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Universitätszeitung
- Bandzählung
- 1982
- Erscheinungsdatum
- 1982
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. gr. 2. 459
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-198200009
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19820000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19820000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 1982
-
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- Ausgabe Nr. 3, 22. Januar 1
- Ausgabe Nr. 4, 29. Januar 1
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- Ausgabe Nr. 8, 26. Februar 1
- Ausgabe Nr. 9, 5. März 1
- Ausgabe Nr. 10, 12. März 1
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- Ausgabe Nr. 12, 26. März 1
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- Ausgabe Nr. 28, 16. Juli 1
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- Ausgabe Nr. 30, 30. Juli 1
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- Ausgabe Nr. 37, 15. Oktober 1
- Ausgabe Nr. 38, 22. Oktober 1
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- Ausgabe Nr. 41, 12. November 1
- Ausgabe Nr. 42, 19. November 1
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Band 1982
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Im kriegsmüden, hungernden Dsutschland saß ein wacher Greis in Ssiner Berliner Wohnung und dachte ^gestrengt nach. Die schweren Cunklen Wolken am Aprilhimmel Ges Jahres 1918 und die grauen, ge- Sshäftig hin und her eilenden, ärm- ich gekleideten Menschen auf der Straße verschmolzen zu einem Bild der Trostlosigkeit. Es entsprach je- Ich nicht dem Wesen des 72jährigen Eranz Mehring, sich davon in sei- nen Gedanken ablenken zu lassen. Am5. Mai jährte sich zum 100. Male “er Geburtstag von Karl Marx, und er hatte versprochen, aus diesem Anlaß für die „Leipziger Volkszei tung“ einen Artikel zu schreiben: Der Blick aus dem Fenster inspi rierte ihn zu dem ersten Satz; „Wie ein heller Sonnenstrahl, der durch düstere und scheinbar undurchdring liche Wolkenschichten bricht, so lenkt heute der hundertste Geburts tag von Karl Marx unseren Blick aus einer grauenvollen Gegenwart in eine hellere Zukunft, die kommen muß und kommen wird — trotz alle dem und alledem.“ Viele Gedenkartikel schrieb er in einem Atemzug Daß Franz Mehring diesen Satz Schrieben hat, ist erwiesen. Ob die Formulierung unter den geschilder- 2n Umständen erfolgte, wissen wir Mich nicht. Es könnte aber so ge- Nesen sein. Dieser erste Satz eröff- Det mehrere Möglichkeiten des An- Sehlusses. Wie oft hatte er in seinem Leben Feder gegriffen, um anläßlich snes runden Geburts- oder Todes- Sges einer Persönlichkeit zu geden- Ken, und viele derartige Artikel SEhrieb er gleichsam in einem Atem. Zg. Wenn er sich' vielleicht nicht ehlüssig war, wie der zweite Satz 3uten mußte und eine Denkpause Sinlegte, so mag das daran gelegen Daben, daß es gewiß nicht einfach 15 das gewaltige Lebenswerk des Srometheus des 19. Jahrhunderts JW wenigen Seiten zu würdiget). AuGerdem stand er zu tief „im Stoff". Vor einem Monat hatte er erst letzte Hand an sein letztes gro ßes Werk „Karl Marx, Geschichte seines Lebens“ gelegt, das er der von ihm verehrten Kampfgefährtin Clara Zetkin widmete. Im Sommer sollte es im Druck vorliegen. Franz Mehring mag der Gedanke bewegt haben, welches Urteil vor allem seine Freunde fällen werden. War Clara Zetkin doch wohl etwas zu voreilig gewesen, als sie nach der Lektüre des ersten Teils öffentlich verkündete, daß die Marx-Biogra phie in Gehalt und Form das Reif ste und Schönste zu werden ver sprach, was Franz Mehring geschaf fen habe, ein bleibendes Monument dankbarer, verständnistiefer Vereh rung für den genialen Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus? Rosa Luxemburg war seiner Bitte nachgekommen und hatte den Ab schnitt über den 2. und 3. Band des „Kapital“ für die Biographie verfaßt. ^fühlte