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OMOpauer Gonntassvlatt «etlage zum ÄfGopauer Lagevlatt und Anzeiger Nr. 42 Sonnabend, den 23. Oktober 1937 Jan im Moor Roman von Luise WeMrch Nachdruck verboten. 5. Fortsetzung. Ausscuszcud trat Anna vor Christoph Allmcrs Bild. Einer der sahrcudcn Maler, die ab und zu das Moor durchstreiften, hatte cs gemalt, und zum Danke für er- wieseue Gefälligkeit dem Vorsteher geschenkt. Seit ihres Vaters Tode Ivar es Annas höchster Schatz. Auf einem kleinen Brett unter ihm zwischen den vier Leuchtern, auf denen die Totcnkerzeu gevrannt hatten, lagen Bibel und Gesangbuch. Und der hagere Prophetenkopf Christoph Allmcrs mit dem langen, grauen Barte, der knochigen Stirn, den tiefliegenden Angen voll Feuer und Willens kraft, schaute darüber weg wie ein strenger Heiliger über seinen Altar. Hilfeflelumd sah die Dirn zu ihm auf. „Baddcr! Badder! Steh mir bei. Aufrecht und grad will ich zum Rechte» sehen wie du, vor kein mein Augen niederslagcn müssen und sie vor dir aufslagen allezeit! Hilf mir, daß ich mein Wort halt — un nich begehr, was meines Nächsten ist." Am Morgen darauf ging sie wieder zum Heuen. Sie sah Hilmer zwischen den Seinen schaffen. Nichts Blenden des war an ihn. Aber Frieden ging aus von seinem An blick, das Gefühl, datz er gut und stark war. Auf der Osmerschen Wiese schaffte Jürgen-Ohm allein mit den Knechten. Als die ^rühstücksstunde gekommen war, ging Anna himwer zn Hilmer, der sich ein wenig abseits von den Seinen in den Schatten eines Wcidcnbusches gestreckt hatte. „Hilmer." Er fuhr auf. „Du kommst zu mir, Anna?" ' „Bist noch fals auf mich?" „Nicht fals, Auna, nee, das kann ich nich werden. Bloß das Herz blutig gesuittcu hast mir mit dein Rede." „Das hab ich »ich gewollt. Weißt ja, ich snack oft Dingens in mein Jachhcit, die ich nich so meine. Hab Geduld mit mir." E „Ich hab Geduld, Anna. Wartens sind wie Lust, wcuu zwei Menschcns sich liebhaben. Um Wortens recht ich nicht. Das is mein Leid, das ich denken muß, ich gelt dir nir mehr." Sie erschrak. Sah er so scharf? Fühlte er so fein? Hilmer fuhr fort: „Ich hab ja nix dir mitzubringcn ols mein guten Willen, dein Hof rechtschaffen vorznstehen, und daß ich mein Händens dir unter die Füße breiten Will mein Leben lang. Aber dein Wünschens gehen hoch und gehen weg über ein von, mein Art. Un die Stunde wird kommen, wo du weggehst über mich." Ans seinem wenig beweglichen Gesicht stand tief ein- geschuiticn ein verhaltener Schmerz und gab ihm eine be zwingende Würde. Und m dem freudigen Sonnenschein, der über die Felder ansgcgossen lag, aus denen der andere nicht war, hob sich die Verzauberung von ihrem Herzen. Das alte schöne Gefühl für den Gespielen der Jugend lohte auf iu alter Kraft, füllte mit seiner Wärme ihre ganze Seele. „Nein", rief sie mit Überzeugung, „nein, Hilmer, so is's nich. Wie kann ich denn weggehen über dich? Du bist ja ein Stück von mir selbst. Kanu ein über sich selbst auch wegschrciten? Ich bin nich geschickt, feine Wortens zu finden wie andere Derns. Das hab ich von Vaddcrn, der mir zeit meines Lebens keine Smcichelnamen gegeben hat, wo ich doch weiß, daß ich sein Liebstes bin. Aber denk an unser Kinderjahrens, Hilmer. Ob ich vergnügt oder betrübt war, un wie mein Sinn sich auch wandeln viocht — in dem einen hab ich nie geswankt: immer warst du mir der Liebste, der Beste, der Einzigst'. Un das is geblieben, Hilmer. Ich kann mir kein Leben denken ohne dich." „Das is gut", sagte er eifrig, „das is sehr gut, daß du mir das sagst. Nu is alles recht. Wenn du dich nich von mir abwcndest in dein Herzen — dein raschen WorM:; mig sch woll tragen." „Fch will mich auch