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Lori. (Nachdruck Original-Roman von Irene v. Hellmuth. (15. Fortsetzung.» Noch einmal glitt ihr trauriger Blick über die traute Stätte; er flog hinüber zu dem dunklen Walde, wo er — ihr Johannes, nun immer vergebens auf sie warten würde, ihre Augen irrten über die wohlgepflegten Beete des Gartens, über die bunt farbigen Blumen, das freundliche, weinumrankte Haus mit den blitzenden Fenstern, sie hing weinend am Halse der alten Wabi, die ihr eine zweite Mutter gewesen und deren Tränen sich mit den ihren ver mischten. Recht schwer wurde ihr die Trennung von Tyras, dem treuen Gefährten, der winselnd und heulend an seiner Kette riß, als der Wagen davonrollte, dem Bahnhofe zu. Weithin vernehmbar erscholl das klägliche Gewinsel des Hundes, bis es endlich ver stummte. Als Lori in der Ecke des Eisenbahnwagens saß und weinend dem Vater einen letzten Gruß zuwinkte, da wurde es auch ihm wieder weich ums Herz, und er rief der Scheidenden noch zu: „Tröste Dich, Lori, bedenke, es muß sein, bald folge ich Dir nach!" Fort rollte der Zug, immer größer wurde die Entfernung, und Berneck schaute ihm traurig nach. Die Trennung von seiner geliebten Lori wurde ihm schwerer, als er sich selbst gestehen wollte. - Helene hatte, als der Wagen, der Lori zur Station bringen sollte, eben um die Ecke verschwunden war, das Fenster ihres Zimmers geöffnet, und sich lächelnd ein wenig hinausgebogen. Es mochten freundliche Gedanken sein, die hinter der weißen Stirn kreisten, ihr Gesichtsausdruck deutete wenigstens darauf hin. Ein tiefer, befreiender Atemzug hob ihre Brust. „Gottlob, nun ist Lori fort" murmelte sie, „sie uud Johannes sind sich nicht mehr begegnet — nun gilt es, klug zu handeln, das muß alles nach Wunsch gehen!" Plötzlich hefteten sich ihre Augen starr auf einen Punkt und freudiger Schrecken durchfuhr ihre Glieder. Dort, unter den Bäumen tauchte die hohe Gestalt dessen auf, mit dem sich ihre Gedanken am meisten beschäftigten — Johannes. Was in aller Welt mochte ihn hierherführend Wäre er mir ein paar Minuten früher gekommen, er hätte gerade mit Lori zusammentreffen müssen. Er neben sich her, weil der schmale MieKmHWWWllifsi^mmicht-gpflattele. - Anzug mit den Hosen nud die weiße Mütze standen ihm ganz aMgezeichnet. Helene verließ ihren Platz am Fenster und eilte hinunter. Allem guten Herkommen zum Trotz lief sie zu ihm hin und stellte sich ihm in den Weg. „Guten Tag, Herr Lindemann! Ich traute meinen Augen kaum, als ich Sie daherkommen sah; es scheint fast, als wollten Sie direkt zu uns? Mein Onkel ist nicht zu Hause, das ist gut, denn sonst " „Nicht zu Hause!" unterbrach Johannes heftig die junge Dame, „so ist mir der Zufall wirklich so günstig. Kann ich Lori vielleicht sprechen — o, nur wenige Minuten. — Bitte, bitte, möchten Sie so freundlich sein und sie rufen? Ich habe nämlich des wegen diesen Weg eingeschlagen, weil ich hoffte, so am ehesten auf irgend eine Weise mit Lori Zusammen treffen zu können. — Ich mnß sie sehen, es ließ mir keine Ruhe mehr!" Helene schwieg einen Augenblick. Sie überlegte blitzschnell, ob es Johannes wohl möglich sein würde, den Zug noch vor der Abfahrt zu erreichen. Doch schien ihr dies ausgeschlossen zu sein, sie brauchte deshalb keine Sorge zu haben, allein sie wollte vorsichts halber den jungen Mann aufhalten, solange es ging. Lori ist soeben mit ihrem Vater znm Bahnhof gefahren," berichtete