sich Marx zutiefst wesensverwandt Die Unschlüssigkeit weicht, wenn Tan sich der zwingenden Logik Mit. Das im ersten Satz enthaltene 8lld bedurfte der Erläuterung; AAuch Karl Marx ist ein Kämpfer Wesen, der alle Beschwerden und zsiden und Niederlagen eines vier- pjährigen Krieges bis auf die He- 5,1 ausgekostet hat, ohne je zu ver- Jsen. Sein ganzes Leben zeigt uns Sle bürgerliche Gesellschaft mit ih- mächtigen Mitteln im Kampfe ÄH den einzelnen Mann. Sie hat TD gehetzt und verfolgt. In Armut ind bitterste Not und trostlose Ver- Qannung, sie hat ihn in die dichte- en Nebel der Verleumdung gehüllt, e hat es fertiggebracht, den größ- 38 Denker des Jahrhunderts für „’hrzehnte gänzlich aus dem Ge- ähtskreis der Nation zu verbannen, v ihn geboren hatte.“ Es könnte an, daß nach der Formulierung die- 1 Passage Franz Mehring seine Ranken schweifen ließ und sich ^ann. wie die Idee, die Biogra- B0ie dieses Bahnbrechers zu schrei- 2n, ihn erfaßte und nicht mehr los. u 8 - Als der Briefwechsel zwischen arx und Engels herausgegeben werden sollte, hatte Marx’ 'Tochter, Laura Lafargue, ihre Zustimmung davon abhängig gemacht, daß er sich als ihr Vertrauensmann neben August Bebel und Eduard Bernstein an der Redaktion beteilige und ihn mit einer Vollmacht beauftragt, er forderliche Bemerkungen, Erläute rungen und Streichungen vorzuneh men. In der langen Arbeit an diesem Briefwechsel rundete sich das Bild ab, das er in jahrzehntelangen Stu dien von Karl Marx gewonnen hatte. So erwuchs ihm unwillkürlich der Wunsch, diesem Bilde einen bio graphischen Rahmen zu geben. Es ehrte ihn, daß Clara Zetkin seine ersten Marx-Kapitel ein „Monument für den ihm wesensverwandten Ver fasser“ genannt hatte. Gewiß, er fühlte sich Marx zutiefst wesensver wandt, aber es war ein langer und komplizierter Weg zu dieser We sensverwandtschaft, Er war immer hin bereits 45 Jahre, als er sich end gültig zur kämpfenden deutschen Arbeiterklasse und zum wissenschaft lichen Sozialismus bekannte. Höhen, Tiefen und dunkle Stunden durchlebt . Bis zum Beginn seiner regelmäßi- 6en Mitarbeit an der „Neuen Zeit“, m theoretischen Organ der deut- Sozialdemokratie, am 1. Juni 691, hatte Mehring Höhen und Tie- aund manche dunkle Stunde durch- I Nachdem er 1875 die radikal- Bnokratische Kampfschrift „Herr Inn Treitschke der Sozialistentöter 0 die Endziele des Liberalismus“ (öffentlichte, sahen viele in ihm vden Anhänger der Sozialdemokra- C Er war jedoch noch nicht so AGtt sich von seiner bürgerlichen “Mtion zu lösen. führte wiederum dazu, daß . Bialdemokraten ihn für einen Ab- iannigen und Verräter hielten. Fi rings Gegenreaktion hatte zur h8e, daß er auch seine radikal-de- EUkatischen Grundanschauungen bey8ab und sich gegen die Arbeiter- Eegung wandte. Tiefpunkt dieser ^‘Wicklung war die Schrift „Die Ebche Sozialdemokratie, ihre Ge- lochte und Lehre“, die er am PazJuli 1882 an die philosophische k'Hltät der Universität Leipzig als ssssrtation einreichte. In dieser diift wollte er beweisen, daß % deutsche Sozialdemokratie Gephaus nichts Notwendiges, im Anteil etwas sehr Überflüssiges und Unnützes sei. Zu diesem Zeit punkt war seine Geschichtsauffas sung noch völlig idealistisch. Er verfocht die These, daß Persönlich keiten die Geschichte machen. Im Grunde bestand die ganze Arbeit aus einer reinen Personen- und Da tengeschichte. Franz Mehring mag sich an die Gutachten erinnert ha ben, die beweisen, daß seine Disser tation als ein Werk der bürgerlichen Geschichtswissenschaft unter ande ren eingeschätzt wurde und in die sem Sinne nicht mehr als eine durch schnittliche Leistung darstellte. Wil helm Roscher, der seit 1848 in Leip zig eine Professur für praktische Staats- und Kameralwissenschaften innehatte, meinte, daß Mehrings Buch manches Anfechtbare enthalte. Manche Tatsache hätte auch speziel ler belegt werden müssen. Auch der zweite Gutachter. Carl Victor Fricker, Professor für Staats wissenschaften, gab kein für den Kandidaten günstiges Urteil ab. Ab gesehen von dem praktischen Ver dienst der Bekämpfung der Sozial demokratie — so urteilte er — werde das Mehringsche Buch als ein bedeu tendes Werk im allgemeinen nicht gelten können. Doch das 1n” Thre zurück. Morx in seiner mächtig-rauhen Größe Achzuschaffen war sein Ziel ba2ls er zur Ausführung seines Vor- Ehens, die Marx-Biographie zu Roneiben, schritt, traten gleich zwei Gie isWächter des Marxismus auf, rbahn infolge veröffentlichter Vor- Friten angriffen. Einer von ihnen, Ge Kautsky, bezichtigte ihn sogar Har” Marxfeindschaft". Doch wäre lus in der Tat der langweilige Dfafrer knabe gewesen, den die Marx- en in ihm bewundern, so hätte es ihn nie gereizt, seine Biographie zu schreiben. Seine Bewunderung wie seine Kritik — und nach seiner Meinung gehörte zu einer guten Biographie die eine wie die andere im gleichen Maße — galt dem gro ßen Menschen, der nichts häufiger und nichts lieber von sich bekannte, als daß ihm nichts Menschliches fremd sei. Ihn in seiner mächtig rauhen Größe nachzuschaffen, Erste Seite des von Franz Mehring an den Reichskanzler gerichteten. Schreibens, worin er gegen das über die Marx-Biographie verhängte Ausfuhrverbot prote stiert. Fotos: UZ-Archiv war die Aufgabe, die er sich gestellt hatte. Ein langweiliger Musterknabe war er ganz gewiß nicht, der. Karl Heinrich Marx aus Trier. Im Herbst 1835 hatte er die Universität Bonn bezogen, wo er ein Jahr lang viel leicht weniger Rechtswissenschaft studierte, als sich „Studierens hal ber“ auf hielt. Aus den Briefen an seinen Vater geht hervor, daß er sich des studentischen Lebens er freute. Vater Marx schrieb von einem „wilden Toben“ seines Soh nes und klagte über die „Rechnung ä la Karl, ohne Zusammenhang, ohne Resultat“. Franz Mehring könnte verständ nisvoll gelächelt haben, sah er doch gewiß Parallelen zu seiner eigenen Studienzeit. Am 29. Oktober 1866 schrieb er sich in die Matrikel der Universität Leipzig ein. Er wählte die Fachrichtung Philosophie und hörte Vorlesungen bei Georg Curtius, der sich vor allem einen Ruf durch seine Forschungen über die Philologie, die griechische Etymologie und Homer erworben hatte, sowie bei dem Plau- tus- und Terenz-Forscher Friedrich Wilhelm Ritschel. Gleich dem Hel den seiner Biographie in dessen Bonner Zeit war auch er alles an dere als ein Mucker oder Stuben hocker. Seine Studienjahre genoß er recht lebhaft, fühlte sich in lustiger Gesellschaft äußerst wohl und er wies sich als tüchtiger Zecher. Daß er dabei mit den akademi schen Bestimmungen und den Ver fügungen des Leipziger Rates mitl unter in Konflikt geriet, lag auf der Hand. Vielleicht erinnerte sich Franz Mehring schmunzelnd an ei nen Vorfall im Jahre 1867. Mit ei nem Studenten, der gleich ihm der Burschenschaft „Dresdensia“ ange hörte, hatte er sich ungewöhnlich lange in der Verbindungskneipe auf gehalten und anschließend im Burg keller weiter getrunken. Offenbar hatten er und sein Kommilitone dem Bier zu sehr zugesprochen. Jedenfalls zogen beide laut singend und schrei end durch die Grimmaische Straße. Dem Nachtwächter, der sie ertappte und zur Rede stellte, erwiderten die bierseligen Burschen, daß sie nicht schreien, sondern singen und das könne man ihnen nicht verbieten. Mit Unterstützung von zwei Polizei dienern brachte der Nachtwächter die beiden Ruhestörer zur Wache. Das Universitätsgericht verurteilte sie später zur Karzerstrafe. Einer nannte ihn rpamphletisches Genie" Mit. dem . Leipziger Karzer sollte schenfall mit Kommunalgardisten er bald ein zweites Mal Bekannt- verwickelt wurde, wobei sich Stu- schäft schließen, als er in einen Zwi- denten und Stadtsoldaten ohnehin nicht grün waren. Beinahe wäre er auch ein drittes Mal in den Karzer gewandert. Sein erneutes Erscheinen vor dem Universitätsgericht hatte einen politischen. Hintergrund. Der Besitzer des Cafehauses in der Pe- tersstraße