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die etwa .Sujet oder Gestalten der Böcklin- schen Meistergemälde in Tönen nach zu - malen versuchte: sie will nur die Stimmung einfangen. Und Reger hat nie zuvor etwas geschrieben, was so „schön“ klingt, als diese vier Stücke, in denen er erst seinen Sinn für ein differenziertes Orchesterkolorit, für Mischfarben und instrumentale Stimmungs malerei entdeckt hat —ohne daß durch das „Programm“ seine technische Phantasie, der Reiditum seiner kombinatorischen Be gabung, die Kunst seiner organjsdien Ent wicklungen darunter gelitten hätten. „Der geigende Eremit“, das eiste Tonbild, verträgt die „Ueber- set/.ung“ ins Musikalisdie Regens am meisten. Das orgelmäßig behandelte Or chester, aus dem sidi wiederholt die Solo geige löst, singt sich warm bis zur In brunst in archaisierenden Tonfolgen aus, in Harmonien, die immer wieder in alte Kirchentonarten einlenken. Hier hat Reger durch die Geistesstimme bildhaft-hörbaren Ausdruck schaffen können, nnd es ist ihm auch gelungen, das keusche Hören der Engelein, den naiven Genuß an der asketi schen Geigenmelodie des Eremiten stim mungsvoll darzustellen. Allerdings den feinen Humor des Böddinschen „Eremiten“ hat Reger nidit ganz getroffen. „Im Spiel der Wellen“, bei dein zweiten Bilde Böddins, wird es für Reger schon schwerer. Es ist ein kurzes Scherzo, das des Malers Tritone und Nereiden Ballett tanzen läßt. Es bleibt wohl hinter der von heidnischer Sinnenfreudig keit erfüllten Naturpoesie Böddins, hinter dessen Elementarem Uebermut und jauch zender Farbigkeit zurück. Es ist bei Reger doch ein wenig- Alfresco-Pinsdled. Er be gnügt sidi hier im Grunde damit, die aquarellistischen Instrumental-Feinheiten der Mendelssohnsdien „Hebriden“-Ouver türe in ein musikalisches Fortissimo zu übersetzen und das Auf und Ab der Wellen und die Bewegungen der Nöcke und Nixen in bestimmte, leicht erkennbare musikalisdie Ausdrucksformen zu zwängen. „Die Toteninsel“ Hier äußert sidi Regers musikalisdie Illustrationskunst am kräftigsten. Beson ders in der geheimnisvoll-schroffen Linien führung des Bildes, dessen Stimmung mit Regers Harmonik besonders zusammentrifft. Hier ist der Tonmaler audi außerhalb jeg licher Schablone (wie mehr oder weniger lieim zweiten Bild), hier findet er innere Weihe, Ruhe und plastisches Darstellungs vermögen. Eine dunkle, trauervolle und in den letzten Geheimnissen grübelnde Stim- mungsmusik. „Das Bacchanal“ Das Böcklinsdie Bild ist hochtemperiert, f euriger Italiener fließt da in Strömen. Bei Reger ist’s breiter, da gibt’s mehr deutsches Bier. Trotz wirksamer kontra- punktistischer Einsätze ist alles mehr lärmende Lustigkeit, die auf dynamische Orchestereffekte hinzielt, die aber weit ge ringere Könner als Reger treffsicherer her vorzubringen wußten. Es fehlt hier das eigentliche Bacchantische, das „Evoe“, die Schmiegsamkeit und Wollüstigkeit der Rhythmik, die knisternden und lodernden Orchesterakzente. Aber das Stück zeigt — trotz allen Fehlens dter Sinnlidikeit — immerhin den glänzenden Techniker. Anton Bruckners u Dritte" in D-Moll^Üif ägner Anton Bruckner gilt als der „Grünwald der Musik“. Diese tönte ihm, dem Hodi- gläubigen, den Ewigkeitssang: „Groß ist der Herr, und Gott ist überall, wenn er in uns ist“. So hat er, der Schlichteste und Aermste unter den Künstlern, mit seinem Werk, mit seinen neun Sinf onien die Krone des Lebens empfangen. „Sinfonie in D-Moll. Sr. Hochwohlgeboren Herrn Richard Wagner, dem unerreichbaren, welt berühmten und erhabenen Meister der Dicht- und Tonkunst, in tiefster Ehrfurcht gewidmet von Anton Bruckner.“ Also lautet die Widmuugsaufschrift, die Bruckner auf dos erste Blatt seiner dritten Sinfonie setzte. Und dieses Werk ist denn audi mehr als alle andern sozusagen von der Reminiszenz an Wagners Orchesterstil durchwoben. Allerdings war Bruckner viel zu sehr Oesterreicher, Bauernsohn, erdver- wadisen, um ganz aus seiner Landschaft heraus, der vorgebirgisdien Donauland schaft, in dlie breite Unendlichkeit des großen Bayreuthers ausebben zu können. Zu dieser „Landschaft“ gehörte vor allem jene Gottes- fürditigkeit, gehört jener gewissermaßen eingeborene Katholizismus, ohne den Bruckners Werk nicht zu denken wäre. Dieser stellte ein Gegengewicht dar, sdiwer genug, um den Einfluß Wagners wenn nicht aufzuheben, so doch ganz auf das Aeußere — um nicht zu sagen Aeußerlidie — zu be-