bessern", versprach sie. „Mußt mich mahnen, wenn ich mich vergesse." Er sah zärtlich auf ihre schlanke Gestalt, das schmale Gesicht mit den Augen, die hungrig nach etwas Schönem zu suchen schienen. „Bleib, wie du bist", sagte er warm. „Über alles andere komm ich woll über." Sie war freundlich und rücksichtsvoll gegen ihn diese Tage und viele folgende Tage, von einer Weichen Rück sichtnahme, die Hilmer, während er sich daran freute, mit Unruhe erfüllte, weil er etwas von der Milde und Abgcklärtbcit des Herbstes darin zu spüren vermeinte, e'was wie Abschied und Vergehen. . Hcuul'ch suchte Hilmer wieder im Moor nach Spuren des Moders. Der Tater den Helmke mit solchem Stolz emgebracht Halle, war nicht zu überführen. Die Unter suchung schleppte sich ergebuislos hin. Hilmer tröstete Anna. „Bist still. So'n Bluttat is wie ein Samenkorn, im Erdenschoß. Zu ihrer Zeit wächst sie ans Licht." Übrigens sahen sie sich einander in dieser Zeit nie aus lauge und selten allein. Die schwere Sommerarbeit im Moor hielt sie im Joche. Der lange Sommertag war zum Schassen kaum lang genug. Uud brach die Dunkel heit herein, dann senkte schwerer Schlaf sich über den Hof bei den Allmcrs wie bei den Poppes. Auch Jan Osmer begegnete Anna nicht wieder. Ging er ja einmal an ihr vor über, auf der Dorfstraße, auf dem Feld, in der Kirche, so wandte sie nach stnmmem Gruße den Kopf, zwang sich, dem nicht nachzuschauen, den in der dichtesten Menschen schar ihr heftig schlagendes Herz Ihr verriet, ehe ihr» Augen ihn recht sahen. Sie konnte es aber nicht bindern. ab und zn von ihm zu höre«. Der Tollsten einer sollte er sein beim Wirt in Scharmbeck und Quelkhorn — der Unermüdlichsten einer freilich auch, die Ernte herein- znsahren. Bloß — viele Ernten mürde er nimmer ein fahren. Es war nur eine Frage der Zeit, wann Silber berg ihm den Hof verganten ließ. Wie eine Sternschnuppe ivar er in den Gesichtskreis seiner Landsleute hniciu- gesaust, wie eine Sternschnuppe würde er irgendwo herausfallen in die Dunkelheit. Das Korn war nun cingecrntet. Schon rissen emsige Pflüge die Ackerkrume auf zum Empfang neuer Saat. Herbstlich klar und sichtig lag das Moor. Bald würden die ersten Kähne, schwcrbcladen mit dem Torf der heurigen Ernte, auf seinen Kanälen hinziehen. Christoph AlmerS Geburtstag fiel in diese Zeit. Anna hatte aus den weißen Georgien, den Rosen ihres Gartens und dem Grün der Edeltannen einen Kranz gewunden. Den trug sie auf sein Grab auf dem hochgelegenen Friedhof beim fernen Kirchdorf. Sie ging allein. Tie Arbeit forderte noch immer alle Hände im Hans. Es war ihr anch lieb, Zwiesprache zu halten mit dem Toten, dem sie zum ersten mal den Hügel schmückte an dem Tag, an dem sie ihm sonst den Stuhl mit Blumen geschmückt hatte, froh seiner jugendlichen Kraft, die ihm noch ein langes Wandeln im Lichte verhieß. Zur Heimkehr wählte sie den Nichtweg quer durch das Moor, denn die Sonne stand schon tief. Groß war die Einsamkeit ans der unübersehbaren Heide- flächc, die Stille so tief, daß sie zu töten schien. Hinter Anna wanderte Jan Osmer. Er kam von Bremen. Seine ganze Ernte hatte er an Moritz Silber berg verkauft, das prachtvolle Korn zu einem Schleuder preis, der aufs Haar seine Zinsen deckte. Aber wie durfte er seinem Gläubiger die Hergabe verweigern? Er wußte noch immer nicht, ob Silberberg nicht dennoch am t. Oktober ihm das Kapital kündigte. In seinen unsrohen Gedanken hins.hreitend, erspähte er plötzlich Anna. Er erkannte sie sofort. Nur eine im Moor hatte diesen stolzen, entschlossenen Gang. Er ging rascher, um sie einzuholen. Wo der Streif von niedrigen Weiden, Erlen und Birken busch sich durch das Heidekraut zog, blieb sie stehen. Die