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Dresdner Journal : 23.01.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-01-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-189701238
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18970123
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18970123
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1897
-
Monat
1897-01
- Tag 1897-01-23
-
Monat
1897-01
-
Jahr
1897
- Titel
- Dresdner Journal : 23.01.1897
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vetni«prei«: «r Dresden vierteljShrlich: , Mark so Pf, be, den Kaiser- «L druts-dea Postaastalten orn.cli<-hrlich 3 Mark; außer- »aU» deck Deutschen Reiche« Post- und Stempelzuschlaa. Einzelne Nummern. 10 Pf Erscheine«: »glich mit «u-nahme der Kona- und Feiertage abend«. Femspr -Anschluß: NrlSßL Dresdner M Aomnal. S«tü«»t»«n«»,tdü-re«» Für dea Naum einer aespal» tenen Zeile Keiner Schrift ro Pf. Unter „Lnmesandt" die Zeile so W. Bei Tabellen, und Ziffernfay entsprechender Aufschlag. Herausgeber: Königliche Expedition de« Dresdner Journal« Dresden, Zwingerstr. «0. ^ernspr -Anschluß: Nr1LVL 18O7. .V 18 Sonnabend, den 83. Januar, abends. Amtlicher Teil. Sr Majestät der König haben Mergnädigst geruht, dem vormaligen Sparkassenkassirer Philipp Pöhler zu Werdau das Albrechtskreuz zu verleihen. Se. Majestät der König haben Allergnädigst zu genehmigen geruht, daß der Betriebsdirektor bei der StaatSeisenbahnverwaltung von Schönberg in Dresden den von Sr. Majestät dem Deutschen Kaiser und Könige von Preußen ihm verliehenen Rothen Adlerorden 4. Klasse annehme und trage. Ernennungen, Versetzungen re. im öffentlichen Dienste. Departement der Finan zen. Bei der Postverwaltung ist ernannt worden: Haltestellenausseher Lorenz als Postagent in Großschirma. Departement des Kultus und öffentlichen Unterrichts. Zur Verwaltung einer Hilfslehrerstelle an der Kirch schule in Eibau für die Zeit bis Ostern wird sofort ein Zchulamtskandidat oder Kandidat der Theologie gesucht. Jähr licher Gehalt 720 M, neben freier Wohnung und 60 M. Holzgeld. Bewerbungen nebst Zeugnissen sind an den Königs. BczirksschuNnspektor Zimmler in Löbau zu richten. Nichtamtlicher Teil. Ter Abschluß einer Parlaments-Epoche in Österreich. Aus Wien wird uns geschrieben: Die Lebensdauer unseres Parlaments ist nun formell beendet, seine Lebenskraft war aber schon vor geraumer Zeit erschöpft. Der Finanzminister hat ihm am Mittwoch den Ehrentitel „Das große" verliehen; tags darauf ist sein schönklingendes Wort in unserer Posse, und zwar gerade in jenen Blättern, welche sich als publizistische Hüter der konstitutionellen Begriffe betrachten, scharf und hämisch glossiert worden. In diesem Gegensätze spiegeln sich die widerspruchsvollen Urteile, die seit Jahren über unsere letztgewählte Volksvertretung gefällt worden sind. Der Finanz minister war im Rechte, als er der ehrenwerten Körperschaft schmeichelhaftes Lob spendete; die öffent liche Meinung begeht aber doch keine Ungerechtigkeit, wenn sie diesmal sogar den Toten Übles nachsagte. Das Parlament hat in der nun abgeschlossenen Epoche Leistungen von großem Werte vollbracht. Wir erinnern nur an die Wahlreform, die Regelung der Laluta, die Reformen des Steuerwesens und des Zivilprozesses, endlich an die vielen Neuerungen, die im Bereiche der Wohlfahrtseinrichtungen geschaffen worden sind. Schon diese