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ZUR E I N F Ü H R U N G Die Kaiserstadt Wien — lebensfreudig, wohlhabend und geistig rege — war damals, als Mozart sie zur neuen Heimat und Schaflensstätte erwählte, die be deutendste deutsche Musiks.tadt. Überreich war ihr musikalisches Leben: die italienische Oper blühte neben dem französischen Ballett und der Wiener Sinfonik, und das neugegründete „National-Sing- spiel“, das bewußt deutsche Opern und Singspiele pflegen sollte, zog viele bedeutende Musiker nach Wien. Diese künstlerisch so aufgeschlossene Stadt, in der Haydn und Gluck seit vielen Jahren lebten, hatte Mozart von jeher stark angezogen; er sollte sie, von kurzen Reisen abgesehen, bis an sein Lebens ende nicht mehr verlassen. Das erste Mal ganz auf sich gestellt und dem Einfluß des Vaters endgültig entzogen, begann für ihn eine Zeit rastlosen Schaffens; oft komponierte er bis weit nach Mitternacht und war des Morgens um 6 Uhr schon wieder auf, wie er an die Schwester berichtete. Schon bald erhielt er von dem ihm wohl wollend gesinnten Kaiser den ersehnten Auftrag, für das „National-Singspiel" eine Oper zu schreiben. In einein wahren Schaffensrausch entstand in unglaub lich kurzer Zeit seine Oper „Die Entführung aus dem Serail", die ungewöhnlichen Erfolg errang und auch in anderen Städten zur Aufführung gelangte. Mit diesem Werk trat die deutsche Oper gleichberechtigt neben die bisher alleinherrschende italienische. Aus der reichen Fülle seiner Werke jener ersten Wiener Jahre, deren Entstehung teilweise in die Tage seines Münchner Aufenthaltes zurückreicht, bringt uns der heutige 6. Mozart-Abend eine charak teristische Auswahl. Die Serenade für 13 Bläser in B-dur war wohl für seine jetzt in München tätigen Mannheimer Freunde bestimmt. Nach einer Largo einleitung und dem energischen Allegrothema, das vielfach abgewandelt wird, erklingt ein entzückendes Menuett. Ihm folgt in dem schwärmerischen Adagio ein Bläsersatz von zauberhafter Klangschönheit. Über einem geheimnisvollen Motiv in den Baß stimmen schwebt sehnsuchtsvoll ein schwermütiger Gesang, von den verschiedenen Solostimmen vor getragen. Nach einem Variationensatz voller Gegen sätzlichkeit verklingt das Schlußrondo heiter und gelöst. — Jedes Instrument setzt Mozart ganz seiner Eigenart entsprechend ein, dabei ist die Führung der Einzelstimmen so selbständig, daß man kaum von führenden und begleitenden Instrumenten sprechen kann. Die beiden im Programm folgenden Soloszenen für Sopran verraten die nahe Verwandtschaft zum „Idomeneo“, die enge Beziehung zur Oper an sich. Die Arie „Misera, dove son!“ war der Gräfin Baum garten, einer Favoritin des Kurfürsten von Bayern, zugeeignet, doch wurde sie erst in Wien von dem berühmten Tenor Adamberger zur Aufführung ge bracht. Dem langsamen, doch schwungvollen Rezi tativ folgt die in einen Andante- und einen Allegro teil gegliederte Arie, denen beiden derselbe Text zu grunde gelegt ist. — Die Arie ,,A questo seno" ist ein entzückendes Rondo mit einem sich oft wieder holenden Refrain, das an die Pariser opera comique gemahnt. Einer der breit ausgesponnenen Einzel gedanken kehrt später in der „Zauberflöte“ auf den Text „und er lebt ohne sie in der schönsten Har monie" wieder, während das Hauptthema uns im Andante der Jupiter-Sinfonie wieder begegnet. Das Rondo für Horn und Orchester in Es-dur schuf Mozart für den ihm befreundeten Münchner Hor nisten Lange. Das Soloinstrument setzt sofort mit dem Hauptthema ein, welches durch ein kleines, gesangliches Nebenthema abgelöst wird. Es ist ein heiteres, einfaches Werk voll fröhlicher Serenaden- stiramung. Die 1782 in Wien komponierte Arie „Nehmt meinen Dank, ihr holden Götter" schrieb Mozart für Aloysia Lange, die Frau, der einst in den glücklichen Mann heimer Tagen seine stürmische Liebe gegolten hatte und die jetzt in Wien — als