sie, eine bedauernde Miene heuchelnd, „unsere Kleine reist noch heute ab." Johannes riß die Augen weit auf. „Was — was sagen Sie da? Lori reist ab — ohne Ab schiedsgruß,—ohne ein letztes Liebeszeichen? —Das kann ja nicht sein, ich —bitte Sie, scherzen Sie nicht! — jetzt nicht!" „Es ist so wie ich Ihnen sagte!" — „Und wann geht der Zug?" unterbrach er sie hastig von neuem. Er schien zu wanke», seine Augen hingen in angstvoller Frage an dem schönen Gesicht Helenens. „Um 5 Uhr 30 Minuten." Er zog die Uhr und schien zu überlegen, doch nur eine Sekunde lang. „Noch 20 Minuten bis dahin," murmelte er für sich, „hm, ja, cs ginge vielleicht," und dann sich wieder an Helene wendend: „Reist Lori allein?" „Ja, ganz allein." „Und in welcher Richtung?" „In der Richtung nach Koblenz." „Ich danke sehr." Helene bereute schon im nächsten Augenblick, als sie dem wie wahnsinnig Davonstürzenden nachschaute, daß sie ihm die Wahrheit gesagt hatte. Ohne Gruß, ohne ein weiteres Wort eilte Johannes der Chaussee zu, schwang sich behende ans sein Stahlroß und entschwand im nächsten Augenblick aus Helenens Gesichtskreis. Die junge Dame zog ihre kleine, goldene Uhr hervor, und nachdem sie einen Blick darauf geworfen, flüsterte sie leise: „Das Unmögliche kann er doch nicht möglich machen, warte nur, das sollst du mir schon büßen, wenn du erst mein bist!" Sie trat ins Haus und nahm ihren Platz am Fenster wieder ein, in der Hoffnung, Johannes zurück kommen zu sehen. Doch umsonst wartete sie. Der Wagen, den Onkel Berneck selbst lenkte, fuhr in den Hof, der Alte winkte und nickte Helene eifrig zu, sie aber schien es kaum zu bemerken. Kurz darauf lief sie zur Türe, schob den Riegel vor, öffnete dann die Kommode und entnahm derselben ein kleines Schächtelchen, das einen zierlichen goldenen Ring enthielt. Es war derselbe, der neulich Loris Hand entfallen war, und den Lori trotz eifrigen und öfteren Suchens nicht mehr auffinden konnte. Lori hatte der Verlust des lieben Geschenkes viele Tränen gekostet. Der Ring war zwischen Wand und Täfelwerk in eine Fuge gekollert, wo ihn Helene entdeckte, aber der Eigentümerin nicht mehr znrückgegeben hatte. Noch oft nachher suchte Lori mit tränenden Augen nach ihrem verlorenen Kleinod, natürlich umsonst. Jetzt preßte Helene ungestüm und leidenschaftlich die vollen Lippen darauf, und flüsterte: „Du bist von ihm, du sollst mir Glück bringen." — Indessen saß Lori traurig und tief niedergeschlagen in der Ecke des Eisenbahnwagens und überlegte, was sie alles an den Geliebten schreiben wollte. Er konnte sie vielleicht einmal in A. besuchen: sie würden sich sehr oft schreiben und immer von einander hören. Von ihm lassen wollte sie niemals, das stand un zweifelhaft fest. Es war ihr klar geworden, daß sie eher ihren Vater und alles, alles lassen konnte, nur Johannes nicht. Die Liebe zu ihm saß zu tief in ihrem Herzen und nichts war imstande, diese zu erschüttern. Und Lori wußte und glaubte fest daran, daß der Geliebte ebenso dachte. Ihren Mitreisenden schenkte sie wenig Beachtung, da ihre Gedanken immer nur bei dem einen Punkt verweilten. Es befanden sich in dem Coupee noch einige kleine Mädchen, die mit ihrer Mutter, einer hübschen, lebhaften jungen Frau, eine kleine Ver gnügungstour machten, sowie ein paar ältere Damen, die sich eifrig, mit- im,M»> m 0 u hielte«. - - - - Die Kinder saßen auf der anderen Seite des Wagens und drückten die Näschen an die Scheiben. Sie