flüchtige Aufzählung um faßt Werke von mächtiger, dauernder, zum Teil un zweifelhaft segensreicher Bedeutung. Wenn man eine Volksvertretung, die ein solches Arbeitsprogramm be wältigte, nachträglich jede Anerkennung versagen will, so begeht man damit einen Akt des Undankes. In der Stimmung weiter Kreise der Bevölkerung ist aber das Gefühl begründet, aus welchem dieAbneigung gegen eine Dankesäußerung an die Adresse des „großen Parlaments" entspringt. Diese Stimmung ist allmählich immer stärker geworden, weil hervorragende Gruppen der Volksvertretung Jahre hindurch eine Haltung be obachieten, welche den innigen Zusammenhang zwischen den Vertretern und den breiten Volksschichten zer stören oder doch zumindest lockern mußte. Auf dem parlamentarischen Kampffelde beobachteten jene Gruppen eine Taktik, die seitens der impulsiven Massen kein Verständnis finden und gewiß keine Sympathien wachrufen konnte. Merkwürdige Schwankungen, rätsel ¬ hafte Schachzüge, unerklärliche Entschließungen ver tieften immer mehr die trennende Kluft zwischen Wählern und Abgeordneten und die hervorragenden sachlichen Leistungen des Parlaments wurden daher sozusagen in einem isolierten Bereiche vollbracht. Die- galt vor allem von den Deutschliberalen, in zweiter Linse aber auch von den Konservativen und sogar von den Polen. Nicht nur in der deutschliberalen Bevölkerung, sondern auch in den Kreisen der ultra montanen unter geistlichem Einflüsse stehenden Land bewohner Tirols, Steiermarks und Salzburgs, endlich in einem bisher von einer politischen Bethätigung fast ganz ausgeschlossenen Teile der Einwohnerschaft Galiziens regte sich in den letzten Jahren immer stärker die Opposition gegen diejenigen, die im Reichs rate als die beglaubigten Vertreter der betreffenden Interessenten das Wort führten. Die radikalen oder extremen Strömungen haben eine unbefangene Würdigung des sachlichen Wirken- unseres „sterbenden" Parlaments unmöglich ge- mackt und diese Strömungen werden der neuen parlamentarischen Ära, welche unter dem Zeichen der Erweiterung des Wahlrechtes beginnt, das Gepräge geben Eine Erörterung der Folgen, die sich in der kommenden Epoche aus der nun in greifbarer Form zum Ausdruck gelangenden Entwickelung ergeben mögen, würde über den Rahmen unserer heutigen Betrachtung hinausrcichen. Dagegen mag ein kurzer Rückblick auf die politische Gestaltung während der nun beendeten Periode vielleicht auch al- Grundlage für die Beurteilung der künftigen Wand lungen am Platze sein. Die letzten Wahlen bedeuteten eine schwere Krise sür das System des Grafen Taaffe, die Sprengung des „Eisernen Ringes", welcher die Konservativen, Polen und Alttschechen zu einer stets verläßlichen und meist auch sehr gefügigen Mehrheit vereinte. Dos Gruppenverhältnis im neuen Volkshause war nach der vernichtenden Wahlniederlage der Alttschcchen ein solches, daß man an die Kräftegleichheit der deutsch freundlichen und der antideutschen Elemente glauben und eine Fortsetzung eines auf die slawisch-klerikalen Parteien gestützten Regimes für ausgeschlossen halten konnte. Die Entlassung des Finanzministers v Duna- jewski war eine mittelbare Bestätigung dieser An schauungen. Das Auftreten der jungtschechischen Ab geordneten war damals so geartet, daß es die Regierung zu raschem Einlenken in die neue Bahn drängen mußte. Die Ausgleichsverhandlungen in Böhmen wurden unterbrochen, mehrere