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„Und doch hat gerade dieser Beruf auch seine Lichtseiten," meinte sie, während sie den Hut des jungen Mannes vom nächsten Haken nahm. „Wäre ich ein Mann, ich wüßte mir nichts Schöneres, als Arzt zu sein. Denn wenn es gelingt, einem armen, kranken, verzagenden Menschen Hilfe zu bringen, ihn zu heilen, zu trösten, neue Hoffnung in sein Herz zu gießen, welche Freude muß man selbst dabei empfinden." „Ja, da haben Sie wohl recht, Eva," lächelte er, „und ich freue mich, daß Sie eine so hohe Anschau ung von meinem Beruf haben, doch heute," fügte er leise hinzu, „heute wäre es niir lieber gewesen, man hätte mich in Ruhe gelassen! Aber es geht nun nicht anders, ich muß fort, — nun, morgen ist auch noch ein Tag, — und dann — Eva, dann soll es klar werden zwischen uns." Das Letzte hatte er nur geflüstert, aber das Mädchen verstand doch, was er meinte, verstand den innigen Händedruck, sowie das herzliche: „Gute Nacht, — Eva," das noch an ihr Ohr schlug. Dann war er gegangen. * * * IV. Die Mitternachtsstunde hatte längst geschlagen, und noch immer brannte die Lampe in dem kleinen, traulichen Gemach, aber sie beschien kein freundliches Bild. Auf deu Knien, vor dem Bette der Mutter, lag Eva, den Kopf auf die verschlungenen Hände ge legt. Ein erschütterndes Schluchzen schüttelte den zarten Körper. Die Kranke streichelte mit zitternder Hand das seidenweiche Haar ihres Lieblings, sie gab dem Mädchen die süßesten Schmeichelnamen, doch dieses schien nicht darauf zu achten. Unbeweglich, in derselben Stellung verharrend, war Eva taub für jeden Zuspruch. „Nun geh' und lege Dich schlafen, Kind," bat die alte Frau, „es ist spät geworden." Das Mädchen hob den Kopf. „Schlafen?" kam es bebend von den bleichen Lippen. Eva starrte die Mutter mit traurigen Augen an, als begriffe sie gar nicht, was diese meinte. Ein herzbewegender Ausdruck lag in den großen, braunen Sternen, so verzweifelnd, so todestraurig, daß der gequälten Frau die Hellen Tränen über die gefurchten Wangen liefen. „Werde nur erst ruhiger, mein Liebling," begann sie wieder, „Du hast ein großes Leid erfahren, — morgen oder übermorgen siehst Du die Sache viel- er um Deine Hand anhält, alles sagen, und wie ich ihn beurteile, ist er vernünftig genug, Dir uicht ent gelten zu lassen, woran Du doch schuldlos bist." „O, niemals werde ich das tun, Mutter," rief Eva, auf die Füße springend, und wie abwehrend beide Hände ausstreckend. Die Tränen waren mit einem Male versiegt, ein entschlossener Ausdruck lag auf dem jungen, bleichen Gesicht. „Was wolltest Du denn sonst tun?" fragte die Mutter bekümmert. Ein heißes Erschrecken klang durch ihre Worte, es war, als raube ihr etwas deu Atem. Gespannt blickte sie die Tochter an. „Ich werde tun, was ich tun muß, nach dem, was Du mir soeben erzähltest," begann Eva wieder. „Mir bleibt nur ein einziger Weg, den muß ich gehen, selbst wenn es mein Leben kostet!" „Was meinst Du damit?" „Ich kann nun und nimmer die Gattin des besten, edelsten Mannes werden, ob mir das Herz auch dar über bricht! Es darf nicht sein! Ich darf ihn nicht mit Hineinreißen in unsere Schande! Er würde vielleicht jetzt, im Vollgefühl der Liebe, über den häßlichen Flecken hinwegsehen, der auf unserem Namen ruht. Aber später, — da würde die Reue kommen, und davor muß ich ihn und mich bewahren. Es hieße namenloses Elend heraufbeschwören, wollte ich mich einer Selbsttäuschung hingeben und mir vorlügen: Er wird es vielleicht nie erfahren, oder er wird dar über hinwegsehen! Mein Leben wäre eine fortgesetzte Qual, immer müßte ich fürchten, daß irgendwo ein häßliches Gespenst auftauchte! O nein, nein, es darf nicht sein! O bittere Ironie des Schicksals: Eben weil ich den Mann meines Herzens so sehr liebe, darf ich ihm nicht angehören! Aber bedenke doch, Mutter, jeder liebt seinen ehrlichen Namen, nicht wahr? Und Doktor Linde, er mit seinem stark aus geprägten Ehrgefühl? Ich mag es gar nicht aus denken, was alles daraus entstehen müßte, wenn ich ihm die Hand reichte zum Bunde für das Leben. Er ist der ehrenhafteste Mensch, den es geben kann. Vielleicht glaubt er, durch die halben Andeutungen, die er mir von seiner Liebe machte, schon an mich gebunden zu sein, vielleicht glaubt er, nicht mehr zurücktreten zu dürfen! O Mutter, was fange ich nur an, — was soll ich ihm sagen? Daß ich ihn nicht liebe? — Er wird mir nicht glauben, denn ich fürchte, er hat es mir schon vom Gesichte abgelesen, ich bin ihm ja so gut!,, Eva schlang aufschluchzend wiederum die Arme um den Hals der Kranken — beider Tränen flossen ineinander. „Ach, Mutter, verzeihe, daß ich Dich so aufrege, aber einen — einen einzigen Menschen muß man doch haben, dem man sein Herz ausschütten kann! An wen sollte ich mich wenden, wenn nicht an Dich? Wie war es Dir nur möglich, all den Jammer so viele Jahre hindurch allein zu tragen? Arme Mutter, was mußt Du gelitten haben in der langen Zeit? Ich glaube, ich gehe darüber zu Grunde, es ist zu viel!" Die alte Frau lächelte wehmütig. „Man lernt viel, mein liebes Kind! Freilich schwer wird es einem manchmal, und das Herz sehnt sich nach Ruhe, aber es schlägt immer weiter und weiter, wenn man auch oft wünschte, es möchte stille stehen! Ich habe es mir immer so schön gedacht, eines Abends einschlafen zu können, um uie mehr zu erwachen. Aber jeden Tag wachte ich wieder auf!" Eva weinte still. „Du darfst nicht so sprechen, liebe Mutter, darfst nicht an das Sterben denken — jetzt nicht — ich habe Dich ja so nötig. Nicht wahr, Mütterchen, Du siehst es doch ein, daß ich Dich recht, recht nötig habe?" „Ja, Eva, das sehe ich ein, und ich bitte Gott, daß er mir noch ein paar Jahre schenken möge, bis ich Dich sicher geborgen weiß!" „Ich werde nie heiraten, Mutter!" „Vielleicht lernst Du doch noch anders denken, Eva, laß nur erst einige Zeit vergehen." „Nein, Mutter, wie könnte ich anders denken? Bleibt nicht der Makel an meinem Namen haften, so lange ich lebe? Was wäre wohl im Stande, ihn hinwegzuwischen? Für mich gibt es kein Glück mehr, von dieser Stunde an! Die Sünden der Väter werden heimgesucht an den Kindern, das muß nun auch ich bitter genug empfinden!" — „Du wirst später alles milder beurteilen, Evchen. Im Anfang dachte ich auch daran, meinem Leben ein Ende zu machen, um nicht die Schande, die der un selige Mann auf mich und Dich gehäuft, mit mir Herumschleppen zu müssen. Aber da sah ich Dich an, wie Du so sorglos heiter warst, so lebensfroh, und ich fragte mich: Hast du ein Recht, dich deinem Kinde zu entziehen, sein Leben zu vergiften, seine frohen Jugendjahre zu zerstören? Was sollte aus der armen Kleinen werden? Hast du nicht vielmehr erst recht die Pflicht, bei ihr auszuharren, so lange Gott es will? Siehst Du, damit