amüsierten sich über die wechselnden Bilder, die draußen vorüberflogen, und freuten sich an der raschen Fahrt. Längs des Bahndammes lief die breite, mit verstaubten, halb verkümmerten Obstbänmen bepflanzte Chaussee hin, die rechts von einer Hügelkette be grenzt war. Die junge Frau nahm eines der kleinen Mädchen auf den Schoß und setzte sich mit ihm an das Fenster. Sie verfolgte aufmerksam einen Radfahrer, der mit vorgebeugtem Oberkörper auf dem Zweirad saß und sich augenscheinlich verzweifelt bemühte, mit dem Zuge gleichen Schritt zu halten. Er hatte allerdings vor erst einigen Vorsprung gehabt, allein der hinter ihm hereilende Zug hatte ihn trotz all seiner sichtlichen Bemühungen nach und nach eingeholt. Bald schien es, als ob alle Anstrengung verge bens wäre, dann fing er mit erneuter Kraft an, seine Maschine zu treten, man sah es, wie er ängstliche, kurze Seitenblicke auf den dahinbrausenden Zug warf — jetzt erlahmte seine Kraft und Ausdauer — doch nein —da war er schon wieder und arbeitete im Schweiße seines Angesichtes wie ein Wütender. Die nächste Station mußte jeden Augenblick erreicht sein und offenbar wollte der kühne Fahrer zugleich mit dem Zuge eintreffen. Durch die Bemerkungen von Mutter und Kindern wurden zuletzt auch die schwatzenden Damen, die in der Mitte des Wagens saßen, aufmerksam gemacht, sie traten herzu und tauschten ihre Bemerkungen aus. Lori hörte nicht darauf. „Ich meine, das Radfahren in so rasendem Tem po muß unbedingt schädlich sein," begann die eine der beiden. „Ja, sehen Sie doch, wie der arme, junge Mann keucht, wie er den Kopf vorstreckt, als könnte er so besser arbeiten," fügte die andere hin. „Es gilt hier jedenfalls eine Wette," meinte lächelnd die junge Frau. „Das kann wohl sein, aber es ist sehr leichtsinnig, wenn man solche Wetten macht." „Und noch dazu sein Leben oder mindestens seine Gesundheit aufs Spiel setzt." In dieser Weise ging es fort, so daß zuletzt auch Lori, einer Aufforderung der anderen folgend, mit gleichgiltigem Gesicht herzutrat, um nicht unhöf lich zu erscheinen. Einen einzigen Blick hatte sie auf den Radfahrer draußen geworfen, da entfuhr ein Schrei ihren Lippen — die kleine Hand preßte sich aus das wildpochende Herz, einen Augenblick schien sie zu wanken, dann faßte sie sich gewaltsam und starrte mit leichenblaßem Gesicht auf den Dahinrasenden—es war Johannes. Die anderen schauten mit lächelnder Neugier zu dem jungen Mädchen hin. „Kennen Sie den Herrn dort?" fragte eine der älteren Damen, die sich nicht länger bezwingen konnte. Lori nickte blos, sie tonnte nicht sprechen, die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Die anderen mochten wohl von den Zusammen hang etwas ahnen, die rotgeweinten Angen, die Angst, die sie in Loris Augen lasen, redete eine deutliche Sprache, die beiden alten Damen hätten gar zu gern etwas Näheres erfahren, doch Lori sprach kein Wort. Für sie war die Welt versunken mit allem, was sie enthielt, sie sah nur nach dem Einen, Einzigen, — wie er sich abmühte, und die Sorge, er möchte wirklich ernst lich seiner Gesundheit schaden, bemächtigte sich ihrer. Endlich, endlich hielt der Zug mit jähem Ruck. Station Sch.." rief der Schaffner, „fünf Minuten Aufenthalt." Lori eilte aus dem Waggon und blickte suchend umher, ihr Auge spähte nach dem Geliebten, — dort, — dort drängte er sich durch die Menge, das Rad lehnte er an die Wand. Daß es umfiel, weil er es iu der Hast unvorsichtig hingestellt, —beachtete er nicht mehr. Hätte es einer genommen und wäre damit davongefahren, er wäre ihm nicht gefolgt. Er sah in diesem Augenblick nur seine geliebte, angebetete Lori, ihre rotgeweinten Augen, ihr bleiches sonst so frisches Gesichtchen; er breitete unbekümmert um die lächelnden Mienen der Vorübergehenden die Arme aus und mit einem jubeln den Schrei stürzte Lori an seine Brust. „Johannes, —Du, — o, ich habe Dich wieder, — nun ist alles gut!" „Lorchen, mein liebes, liebes Lorchen!" Sekundenlang hielten sie sich umschlungen in seligem Entzücken, einen Augenblick vergaßen sie, wo sie sich befanden, — alles Leid, alles Weh der letzten Tage ging unter im Glück dieses Wiedersehens. Sie hatten kaum einige Worte gewechselt, als die Schaffner schon wieder zum Einsteigen mahnten. Und die beiden hatten sich doch noch so viel zu sagen. „Weißt Du, was ich tue, Lorchen? Trennen kann ich mich nicht gleich wieder von Dir, ich hole mir ein Billet, stelle mein Rad in den Wagen und fahre einige Stationen mit, daß wir alles ganz genan »besprechen kö^nM, damit einverstanden?" Lori nickte mit glü^Wem Lächeln. Und dann saßen sie nebeneinander, Hand in Hand. Wortlos schauten sie sich eine Weile in die Angen und dann wieder gab es ein Flüstern und Kosen, als hätten sie sich Jahre lang nicht gesehen. Das Coupee war jetzt fast gauz leer, nur in der einen Ecke hatte ein älterer Herr Platz genommen. Dieser beobachtete zwar einige Zeit lang die beiden Liebenden, dann schaute er rücksichtsvoll, um sie nicht zu stören, zum Fenster hinaus und zuletzt nickte er ein wenig ein. Johannes schlang den Arm um die zierliche Gestalt und küßte wieder und wieder den kleinen Mund, die rotgeweinten Augen. Die Vergangenheit wurde kaum berüht, galt doch der Zukunft die ganze Sorge der Liebenden. So kam es, daß Johannes zu fragen vergaß, warum Lori ihm nicht geschrieben, warum sie so rasch in die Trennung gewilligt und alles, was ihn vorher bedrückt hatte. Und Lori ihrerseits dachte nicht daran, die Frage zu stellen, warum der Geliebte so dringend zur Abreise geraten. „Von wem erfuhrst Du denn, daß mich .der Vater heute schon fortschickte?" fragte Lori, die wie im Traume neben Johannes saß und kaum wußte wie ihr geschah. „Von Helene," antwortete der junge Mann, liebkosend die krausen Löckchen seiner Braut streichend. „Ich vertraute dem Zufall nud hoffte, Dich irgend wo sprechen zu können, da sagte mir Helene, daß Du abgereist seiest, mein Liebling." „Aber was in aller Welt sollen wir denn jetzt be ginnen, Johannes?" Lori schmiegte sich zärtlich an Johannes, die Thränen wollten trotz des Glücksgefühls, das sie durch- strömtc, schon wieder Hervorbrechen. „Das war es eben, was ich mit Dir besprechen wollte, Lori. Gott sei Dank, daß es mir geglückt ist, Dich noch zu erreichen. Vor allen Dingen ist es not wendig, daß wir eine sichere Art des Briefwechsels entdecken, um uns gegenseitig verständlich machen zu können; denn ich denke mir, daß Deine Verwandten, bei denen Du die nächsten Wochen zuzubringen hast, jedenfalls ganz genau instruiert sind, und daß Du auf dem geraden Wege keinen einzigen meiner Briefe erhalten würdest. Ich fürchte ebenso, daß mein Vater Deine Zuschriften unterschlagen würde. Deshalb wollen wir die-Sache ganz schlau einfädeln; sie sollen uns nicht überlisten, denn hören müssen wir von ein ander, nicht wahr, Schatz?" Er bückte sich und schaute ihr in die lieben Augen,