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den Ingenieur IoAen Grothe, im Streit erschlagen. ' Zwischen meinem Stiefbruder und mir bestand von jeher ein gereiztes Verhältnis. Daran war nicht ich, sondern er schuld. JÄ war ein verträglicher Mensch. Aber ich war ein Bruder Leichtfuß; das Geld, das mir zur Verfügung stand, rann mir schnell durch die Finger. Mein Bruder ließ mich gewähren, ich glaube er hatte die Berechnung dabei, je früher ich mit meinem Gelde zn Ende sei, desto besser für ihn. Er konnte mich dann leicht abschüttcln. Ich war Mitinhaber der Fabrik, die mein Vater, als er meine Mutter geheiratet hatte, mitübernahm. Grothe neidete mir den Platz in der Firma. Als ich nun wieder - einmal tüchtig in Schulden saß, erbot er sich, diese zu regeln unter der Bedingung, daß ich aus der Firma aus schied; ich ging darauf ein. Ein Monatsgcld, das er mir aussetzte, loste er später durch Zahlung von ein paar ; tausend Mark ab. Ich wanderte nach Südamerika ans, ! verlor alles, kam zurück und hoffte, daß mein Bruder mich wieder aufnehmen würde. Ich dachte mir: so hart ist nie mand, daß er seinen Brnder verkommen läßt. Grothe war es. Er hatte kein Verständnis für meine Lage, nicht das s geringste Erbarmen mit mir. Seine Haushälterin ließ mich in sein Haus ein und schützte mich dadurch davor. ! daß ich auf der Straße verkam. Ich liebte sie und hatte die Absicht, sie zu heiraten, sobald cs mir gelungen war, festen Boden unter den Füßen zu kriegen. Leichtsinnig war ich nun nicht mehr; ich hatte viel Schweres durch- gemacht und war ein anderer Mensch geworden. Hätte mein Bruder mir noch einmal geholfen — er war reich und hätte es mit Leichtigkeit gekonnt —, so wäre das Un glück nie geschehen, das über die Familie durch seine und meine Schuld gekommen ist. Grothe war bekannt dafür, daß er viel für Arme tat. Für mich tat er nichts. Ich machte mich klein vor ihm, winselte förmlich um seine Hilfe. Er jagte mich wie einen Hund ans seinem Hanse weg. Nun, da kam der furchtbare Rovcmbcrabcnd, er be gegnete mir in seinem Hanse, es kam zum Streit zwischen uns, und ich schlug ihn nieder. Wer seinen Bruder haßt, der ist ein Totschläger, hatte ich ihm einmal vorgchalten, nun war er es nicht mehr allein, nun war ich cs auch. Mein Unglück war nun erst recht groß. Ich verkam mehr und mehr. Um zu vergessen, ergab ich mich dem Spiel, und auch um zu leben, spielte ich. Ich zwang das Glück. Sie verstehen, was ich damit sagen will, Herr Unter suchungsrichter?- „Ja, ja, Sic spielten falsch." „So ist's. Es ging von Tag zu Tag mehr bergab mit mir. Der Fr/iu, die ich liebte, habe ich das Leben vergiftet, nun sie hat ausgclickcn." Er machte eine lange Pause, während der er mit finster zusammengcschobenen Brauen vor sich hinsah. Der Untersuchungsrichter er innerte: „Nun kam der Abend des 27. Januar, was war da?' Wieprecht hob den Kopf. „Frau Schätzle batte mich auf mein Flehen am Vormittag dieses Tages in das Grothesche Haus eingelassen. Es ging mir merkwürdig in diesem Hause: hatte ich- Not, so zog es mich in dies Haus. Oft stahl ich mich hinein, hielt mich mehrere Tage und Nächte darin auf, ohne daß es jemand bemerkte. Ich kannte die Schlupfwinkel des alten Kastens so gut. Er war mir oft Zuflucht. Aber wenn ich mich in irgendeinem dieser Schlupfwinkel verkrochen hatte und dort hungernd und frierend lag, dann packte mich doch zuweilen ein un bändiger Haß. Der quälte mich, daß ich einmal laut her ausschreien mußte, um mir Luft zu machen. Mehrmals war ich drauf und dran, das Haus in Brand zu setzen, um alle, die noch von der Familie Grothe vorhanden waren, zu vernichten. Besser, ich hätte cs getan, dann wären wir alle auf einmal erledigt gewesen. Ich be unruhigte das Haus. Jettchen bat mich oft, mich zu sammenzunehmen; ich vermochte cs nicht. Also am 27. Januar war ich im Grotheschcn Hause. Grothes hatten am Abend des 27. etwas vor. Alle gingen fort. Zuletzt Frau Grothe. Ich atmete befreit ans, als sie weg war." Nach kurzer Pause fuhr Wieprecht fort. „Por dieser Frau, die mich gar nicht kannte, wohl^gar keine Ahnung von meiner Existenz hatte, empfand ich immer eine große Scheu. Von Jettchen Schätzle wußte ich, daß Fran Grothe in beständiger Furcht in ihrem Hanse