hatte ihn bezichtigt, zu sammen mit einem Kommilitonen in seinem Lokal Zänkereien und Raufereien provoziert und sich an ihm tätlich vergriffen zu haben. Da mals traten die Burschenschaften für die Aufhebung der akademi schen Gerichtsbarkeit ein und ga ben dieser Forderung in einer Peti tion Ausdruck. Die Korpsstudenten, die sich durch die akademische Ge richtsbarkeit in ihrer Ausnahmestel lung gegenüber der Bevölkerung be stärkt fühlten, setzten sich hingegen für deren Beibehaltung ein. Die im Lokal sitzenden Korpsstu denten nahmen an, daß Franz Meh ring und sein Begleiter die Verfas ser der Petition gewesen seien. Hätten nicht einige anwesende Schauspieler für die Angeklagten in der Gerichtsverhandlung ausgesagt und bestätigt, daß die Korpsstuden ten die Rauferei angezettelt hätten, wäre die Sache sicher übel ausge gangen. Die zweitägige Karzerstrafe saß er infolge des Universitätswech sels jedoch nicht mehr in Leipzig ab. Franz Mehring mag aus seinen Erinnerungen aufgeschreckt sein. Es war nicht an der Zeit, des lustigen Studentenlebens zu gedenken. Ande res tat not. Er konnte den Artikel für die .Leipziger Volkszeitung 1 nicht als Kurzbiographie schreiben. Doch daß Marx, so groß wie er als Denker und Kämpfer, so groß als Mensch war, dieser Gedanke gehörte hin ein : Man hat Marx .herzlos 1 ge scholten, aber nur, weil er dem Pro letariat helfen wollte, durch ent schlossene Tat und klaren Willen und nicht durch jenes Flennen sen timentalen Mitleids, das unter Um ständen den satten Philister zu Trä nen rührt, aber den Arbeitern auch nicht um die Breite eines Strohhal mes weiterhilft. Man hat ihn .hoch mütig“ gescholten, weil er hart und unbarmherzig sein konnte in der Kritik solcher .Reformen 1 , die nur von dem .guten Willen 1 ihrer Urheber zeugten, aber die wirkliche Ein sicht in das Wesen der Dinge ver missen ließen. In der Tat war Marx der bescheidenste der Menschen, der das Totschweigesystem, das seine Gegner gegen ihn anwandten, da durch erleichterte, daß er seine Per son immer hinter sein Werk zurück treten ließ.“ Hat man nicht auch ihm alle mög lichen negativen Eigenschaften an zudichten versucht? In Verbindung mit dem Dresdner Parteitag der SPD (1903) warfen ihm Opportuni sten aller Schattierungen Streit sucht, Raufertum und Rücksichts losigkeit vor. Einer nannte ihn sogar ein „pam- phletisches Genie“. Gegen Mitarbeit an bürgerlichen Blättern Franz Mehring wußte um die Ur sache dieser Angriffe. 1902 hatte er die Chefredaktion der „Leipziger Volkszeitung“ übernommen, und bis 1907 innegehabt. Im Regal stand vielleicht der erste Band des XXII. Jahrgangs der „Neuen Zeit“, der den Artikel enthält, den Karl Kautsky, der damals noch Marxist war. aber später den Verrat seiner eigenen Verdienste mit pseudomar xistischer Beckmesserei verband, zu seiner Verteidigung verfaßte: „Unter denjenigen, die theoretische Klarheit und Kenntnis der Parteiliteratur mit journalistischer Fertigkeit ver binden, steht in Deutschland Meh ring wohl in erster Linie. Deswegen der wütende Haß des Revisionismus gegen ihn ... In der .Leipziger Volks zeitung 1 hat Mehring das Muster der theoretisch konsequenten Lei tung einer sozialistischen Tageszei tung geliefert. Die Partei hat alles Interesse daran, daß dieses Muster erhalten bleibe.“ Eigentlich brande ten die Wogen der Diskussion mit den Revisionisten schon heftig vor dem Parteitag. Streitpunkte waren das Verhältnis der Partei zu den bürgerlichen Liberalen und die Mit arbeit sozialdemokratischer Publizi sten an der bürgerlichen Presse. Er hatte sich entschieden gegen die Mitarbeit von Sozialdemokraten an bürgerlichen Blättern gewandt und in dem Artikel „Konzessionsschul- zes“ geschrieben: „Kein sozialdemo kratischer Schriftsteller konnte an eine Mitarbeit bei der .Kreuzzei tung“ oder .Germania“ oder .Natio ¬ nalzeitung“ oder .Freisinnigen Zei tung“ denken; keines dieser Blätter hatte auch