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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 21.1977
- Erscheinungsdatum
- 1977
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-197700008
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19770000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19770000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 21.1977
-
- Ausgabe Nr. 1, 7. Januar 1
- Ausgabe Nr. 2, 14. Januar 1
- Ausgabe Nr. 3, 21. Januar 1
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- Ausgabe Nr. 5, 4. Februar 1
- Ausgabe Nr. 6, 11. Februar 1
- Ausgabe Nr. 7, 18. Februar 1
- Ausgabe Nr. 8, 25. Februar 1
- Ausgabe Nr. 9, 4. März 1
- Ausgabe Nr. 10, 11. März 1
- Ausgabe Nr. 11, 18. März 1
- Ausgabe Nr. 12, 25. März 1
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- Ausgabe Nr. 14, 11. April 1
- Ausgabe Nr. 15, 15. April 1
- Ausgabe Nr. 16, 22. April 1
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- Ausgabe Nr. 19, 13. Mai 1
- Ausgabe Nr. 20, 20. Mai 1
- Ausgabe Nr. 21, 27. Mai 1
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- Ausgabe Nr. 23, 10. Juni 1
- Ausgabe Nr. 24, 17. Juni 1
- Ausgabe Nr. 25, 24. Juni 1
- Ausgabe Nr. 26, 1. Juli 1
- Ausgabe Nr. 27, 8. Juli 1
- Ausgabe Nr. 28, 15. Juli 1
- Ausgabe Nr. 29, 22. Juli 1
- Ausgabe Nr. 30, 29. Juli 1
- Ausgabe Nr. 31, 2. September 1
- Ausgabe Nr. 32, 9. September 1
- Ausgabe Nr. 33, 16. September 1
- Ausgabe Nr. 34, 23. September 1
- Ausgabe Nr. 35, 30. September 1
- Ausgabe Nr. 36, 10. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 37, 14. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 38, 21. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 39, 28. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 40, 4. November 1
- Ausgabe Nr. 41, 11. November 1
- Ausgabe Nr. 42, 18. November 1
- Ausgabe Nr. 43, 25. November 1
- Ausgabe Nr. 44, 2. Dezember 1
- Ausgabe Nr. 45, 9. Dezember 1
- Ausgabe Nr. 46, 16. Dezember 1
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Band
Band 21.1977
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Am 17. September vergangenen Jahres hatte der Rektor unserer Universität, Prof. Dr. Rathmann, Emeriti und vor der Emeritierung stehende Professoren eingeiaden und mit ihnen beraten, wie sie durch die Niederschrift von Erinnerungen bzw. durch wissenschafts- und universitätsgeschichtliche Beiträge helfen können, die Ver gangenheit für die Gegenwart zu erschließen. Erstes Ergebnis der seinerzeit zugesicherten Bereitschaft sind die nachstehenden Erinnerungen, die kürzlich Prof. Dr. Holzmüller dem Rektor übermittelte. Die aufschlußreiche und gelungene Darstellung komplizierter Jahre an der Leipziger Universität dürfte bei einem breiteren Leserkreis Interesse finden. Aufbauend auf den Forschungsarbeiten... von Boltzmann, Wiener, Descoudres, Wiedemann und anderer entwik- kelte sich das Physikalische Institut der Universität Leipzig zu einem Zentrum der naturwissenschaftlichen Forschungen, dessen Bedeutung weit über die Grenzen von Europa hinaus spürbar war. Neben München und Göttingen war es das bekannteste Institut in jener Zeit, wobei führende Forscher wie Heisenberg, Debye, Hund, Karolus und Schiller sehr wesent lich zu dieser führenden Position beitrugen. Große Teile der Quantenphy sik, wie z. B. die