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legen zu müssen. Oder glaubt der Verfasser des fraglichen „Eingesandt", daß Rabensteins Finanzen außer der Belastung durch den gegenwärtigen Straßen bau, durch das stattliche Rathaus auch noch die hohen Kosten eines Zentralschulbaues tragen können, ohne einen ganz erheblichen Steuerzuschlag? — Nein, er kann es selbst nicht glauben, will er sich dem Fluche der Lächerlichkeit nicht aussetzen, er scheut sich aber, in seinem Artikel auf den Steuerzuschlag hinzu weisen, damit das liebe Publikum nicht kopfscheu wird. Ja, einen Ort groß zu machen ist löblich, aber, aber? Der Schreiber des „Schrummartikels" möchte lieber dem Schulvorstand den Vorwurf machen, nicht bereits vor 5—6 Jahren Grund und Boden gekauft zu haben. Hier befinde ich mich mit ihm im vollsten Einverständnis. Hätte man damals gekauft, so stünde die Zentralschule heute wahrscheinlich, man hatte dann drei leere Schulhäuser und konnte die Mittelschule ganz famos zum Rathause verwenden, also nur ein Neubau statt deren zwei, und alles wäre in schönster Ordnung und beide Projekte zu allseitiger Zufrieden heit gelöst. Man fragt sich nun unwillkürlich, warum hat denn der Artikelschreiber damals seine Stimme nicht ertönen lassen zum Heile Rabensteins, er war doch auch schon im Orte anwesend, weshalb hat er denn sein Helles Licht so lange unter den Scheffel gestellt? — Der mehrerwähnte Verfasser meint, die Vertretung brauche keine Bevormundung, sind denn aber seine Ausführungen nicht tatsächlich eine solche, wenn er von Minderung des Bodens, fürchterlicher Preis steigerung desselben von Spekulationshänden, spekula tiven Gutsbesitzern erzählt, ferner gar eine Versün digung an der ganzen Gemeinde prophezeit, wenn nicht bald gekauft wird. Ist das nicht Alles „furcht bare Schwarzmalerei", die keinen andern Zweck haben kann, als auf die Vertretung der Gemeinde in seinem Sinne einzuwirken? — Als Beweis dafür, daß die Gemeinde bei etwaigem Ankauf eines Grundstücks nach 6 Jahren unter Be rücksichtigung einer mäßigen Steigerung des Boden preises immer noch billiger ein Grundstück erwerben könnte als gegenwärtig, soll nachstehendes Exempel dienen: Angenommen, es werden heute 30000 Mark für das beregte Grundstück ausgegeben, so würde der Kaufpreis unter Hinzurechnung der Zinsen und Zinses zinsen nach 6 Jahren rund 40000 Mark betragen. Wer angesichts eines so einfachen Rechenexempels, woran natürlich der Verfasser des betreff. Artikels in seinem Eifer für die Sache bat. F"" trete vor! Hat denn aber nun Rabenstein einen Zentral schulhausbau wirklich so nötig? — Für einen Fort schritt im Schulwesen trete ich unbedingt ein. Deutsch lands Jugend möchte auf eine immer höhere Bildungs stufe gebracht werden, der großen Aufgaben gewärtig, die sie zu lösen haben wird. Auch darinnen befinde ich mich mit dem Artikel schreiber in seltenem Einklang, insofern, als ich durch aus nicht glaube, „daß die hiesigen Schulverhältnisse gar zu idillische sind", bei Leibe nicht. Würde nicht zunächst die Anstellung eines Schul direktors, welcher allerdings befähigt sein muß, auch englischen und französischen Sprachunterricht zu erteilen, aus Rücksicht auf die vielen jungen Leute, die sich alljährlich dem Kaufmannsstande widmen, in Erwägung zu ziehen sein? Man brauchte aber trotz Schuldirektor keinen Neubau, man kann sogar die niedere Schule noch schließen, und gewinnt dennoch durch Räumung der oberen Etagen von Wohnungen in den beiden anderen verbleibenden Schulen soviel Schulzimmer, daß Rabenstein auf viele Jahre hinaus das Projekt eines