deutsch feindlich gesinnte Politiker, die bisher hohe Stell ungen im Staatsdienste innehatten, waren genötigt, von ihren Posten zu scheiden, und Graf Kuenburg, der Vertrauensmann der Deutschliberalen, wurde in das Ministerium berufen. Bald aber hatte sich unter dem wieder gefestigten Einflüsse der Konser vativen ein abermaliger Szenenwechsel vollzogen. Graf Kuenburg erkannte, daß seine Stellung im Kabinett eine unhaltbare sei und sein Rücktritt be zeichnete den förmlichen Ausbruch einer durch eine völlige Verwirrung der Verhältnisse herbeigeführten politischen Krise, die sich durch den Versuch des Grafen Taaffe, mit der Einbringung des denkwürdigen Wahlreformentwurfes die Herrschaft über die Situa tion wiederzugewinnen, zur entscheidenden Krise für das Kabinett Taaffe selbst gestaltete. Dann folgte das schön gedachte, aber rasch vereitelte Experiment mit der Koalitionsregierung und hieraus die Berufung des Grafen Badeni. Am Beginne der letzten parlamentarischen Epoche waren die deutschliberalen Elemente ziffermüßig und moralisch stark, während die Vertretung der tschechischen Wünsche und Forderungen in den Händen der jungtsche chischen Partei lag, die ihren Stolz darein setzte, nicht als „regierungsfähig" zu gelten. Heute sind die Jungtschechen trotz mancher Scheinmanöver bemüht, ihre Regierungs fähigkeit zu erweisen, während die Deutschliberalen um die Existenzfähigkeit ringen. Als Ergänzung des Gruppenbildes figurieren die Polen und die Konser vativen, von dem Bewußtsein erfüllt, daß die Macht dort sem muß, wo sie stehen. So ragen noch feste Bollwerke der Vergangenheit neben zerfallendem Ge mäuer und erst emporwachsenden Gestaltungen auf. Die Eindrücke, welche wir empfangen, leiten uns zu dem Schluffe, daß der nächste Wahlkampf doch nur wieder eine Übergangsperiode einleiten wird. Der Übergang wird sich aber schon unter der Signatur der späteren Entwickelung vollziehen, unter dem Schlagworte der Erweiterung der politischen Rechte, des Anbruches einer großen Wandlung, welche die Vereinigung aller staatserhaltenden Faktoren be wirken muß. Tagesgeschichte. Dresden, 23. Januar. Heute wurde auf Lange brückcr Revier eine Königl. Hochwildjagd abgehalten, an welcher Se. Majestät der König und mehrere mit Einladungen ausgezeichnete Kavaliere teilnahmen. Nach Beendigung der Jagd findet im Königl. Residenzschlosse das Jagddlner statt Abends gedenken Se. Majestät der König den Ball des Elisabethvereins im Königl. Belvedere mit Allerhöchstseinem Besuche auszuzeichnen. — Wie wir hören, findet zur Feier des Geburtstages Sr. Majestät des Deutschen Kaisers am Mittwoch, den 27. Januar, bei Sr. Majestät dem König im Residenzschlosse eine Galatafel statt. Dresden, 23. Januar Das heute herausgegebene 1. Stück des Gesetz- und Verordnungsblattes für das Königreich Sachsen auf das laufende Jahr enthält: Bekanntmachung vom 11. Dezember 1896, die Eröffnung des Betriebes auf der normalspurigen Nebeneisenbahn Waldheim-Kriebethal betreffend; Ver ordnung vom 15. Dezember 1896, die Einführung einer neuen Arzneitaxe betreffend; Verordnung vom 15. Dezemoer 1896, die Einführung einer neuen tier ärztlichen Arzneitaxe betreffend; Bekanntmachung vom 22. Dezember 1896, die Genossenschaft für Berichtigung der Elster in Plauen i.V. betleffend; Bekanntmachung vom 2. Januar 1897, die Ernennung von Kom missaren für den Staatseisenbahnbau betreffend; Be