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Ohne sie war und ist die Entwicklung unserer Alma mater undenkbar. Hun derte Arbeiter und Angestellte sorg ten und sorgen für die Bedingungen, unter denen Erziehung, Ausbildung und Forschung erst möglich werden. Stell vertretend sollen in der UZ bis zum 30. Jahrestag der DDR einige vorge stellt werden. Die über 60 Porträts ent standen als Jugendobjekt von Studen ten der Sektion Journalistik. Sie wur den auf der Leistungsschau *78 prä miert und sollen später in Buchform veröffentlicht werden. „...das war eben Jusek!" Von Judith Albig S o sagen viele. Denn viele kannten ihn, den Hubert. Was gibt es da zu erklären! Es ist eben ein Be griff geworden, mit dem alles gesagt ist: entweder „Hubert“ oder „Jusek". Doch für wen weder der eine noch der andere Name ein Begriff ist, "er ihn sich erst mit Hilfe derer, für die er schon existiert, aufbauen will? — Erinnerungen sind zähe Tropfen... Da war einer, der träumte den Traum, Arzt zu werden — ein hal bes Leben lang, und die zweite Hälfte schleppte er ihn noch im Unterbewußtsein mit sich herum. Köpfchen hatte der, Ideen und ge schickte Hände. -Geschafft hat er es nie. Sicher, das notwendige Geld hätte Florentine — deren Mann im Krieg gefallen war, als Hubert drei Jahre alt war — vielleicht sowieso nie gehabt. Abei- bei dem Willen, den ihr Junge hatte! Wer weiß ...? Ganze 21 Jahre war er alt, da strich man ihm . zehn Jahre seines bevorstehenden Lebens, strich ihm alles, wovon andere im Alter (das er auch nicht erleben sollte) sagen können: Als ich ein junger Mann war. Aber im Zuchthaus Branden burg-Görden und in Buchenwald, da zählte die Jugend nicht oder Männlichkeit oder Sehnsucht nach Uebe. Da zählte nur: durchhalten, kämpfen für sich und andere, damit man selbst und andere durchhalten können! U nd später? Die Partei brauchte solche wie ihren Genossen Ju sek im ganzen Land. Zum Bei spiel, um eine demokratische Uni versität in Leipzig aufzubauen. Und Hubert Jusek, der ein Jahr als Per sonalreferent im Stadtgesundheits amt Leipzig gearbeitet hatte, wurde 1946 Personalleiter, drei Jahre spä ter Verwaltungsdirektor der Univer sität. Akten, Streit, Büro, Chaos, Kader, Finanzen — er biß sich durch, begann diese Aufgabe zu lie ben. Er lebte für die Universität. Aber ganz verflog sein alter Traum die. Manchmal hatte er ganz schöne Partisanenmethoden! Wenn die Uni versität irgend etwas brauchte — Hubert besorgte es auf Biegen und Brechen, und wenn er bis zur Volkskammer vordrang. So kämpfte ar um das Klinikum, das Rechen- Zentrum, den Neubaukomplex. Die Bautätigkeit war ihm fast so etwas 'vie ein Hobby geworden. An keiner Hochschule der Republik hatte man gültige Erfahrungen mit der Rechentechnik, als Hubert Jusek sagte: Wir brauchen einen Rechner. Und er fuhr selbst nach Jena, um den ZRA 1 zu besorgen. Heute ha ben wir ein Zentrum mit 180 Mit- arbeitern, ohne das unsere Universi- tät nicht auskommen könnte. Konsequent und hart — auch das ist eine Erinnerung an Jusek. Sie stammt aus den schwierigsten Jah ren unserer Universität, zwischen 1946 und 1949 — einer Zeit, in der viele Anhänger der Nazi-Partei und andere Wissenschaftler, die gegen den demokratischen Neuaufbau und unseren Staat auftraten, aus der Universität ausgeschlossen werden mußten. Keine Frage, wie schwer wir auf ihre wissenschaftliche Ar beit verzichten konnten, und was es bedeutete, neue, demokratisch ge sinnte Kräfte heranzubilden und einzusetzen! Aber es war nicht nur eine Zeit der Härte, sondern auch der gren zenlosen Geduld, der unermüdlichen Überzeugungsarbeit für den Ver waltungsdirektor Jusek. Wieviele Stunden des Tages verbrachte er in Gesprächen mit Professoren, Assi stenten, Studenten, mit Arbeitern und Angsestellten! Um jeden tat es ihm unendlich