Matrizenmechanik, entstanden in Leipzig, die Deutung des Ferromagnetismus als Austauschkraft, wesentliche Teile der Molekül physik, die Röntgenstrukturuntersuchungen der Flüssigkeiten und Kri stalle, die Theorie über die Struktur starker Elektrolyte und viele Ergeb nisse der angewandten Physik haben hier ihren Ursprung. Leipzig wirkte wie ein Magnet, und zahlreiche Physiker aus der Sowjetunion, aus Indien und aus den westlichen Ländern kamen nach Leipzig. So lernte ich hier den bekannten sowjetischen Physiker Bloch kennen, auch Joffe besuchte uns, andere, wie z. B. Liese Meitner, hielten hier vielbeachtete Kol- loquiumsvorträge. Ich war damals am Institut als ganz junger Student, aber sehr glücklich darüber, bei so bedeutenden Lehrern die Anfangsbe griffe der Physik zu erlernen. Fast alle Studenten der Physik jener Zeit... hatten den Berufewunsch Oberschullehrer für Mathematik und Physik, und die wenigsten beabsichtigten, als Forscher am Institut zu bleiben oder in die Industrie zu gehen. 1 ) Die Verwirklichung des Zieles Lehrer für Physik und Mathematik zu werden, war durchaus nicht selbstverständlich. Es war die Zeit einer Weltkrise des Kapitalismus mit 10 Millionen Ar beitslosen im damaligen Deutschland. Uns allen wurde gesagt, daß vor 1950 keine Aussicht bestände, eine Stelle im Schuldienst zu erhalten. Von den 33 Studenten, die mit mir 1932 die klaren und schönen Vorlesungen bei Leon Lichtenstein über Differentialrechnung hörten oder bei Prof. Levi zuerst über die analytische Geometrie des Raumes unterrichtet wurden, hatten vielleicht drei den Wunsch, einmal Physiker zu werden. Ich nenne diese beiden jüdischen Professoren am damaligen Mathematischen Insti- tur an der Talstraße zuerst, denn ich lernte bei Prof. Lichtenstein nicht nur die Grundlagen des exakten Lehrgebäudes der höheren Mathematik, sondern erkannte auch als junger Student einiges über die Schönheit und Wahrhaftigkeit der Mathematik und konnte auch manches von der gro ßen allumfassenden Menschlichkeit und verzeihenden Güte dieses Gelehr ' - Als Student der Physik in Leipzig 1932-1937 Persönliche Erinnerungen von Nationalpreisträger Prof. Dr. W. Holzmüller Biographische Daten ten als immer erstrebte, aber nicht immer erreichte Richtschnur meines späteren Handelns übernehmen. Miterleben zu müssen, wie dieser große Leipziger Mathematikprofessor durch die Faschisten in den Freitod getrie ben wurde und dann nur wenige seiner alten Schüler bei seiner Beerdi gung auf dem Südfriedhof anzutreffen, gehören zu den traurigen Erinne- runcen an jene Zeit. Wir waren bei der Gestaltung unseres Studiums uns vollständig selbst überlassen. Ältere Kommilitonen rieten uns zu dieser oder jener Verlesung und empfahlen die Teilnahme an bestimmten Seminaren,. Das führte zur Selbständigkeit und zu einer guten Gestaltung des Selbststudiums, er reichte aber niemals die hohe Effektivität des Lernens, wie wir das heute bei der straff organisierten Form des Studiums gewohnt sind. Ein Röhepunkt des Studiums... für jeden naturwissenschaftlich interessierten Studenten, also auch für die Mediziner, die Chemiker, Biologen und Mathematiker war die Vorle sung Experimentalphysik bei Prof. Debye. Dabei waren die Schulung der Beobachtung und die Erkenntnis der allumfassenden Gültigkeit des Kau salgesetzes wesentliche Ergebnisse für jeden Hörer. Es