kanntmachung vom 5. Januar 1897, die Festsetzung des Betrages der für die Naturalverpslegung dec Truppen im Jahre 1897 zu gewährenden Vergütung betreffend; Verordnung vom 2. Januar 1897, die Ab änderung des Gebührentarifs sür die Nachaichung be treffend; Kirchengesetz vom 5. Januar 1897, die Ver waltung von Grundstücken geistlicher Lehne mit Ein schluß der Kirchschullehne im Falle der Verpachtung betreffend, sowie die Ausführungsverordnung vom 11. Januar 1897 zu dem genannten Kirchengesetze. Deutsches Reich. * Berlin. Se. Majestät der Kaiser begaben Sich gestern früh 8 Uhr 20 Min mittels Sonderzuges nach Potsdam, um daselbst im „Langen Stall" die Rekruten besichtigung bei mehreren Compagnien des I. Garde- Regiments zu Fuß vorzunchmen. Das Frühstück nahmen Se. Majestät im Kreise des Lsfiziercorps genannten Regi ments ein. — In der Budgetkommission des Reichstags wurde gestern über die Pensionsetats verhandelt. Nach einer bejanglosen Diskussion über die Zivilversorgung pensionierter Offiziere ging die Verhandlung über zu einem Antrag Müller-Fulda, den Beitrag des Reichsinvaliden fonds, welcher durch Gesetz vom 22. Mai 1895» für Beihilfen an Kriegsteilnehmer von dauernd gänzlicher Erwerbsunfähigkeit und unterstützungsbedürftiger Lage gestiftet worden ist, soweit zu erhöhen, als es die Mittel des JnvalidensondS ermöglichen, ohne den Kapital bestand anzugreifen Demgemäß soll der bisherige Betrag von 1800000 M um 960000 M erhöht werden, um die jetzige Beihilfe von 120 M noch weiteren 7551 Kriegs teilnehmern zuwenden zu können Der sreikonservative Abg Frhr. v. Gültlingen äußert lebhafte Bedenken gegen diesen Antrag, weil andere Kategorien der Kriegsteilnehmer, wie beispielsweise die nicht anerkannten Invaliden, sich jetzt oder in der Zukunft unterstützungsbedürftiger erweisen könnten. Schatzsekretür Graf Posadowsky trat ent schieden gegen den Antrag ein und machte darauf auf merksam, daß, wenn die Zahl der zu Unterstützenden, welche gegenwärtig 15 543 betrage, sich um die bisher nicht Unterstützten erhöhren würde, alsbald noch viel mehr Unterstützungsgesuche hervortreten würden, da eine Be willigung immer wieder neue Gesuche nach sich ziehe und die begutachtenden Lokalbehörden nachsichtig m der Beurteilung solcher Gesuche seien. Zugleich machte der Schatzsekretär darauf aufmerksam, daß es sich nicht um Invaliden, sondern nur um unterstützungsbedürftige Kriegs teilnehmer handele. Die Abgg. Richter und Hammacher wiesen darauf hin, daß voraussichtlich ein weiterer Rück gang des Zinsfußes auf 3 Prozent stattfinden und als dann der Jnvalidenfonds bei weiterer Belastung nicht ausreichen würde Statt den abschüssigen Weg der weiteren Erhöhung der Unterstützungsfonds aus Rcichsmitteln zu beschreiten, müßte es Ehrensache der Gemeinden und Kreise sein, beispielsweise bei der Centennarfeier Stiftungen und etatsmäßige Bewilligungen zu machen für die Unterstützung der Kriegsteilnehmer Das Unterstützungs bedürfnis lasse sich überhaupt nur lokal richtig beurteilen Derselben Ansicht ist Abg v Podbielski, indem er auf die zahlreichen Stiftungen und Ehrendotalionen hinweist, welche nach 1863 sür die Krieger von 1813 gemacht worden seien Mehrere Zentrumsredner und Abg. Bebel befürworteten den Antrag Müller Darauf wurde die Ver handlung bis nächsten Dienstag vertagt. — Die „Conservative Correspondenz" schreibt: Von freisinniger Seite wird bestritten, daß