das geringste Bedürfnis nach sozialdemokratischen Mitarbei tern. Das wurde anders, als die so genannte parteilose Presse aufkam, Wochenblätter wie die .Zukunft“ oder Tagesblätter wie der .Lokalan zeiger“ und die .Morgenpost“. Als Seuchenherde der politischen Gesinnungslosigkeit sind sie viel gefährlichere Gegner der Massen aufklärung als die ehrlichen und of fenen Organe der bürgerlichen Par teien, aber sie brauchen gleichwohl sozialdemokratische Mitarbeiter, um sagen zu können, daß sie allen poli tischen Richtungen einen Sprech- saal gewährten, um die Massen dar über zu täuschen, daß ihre soge nannte Unparteilichkeit gerade die schlimmste Blüte am Giftbaum des Kapitalismus sei.“ Solche Sätze nah men die Herren Revisionisten zum Anlaß, ihn auf dem Dresdener Par teitag nach Kräften zu verleumden und seine bürgerliche Vergangenheit gegen ihn auszuspielen. Er wußte, daß sie damit auch von den politi schen Streitfragen ablenken wollten. August Bebel war für ihn eingetre ten und hatte in völliger Überein stimmung mit ihm den Revisionismus als Streben nach Annäherung an die bürgerliche Gesellschaft charakteri siert. Dennoch sah er sich veran laßt zu erklären, daß er bis zur Un tersuchung der gegen ihn erhobenen Anschuldigungen seine Tätigkeit für die „Neue Zeit“ und „Die Leipziger- Volkszeitung“ ruhen lassen werde. Gegen Feinde aller Schattierungen behaupten Dankbar könnte er sich erinnert haben, daß ihm seine Freunde hal fen, die Niedergeschlagenheit zu überwinden Bebel riet ihm, nicht an einen Rückzug zu denken und nach der Taktik zu handeln; ich tue nicht, was der Gegner will. Clara Zetkin beschwor ihn, seinen Fein den nicht den Triumph zu bereiten, das Ziel ihrer Gemeinheit doch er reicht zu haben. Ebenso wertvoll wie seine Ehre sei sein Kampfposten. Franz Mehring wußte, daß es das Los der Revolutionäre ist, sich ge gen eine Welt voll Feinde aller Schattierungen behaupten zu müs sen. Wie oft bedrängte Marx das Elend. Doch wie sehr ihm die Qua len das Herz zerreißen mochten, un ter denen seine zärtlich geliebte Jenny von Westphalen und seine nicht minder geliebten Kinder leb ten. immer blieb er bei seinen so derben wie stolzen Worten, daß man ein Ochse sein müßte, wenn man den Menschheitsqualen den Rücken kehren wollte, um für sein eigenes W T ohl zu sorgen. Der Artikel gewann Gestalt. Doch zwei wesentliche Gedanken fehlten noch, Friedrich Engels nannte am Grabe von Karl Marx seinen Freund „den größten lebenden Denker“. Er sprach die Wahrheit. Sowohl die Entdeckung des historischen Mate rialismus als auch die des speziellen Bewegungsgesetzes der kapitalisti schen Gesellschaft hätten ausge reicht, seine Unsterblichkeit zu be gründen. Besser als Engels konnte auch Franz Mehring nicht den zweiten Gedanken formulieren. Marx war der Mann der Wissenschaft, aber er war vor allem Revolutionär: „Mit zuwirken. in dieser oder jener Wei se, am Sturz der kapitalistischen Gesellschaft und der durch sie ge schaffenen Staatseinrichtungen, mit zuwirken an der Befreiung des mo dernen Proletariats, dem er zuerst das Bewußtsein seiner eigenen Lage und seiner Bedürfnisse, das Be wußtsein der Bedingungen seiner Emanzipation gegeben hatte — das war sein wirklicher Lebensberuf.“ Günter Katsch Gerhild Schwendler Literatur: Franz Mehring: Gesammelte Schriften. Band 3. Karl Marx. Geschichte seines Lebens, Berlin 1960 Franz Mehring: Gesammelte Schriften. Band 4. Aufsätze zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Berlin 1963 Thomas Höhle: Franz Mehring. Sein Weg zum Marxismus 1869-1891, Berlin 1958 Josef Schleiftsein: Franz Mehring. Sein marxistisches Schaffen 1891-1919, Ber lin 1959 Günter Katsch, Gerhild Schwendler: Franz Mehring an der Universität Leip zig. Nach der im Universitätsarchiv be findlichen Dokumentation, in: Leipzig. Aus Vergangenheit und Gegenwart. Beiträge zur Stadtgeschichte.
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