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verhalten. — „Sei mal offen, Lilli: Du konntest sie von : Anfang an nicht leiden — hast sie immer ein bitzchen be argwöhnt?" Lilli nickte. Ja, das war schon so, die Lotte hatte gut beobachtet. Aber wozu sprach man das jetzt durch, die Zeit würde es lehren, ob ihr Mißtrauen berechtigt war oder nicht. — „Was ist nun; werdet ihr heute abend zu ! uns kommen?" Lotte wechselte mit Henry einen Blick. „Es geht nicht, Lilli, wir sind für heute abend aus- > gebeten." Lilli erhob sich. „Ist natürlich eine Finte, Lotte, aber wenn ihr nicht ! wollt, so laßt es bleiben." „Sei doch nicht gleich so grob." „Ach, da soll man nicht grob werden, wenn die eigenen ; Geschwister einem ihren Beistand versagten! Sie faßte nach : ihrer Sealjacke, die über der Lehne eines Diwans lag. - i „Erlaube" — Henry hielt sie ihr. „Befolgt meinen Rat mit dem Detektiv", sagte Lotte > Lilli antwortete nicht. Sie war ärgerlich, den weiten Weg bis in die Margaretenstraße vergebens gemacht zu haben Nun war man wieder den ganzen Abend allein in dem scheußlichen Hause. Der Gedanke daran war ihr uner träglich. „Kommt doch zu uns", sagte Henry. Lilli sah ihm mir einem boshaften Lächeln an. „Ich denke, ihr seid ansgebeten?" Lotte warf ihrem Manne einen wenig freundlichen Blick zu. Sich so dumm zu »erschnappen! Der Henry war ein Schaf! Er versuchte, seinen Mißgriff gutznmachen. „Dann sagen wir eben ab, Lotte das kann man doch machen." „Nein, das kann man nicht", sagte Lotte gereizt. Lilli verabschiedete sich. Sie wußte: sobald würden Dupres sie nicht Wiedersehen. Sie sah aus ihre kleine Arm banduhr. Halb elf. Herrgott, noch so früh; was fing sie nun mit dem Tage an? Vor halb sechs Uhr nachmittags kam Oskar nicht heim. Nach Hause gehen, davor hatte sie eine wahre Scheu. Sie dachte nach: hatte sie nicht jemand, den sie besuchen könnte? Es wollte ihr niemand einfallen. Langsam schritt sie in den Tiergarten hinein. Seine Bäume waren längst entblättert, und ein kalter Wind pfifs durch ihr kahles Geäst. Lilli fror. Wie trostlos doch das war, in Wind und Kälte allein im Tiergarten herumzulausen, und wie sinnlos! Man hatte ein Haus mit behaglich ein gerichteten Zimmern, in denen große Oesen Wärme ver breiteten, und hier lies man herum in der Kälte. Blödsinn — Heller Blödsinn! Sie dachte schon daran, ein Auto zu nehmen und nach Hause zu fahren, als plötzlich Eva und Hans Loth vor ihr standen. Man begrüßte sich, hoch er freut darüber, daß man sich gefunden hatte. „Ich begreife nicht, daß du bei dem Wetter draußen bist?" sagte Hans Loth. „Ihr seid cs ja auch", gab Lilli zurück. „Es ist auch töricht, die Eva hatte den blödsinnigen Einfall, einen Morgcnspazicrgang zu machen." „Warum soll man nicht?", sagte Eva, „es ist immer noch besser, als im Hause zu sitzen. Mama gibt da keine Ruhe. Lese ich ein Puch, so findet sie, daß das eine un verzeihliche Zeitvergeudung ist. Beschäftige ich mich mit Malen, so behauptet sie, daß aus meinen Bildern doch nic etwas Gescheites wird; also, was soll ich? Da ich zum Staubwischen keine Neigung verspüre, laufe ich lieber hin aus. Aber nun sag uns mal, was du hier im Tiergarten tust?" Ihre Hände tief in den Taschen ihres Ulsters vergra bend, sah sie fragend zu Lilli auf. „So — ich geh spazieren wie du und Hans." Lilli dachte nicht daran, ihrem Vetter und ihrer Kusine zu erzählen, was sie ans ihrem Hause getrieben Halle. So Wie die geartet waren, würden sie nur darüber lachen. Und durch Lottes Verhallen schlau gemacht, hütete sie sich ihr Haus in Verruf zu