kam nicht auf ne bensächliche Einzelheiten an, sondern auf die Vermittlung der Erkenntnis, daß nur durch gezielte und folgerichtige Beobachtungen unumstößliche Kenntnisse über die reale, uns umgebende Außenwelt erhalten werden können. Die induktive Betrachtungsweise beherrschte die Vorlesung. Es wurden nicht wenige Axiome an die Spitze gestellt, sondern durch etwa 700 fesselnde und die Begeisterung für die Physik erweckende Experi mente ein bestimmtes Grundlagenwissen geschaffen. Damals wirkte schon der heute noch im Institut tätige Vorlesungsmechaniker Rommel bei dem Aufbau neuartiger Versuche mit Prof. Debye selbst, als Schöpfer grundle gender Erkenntnisse der Quantenphysik, vergaß niemals die Bedeutung auch der anderen Teile der Physik, z. B. der Hydrodynamik und der Thermodynamik. Es war das Ziel aller Nachfolger von Debye, diese Tra dition fortzusetzen und die beobachtende Erkenntnis an die Spitze der Physikausbildung zu stellen. Die in der Vorlesung Experimentalphysik er lernten Kenntnisse wurden durch das ebenfalls von Prof. Debye gestaltete Anfängerpraktikum vertieft. Hier wirkten u. a. Professor Kämpf und Dr. Sangewald, der auch durch seine zahlreichen populärwissenschaftlichen Vorträge im Rundfunk und bei den gewerkschaftlichen Weiterbildungen bekannt war. Schon als Schüler hatte ich Gelegenheit, Experimental vor träge bei Dr. Sängewald zu hören, die regelmäßig an Sonntagen für die Gewerkschaft der Buchdrucker in Leipzig gehalten wurden. Im 3. Semester begann die Ausbildung... in Theoretischer Physik. Jetzt hatten wir das mathematische Rüstzeug erworben, um die klaren und unwiderlegbaren Ausführungen der Profes soren Heisenberg und Hund zu'verstehen. Wir kannten die Bedeutung, der elektromagnetischen Wellen, hatten begeistert die Versuche über elektro magnetische Wellen gesehen und konnten nun die maßgebenden Gleichun gen aus wenigen Axiomen ableiten. Uns standen dabei die Lehrer der Theoretischen Physik Heisenberg und Hund und deren Assistenten Weiz säcker, Kockel und Mrowka helfend zur Seite. Es war ein durchaus jun ges Kollektiv von Physikern, die ihrem Wesen nach der studentischen Ju gend in der vorfaschistischen Zeit sehr nahestanden. Prof. Heisenberg kam gelegentlich in Tennisausrüstung zur Vorlesung. Mit Prof. Hund hatte ich als junger Student Gelegenheit, eine Wanderung durch die Wälder und Parkanlagen im Süden von Leipzig zu unternehmen, wobei mir die Unter haltung über die Naturgestaltung in der Leipziger Landschaft noch deut lich in Erinnerung ist. Am Abend kamen dann die meisten Doktoranden, Assistenten und Hochschullehrer in der Mühle Zöbigker zusammen, so die Gemeinschaft der damaligen Physiker demonstrierend.?) Durch die Übungsaufgaben in Theoretischer Physik und den Besuch von Seminaren konnten wir dann so tief in unsere Wissenschaft eindringen, daß man etwa nach 8 Semestern an selbständige eigene Arbeiten denken konnte. Besonders ist mir noch das regelmäßig von Prof. Debye geleitete Seminar in Erinnerung, wo ich erstmalig ein sehr gutes persönliches Ver hältnis zu den Assistenten von Prof. Debye, nämlich den Herren Bewi- logua und F. H. Müller, gewann. Prof. Heisenberg wurde von vielen Stu denten der Physik 1932/33 nicht verstanden. Was heißt das schon, Matri zenmechanik? Wie kann durch den Austausch von Elektronen eine An ziehungskraft