Volltext Seite (XML)
Hanni, war acht, die kleine Nichte vier Jahre, sie wollte für ihre Jüngste aus den Verhältnissen heraus nicht eine Spielgefährtin. ! Gewiß, seine Frau hatte ja recht, aber der Gedanke an das Kind j nahm ihm jede Freude, an der Arbeit hier... die Freude aus i Pfingsten. ! Halt! Da kam ihm eine Erleuchtung! Max Bumkes rundes, ! gutes Gesicht bekam einen frohen Ausdruck. Er ließ jetzt den j Pinsel vergnügt auf die Latten klatschen. Er zog belebt an der Zigarre, — sie glühte, gab Wolken und schmeckte. Ja, so wollte - er es machen! Alles auf die eine Karte setzen, und diese Karte war die Gutmütigkeit seiner Frau... ! Als Max Bumke dann, in jeder Hand einen Marmelade- ! eimer mit grüner Farbe und Pinseln, am Häuschen vorbei kam, » rief er seiner Frau zu, die drinnen schaffte: „Lina, ich bin heute durch das Streichen nicht dazu gekommen, geh' du doch morgen j in die Müllerstraße zu der Nachbarin, die das Kind einstweilen ausgenommen hat. Erklär' der Frau, weshalb wir das Kind nicht zu uns nehmen können. Ich geh' dann in den nächsten Tagen zur Familientürsorge und sage da Bescheid." Trude Vespermann saß auf einem Kinderstühlchen im sonnenlosen Hof, im Duft der Müllkästen und einer Schusterei im Keller. Sie hörte Wohl, daß die behäbige Frau mit dem ! frischen Gesicht die spielenden Kinder nach ihr fragte, und als i diese auf sie wiesen: „Aber, da sitzt ja die Trnde Vespermann!" ! und der Blick der großen Frau auf sie fiel, schämte sie sich, zog ! die mageren Schultern hoch und drehte verlegen das Köpfchen. Die Frau ging ins Haus, nach einer Weile kam sie wieder und sah nun gleich nach der Trude hin, mit großen, erschrockenen Augen. Sie hatte nicht daran gedacht, etwas mitzubringen. Ob sie dem Kinde eine Tafel Schokolade holte? Wenn das Kind sie i aber in einem Male aufäße, würde ihm das nicht gut tun. Lina Bumke ging langsam durch das Vorderhaus bis zur Straße. , Dort — ein Blumengeschäft! Aus ihm holte sie einen Strauß Himmelschlüstelchen, die sie dem Kind in die schmutzigen Händ- , chen steckte. Trudchen streckte den Kopf steif vor Verlegenheit, daß am langen, dünnen Hälschen alle Sehnen sichtbar wurden. ! Mit beiden Händen hielt Ke den Strauß umfaßt und starrte s darauf. „Himmelsschlüsselchen!" hatte die große Fran gesagt. Ihr » Mund verzog sich. Sollte das ein Lächeln sein? Wenn cs richtig lächeln könnte, wäre es ein hübsches Kind, dachte Lina Bumke, - strick» Trudchen über den Kovf und ging. Nun batte auch Lina Bumke keine Freude mehr an den ! Vsingstvorbercitnngeu. weil sie das blasse Kind, das zu ihrem j Mann und somit -u ihnen gehörte, auf dem Stühlchen neben i den Müllkästen wußte, in dem Geruch von Abfällen und Schuster- j Pech. Sie sagte icbts. bis ihre Ncltcste. die Lotte, am Freitag mittag fraate Hol's doch'" sagte Lotte leichthin, wie Jugend spricht. ..Emstwcil-n -u Bsinosten, dos Weitere wird sich finden." „Einstw-llcn bis Pfingsten. — Das ill eine Lösung. Lotte!" Als am Psinastmmttaa früh Familie Bumke in da? Laubcn- geländo einbog zur Kolonie „Eintracht", in der ihre Laube lag. faßte Trudch-n Yannis Hand fest. Sie wurde ängstlich, fremd war ihr daZ: Sträucher und Bäume und dahinter wieder Sträu cher und Bäume und darüber nichts bis zum Himmel. Es mar ibr unheimlich, io sah ne vor sich auf den Boden, iah. wie ihre Füße immer über Erde gingen, bei jedem Schritt wieder: dunkle Erde. An das ^auS wurde dann eine Fußbank in die Sonne ac- stellc. „Da laßt ihr Trudchen rnhia sitzen. Laßt es allein, dann gewöhnt es sich schon ein", sagte Frau Bumke. Trudchen sab auf ihr Weißes Kleid hinunter — ein? von Hanni —. fühlte ihr Haar an. das weich und zart war — es war gewaschen worden —, und saß so, sich selbst fremd, in einer un geahnten Umgebung. Sie seufzte und zog dabei di' Luft tief ein, auch die Luft war beklemmend fremd. Nach einer Weile kam ein schwarzes Tier. Trudchen batte öfter Katzen von fern auf dem Hof aesehcn. ?lber diese kam näher, mißtrauisch auf immer wieder seitlich auslüegenden Beinen. Das Kind rückte auf die äußerste Kante vom Bänkchen. Als sie nicht weiter konnte — denn aufzustehen traute sie sich nicht —, und das Tier immer näher kam. schluchzte sie laut auf. Die Katze machte einen Satz zur Seite. Aber der große Mann, der