siegte ich über meine Ver zweiflung." „Arme Mutter," sagte Eva leise. Doch als die alte Frau sie ermahnte, endlich die Ruhe zu suchen, da war es, als empfinde das Mädchen .ein Grauen wir d^StiUe.derMackt, vm dem_Allein? sein mit den quälenden Gedanken. „Laß mich, Mutter, — von Schlaf kann ja doch uicht die Rede sein in dieser Nacht!" Und aufs neue in heftiges Weinen ausbrechend, kniete das Mädchen wie vorhin am Bette der Mutter nieder. „Rate mir, Mutter, ich bitte Dich, was soll ich tun? Was soll ich antworten, wenn er mich fragt? O, diese Stunde, die die schönste meines ganzen Lebens werden sollte, sie wird nun die qualvollste sein! Ob mein Herz nicht darüber bricht? Ach Mutter, warum hast Du nicht früher zu mir gesprochen? Du durftest es niemals so weit kommen lassen, Du mußtest mich warnen! Was war ich noch gestern für ein glückliches, sorgloses Kind, wie dünkte mir die Welt so schön, ich glaubte, sie biete uns in Zukunft nur Rosen, — ich sah die Dornen nicht, die mich nun blutig ritzen!" „Hätte ich eine Ahnung von Deiner Liebe zu Doktor Linde gehabt, ich hätte vielleicht gesprochen! Aber ich wußte nichts davon, — bis heute; nun sehe ich zu spät ein, daß ich Dir früher hätte Mitteilung machen sollen. Aber ich meinte es gut, — glaube mir Eva, ich meinte es gut!" „Ich weiß, Mutter," schluchzte das Mädchen. „Warst Du nicht glücklich bisher?" begann die Kranke wieder, „und glaubst Du, daß es Dir nicht die Jugend vergiftet hätte, wenn ich Dir alles sagte? War es nicht genug, daß ich allein litt?" Eva nickte nur. „Ich dachte nicht, daß Du die Sache so tragisch auffassen würdest, sonst, bei Gott, hätte ich auch jetzt noch geschwiegen, oder Dir noch nicht die ganze Wahr heit gesagt. Besser wäre es gewesen, den Dingen ihren Lauf zu lassen, — einen Augenblick lang war ich auch entschlossen dazu, — aber, Du ließest ja nicht nach mit Bitten, Du bestürmtest mich förmlich. Da wurde ich wankend und so erzählte ich Dir, was Du besser nie erfahren hättest." Die Kranke seufzte tief und schmerzlich auf. „Ich glaubte immer, es handle sich nur um den Verlust Deines Vermögens," begann Eva nach einer kleinen Weile. „Denn daß wir früher wohlhabend waren, das wußte ich. Ich konnte freilich nicht ahnen, daß wir weit Schlimmeres als Geld und Gut ver loren haben." Nur dem wiederholten Drängen der Mutter gelang es, Eva zu bewegen, das Lager aufzusuchen. Schwer sank sie auf die weichen Kissen, aber Schlaf fand sie nicht. Mit schmerzendem Kopf und brennenden Augen lag sie da und starrte in die Dunkelheit. Sie wußte es, auch die Mutter lag wach, deshalb staud sie wieder auf, öffnete den hölzernen Laden und das Fenster und ließ die kühle Nachtluft über ihre heiße Stirn streichen. Wie wohl das tat! Träumerisch hingen ihre Augen an der vollen Mondscheibe, die hoch am Himmel stand. Zuweilen verdunkelte eine Weile sein Helles Licht, doch diese zog vorüber, und wieder erstrahlte er im schönsten, reinsten Glanz. „So ist das Leben," dachte Eva, „auch über mich ziehen schwere, dunkle Wolken hin, — aber sie werden bleiben, immer — immer. Ob auch mir die Sonne des Glückes noch einmal leuchten wird? Ich glaube es nicht! Die Wolke ist zu dicht uud schwer, als daß auch nur ein einziger, goldener Sonnenstrahl hin durch zu dringen vermöchte." Ihr ferneres Leben lag vor ihrem sinnenden Blick wie ein einziger, trüber Regentag. Auf ihrem Pfad, — so