Becke kroch da iu trägem Gefälle hin. Und den Steg, der hier über den Bach führte, hatten zerstörungswütige Kolonistenbengel weggerissen. Als Anna Schritte ver nahm, wandte sie den Kopf. Jan sah sic zusammenzucken bei seinem Anblick. „Guten Abend, Anna Allmer. Ja, der Steg is d'r nich mehr." „Ich sch's. Denn so werden ich ein weiten Vogen machen müssen." „Wozu will dich bemühen? Komm, ich trag dich auf mein Armcus hinüber." „Nee, nee, das sollst nich." Sie wich scheu zurück und schürzte in ihrer Verwir rung schon den Nock, um durch den Bach zu waten. „Meinst, ich werd das zulassen, daß so eine feine Dirn wie du sich ihre Füßens naß macht", sagte er. Ehe sic es verhindern konnte, hob er sie auf und schritt mit ihr durchs Wasser. Er hielt sie so hoch, daß ihre Füße deu Spiegel nicht berührten. Sie mußte den Arm um seinen Nacken legen, um sich zu stützen. Dicht an ihrer Brust fühlte sie seinen Kopf mit dem kurzgeschnittenen blonden Haar, dem Weißen Slirnreif über dem sonnen verbrannten Gesicht. Ihr Herz schlug so heftig, daß es ihr den Atem nahm. Schwindlig schloß sie die Augen, vor denen die kleinen Wellen, das Ufergebüsch, Erde und Himmel sich drehten. Ein Grauen fühlte sie, das sie lähmte, und eine Seligkeit zugleich, vor der sie sich wie vor etwas Verbotenem entsetzte. Da stellte Jan Osmer sie am anderen Ufer sanft auf die Füße. „Ich dank auch", stammelte sie und ging eilig weiter, wie auf der Flucht. Aber er blieb an ihrer Seite, schwei gend wie sie. Tief am Waldrand hing die Sonne, goß die rote Glut auf die Fläche, daß die verdorrte Heideblüte zu brennen schien. Aus den Tümpeln und Torflöchern stieg blauer Dunst. Anna fühlte den Druck dieses Schweigens in Zwei samkeit und konnte doch kein Wort finden. Endlich sprach Jan. „Das is'n lange Zeit her, seit ich dich gesehn, Anna." „Ja. Seit du Hilmer Poppe auf der Wümmewiese das Leben gerettet hast, nich mehr." „D'r is Kindelbier gewesen bei Winklers und Dudel- mnsik bei Hudes. Du warst d'r nirgends zu finden." „Ich geh noch nich wieder aus, weißt. Bloß nach Vaddcrn sein Grab bin ich vandage gewesen." Wieder wanderten sie eine Strecke schweigend neben einander. Anna war es, als habe sie Blei an den Füßen, Blei auf der Brust. Am Rand eines Tümpels, um den Ausschußtörfe in regellosen Haufen lagen, blieb sie stehen. „Ich muß d'r ein' Augenblick Nast machen." Sie setzte sich auf die Törfe und meinte, Jan werde weitergehen, und meinte das Blei in ihrer Brust und das Blei in ihren Füßen würden von ihr abfallen, sobald sie wieder allein ihres Weges schritte. Aber Jan setzte sich auf einen Torfhaufen ihr gegenüber, als verstände sich das von selbst. «Fein is das Moor, meine Heimat", sagte er, um sich schauend, „laß di« Menschen draußen reden, waS M wollen. Denk an mich, Anna, wenn die Heide wieder bMHI. Ich werd d'r dan woll nich mehr sein." Nm stillen Cor Es trennt ein Tor von Eisen Das Leben und den Tod. Doch schenkt die gleiche Erde Di« Ruhe und das Brot. Es schläft die Mutter drinnen Lind ruht vom Tagwerk aus: Der Segen schwerer Garben Erfüllet unser Haus. Cs liegt auf meinen Schultern Die Last der schweren Pflicht. Ich denke an die Mutter: Ich schaff's — uud weine nicht. Es hemmt kein Tor von Eisen Den Segen ihrer Hand, D«r fernen Enkeln blühet Aus unserm Ackerland. Marina Thudichum. „Wie meinst das?" fragte sie, obwohl sie ihn recht verstand. „Dir wird woll nich unbekannt sein", antwortete cr, „was in Weyerdamm die Spatzen von'n Dach pfeifen, daß vom Osmerhof nix mehr mein eigen is. Lang wird mich d'r Jud woll nich mehr auf Hausen lassen." „Wenn das so is", sagte sie rasch, „un du hängst an dein' Heimat, denn so muß ich mich wundern, daß