pfeife- cauchend in Hemdsärmeln bei dem Nachbar am Zaun stand, zriff die Katze im Genick und brachte sie Trudchen. „Vor der Psiffi brauchst du keine Angst zu haben, Trudchen, die tut dir nichts. Streich ihr mal über den Kopf —so!" Der guie oicke Mann, der gleich, als sie gekommen waren, zwei Maienbäume rechts und links vom Hauseingang ausgestellt hatte, führte ihre Hand über den Katzcnkops. Trudchen ließ es geschehen. Aber Kind und Katze waren doch froh, als sie wieder auseinander kamen. Dann sagte die Frau: „Das Kind muß in den Schatten", stellte die Fußbank unter den spanischen Flicderstrauch, gab dem Kind eine Musstullc und setzte einen Becher mit Milch auf den Boden neben das Bänkchen. Dann ging sie wieder ins Haus. Mit dem Essen, Trinken und Fingerablccken wuchs Trud- chcus Mut. Es schaukelte eine Fliederdolde, die vor ihr hing, immer wieder und immer stärker und freute sich über die wippende, grüßende Bewegung der schweren Dolde am schwanken Stiel. Dann sah sic den Ameisen auf dem Boden zu, legte ihnen Steinchen in den Weg... kleine Hölzchen... Sie erschrak, als sic Hanni rufcn hörte: „Muddel! Trudchen spielt schon mit Ameisen!" Aber sie faßte wieder Mut und spieste weiter. Kurt, der Elfjährige, harkte an ihr vorbei den Weg zur Pforte. Und als er fragte: „Na, willst du auch mal Harken?", da nickte sie mit Eiser. Und als der Junge ins Haus rief: „Trud chen harkt schon!", bekam sic keinen Schreck mehr. Beim Mittagbrot saß man vor dem Haus um den Tisch, auf dem eiu Maicnbusch iu der Mitte staud. Frau Bumke teilte die Erbsensuppe aus — abends, wenn der Besuch da war, würde es Heringssalat und kalten Braten geben. Da sagte Trudchen, als cs gefragt wurde, ob cs noch einmal Suppe haben wollte, mit leisem dünnen Sümmchen: „Bitte!" Es war Stille danach, und keiner sah zu Trudchen hin, um das Kind nicht wieder einzuschüchtern. Seit Freitag abend war es jetzt unter ihnen, und das „Bitte!" war sein erstes Wort... Nach Tisch wurde Trudchen in die Hängematte gelegt. Als sic alle um sie herumstanden, Lotte ihr ein Kissen unter den Kopf schob, die Mutter sic zudcckte, Hanni sie in den Schlaf schaukeln wollte, die Mutter das nicht litt, sah das Kind von einem zum anderen und — lächelte. Das war das erste richtige Lächeln. Als Trudchen erwachte, ging sie ganz von selbst ins Haus, blieb in der Tür stehen und sah mit breitem Mund und er wartungsvollen Augen zu Mutter Bumke hin. „Nun kommen gleich die Gäste, dann gibt es Kakao und Kuchen", sagte die Mutter und freute sich über den feinen rosigen Hauch, nist dem Sonne und Schlaf das Kindergesicht überzogen hatten. Später gingen die Kinder auf den Spielplatz der Kolonie. Dort lief Trudchen mit im Kreis. Wenn sie auch nicht mitsang, sie gehörte doch dazu. Dann spielten sie Abschlagen und später, als sie müder wurden, Hochzeit. Trudchen durfte den Braut schleier tragen, der aus einer zerlöcherten Gardine bestand. Im Brautzug kamen die Kinder nach Hause ... durch den Quitten weg, der Trudchen am Morgen so fremd angesehen hatte, jetzt aber schon vertraut war... Frau Bumke blieb mit den jüngeren Kindern über Nacht in der Lanbe. So wurden Trudchen und Hanni bald zu Bett gebracht. Trudchen <ah Mutter Bumke an beim Gutenacht- sagen. seufzte tief und schlief schnell ein. Mutter Bumke hörte den Glücksseufzer. Sie ging langsam zu den Gästen zurück, schüttelte in Gedanken unwillkürlich den Kopf. Das Kopfscbütteln aber hieß: Unmöglich können wir das Kind wieder zurückbringen! Zehn Jahre später, als Trudchen, nun angehende Ver käuferin in einem Lebensmittelgeschäft, auf ihrem eigenem Rad -ur elterlichen Laube fuhr — sie rechnete für alle als „eine von den Bumke-Mädchen" — und Fliederduft ihr entgegenkam, wurde der nun Erwachsenen zum ersten Mal ganz deutlich, was sie damals empfunden bei ihrem ersten Pfingstfest vor zehn Fahren. Es wurde ihr deutlich, nur — sie hätte es nicht in .Worte fassen können. Sie ging nur an den Fliederbusch und wippte mit dem Zeigefinger eine der duftend»» Dolden hin und her — wie damals. WÄ Auslosung des Besuchskarten-Rätsels aus voriger Num mer des Zschopancr Sonntagsblattes: Schauspieler. Druck und Verlag: Wochenblatt für Zschopau und Umgegend: Richard Voigtländer in Zschopau Schriftleitung: Margarete Voigtländer in Zschopau.