die geringe Präsenz seiner Mitglieder ein besonderes Kennzeichen des im Jahre 1893 gewählten Reichstags sei. Die „Freisinnige Zeitung" insbesondere behauptet, die Grundursache dieser bedauerlichen Erscheinung sei die Diätenlosigkeit. Wir bestreiten das entschieden, noch ent schiedener aber bestreiten wir die Angabe des Richterschen Organs, daß „die Konservativen in der Regel am schwächsten in den Sitzungen vertreten" seien Wir haben das Gegenteil dieser Behauptung bereits am Schluffe einiger Sessionen speziell nachgewiesen und bei dieser Gelegenheit gefunden, daß es keine politische Richtung mit der Ausübung ihrer Pflichten als Volksvertreter weniger genau nimmt, als die demokratisch-freisinnige Die „Frers. Ztg." überhebt uns, ihre Behauptungen als irrig zu kennzeichnen, sie thut dies im Verlaufe ihres Ar tikels selbst. Während das Blatt anfänglich sagt, die ge ringe Präsenz sei kein besonderes Kennzeichen des jetzigen Reichstags, schreibt eS etwa 60 Zeilen später: „Man weist auch darauf hin, daß früher im Reichstag trotz der Diäten losigkeit die Präsenz durchschnittlich größer gewesen sei. Das ist nicht ganz unrichtig." Zugleich erklärt das Richter- sche Organ, woran dieser Wandel zum Schlechteren liege, und äußert ganz in unserem Sinne, früher seien die Reichstagsgeschäfte in besserer Weise geführt worden Also ist doch „dieser" Reichstag nicht unschuldig daran, daß ihn die Reichsboten so beharrlich meiden! Wir sind weit davon entfernt, dem Reichstag allein die Schuld an seiner andauernden Beschlußunsähigkeit bcizu- messen. Ein gut Teil partizipiert daran die Reichsregierung Die „Freisinnige Zeitung" hat ganz recht, wenn sie das Nebeneinandertagen von Reichstag und Landtag, das früher möglichst vermieden wurde, beklagt; heute wird vielfach zu gunsten der Träger von Toppelmandaten ein Nebcneinander- tagen begünstigt. Auch in dem Punkte müssen wir dem Richterschen Organ beistimmen, wenn es schließlich auch die politische Lage in Betracht zieht und schreibt: „Wenn l^setzentwürfe, die mit viel Aufwand von Zeit und Arbeit beraten sind, schließlich in den Brunnen fallen (s. Margarinegesetz u a), weil die Regierung so und soviel Mehrheitsbeschlüsse (s. u. a. Befähigungsnachweis, Ouebrachozoll, Währungskonferenz u. a ) als unannehm bar bezeichnet, fo ist dies nicht geeignet, die Teilnahme an Lnnst nnd Wissenschaft. Im Sächsischen Kunstverein ist seit voriger Woche das neue Kolossalgemälde von Michael v. Munkacsy ausgestellt. „Lceo Homo" be nannt, gicbt es sich als eine Seitenschöpfung zu des Meisters großen biblischen Bildern „Christus vor Pilatus" und „Kreuzigung Christi" und gehört inhaltlich in die Mitte zwischen den beiden. Der Vorgang, weicher auf ihm zur Erscheinung gebracht ist, entspricht der Erzählung des Apostels Johannes im neunzehnten Kapitel seines Evangeliums, worin es heißt: „Da nahm Pilatus Jesum und geißelte ihn. Und die Kriegsknechte flochten eine Krone von Dornen und setzten sie auf sein Haupt, und legten ihm ein Purpurkleid an und sprachen: Sei gegrüßet, lieber Judenkönig! und gaben ihm Backenstreiche. Da ging Pilatus wieder hinaus, und sprach zu ihnen: Sehet, ich führe ihn heraus zu euch, daß ihr erkennt, daß ich keine Schuld an ihm finde. Also ging Jesus heraus, und trug eine Dornenkrone und Purpurkleid. Und er spricht zu ihnen: Sehet, welch ein Mensch! Da ihn die Hohenpriester und die Diener