entstehen? Es gab damals auch unter den Physikern viele Kleingläubige, die den Tiraden eines Hitler und seiner Spießgesellen nur zu gern ihr Chr liehen. Die Stimme dieser Maulhelden übertönte auch im Leipziger Physikalischen Institut die Sprache der exakten Wissenschaft und die Sprache der reinen Menschlichkeit. Als Heisenberg Ende 1933 in Stockholm... den Nobelpreis für seine Leistungen auf dem Gebiete der Quantenphysik entgegennahm, empfing ihn in Leipzig eine johlende Menge halbgebildeter Studenten, die die tiefsten und reinsten Erkenntnisse der Theoretischen Physik unseres Jahrhundert zu einer jüdischen Physik stempeln wollten, Wobei in jener Zeit der Begriff „jüdische Physik“ ein Schimpfwort war, mit dem insbesondere die Gedanken von Einstein und Planck abgelehnt wurden. Dabei taten sich vor allem die einst in ihrer Jugend sehr bedeu tenden und bekannten Physiker Lenard und Stark hervor, die als Wortfüh rer der Faschisten den Begriff „deutsche Physik“ prägten. Im Physikali schen Institut gab es damals zwei Abteilungen für Technische Physik, die Prof. Dr. sc. Werner Holzmüller (ge- boren am 15. Dezember 1912 in Leip zig) ist Sohn eines Buchdruckers, der sich wie 90 Prozent seiner Berufskol legen im kaiserlichen Deutschland aktiv gewerkschaftlich betätigte. Nach der Reifeprüfung (1932) studierte W. Holz müller in Leipzig Physik und promo vierte im Januar 1937 mit einer von Prof. Dr. Debye betreuten Dissertation zum Thema „Dielektrische Verluste in Abhängigkeit von Konstitution und Größe der Moleküle bei Ketonen". Seit Sommer 1937 arbeitete er in Berlin, wo er sich 1941 habilitierte. 1943/44 wirkte er als Dozent an der Technischen Hoch ¬ schule Aachen, 1944/46 In Berlin als Industriephysiker. Als Spezialist war er 1946 bis 1952 in der UdSSR tätig, seit her als Professor an der Karl-Marx- Universität. Für seine Leistungen wur den Prof. Holzmüller der Nationalpreis (1959), der Vaterländische Verdienst orden in Silber (1962), die Ehrennadel der Gesellschaft für Deutsch-Sowjeti sche Freundschaft in Gold (1957) und andere Auszeichnungen und Ehrungen zuteil. An der heutigen Sektion Physik betreute er 370 Diplomanden und 150 Doktoranden und leitet die Arbeits gruppe Hochfrequenzspektroskopie der Polymeren und Monomeren. Das ehemalige Physikalische Institut Prof. Dr. Werner Heisenberg (1901—1976), ordentlicher Professor für theoretische Physik an der Universität Leipzig (1. Oktober 1927 bis zum 1. Oktober 1942) er hielt für die Aufstellung der Un- schärferelation und für die Be gründung der Matrizenmechanik 1933 den Nobelpreis für Physik An der Universität Berlin lebte Heisenberg bis zum Ende des 2. Weltkrieges, danach war er in Göttingen und München tätig. Als einer der Unterzeichner des „Göttinger Appells“ der Atom- Wissenschaftler von 1957 forderte er den Verzicht auf die atomare Bewaffnung der Bundeswehr und lehnte die Mitarbeit bei der Her stellung, Erprobung sowie den Einsatz von Atomwaffen ab. Bis zu seinem Tode gehörte er dem Vorstand der Goethe-Gesellschaft in Weimar als Mitglied an. (Fotos aus: Die Humboldt-Uni versität zu Berlin, Berlin 1973, S. 137) Aus dem Beileidstelegramm des Vorsitzenden der DKP, Herbert Mies, an die Gattin von Werner Heisenberg: Wir Kommunisten, alle fort schrittlichen Menschen würdigen Werner Heisenberg als großen Wissenschaftler und Forscher, der stets dafür eintrat, daß seine bahnbrechenden wissenschaft lichen Forschungen dem Frieden und Wohle der Menschen zugute kommen. Prof. Heisenberg gehörte zu den Wissenschaftlern, die sich in der Zeit des Hitlerfaschismus mutig der Zerstörung der Wissen schaft widersetzten und sich wei gerten ihre Kenntnisse in den Dienst der nazistischen Kriegs maschinerie zu stellen . . . Folge richtig ergriff er Mitte der fünf ziger Jahre gemeinsam mit an deren verantwortungsbewußten Wissenschaftlern die Initiative zum Appell der „Göttinger Acht zehn“, die sich entschieden gegen die atomare: Aufrüstung in der Bundesrepublik aussprachen. Mit Prof. Dr. Werner Heisen berg verliert unser Land und unser Volk einen großen huma- nistischen Wissenschaftler, dessen Wirken für alle, die Frieden und gesicherte Zukunft wollen, stets Verpflichtung bleibt. (Unsere Zeit, Düsseldorf, vom 3. Februar 1976, S. 3) von den Professoren Karolus und Schiller geleitet wurden. Dabei gab uns Karolus ein gutes Beispiel für die Überführung der Erkenntnis der rei nen Wissenschaft in die praktische Anwendung. Hatte doch der Physiker Kerr schon beinahe 50 Jahre vorher erkannt, daß bestimmte Dielektrika, z. B. Nitrobenzol, elektrische Doppelbrechung erzeugen. Damit läßt sich Licht trägheitslos steuern. Karolus erkannte, daß man mit diesem Effekt akustische Signale optisch aufzeichnen kann. Das bedeutete die Erfindung des Tonfilms und der Lichttelefonie. Der Effekt wurde auch für die ersten Fernsehübertragungen verwendet. Natürlich kann die trägheitslose Steue rung des Lichtes auch für reine Forschungsarbeiten angewendet werden, z. B. zur Messung der Lichtgeschwindigkeit. So wurden in einem Tunnel unter dem Leipziger Hauptbahnhof unter der Anleitung von Prof. Karolus die bis dahin genauesten Messungen der Lichtgeschwindigkeit von Herm Mit- stelstädt durchgeführt. Die Beschäftigung mit der angewandten Physik hatte darüber hinaus einen großen erzieherischen Wert. Wir lernten, daß die Erfassung der Anwendbarkeit einer an sich bekannten physikalischen. Erscheinung in der Technik eine schöpferische Leistung des Industrie physikers darstellt. Hierzu ist die Formulierung und das Erkennen einer technischen Notwendigkeit zusammen mit dem Erwerb eines stets gegen wärtigen Wissens über weite Gebiete' der Physik notwendig. Die Ausbil dung von Physikern, die die Fähigkeit besitzen, vorhandenes Grundwissen selbständig, ohne immer angeleitet zu werden, in die Praxis umzusetzen, war das Hauptziel dieser Abteilung. Der Begriff technische Physik wurde damals noch nicht falsch ausgelegt und mit der Aneignung manueller technischer Fertigkeiten verwechselt. So standen diesen Abteilungen we gen der aus ihren Arbeiten entstehenden Patente umfangreiche Mittel zur Verfügung, die das an und für sich nur mit geringen Haushaltmitteln aus gestattete Physikalische Institut entlasteten. Im Bereiche von Prof. Schiller wurden experimentelle Arbeiten zur Thermodynamik und Hydrodynamik durchgeführt, die im In- und Ausland große Anerkennung fanden. Das Studium dauerte damals... 