Frau eines anderen — am „National-Singspiel“ Triumphe feierte. Es ist ein einfaches, zweistrophiges Stück, dem Text nach wahrscheinlich für eine Benefizvorstellung Aloysias gedacht. (Dabei fällt der volle Ertrag der Veranstal tung dem jeweils auftretenden Künstler zu.) Die innige Gesangsmelodie wird durch kleine Soli von Flöte, Oboe und Fagott wirkungsvoll unterstrichen. Die das heutige Konzert beschließende Sinfonie in D-dur ist ursprünglich, gleich wie die eben be sprochene Arie, eine Gelegenheitsarbeit Mozarts gewesen. Für die befreundete Familie Haflner in Salzburg war wiederum der Auftrag für eine Sere nade an ihn ergangen. Er hatte infolge anderer drin gender Arbeiten diese Serenade nur nebenbei, in Einzelstücken, des Nachts komponiert und schrieb, als er sie später vom Vater hatte zurückschicken lassen, um sie für eine Wiener Aufführung durch Streichung des Marsches und eines Menuetts und geringfügiger Änderungen in der Instrumentierung in eine Sinfonie umzuwandeln, an den Vater: „Die neue Haffner-Sinfonie hat mich ganz surpreniert, denn ich wußte kein Wort mehr davon. Die muß gewiß guten Effekt machen.“ Den ersten Satz be herrscht ein sehr breit ausholendes Thema, das in allen Stimmen, dynamisch immer verändert, sich wiederholt. Diese Beschränkung auf ein einziges Thema mag auf das Vorbild Haydns zurückzuführen sein. Doch das geruhsame Andante mit seinem marschähnlichen Thema bringt wieder allerlei lustige Nebengedanken. Das frische Menuett scheint, ebenso wie das vorangegangene Andante, die Mozart um gebende Heiterkeit der lebensvollen Stadt Wien und seine eigene glücklich-befreite Stimmung zu schil dern. Zu Beginn des Finale glaubt man, den Osmin der „Entführung“ vor sich zu sehen. Eine festliche Melodie leitet dann zu dem Seitenthema über, das wieder Haydns Züge trägt, und auch die Art der Durchführung, die schon nach wenigen Takten das Hauptthema wieder einführt, weist auf dieses Vor bild hin. Eine lange, wirkungsvolle Coda beschließt diesen Satz. — Das herrliche Werk ist überreich an genialen Einfällen und läßt in der sorgfältigen thema tischen Verarbeitung nirgends den Gedanken an eine — in kurzen Nachtstunden nur nebenbei ge schaffene — Gelegenheitskomposition aufkommen. Mozart hat damit von der von ihm so meisterhaft entwickelten Form der Serenade Abschied genommen und beginnt gleichzeitig mit ihr die Folge seiner herr lichen Wiener Sinfonien. Ruth Butowski. Misera, dove son! Wehe mir! Ach, wo bin ich? Schauer des Grabes, umweht mich deine Kühle? Ich durchirr die Straßen der Heimatstädte, wandle an fernen Kü sten ; überall bin ich einsam, nur die Furie Be wußtsein folgt mir in Nacht und Dunkel, quält mit Schlangen der Hölle die bange Seele! — Ach, hier erfüllt mich Schrecken, ich seh die grause Tat, schaudre und weine; und dort das Haupt des Vaters, Schuld bedeckt es und Schande! Und das Bild meines Gatten will mich nicht verlassen! Qual der Hölle nagt am Herzen! O Erinnerung! O Entsetzen! Und ich lebe? Unglücksel’ge! ... kann ich nicht sterben? Ach nein! — :/: Leben soll ich und leiden, verlassen einsam klagen! Nie soll mir Hoffnung tagen! Verzweiflung quält mein Herz! :/: :/: Wohlan, erzürntes Schicksal, entfessle das Ver derben! Mit Freuden will ich sterben, Tod endet meinen Schmerz. Leben soll ich und leiden, verlassen einsam klagen! Nie soll mir Hoffnung tagen! Verzweiflung quält mein Herz! :/: A questo seno In meine Arme, komm, Liebling! Wieviel Ängste, wieviel Tränen, mußt, o Gott, die teure Braut er dulden! So lebst du also! O Zufriedenheit! O Gewiß heit! O Belohnung! O Hoffnung! O Liebe! Gnäd’ge Götter, Dank für dieses Geschenk! Verzeihen will ich dafür alle Grausamkeiten! :/: Da nun der Himmel dich mir wiedergibt, mein teures Herz, kann nur der meine Freude fassen, der die Liebe kennt. — Dem Schicksal Dank! Der Schmerz sei nun in tiefster Brust begraben! :/: