geängstigten Menschenkinder ist? „Hilfe!" schrie sie noch einmal. „Hier!" tönte es zurück und sie hörte das nahe Anstoßen eines Ruders. Da war das Licht wieder, aber näher. Waren es endlich die Leute aus dem Dorf, die den Damm höher schaufeln und sie retten wollten? „Hilfe!" sie schluchzte es nur so heraus. „Anna!" „Fritz" — wollte sie ungläubig rufen, da stieß der Kahn auf Grund, ein Sprung und er war an Land. „Anna", er hielt sie in den Armen und trug sie aus dem Wasser, das ihre Füße umspülte. „Kommt nach der Beekenmühl', Anna, Du und Onkel Johann. Das Wasser ist doch im Steigen und kann das Notstau mit wegreißen. Der Alte ist überall herumgelaufen, ich soll Euch holen!" Sie standen im Lichtschein des Hauses, matt lag er auf ihrem weißen Gesicht, als sie es ihm zuwandte. „Nach der Beekenmühle, Fritz?" frug sie, als träume sie. „Du weißt, wir gehen nicht nach der Beekenmühle." „Anna", er faßte sie hart an dem Arm, „meinst Du, ich soll so wieder geh'n? Ich hatte Angst um Dich, Anna, das Wasser ist dem Ellernhof nah genug; es war eine gefährliche Fahrt; aber ich habe mich nicht besonnen, und bis die Andern kommen, ist es zu spät, — ich aber mache eine solche Fahrt nicht wieder!" Den Burschen überschauerte noch das Grauen in