12 bis 18 Semester. Es gab keine Diplomprüfungen. Nach dem Erwerb genügend theoretischer und praktischer Kenntnisse wurde in einem Zwi schenpraktikum und einem Kolloquiumsvortrag der Nachweis zur Durch führung selbständiger Forschungsarbeiten, erbracht. Anschließend konnte der Student nach Rücksprache mit einem Hochschullehrer hoffen, ein Thema für eine durchzuführende Dissertation zu erhalten. Das geschah im allgemeinen nach 6 bis 8 Semestern Studium. Die Arbeit an der Disserta tion dauerte 2 bis 5 Jahre, gearbeitet wurde ganztägig. Viele Studenten pflegten einige Semester aus einer anderen Universität oder Fachschule zu studieren, etwa um die Arbeitsmethoden im Institut von Prof. Barkhausen, in Dresden oder die Spektroskopie bei Prof. Smekal in Halle zu erlernen oder bei Prof. Küpfmüller im heutigen Gdansk in die Grundlagen der Ky bernetik eingeführt zu werden. Mit der Einreichung der Dissertation, die dann in gedruckter Form vor liegen mußte, erfolgte die Meldung zu einer mündlichen Prüfung in drei sich möglichst nicht deckenden Wissenschaften, etwa Experimentalphysik, Mathematik und Geophysik. Die Themen der Dissertationen waren durch die Forschungsrichtungen der einzelnen Arbeitsgruppen vorgegeben. Arbeiten über Molekülphysik, wurden meist in der physikalischen Zeit schrift, deren Herausgeber Prof. Debye war, veröffentlicht. Die Zahl der Veröffentlichungen war nicht groß, jede einzelne stellte eine wesentliche Leistung dar. Im Institut gab es eine Sekretärin, die mit der Reinschrift von Publi kationen und der Erledigung der wissenschaftlichen Korrespondenz be schäftigt war. Fräulein Neumann, die auch heute noch im Institut tätig ist, wird sich gern an jene wissenschaftlich außerordentlich fruchtbaren Jahre erinnern. Die Haushaltsgelder für Instrumente ... und Werterhaltung waren auf etwa 20 000 Mark jährlich begrenzt und wurden meist für Reparaturen verbraucht. Gelder, die am Ende des Etat jahres noch vorhanden waren, wurden für Neuanschaffungen verwendet. Auch die Beschaffung von Büchern und Zeitschriften war limitiert; die nicht im Hause vorhandenen Zeitschriften, Patentschriften usw. wurden innerhalb von 2 bis 3 Tagen aus der Staatsbibliothek in Berlin nach Leip zig geschickt, bzw. aus der Universitätsbibliothek oder der Deutschen Bü cherei entliehen. Es existierte im Institut eine Zentralwerkstatt unter der Leitung von Herrn Mittag mit etwa 5 Mechanikern, die elektronische Werkstatt in der Abteilung von Prof. Karolus hatte die gleiche Größenordnung. Sämtliche Verwaltungsarbeiten, all Bestellungen, die Überwachung der an und für sich selbstverständlichen Studiendisziplin, sämtliche Registrierarbeiten usw. wurden in mustergültiger Form von Herrn Hoffmann geleistet. Wissen schaftler hatten mit solchen Dingen absolut nichts zu tun. Selbstverständ lich war das Institut als Ganzes sehr viel kleiner als unsere heutige Sek tion. Immerhin wurden während meiner Leipziger Studienzeit zwei Nobel preise an Wissenschaftler des Institutes verliehen ( Debye 3 ) und Heisen berg), zahlreiche Medaillen (Prof. Hund), Einladungen zu Vorträgen im Ausland können hier nur am Rande vermerkt werden. Auch wir jüngeren Mitarbeiter haben dazu beigetragen, indem wir ein uns wechselseitig hel fendes Kollektiv bildeten und eine große Achtung für unsere Lehrer und deren wissenschaftliche Leistungen zeigen. Die Mehrzahl der Studenten ... der Studienrichtung Mathematik und Physik kamen aus bürgerlichen Krei sen. Es war der sogenannte Mittelstand, also Beamte, Angestellte, Lehrer, Ärzte, Kaufleute, deren Söhne damals Physik studierten. Aus dem Arbei