Neubaues aufstecken kann. Bei Bedarf auf die mittlere Schule ein Stockwerk noch aufzusetzen, ist vielleicht auch nicht unmöglich. Dieselbe hat durch den jetzigen Straßenbau so viel Licht und Lust be kommen, daß sie dann, ohne allzugroße Opfer, eine prachtvolle Zentralschule abgeben würde. Oder will man vielleicht glauben machen, daß die obere Schulbehörde hier in ersten Etagen Schulzimmer einzurichten verbieten wird, so sehe man sich nur ge fälligst in Nachbargemeinden um. Oder meint man gar, der zukünftige Schuldirektor könne und dürfe nicht von einer Schule zur andern laufen, so gehe man nach Neukirchen, Oberlungwitz und Röhrsdors. Was für Segen unter Umständen die Räumung des Schulhauses von Wohnungen an sich schon bedeutet, hat Rabenstein ja erst jüngst mehrfach erlebt, wo die ganze Schule wochenlang geschloffen werden mußte, weil Angehörige von Hausbewohnern ansteckend krank geworden waren. Will man aber unzutreffenden Falles für Raben steins ferne Zukunft noch weiter sorgen, so setze man sich mit der Kirchgemeinde beizeiten in Verbindung, sichere sich auf deren paffende Grundstücke das Vor kaufsrecht, dann ist man keinen so bösen Spekulanten, deren Gnade und Ungnade man ausgesetzt sein soll, in die Hände gefallen. Was gibt das Grundstück, auf welchem die niedere Schule steht, das ja heute schon der politischen Gemeinde eigentümlich gehört, nebst anliegendem Pfarrgarten für einen brillanten Platz zur Zentralschule. Langt das nicht, so kann man einen Teil des alten Gottesackers dazu nehmen, der, wie jedermann weiß, in wenig Jahren bebauungs fähig wird. - Schule und Kirche im schönen Verein, im Zentrum des Ortes gelegen, was will man noch mehr? Rabenstein hat auch noch eine große Pfarr wiese, die ebenso für den genannten Zweck geeignet ist. Werden derartige Projekte die Gemeinde vorzeitig in so große Schulden stecken, als diejenigen vom Schrummartikel? Gewiß nicht. So ließen sich bei gutem Willen noch mehrere billigere Pläne entwerfen. Der Schreiber des Schrummartikels gibt die Losung ans, jetzt ein genügend großes Grundstück zu kaufen, dann aber den Neubau mit allen Mitteln hintenan zu halten, ja sogar bis in die höchsten Stellen Front zu machen. Einen teuren Platz haben und verzinsen zu müssen und dann nicht zu bauen? — Halt! Wer lacht da? — Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Es bleibt mir ein Trost, daß der Verfasfer des Schrummartikels im Rate der Gemeinde ebensowenig Stimme hat als Schreiber dieses, daß sein Artikel nur ein Stimmungsbild aus kleinem Kreise fein kann und daß er schließlich den 50°/gigen Steuerzuschlag auch mit bezahlen muß. Man darf wohl von einer Vertretung, die der Verfasser des Schrummartikels ja selbst als groß und willensstark bezeichnet, erhoffen, daß sie geeignete Maßnahmen treffen wird, die Rabensteins Steuerzahler vor einer gegenwärtig nicht angebrachten weiteren Steuerbelastung bewahren. Auf weitere Erörterungen in dieser Angelegenheit werde ich mich nicht einlassen. Punktum. (Fernere Besprechungen über diesen Gegenstand können nur als Inserat ausgenommen werden und auch dann nur, wenn solche mit vollständiger Unter schrift versehen sind.) Der Spekulant. Original-Roman von Hans Dahlen. <9. Fortsetzung.» Jetzt zeigten sich die ersten Spuren des Streiks: aus den Wirtschaften tönte Johlen und Schreien, während sonst in ihnen um diese Tagesstunde voll- kommene Rubeln herrschen pflegte. Unter den Türen, M7^?k?IÄmVs^MwcuMuppm regtem Gespräch, einige weinten, die meisten trugen Säuglinge auf dem Arm. Der Millionär ward er kannt, und das laute Gespräch verstummte; manches Augenpaar sah mit frischer Hoffnung dem davoneilenden Wagen nach; gewiß, er nahm die Richtung zum Stätte platz, wo Neumann mit ihren Brüdern, mit ihren Männern sprechen würde. Er war als gutmütig bekannt. Würde es ihm gelingen, die Streikenden zur Arbeit und zum Verdienst znrückzubringen? Oder würde der Undank der Arbeiter seiner Güte den Weg versperren? Sie, die Frauen und Mütter, erkannten längst, daß der Millionär nur das Beste seiner Leute im Auge hatte. So hatte er den ganzen langen Winter hindurch die Maurer und Zimmerer in Lohn gehalten, obschon er kaum Arbeit für sie hatte. Andere Unternehmer ließen ihre Leute bei den ersten Frösten laufen. Aber die Mannsleute wollten so etwas nicht einsehen; die glaubten noch, er hätte ihrer winter- über bedurft, und nun, wo das gute Wetter begann, fingen sie an zu streiken. Die Straße bog rechter Hand in scharfer Kurve aus; in kühnem, scharfen Bogen lenkte August um den Häuservorsprung und ließ die Pferde dann plötzlich in langsame Gangart fallen. Hinten lag der Stätte- Platz. Johann Wilhelin und seine Tochter fuhren empor und blickten nach vorn. Eine wimmelnde, summende Menschenmasse wogte zweihundert Schritt vor ihnen um den Plankenzaun, der den Neumannschen Lager platz in länglichem Viereck umgab. Der Platz selbst war überfüllt und bot nicht Raum für Alle. Schutz leute und Gendarmen patroullierten in fieberhafter Erregung auf und nieder, die Hand am Revolver, den Blick von den Streikenden oftmals zur Stadt lenkend, ob noch nicht die Helme der Soldaten zwischen den Häuserzeilen austauchten. Ein Schutzmann trat an den Wagen, grüßte mili tärisch und riet dem Millionär, schleunigst umzu kehren. Im drohe Gefahr. Die Leute seien zu allem fähig. Neben dem langsam weiterrollenden Wagen einherschreitend, wurde er immer eindringlicher mit seinen Warnungen. Er wandte sich sogar an Thilda, damit sie den Vater von seinem Vorhaben abbringe. Sie seien selbst zu schwach, könnten keinerlei Sicherheit gewähren. Der Platzausseher liege im Krankenhause und sei dem Tode nahe. Wenn er aber nicht hören wolle — er zuckte ärgerlich die Achseln. Thilda sprach nichts, versuchte mit keinem Worte den Vater zurückzuhalteu, denn sie fühlte, es werde vergeblich sein. Die Dinge würden ihren Gang gehen und sie vermochte ihn nicht aufzuhalten. Nur noch enger schmiegte sie sich au den starkwilligen Manu zu ihrer Linken, der jetzt eben ohne Aufregung mit leiser, fester Stimme dem Schutzmann mitteilte, er beharre auf seinem Vorhaben. Es gab auch kein Zurück mehr. Die Versammelten hatten den herankommenden Wagen bemerkt und er kannt, denn plötzlich wurde es in der Menge totenstill, die letzten Schwingungen des brausenden, wogenden Lärms verhalten in der durchsichtigen, sonnendurch leuchteten Frühlingslust. Nur als der Schutzmann knapp vor den in langsamen Schritt gehenden Pferden den Fahrdamm kreuzte, so daß er, den vorher der Wagen den Blicken verdeckt hatte, Allen sichtbar wurde, als er nochmals in den Wagen hineinsprach und sich dann erst entfernte, ging ein leises Gemurmel des Unwillens durch die angesammelten Scharen. Dann wieder dieselbe tote Stille wie vorher. Und der Wagen bewegte sich stetig vorwärts; der Sand knirschte unter dem schmalen Radreifen; die Beiden im Wagen schwiegen und blickten starr gerade aus, wo sich die Gruppen am Plankenzaun dem Auge schon so klar zeigten, daß die Einzelnen hcrvortraten. Aus der Straße links kommen noch Neugierige eiligen Schritts. „Herr Neumann, Herr Neumann!" rief eine Stimme von weitem. Gegen die Sonne war der Blick unsicher; sie erkannten