sahen, schrien sie und sprachen: Kreuzige, kreuzige! Pilatu» spricht zu ihnen. Nehmet ihr ihn hin und kreuziget ihn; denn ich finde keine Schuld an ihm Die Juden antworteten ihm: Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz soll er sterben. Denn er hat fich selbst zu Gottes Sohne gemacht" Das Bild zeigt als Szene einen geräumigen Platz vor dem Gerichtsgebäude, dessen Front link» zum Teil sichtbar ist, während sich recht» ein verandaartlger Aus bau vor dem Eingang zur Gerichtsstube erhebt; im Hinter grund gewahrt man hohe Palmenwipfel und in weiterer Entfernung Dachzinnen und Türme der Stadt Jerusalem. Auf den Ausbau ist eben, nach beendeter Verhandlung, Christus herausgcführl worden, über den Schullern einen Purpurmantel, auf dem Haupt die Dornenkrone tragend, in den gefesselten Händen ein Binscnrohr haltend als Attribute seiner Königswürde, die ihm die höhnenden Kriegsknechte zuerteilt haben. Rechts neben ihm steht der Landpfleger Pontius Pilatutz; zu der Menge geneigt, die den Platz anfüllt, weist er mit beiden Händen aus Jesus und von seinen Lippen kommt der lapidare Ausspruch: Kees Homo — sehet, welch' ein Mensch! Das Volk aber antwortet mit dem fanatischen Rufe „Kreuzige, kreuzige" und drängt sich zum Teil in wilder Bewegung heran Von Haß und Hohn verzerrte Gesichter, drohend ausaestreckte Hände kennzeichnen die Stimmung der Meisten. Zwei Pharisäer haben sich zur Erde gebeugt und beten zum Spott den jenigen an, der da gesagt hat, er sei Gottes Sohn. Im Gegensatz zu den rasenden Volksgenossen befinden sich zwei Männer, einer rechts nahe am Baikon, der andere links unter einer Gallerte stehend, von denen namentlich der letztere das Schauspiel mit überlegener Ruhe be ttachtet und gewissenhaft zu erwägen scheint, wer hier die gerechte Sache führe. Eine weitere und noch unmittel barere Opposition gegen die leidenschaftliche blinde Er regung des blutdürstigen Haufens bekunden eine Anzahl Frauen, so rechts im Vordergründe ein junges Mädchen, das in die Knie gesunken ist und die Arme mit gefalteten Händen gegen die Schultern preßt, so links eine Frau, die ein kleine« Kind trägt und voll Entsetzen über den Vorgang die Hand vor das Gesicht hält, so vor allem Maria, die in halber Ohnmacht den Kopf mit dem von tiefstem Leid erfüllten Gesicht aus die Schulter eine« sie stützenden Jüngling« zurücksinken läßt, so auch eine alte Frau, die voller Entsetzen beide Hände wie zur Abwehr erhebend fich zu eiligem Fortgehen wendet Unter der Brüstung de« Bajkon« steht ein römischer Legionär, der, keine Mu«kel de« harten Gesicht« verziehend, vor dem Ansturm der Menge in seiner Stellung verharrt, während auf dem Au«bau hinter den Hauptgestalten andere Kriegs- knechte postiert sino, von denen eurer tue Lanze vorftreckt, um mehrere oer drohendsten Fanatiker in Schranken zu halten. Das ist, knapp skizziert, der Inhalt des Gemäldes, über welches vor unserem Publikum schon die Kunstfreunde von Buda-Pest und Wien zu Gericht gesessen haben und über das auch in der Presse teils von Sachverständigen, teils von Reklameschreibern bereits viel und vielerlei ge sprochen worden ist Auf der einen Seite ist dabei die hellste uneingeschränkte Bewunderung laut geworden, auf der anderen hat man in das Lob manche gewichtige Be denken eingeflochtcn, und von mehreren Beurteilern, und zwar von solchen, welche gegenüber dieser Richtung der