leid. Wen er nicht für uns gewinnen konnte, der traf ihn tief. Auch der war Jusek,. der sich mit seinen Mitarbeitern bis aufs Blut üm Probleme der Arbeit stritt. Nur glasklare Argumente nahm er an, wenn er für seine Mei nung kämpfte. Zusammenstauchen konnte der einen, wenn er Fehl entscheidungen und Nachlässigkei ten auf die Spur kam! Aber waren die Probleme aufgedeckt, die Ur sachen gefunden, Möglichkeiten zur Weiterarbeit geschaffen, dann stand er wie vorher zu seinen Kollegen. Kein Nachtragen, kein Vermischen von Streitigkeiten der Sache wegen und freundschaftlichem kollegialem Zusammenleben — so konnte nur er das! G anz schön rot der Jusek, ein bißchen zu rot — auch so sag ten manche. ■ Hervorragende Wissenschaftler waren das oft, aber solche, die ausschließlich ihre Wis senschaft sahen, die darüber hinaus nichts gelten ließen. Und dieser Ju sek brachte es doch tatsächlich fer tig, in diesen „heiligen“ Bereich den Klassenkampf hineinzutragen. Nichts konnte man mit dem mal so ganz einfach unpolitisch betrachten. Be zeichnend, daß er einer der ersten war, die dafür sorgten, daß an einer Einrichtung der Intelligenz genau wie in den Produktionsbetrieben die Klasse der Arbeiter das Sagen hatte. Im Jahre 1946 gründeten sie ihre SED-Gruppe, legten damit den Grundstein für die inzwischen dar aus entstandene eigene SED-Kreis parteiorganisation der Universität. Ja, das war einigen zuviel des Gu ten, wo es doch um die Wissenschaft ging. Aber trotzdem, alle Achtung hatten sie davor, wie dieser Jusek zu seinem Wort stand. Und solches Verständnis, solch ganz persönlicher Einsatz für die materiellen Voraus setzungen der Forschung — von „so einem“ hätten sie das eigentlich nicht erwartet. Einer, dem er zu rot war, hob ihn sogar in seiner Ab schiedsrede von der Universität als einen Mann hervor, der bewunderns werten Weitblick bewies, als es um den Neuaufbau des Klinikums ging. W as würde wohl Mutter Floren tine erzählen, die Katholikin? Ganz wird sie es nie verwun den haben; daß ihr Sohn so aus der Art schlug. Einen ordentlichen Be ruf hatte ■ er gelernt, war Schrift setzer bei „Schönwolfig Nachfolger“ und „Neumanns Stadtbuchdruckerei“ zu Hause in Gleiwitz gewesen. Aber fast ein Kind, noch, traf er sich mit diesen neuen Freunden, die sie nicht gutheißen könnte, und derentwegen er sich von der Familie trennte. 1935 wurde er gefaßt. Er war Verbin dungsmann vom Kommunistischen Jugendverband des oberschlesischen Industriegebietes zu Polen und der CSSR. Wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ wurde er zu vier Jah ren Zuchthaus verurteilt, denen sich sechs Jahre KZ anschlossen. Dafür hatte sie ihn nicht geboren. Für den Lehrer Iljuschin aus der Sowjet union bedeutet Genosse Jusek: der Mann, der ihm durch eine Haut transplantation den Arm gerettet hat. Das war in Buchenwald, im Krankenrevier, in das die illegale Parteileitung der KPD Hubert Ju sek geschickt hatte, und das ein Zen trum des Widerstandskampfes im Lager war. Mit unermeßlicher Wil lenskraft hatten sich Walter Krä mer, der für das Revier verantwort lich war, und die Häftlingspfleger aus Büchern wie z. B. dem Opera tionskurs von Prof. Sauerbruch me dizinisches, sogar chirurgisches Wis sen angeeignet. Um die Häftlinge vor den sadistischen SS-Ärzten zu bewahren, um Hunderten das Leben zu retten, pflegten, behandelten, operierten sie die Patienten selbst. Der Schriftsetzer Hubert Jusek war hauptsächlich als Narkosearzt ein gesetzt. Lungentuberkulose, Schädel brüche, Frakturen, Platzwunden, Transplantationen, Amputationen. Jeden Vormittag und jeden Nach mittag führten die Häftlingspfleger mehrere Operationen durch, an man chen Tagen gleichzeitig in zwei Operationsräumen. Einer davon war von den Häftlingen selbst nach der täglichen Schufterei gebaut worden. 26 war Hubert, als er glaubte, es nicht mehr verkraften zu können, wenn er erleben mußte, wie der SS-Arzt Dr. Eisele Patienten im Operationsraum und im Kranken revier quälte. Damals bedeutete die illegale Parteileitung ihrem jungen Genossen, daß sein Platz bei den Kranken sei. P Ganz empfindlich reagierte Hu bert Jusek, wenn es sich manche Genossen und Kollegen mit der So lidarität gar zu einfach machten. Er selbst hatte sie damals im Lager ganz hautnah kennengelernt, und sie war für ihn immer weit mehr eine moralische als eine finanzielle Sache geblieben. Er verdiente gut, da konnte er es nicht bei ein paar Mark bewenden lassen. Auch von anderen verlangte er das: „Wenn Ihr wirk lich spenden wollt, dann müßt Ihr’s auch merken. Es muß was fehlen hinterher!“ L ernen mußte er, eigentlich immer und immer weiter. In alle Pro bleme, die er organisatorisch und verwaltungsmäßig anzupacken hatte, kniete er sich auch theoretisch hin ein. (Man bedenke, was das z. B. auf dem Gebiet der Rechentechnik für den ehemaligen Schriftsetzer bedeutete). Der Abschluß an der Parteihochschule als Diplom-Gesell schaftswissenschaftler genügte ihm für einen Leiter nicht. So legte man cher Wissenschaftler dem proleta rischen Verwaltungsdirektor gegen über Vorurteile ab und verbündete sich mit ihm, um bestimmte mate rielle Voraussetzungen für die For schung und Ausbildung zu schaffen. Und nicht selten fanden die Mit arbeiter aus der Verwaltung Hubert Jusek mit einem Professor in fach lichem Meinungsstreit verwickelt. Bei mir und meinen Kollegen hat er sich wohl gefühlt — das sagte Lam bos (oder auch: Mambo, wie ihn Georg Mayer taufte) nicht nur mit Stolz, auch mit gewisser Rührung, derer er sich nicht schämt. Er und Hubert, das waren nicht nur Kraft fahrer und Chef, das waren zwei Freunde, die zusammen gearbeitet haben und vcn denen der eine den anderen durch den Tod, nach einer langen, quälenden Krankheit im Jahre 1970 verloren hat. „So einen Menschen habe ich 'nie vorher und auch jetzt noch nicht wieder ge funden.“ Und er kennt das Rezept des Genossen Jusek, wie man mit so vielen Menschen ausgezeichnet zusammen arbeiten und auskommen kann, wie man sich so viel Achtung erringt: Gerechtigkeit und nochmals Gerechtigkeit! Niemals ließ er sich von Launen, Stimmungen vorschnel len Eindrücken leiten. Er half seinen Kollegen bei allen möglichen Schwierigkeiten bis zum letzten — aber unbedingte Aufrichtigkeit, das verlangte er von ihnen dazu. Das Unvergeßliche für Mambo: Er Hubert Jusek, am 8. Juni 1914 in Gleiwitz als Sohn eines Hütten werkers geboren; gestorben am 20. April 1970: Nach der Selbstbe freiung aus dem KZ Buchenwald ein Jahr Personalreferent iin Stadtge sundheitsamt Leipzig, 1946 Personal leiter der Universität, drei Jahre später Verwaltungsdirektor. Akten. Streit, Büro, Chaos, Kader, Finan zen — er biß sich durch, begann diese Aufgabe zu lieben. Er lebte für die Universität. .. zeigte, wie ein Kommunist lebt. Er wußte es nicht nur, hatte nicht nur die Überzeugung — er zeigte es. „Und so was lieb ich. Das schaffen wenige — ja, so was lieb ich.“ Und auch so der Jusek: Skatend, trin kend, rauchend. Wie liebte er diese Abende mit Georg Mayer, dem Rek tor, Joachim Böhme, dem Partei sekretär und anderen im „Kaffee baum“ ! Die Orient nahm er nur ohne Mundstück. („Keine kastrier ten Zigaretten!