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Wortlaut der Gesänge: Requiem Zum ersten Male Friedrich Hebbel Max Reger (1873—1916) Seele, vergiß sie nicht die Toten! / Sieh, sie umschweben dich, schauernd, verlassen, / und in den heiligen Gluten, die den Armen die Liebe schürt, / atmen sie auf und erwärmen und genießen zum letzten Mal ihr verglimmendes Leben. Seele, vergiß sie nicht die Toten! / Sieh, sie umschweben dich, schauernd, verlassen, / und wenn du dich erkaltend ihnen verschließest, erstarren sie / bis hinein in das Tiefste! / Dann ergreift sie der Sturm der Nacht, / dem sie zusammengekrampft in sich trotzten im Schoße der Liebe, / und er jagt sie mit Ungestüm / durch die unendliche Wüste hin, / wo nicht Leben mehr ist, nur Kampf losgelassener Kräfte, / nur Kampf um erneuertes Sein! Der Einsiedler Zum ersten Male I. v. Eichendorff Max Reger Komm, Trost der Welt, du stille Nacht! / wie steigst du von den Bergen sacht, / die Lüfte alle schlafen, / ein Schiffer nur noch wandermüd, / singt übers Meer sein Abendlied / zu Gottes Lob im Hafen. Die Jahre wie die Wolken gehn / und lassen mich hier einsam stehn, / die Welt hat mich vergessen, / da tratst du wunderbar zu mir, wenn ich beim Waldesrauschen hier / gedankenvoll gesessen. Der Tag hat mich so müd gemacht; / das weite Meer schon dunkelt, / laß ausruhn mich von Lust und Not, / bis daß das ew’ge Morgenrot / den stillen Wald durchfunkelt. Rhapsodie j. W. v Goethe Johannes Brahms (1833—1897) (Harzreise im Winter) Aber abseits wer ist’s? Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad, / hinter ihm schlagen die Sträucher zusammen, / das Gras steht wieder auf, die Oede verschlingt ihn. / Ach, wer heilet die Schmerzen deß, dem Balsam zu Gift ward? / der sich Menschenhaß aus der Fülle der Liebe trank? / Erst verachtet, nun ein Verächter, zehrt er heimlich auf / seinen eig’nen Wert in ung’nügender Selbstsucht. / Ist auf deinem Psalter, Vater der Liebe, / ein Ton seinem Ohre vernehmlich, / so erquicke sein Herz! / Oeffne den umwölkten Blick über die tausend Quellen / neben dem Dürstenden in der Wüste. 90. Psalm Gottfried Müller (geb. 1914) Herr Gott, du bist unsre Zuflucht für und für, / ehe denn die Berge wurden und die Welt geschaffen wurde, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. / Der du die Menschen lassest sterben und sprichst: Kommet wieder! denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist und wie eine Nachtwache. / Du lassest sie dahinfahren wie einen Strom, / sie sind gleich wie das Gras, das frühe blühet und bald welk wird / und des Abends abgehauen wird und verdorrt. / Das macht dein Zorn, daß wir so vergehen / und dein Grimm, daß wir so plötzlich dahin müssen; / denn unsre Missetaten stellst du vor dich / unsre unerkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesicht. / Darum fahren alle unsre Tage dahin durch deinen Zorn, / wir bringen unsre Jahre zu wie ein Geschwätz. / Unser Leben währet siebzig Jahre und wenns hoch hommt, so sinds achtzig Jahre, / und wenns köstlich gewesen ist, so ists Mühe und Arbeit gewesen; / denn es führet schnell dahin, als flögen wir davon. / Wer glaubt aber, daß du so sehr zürnest, / und wer fürchtet sich vor solchem deinem Grimm? / Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, / auf daß wir klug werden. / Gott, kehre dich wieder zu uns und sei deinen Knechten gnädig! / Fülle uns frühe mit deiner Gnade, so wollen wir rühmen / und fröhlich sein unser Leben lang. / Erfreue uns nun wieder, nachdem du uns so lange plagest, / nachdem wir so lange Unglück leiden. / Zeige deinen Knechten deine Werke und deine Ehre ihren Kindern. / Und der Herr unser Gott sei uns freundlich und fördere das Werk unsrer Hände, / ja das Werk unsrer Hände wolle er fördern. Amen!