den Rufer erst, als er nur noch wenige Schritte vom Wagen entfernt war. Heinrich Schefer stand vor ihnen. Sein offenes Gesicht war vom eiligen Gange gerötet. „Ich hab's nicht glauben wollen," rief er, „daß Sie zu den Streikenden fahren. Das heißt mit der Gefahr spielen." Bei diesen Worten legt er die Hand auf den sonnenwarmen Rand des Wagenschlages, als wollte er den Lauf des Gefährts hemmen. Johann Wilhelm entgegnete ernst, fast ab weisend, daß er dergleichen Einwendungen oft genug vernommen habe, aber seinen Plan nicht aufgeben werde. „Und das gnädige Fräulein auch in die Gefahr zu bringen —Er flüsterte es vor sich hin. Thilda empfand selbst in diesem hochernsten Augenblick Freude darüber, daß der Jugendfreund in der Nähe war. Sie hätte gern den Vater gebeten, ihm im Wagen einen Platz anzubieten, damit sie einen kräftigen Be schützer um sich hatten, allein sie wagte es nicht. Mittlerweile war der Wagen am Einfahrtstor angekommen, und die hier angestaute Menschenmenge wich nach beiden Seiten auseinander. Es waren hier Moch meist Neugierige, schaulustige Burschen, arbeits- lose Invaliden mit Schlägel und Eisen, den Knappen- abzeichen, am Rock oder Hut, ferner Frauen mit besorgten Mienen, in geflickten Arbeitskleidern mit knochigen, rauhen Armen. Wellenförmig pflanzte sich die zurnckweichende Bewegung unter den Menschenmaffen fort, der Fahr weg, welcher den Stätteplatz in zwei Teile von gleicher Größe zerlegte, leerte sich weithin. Hinter dem Wagen schlossen sich die Gruppen wieder eng, drangen schiebend und stoßend nach und versperrten den Rückweg. Johann Wilhelms geübtes Auge schätzte die inner halb der Umzäunung Versammelten auf 4—500 Mann. Viele fremde Elemente waren seinen Arbeitern bei gemischt. Alle Blicke trafen ihn kalt, die meisten feindselig, aber kein Laut ertönte. Das Schweigen beunruhigte ihn mehr, als es der lauteste Lärm ver mocht hätte. Für einen Augenblick wandelte ihn Furcht an; es erforderte viel Willenskraft, um sie zu unterdrücken. Er erinnerte sich an Thilda und wandte sich mit ein paar Worten zu ihr; sie lag bleich und bebend in den Kissen. „Vater," flüsterte sie, „weshalb hast Du nicht auf Hasselbecks Abraten gehört?" Er sah sie hilflosen Blickes an und wünschte in diesem Augenblick nichts so sehnlich, als daß er seiner Tochter nicht gestattet hätte, ihn zu begleiten. Aber als ob sie seine Gedanken erraten hätte, streichelte die Tochter jetzt seine Hand und flüsterte innig: „Mich tröstet nur, daß ich bei Dir bin." „Fahr' rechts hinauf, nach der Schneidemühle zu," befahl er August. Er brauchte seine Stimme nicht anzustrengen, denn die schreckliche, drohende Stille dauerte noch immer an. Nur das dumpfe Aufschlagen der Pferdehnfe auf dem ungepflasterten, mit morschen Holzstückchen übersäten Boden, das Brechen einer Latte unter den Rädern, die sich in den Spuren, welche die schweren Holzwagen gefurcht hatten, auf und nieder bewegten — kein anderes Geräusch war vernehmlich. Der Kutscher lenkte den Wagen, wie ihm befohlen war, nach rechts, wo sich eine unbedeutende Boden erhöhung befand, da hier der Fahrweg sich in wirr durcheinander liegenden Baumstämmen verlief, die auf die Säge harrten. Johann Wilhelm ließ seine Blicke jetzt ruhig weit in die Runde gehen. Vor ihm am Horizont dehnten sich die Häusermassen der Stadt weithin ans; über dem Dächermeer flimmerte der Sonnenschein. Linker Hand lagen die Massenquartiere der Vorstadt, und der Weg, welcher sie hergeführt hatte. Dann rechts der Fluß mit seinen Schleppschiffen und Kähnen, die mit ausgebreiteten Segeln den leichten Südwind sich