terstand kamen etwa 5 Prozent der Studenten. Das hatte verschiedene Ur sachen: 1. Das Studium war teuer; staatliche Zuschüsse waren nicht mit den groß zügigen Unterstützungen unserer jetzigen sozialistischen Studenten- und Hochschulförderung zu vergleichen. Man mußte mit Studiengebühren von jährlich etwa 500 Mark rechnen, dazu kamen für Lehrmittel, Bücher, Che mikalien usw. jährlich etwa 200 Mark/Zimmerkosten betrugen monatlich etwa 20 Mark und mehr. Das Essen in der Mensa kostete täglich 1,20 Mark, dazu kamen für Frühstück und gelegentliches Kaffeetrinken etwa 80 Pfen nige, so daß für die Verpflegung im Jahre 400 Mark aufzubringen waren. Während der Semesterferien waren die Studenten daheim und verdienten sich durch Werkarbeit, Stundengeben etwas dazu. Im ganzen mußte man jährlich etwa 1500 Mark für das Studium rechnen, wobei das mittlere Ein kommen der Eltern (Arbeiter, kleine Beamte oder Angestellte) jährlich etwa 3000 Mark betrug. Es gab zwar für gute Leistungen und Fleiß Studien gelderlaß und für eine geringe Zahl von Studenten auch Stipen dium. Man mußte aber schon zu den leistungsfähigsten Studenten gehören, um in den Besitz dieser Vergünstigungen zu kommen. Ich selbst stamme aus dem Arbeiterstand, wohnte zu Hause, hatte also keine zusätz lichen Mietausgaben und verdiente durch Stundengeben wöchentlich etwa 15 Mark und war in allen Ferienmonaten als Werkstudent mit physika lischen Aufgaben bei der Fa. Preßler beschäftigt. Für besondere wissen schaftliche Leistungen in Mathematik erhielt ich dreimal das Triersche Stipendium von je 300 Mark und zum Abschluß des Studiums ein Darlehn von 280 Mark. Die Ausgaben unseres Staates für unsere Studenten sind ungleich höher und mancher Student sollte darüber nachdenken, wieviel Arbeit unsere Werktätigen, besonders aber unsere Frauen leisten müssen, um allen ein so sorgenfreies Studium zu ermöglichen. 2. Im Arbeiterstand herrschte auch damals schon ein klassenbewußtes, auf gegenseitiger Solidarität beruhendes Denken. Durch den Eintritt in den Akademikerstand wurde man Angehöriger eines „anderen Lagers“, und viele alte Gewerkschaftler sahen darin ein Überlaufen, also ein Auswei chen vor dem zu erwartenden Endkampf. Auch dieser Einwand ist vor allem durch die Sieg des Sozialismus in unserem Staat überwunden. 3. Viele auch sehr intelligente Arbeitersöhne und -töchter zogen die Mög lichkeit, bald Geld zu verdienen und eine Familie zu gründen, einem lan gen entbehrungsreichen Studium vor. Die im Kapitalismus herrschende Arbeitslosigkeit, besonders auch der Akademiker, schreckte weiterhin vom Studium ab. Die wissenschaftliche Aufbereitung des Materials besorgte Prof. Dr. Gottfried Handel. Anmerkungen: 1) Der Beruf Industriephysiker war noch ziemlich unbekannt; das Studium der Physik bezog sich hauptsächlich auf den Schuldienst und die wenigen, die dann bei der Forschung bleiben wollten. 2) Die Mühle Zöbigker war ein beliebtes Ausflugslokal im Ortsteil Zöbig ker von Markkleeberg. 3) Da Prof. Debye seinen Posten als Direktor des damaligen Kaiser-Wil- helm-Institutes für Physik erst nach dessen Fertigstellung in Berlin-Dah lem antreten konnte, war er auch noch fast das ganze Jahr 1936 in Leip zig, so daß wir die Verleihung des Nobelpreises an ihn im Jahre 1936 mit- feiern konnten.
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