“) Der Kognak half ihm manchmal, die bohrenden Kopf schmerzen zu vertreiben. — Später konnte nur noch Morphium etwas ausrichten. I n der Ritterstraße 26 war ein gu tes Arbeiten, darin sind sich alle einig. Ihr Leiter kannte fast jeden von ihnen persönlich. Und genau wie für den Fortgang der Arbeit in teressierte er sich für das, was an ganz persönlichen Gedanken, Wün schen, Schwierigkeiten in seinen Kollegen vorging. Man kam direkt ins Erzählen, wenn er so zuhörte! Manchmal war das sehr wichtig für den, der erzählte. Eines fiel erst jetzt so richtig auf: Außer zwei, drei der engsten Freunde gibt es keinen, dem er jemals etwas über sein persönliches Leben erzählt hatte. „Er war mit seiner Uni verheira tet“ — das klingt bitter, wenn man weiß, daß es die Ehefrau sagt. Vom Beginn ihres gemeinsamen Lebens an tat sie das Ihre zu seiner Lei stung — ganz still, im Selbstver ständlichen. Damals, als sie den 31jährigen kennenlernte in der KPD- Ortsgruppe von Böhlitz-Ehrenberg — ob sie da schon wußte, wie schwer so etwas ist? Charlotte war eine, die damals ungefähr ahnen konnte, wag hinter ihm lag. Ein Jahr lang war sie als 25jährige selbst in Freiberg in Haft, nachdem ihre KPD-Gruppe . aufge flogen war. Mit Hubert hatte sie nicht nur die politische Arbeit ge meinsam, auch die Vorfreude auf Ruhe, Ordnung, Geborgenheit in einer Familie. Sie blieb zu Hause für ihn und später für Michael und Stefan. Hubert dagegen war von Jahr zu Jahr immer seltener da. Und selbst wenn, dann konnte er noch Zeit zum Lesen finden. Ganz sicher hätte er anders der Universi tät nicht so viel geben können. Aber ohne eine Frau wie Charlotte hätte er auch nicht ein solches Leben le ben können: die „Ehe mit der Uni“. Der hat es nicht verstanden, aus seinem Posten was zu machen. Mancher kann’s eben und mancher nicht. Auch das würden sicher einige über Hubert Jusek sagen. Er hätte „draus machen“ können: ein schönes Privatleben, attraktive Rei sen, ein Haus in grüner Umgebung, einen Wagen — als Verwaltungs direktor einer Universität. So wohnte er nur in einer Mietswohnung im gar nicht idyllischen Stadtgebiet 705 Leipzig, und er fuhr außer Dienst mit der Reichsbahn und den Leipziger Verkehrsbetrieben. D as war einer der schönsten Tage für Hubert: Die Universität fei erte ihr 550jähriges Bestehen. Während des Festaktes erhielt der Genosse Jusek den Vaterländischen Verdienstorden in Bronze. Neben der Medaille „Kämpfer gegen den Faschismus 1933—1945“ prangte er an Huberts Jacke. Das war im Jahre 1959. Energie! Energie, die hatte Hubert für drei. Keiner weiß das besser als Charlotte oder Mambo. Seine Arbeit war ihm alles. Mehr als zehn Jahre litt er unter starken Kopfschmerzen, Hubert Jusek erhält die Glück wünsche von Rektor Prof. Werner zur Übergabe des Direktorats am 18. März 1969; unten: eine von ihm gern geübte Handlung — Prämien ausgeben. Fotos un ten von I. n. r.: Genosse Jusek spricht anläßlich des Internatio nalen Frauentages am 8. März 1962; Begehung mit Rektor Prof. Müller im Studentenwohnheim „Jenny Marx“ am 9. Februar 1965; am 8. März 1965 auf einer Ausstellung zur Einweihung der Kinderklinik. Fotos: HFBS/Archiv 2 die von einem Gehirntumor her rührten. Man möchte in solchem Zu stand niemanden sehen, geschweige denn konzentriert an etwas denken. Hubert jedoch ging Tag für Tag zur Universität, arbeitete, und kaum einer seiner Mitarbeiter spürte et was von seiner Krankheit. Ja, an schlechte Laune meinen sie sich zu erinnern: Einem Leiter wie ihm nahm man es übel, wenn er plötz lich nicht nach rechts und nicht nach links sehend, grußlos durchs Haus ging. Nur Mambo wußte an solchen Tagen: Hubert nahm all seine Kraft zusammen, um sich nicht vor Schmerz und Schwäche gefühl gehen zu lassen. Er hatte das Gefühl, umzufallen, sobald er den Kopf nur etwas stärker bewegte. 1965 wurde Hubert Jusek zum er sten Mal operiert und sollte darauf hin invalidisiert werden. Aber da mit hätte er sein Leben, so wie er es führen wollte, aufgegeben. Nach einigen Monaten ging er wieder zur Arbeit. Fünf Jahre waren ihm noch geblieben. ' „Das war eben der Mensch Jusek.“ Das alles, und sicher fehlt noch viel. Wir versuchen, aus all diesen Er innerungen für uns ein Bild ent stehen zu lassen. Denn: Wir leben heute von solchen wie er.