du dich mit all dein' Kräften dazu tust, auf dem Deinigen zu bleiben." Er nickte. „Hast recht. Ich bin was leicht. Eine Frau sollt ich haben, die mich auf'n rechten Weg weist. So möcht sch vieles woll besser machen." „Du hast ja eine Braut", sagte sie beklommen, „so wirst bald ein' Frau haben." Er hob abwehrend die Hand. „Das glaubst selbst nich, »aß Alhcid Willgrcbe einen neuen Menschen aus mir macht." „Ich mein, du hast sie lieb", murmelte Anna. Erzählen die Leute nicht, daß sie ihn mehr lieb habe, als recht sein? Sie stand auf. Auch er. erhob sich. „Eine Frau müßt ich haben", sagte er leise, und sah ihr dabei fest in die Augen, „die weiß, einen Hof zu regieren un ein' Mann zu steuern, ein' Frau, Auna, die fest is in ihrem Sinn un nix Unreines nn nix Slechtes um sich leidet, die zu strafen weiß un zu belohnen auch mit einem guten Wort, mit einem freundlichen Blick. So eine Frau — wenn ich die hätt — die könnt woll einen anderen Menschen aus mir machen." Sie fand kein Wort, sie ging schneller und schneller iu ihrer Verlegenheit. Schon stiegen die Dächer der Kolonie aus dem Abendbrodem. „Hast uix mir zu antworten, Anna." „Dn bist mit Alheid versprochen", sagte sie. „Un ein Wort is was Heiliges." „Meinst, daß ein Wort mehr wert is als ein Mensch?" fragte er. Sie tat, als hätte sie die Frage nicht gehört. „Baben geht der Weg nach mein Hof. Guten Abend, Jan Osmer, Mach's, gut — in allen Dingens. Ich Wunsch dir das ehrlich." Als Jan heimkam, rief er sogleich Kort. „Auf'n Sonnabend is Markt in Scharmbeck. Ich will die zwei Swarzbunten hintreiben zum Verkauf." Kort hob die Hände. „Allmächtiger Gott. D'r is van dage nich genug Vieh auf'n Hof. Ich dacht', du wolltst ein Pferd zukaufen." „Is der Braune nich mehr gut? Denn will ich den auch mitnehmen. Zinsen hab ich bezahlt, und Geld brauch ich." „Brauchst du Geld, denn so laß mich das Vieh hin treiben. Du gehst nich nach Scharmbeck." „Nich nach Scharmbeck." „Samuel ist d'r freigekommen un sucht dich. Die Dern hat nich gleich geredt, sie hat sich da auf verlassen, daß du wiederkommcn wirst, wenn das Korn reif wird." Jan lachte. „Nahsten von Verstand soll sie sein. Nu suchen die Geschwister dich. Ein Eid hat Samuel gesworcn, dich zu ermorden." „Samuel sucht einen Heidjer aus dem Vremschen." „Wenn du das der Dern vorgeswiudelt hast, denn sucht Samuel dich sicher uich im Vremschen. Nich ein Stecknadel is dein Leben wert. Es möcht denn sein, daß Samuel mit sich handel» läßt. Dazu hast ma» kein Geld. Oder doch? Soll ich's versuchen? Was denkst?" „Ich denk, daß d'r in Weyerdamm un in'n ganzen Moor kein Dern Anna Allmer gleichkommt." „Was sagst d'r?" „Anna Allmer kommt nach Scharmbeck auf'n Markt. Un ich soll mich verstecken un verkriechen?! Lieber will ich dot sein, als hinlebcu in der Angst vor dem Tode." * Der Tag des Scharmbecker Marktes kam. Von allen Kolonien drängten die Vewolmer in den Flecken, um zu kaufen, zu verkaufen. Vuden und ein Karussel standen in einer Ecke des weiten, viereckigen Marktplatzes. Unter den hohen Linden, nahe am Brunnen, waren die Stände für Pferde und Rindvieh aufgerichtet. Dort rannten die Frank furter und Kölner Händler neben denen aus Bremen auf und nieder, begutachteten, wählten und feilschten. Dort stand auch Kort mit den beiden Osmerschen Kühen. Jan Mbst tauchte bald hier, bald dort auf, begrüßt von alten Bekannten aus dem Moor und aus seiner Mtlttärzeit. Htntsr ihm drein schlüpfte Alheid Willgrebe, sie ließ ihn räum frei. Den Kolonistentöchtern von Stellichte, auäLep- -ergen und Wörpemoor zeigte p« ihn stolz. „Mem Präuttgaml" Dabet strahlten ihre blauen Augen au» den mmklen Rändern und fetnen Linien, di« Tränen und