lebte. Ich dachte, wenn Jettchen davon sprach: meine Nabe be unruhigt sie iustwkiv. Ein unglücklicher Zufall wollte es einmal, daß ich ihr begegnete. Ich mutzte das Haus ver lassen und konnte das am unauffälligsten, indem ich durch Grothes Schlafzimmer, das im Parterre liegt und eine zum Garten führende Tür hat, ging. Beim Betreten des Zimmers, das ich leer zu finden hoffte, sah mich Frau ' Grothe, die in ihrem Bett lag, starr an. Ich hielt ihren Blick fest, nnd sie wagte es nicht, zu schreien, so kam ich glücklich ins Freie. Eines Abends sah mich auch vom Fenster seines Schreibzimmers aus mein Reffe. Ohne mich zn erkennen, starrte er mir minutenlang ins Gesicht. Ich erwartete jeden Augenblick, daß er mich anrufen würde, aber das geschah nicht. Am 27. ging die Begegnung mit Frau Grothe nicht so glücklich ab. Ich hatte mich aus meiner Mansarde, die kalt nnd ungemütlich war, gleich nachdem Frau Grothe das Hans verlassen hatte, herausgeschlichen und war in die untere Wohnung gegangen. In gar keiner anderen Absicht, als es mir ein bißchen gemütlich zu machen. Mal ein paar Stunden in einem warmen Zimmer zu verbrin gen. Tas war meine Absicht. Ich hatte mir ein Buch aus dem unverschlossenen Bücherschrank genommen, die Ja lousien der Fenster waren fest verschlossen, so könnte ich es wagen, eine Lampe einzuschalten. Ich hatte Wohl eine halbe Stunde so in Nnhc und Behaglichkeit zugebracht, als ich durch das Anfahren eines Autos erschreckt wurde. Ich schaltete das Licht aus und versteckte mich im Schlaf zimmer. Das Hans wurde aufgeschlossen, ich hörte deut lich, daß zwei Personen das Haus betraten. Leise schlich ich mich zu der Tür, die zum Garten führte, ich versuchie, sie zu öffnen, aber sic war zu meinem Entsetzen vernagelt. Ich schlich wieder in meinen Winkel. Herrgott, dachte ich, wenn man mich hier entdeckt, dann ist dir das Gefängnis sicher. Bei diesem Gedanken, daß ich, der ich so eng zu der Familie Grothe gehöre, mich wie ein Einbrecher in ihrem Hause verstecken muß, loderte der alte Haß wieder zügel los in mir auf. In meinen Händen zuckte cs. Die Finger krampften sich zusammen. Mein Herz schlug dumpf und schwer, während das Blick in meinem Kopfe rauschte. Der Haß in mir schwoll. Er lauerte, wie eine Bestie lauert, um sich auf ihr Opfer zu stürzen. — Mein Opfer lief mir zu — ich packte cs." Er schwieg. Ein Granen schien ihn zu schütteln. Er nahm ein Taschentuch und trocknete sich die feuchte Stirn. Starr sah er vor sich hin. Die Muskeln seines Gesichtes zuckten. Der Untersuchungsrichter ließ ihm Zeit, sich, zu fassen. Danach fragte er: „War es nur der Haß, der Sie zu dieser Tat getrieben?" Wieprecht zögerte mit der Antwort, endlich sagte er: „Nein, der hätte wohl vor der Frau, die ja an den un glücklichen Verhältnissen, in welchen ich zur Familie stand» unschuldig war, haltgemacht. Es war zuletzt Wohl nur die Furcht, entdeckt zu werden. Ich hatte gehört, daß ein Herr mit ihr das Hans betreten hatte nnd zwei Zimmer entfernt von uns auf sie wartete. Ich wollte sie am Schreien hindern, an Mord dachte ich nicht. Ich erschrak, als die Frau unter meinen Händen zusammenbrach.' Wieder machte er eine Pause. Danach sagte er: „Ich ent kam unbemerkt durch den Hinterausgang des Hauses." Er erhob sich. „Darf ich nun bitten, Herr Unter suchungsrichter, mich wieder abführcif zu lassen." „Einen Augenblick, Sic müssen noch das Protokoll unterzeichnen." Er nickte müde. Der Untersuchungsrichter hatte noch eine Frage: „Was ist mit dem Schimcck? Steht er in irgendeiner Beziehung zu den beiden Verbrechen?" „Nein, er ist ganz unschuldig." Der Untersuchungsrichter sah ihn scharf an. „Ist es wirklich so?" „Es ist so, alles ist so, wie ich es Ihnen gesagt habe. Wenn man mit seinem Leben am Ende ist, dann lügt man nickst mehr." * * Hans Loth wurde aus der Untersuchungshaft ent lassen. Eva erwartete ihn, als er das Gefängnis verließ. Sie drückte ihm schweigend die Hand. Sein Aussehen, das dem eines Schwcrkrankcn glich, hatte sie tief er schüttert. Sie hing sich in seinen Arm und drückte ihn fest an sich. Hans sah auf sie nieder, und endlich hatte er sich so weit beruhigt, daß er sprechen konnte. Er fragte nach der Mutter. »Es geht ihr wisdU gut, Lays» wie es uns agM