dachte sie, würden die Blumen der Freude nicht mehr blühen. Ob es sich lohnte, weiter zu leben! Mit heißem Schmerz dachte Eva auch au Sigmunds Mutter. Die alte, ehrliche Frau, — was würde sie sagen, wenn sie erfuhr, daß ihr geliebter Sohn einen Korb erhalten hatte, daß die kleine Eva, die nichts hatte, nichts besaß und die man gleichwohl doch immer lieb gehabt, sich nun weigerte, die Gattin Sigmunds zu werden? Das junge Mädchen stöhnte schmerzlich ans. Die arme Kranke hörte alles, jeden Seufzer, jede Bewegung ihres Kindes, und sie litt unsäglicheQualen. Ihr Herz zog sich schmerzlich zusammen, denn sie wußte, Eva mußte den Kampf allein auskämpfen. Wollte denn diese Nacht kein Ende nehmen. Die Stunden schienen sich zur Ewigkeit zu dehnen. Eva fühlte eine bleierne Müdigkeit in den Gliedern. Sie saß noch am Fenster, als im Osten der erste fahle Schein sichtbar wurde. Der Morgen zog herauf und die Sonne schien so hell und freundlich, als gäbe es für sie nichts zu tun, als lauter Glück zu bescheinen. (Fortsetzung folgt). HMelW Mtmig. Siegmar. Der am 15. Oktober d. I. verstorbene Herr Branddirektor Fritz Nauck hier, hat als letztwillige Ver fügung seiner von ihm begründeten Freiw. Feuerwehr ein Legat von LOOO Mk. ausgesetzt, dergestalt, daß die Gemeinde Siegmar die Verwaltung des Legats zu übernehmen hat, während die Zinsen der Feuer wehr zukommen. Von diesen Zinsen sollen zu jedem einer kleinen würdigen Feier im Beisein der Eltern, Kinder der aktiven Feuerwehrkameraden, die ihren ersten Schulgang halten, mit Ranzen, Büchern u. s. w-, die den letzten halten aber mit Gesangbüchern beschenkt werden. Nachrichten des K.Standesamtes zu Reichenbrand vom 21. bis 27. November 190». Geburten: Vakat. Aufgebote: Der Eisenhobler Georg Conrad Jrmschler in Schönheide mit Auguste Hulda Spindler in Rcichenbrand; der Bergschmied Eduard Theodor Köhler in Heinrichsort mit Hedwig Maric Nobis in Reichenbrand. Eheschließungen: Vakat. Sterbefälle: Vakat. Krpedilionszeit des Standesamtes. Wochentags: 8—12 Uhr vorm. und 2—6 Uhr nachm. Sonntags: Vs12—12 Uhr vorm. nur zur Entgegennahme von Totgcburtsanzeigen. Nachrichten des Kgl. Standesamtes Rabenstein vom 20. bis 27. November 1903. Geburten: 1 Sohn dem Fabrikarbeiter Heinrich Bernhard Hälsig in Rottluff. 1 Tochter dem Strumpfwirker Karl Friedrich Junghans in Rabenstein; dem Manrer Robert Linus Hofmann in Rabenstein; dem Gußputzer Ernst Emil Mehlhorn in Rottluff; dem Streckenarbeiter Alfred Emil Graupner in Rabenstein; hierzu noch ein unehelich geborener Knabe in Rabenstein. Eheaufgcbote: Der Schuhmacher Johann Granzer mit Anna Martha Schmidt, beide in Rabenstein. Eheschließungen: Der Schuhmacher Josef Ittner mit Marie Klara Pfüller, beide in Rabenstein; der Bautechniker und Kunststeinfabrikant Hermann Felix Strunz in Flöha mit Friederike Selma Bochmann in Rabenstein. Sterbefälle: Keine. Zusammen: 6 Geburten und zwar 2 männl, und 4 weibl. 1 Eheaufgebot. 2 Eheschließungen. — Sterbefall. Heschästszeil. Wochentags: 8—12 Uhr voran, und 2—6 Uhr nachm. Sonntags: 11—12 Uhr vorm. nur zur Entgegennahme von Totgeburtsanzeige«. Kirchliche Nachrichten. Parochie Reichenbrand. Am 1. Adventsonntag den 29. November u. c. vorm. 9 Uhr Predigtgottesdienst. — Freitag den 4. Dezember vorm. 10 Uhr Wochenkommunion. Parochie Rabenstein. Am 1. Adventsonnrag den 29. November a. c. vorm. 9 Uhr Predigtgottesdienst.