Geschichtsmalerei, gegenüber dem verpönten Atelier- und Kompositionsbilde die von ihrer „Moderne" hochbeglückte Gegenwart recht kräftig vertreten zu müssen glaubten, ist Munkacsys Gemälde saft bedingungslos schroff ab gelehnt worden. Wir halten uns zu der Mittejpartei, wir erkennen vor allem das Bild als eine ernste Kunst lcistung an und machen mit dem Respekt, der einer solchen gebührt, unsere Einwände geltend Diese beziehen sich im wesentlichen auf die beiden Hauptfiguren Die Gestalt des Heilandes ist zwar äußerlich wirksam in den Mittelpunkt der Szene gebracht, zeigt durchaus einen edlen Typus und gewinnt sofort unsere Teilnahme für die in Schmerzen verhärteten Züge des Gesichts, für den über die tobende Menge hinweg gen Himmel gerichteten ausdrucksvollen Blick; aber damit deckt sie nicht unsere Idealvorstellung von dem Gottessohne. Sie kehrt mehr die mitleidsvolle Haltung eines nach dem Ende der Qual verlangenden Märtyrers al« die über allen Hohn und alle blinde Rach gier des jüdischen Volkes triumphierende Größe des Welt erlöser« hervor, sie zieht uns nicht mit solcher Macht in den Bann ihrer Erscheinung und ruft un« an ihrem Teil die ungeheuerliche Bedeutung de« Vorgänge«, der sich hier ab- spirlt, nicht mit so unmittelbarer Kraft in« Bewußtsein, daß wir davon im Innersten gepackt, erschüttert und zugleich erhoben werden Gerade an der Hauptperson de» Ge- mälves erneuert sich die Wahrnehmung, die man schon vor den früheren Bildern Munkacsys im Einzelnen wie im Totaleindruck gemacht hat, daß er die biblischen Er eignisse im geschichtlichen Lichte vorführend das religiöse Moment hinter das historische zurückdrängt und daß sein Drang nach Realität des Ganzen naturgemäß in erster Reihe mit den Anforderungen, welche unsere Auffassung für die Christusgestalt erhebt, in Konflikt gerät, so wenig er hier wie dort der Hauptfigur eine energische Belebung, Klarheit und Würde vorenthalten hat. Bei der Vorführung des Pontius Pilatus ist der Maler offenbar bestrebt gewesen, diesen römischen Staatsbeamten, den er in die nächste Nähe Christi bringen mußte, in einer Weise zu charakterisieren, daß der Wirkung der Hauptfigur des Bildes kein Abbruch geschah, wobei er sich auf die Er wägung gestützt haben mag, daß der Landpfleger, der an dem Heiland keine Schuld fand und ihn doch schwächlich dem blutigen Spruche des Volkes auslieferte, keine in Haltung und Ausdruck imponierende Verkörperung verdiene Jndeß ist der Künstler in der Ausführung dieses Gedankens zu weit gegangen; er hat dem römischen Statthalter, der barhaupt und mit verschobener Toga er scheint, den ausgeprägten römischen Gesichtstypus versagt und ihm äußerlich wie geistig ein subalternes Wesen gegeben, das der normalen Auffassung von dieser Persönlichkeit nicht entspricht und durch die wie einem feilschenden Gefchäftsmanne zugehörigen Gesten de« Pilatus noch ver stärkt wird. Wa» un« auch auf diesem neuen Bilde Munckacsys zur Anerkennung und Bewunderung zwingt, ist die dramatische Kraft in der Darstellung der erregten Volks menge. Welch' ein mannigfaltiges Leben in den Köpfen, welche reiche Bewegung in den Figuren, welche große Klarheit und wirksame Abstufung in der Anordnung de» Ganzen! Wie di« Frauen al» da« milde Element in der Szene verteilt find, wie unter den Fanatikern die Hohnvollen mit den roh Drohenden abwechseln, wie die
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