bringen. Dchließlich kam keiner mehr zu ihnen. Eva Lotb wollte weilen nurnbia von einem Fuß auf den anderen tretend, fragte sie: „Bist vn erpicht darauf, gerade hier durch den Tiergarten zu lust wandeln?" „Nein, gar nicht. Ich ginge auch ebenso gern wo anders." „Also, auf zu den Linden", schlug Hans vor. Die Geschwister nahmen Lilli in die Mitte. — „Was mach« Oskar?", fragte Hans. „Schuftet. Geht morgens um acht Uhr weg und kommt Punkt halb sechs abends heim." „Ach herrsch! Und du mußt dich dann allein in eurem trostlosen Hause öden?" Lilli blieb stehen und sah mit einem Kopsschütteln zu dem Vetter auf. „Wieso trostlos?" fragte sie. „Na nimm's schon nicht übel, ein bißchen trübe liegt doch euer Haus. Daß man sich da nicht gerade sehr wohl darin fühlen kann, wenn man den ganzen Tag allein ist. kann ich mir gut vorstellen." „Hat auch seine Reize", warf Eva ein. Lilli verteidigte ihi Hans: „Es ist urgemütlich in dem alten Kasten." Haus und Eva sahen sich lächelnd an. „Auf einmal!", sagte Hans. „Ich entsinne mich sehr gut, daß du dich einmal sehr sträubtest, hineinzuzichen." „Das leugne ich nicht; die Lage des Hauses erschien mir gräßlich — sie ist ja auch nicht bequem, so weit draußen. Niemand kommt zu uns, weil jeder den weiten Weg scheut. Aber das Haus selbst ist doch reizend gemüt lich. — Kommt doch mal wieder zu uns, ihr seid ja eine Ewigkeit nicht bei uns gewesen Oskar hat einen neuen Bechsteinflügel gekauft, den müßl ihr hören. Einfach wundervoll." „Spielst du viel?" fragte Eva. . „Was soll ich sonst machen, ich spiele von früh bis ! spät." Die Geschwister versprachen, sie bald einmal zu ! besuchen. „Kommt heute, ihr habt doch nichts Besonderes vor?" Nein, das hatten sie nicht. Sie überlegten. Lilli redete ! zu. „Wir nehmen ein Auto und fahren gleich zu uns. ! Dann bleibt ihr mal den ganzen Tag über draußen bei ! uns Auch über Abend." „Und wie sollen wir znrückkommen?" fragte Eva. ,Jch telephoniere Dupres an, die müssen ihr Auto l schicken, das euch abholt, sehr einfach." Na, ob das so einfach ginge? Hans wagte daran zu zweifeln. Kusine Lotte war gar nicht sehr dafür, die Bequemlichkeiten, die ihr, der reichen Frau, zur Ver- i fügung standen, an andere abzutreten. Na, das wollte ! Lilli mal sehen! Man ging in ein CafS, von dort ries Lilli ihre Schwester an. Die Unterredung dauerte lange. Mit ärgerlicher Miene kam Lilli an den Tisch zurück. „Na, wie du vorausgesagt hast, Hans: Lotte hat ihr Auto nicht für andere. Wer kein eigenes Auto besitzt, muß sich eins mieten. Abscheuliche Person, diese Lotte!" i Eva nahm sie in Schutz. „Schließlich hat sie ganz recht, es ist doch wirklich ein : bißchen viel verlangt, abends spät den Chauffeur zu euch heranszuschicken, um uns abzuholen." Lilli war sehr verdrossen. Der Lotte wollte ge das heimzahlen. Sie wußte doch sehr gut, daß ihr, Lilli, nur daran lag, heute Abend Menschen um sich zu haben, und da schlug sie ihr ihre Bitte rundweg ab. „Nnn, werdet ihr nicht zu uns mitkommen?" Die Geschwister wechselten einen Blick. „Na, wenn dir wirklich so viel daran liegt, wollen ' wir schon", sagte Eva. Lilli legte ihre Hand auf die ihre und drückte sie leise. „Fein, Evi! Tann wollen wir schnell unsere Schokolade austrinken und machen, daß wir wegkommcn." „Na, so eilig wärs doch nicht", meinte Eva. Hans l mußte auch erst der Mutter Bescheid sagen. Er sollte das l gleich vom Cafv aus besorgen. „Ich mutz dann hier in der Stadt noch einige Ein- l käufe besorgen," sagte Lilli. Kuchen wollte sie gleich hier ! von Kranzler mitnehmen. Während Hans telephonierte,