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Zustand der gesteigerten Reizbarkeit war auch sein Hatz gegen den Jungen heftiger, so daß es für diesen gefähr lich gewesen war, ihm in den Weg zu kommen. „Immer halt' ich aso Angst, daß 'rn mal totschlägt! Oste kunnt ich nachts «ich schlafen dadcrwegcn, und 's war ok manchmal nahe dran, nur daß ich noch dazwischen ging!" erzählte die Angeklagte. Ani die Frage des Untersuchungsrichters nach der Ursache der letzten heftigen Wut ihres Mannes gegen den Jungen berichtete sie weiter, daß er eines Nachmittags angetrunken m die Stube gekommen sei und dem Paul, Ler schreibend über seinen Schulbüchern saß, den Befehl gegeben habe, Holz, das er eben aus dem Walde heim- gcbracht hatte, draußen im Verschlag aufzuschichten. Der Junge war nicht sogleich aufgesprungen, obwohl er sich sonst sehr hütete, den Stiefvater zu reizen — war es, um eine begonnene Zeile oder vielleicht auch nur ein Wort zu Ende zu schreiben, oder war er so in seine Arbeit vertieft gewesen, daß seine Gedanken den Befehl des Vaters nicht gleich erfaßt hatten? Jedenfalls hatte sein Zögern den so erbost, daß er ihm das Schulheft weg genommen, es ihm um die Ohren geschlagen und es dan n zerrissen hatte, worauf der entsetzte Junge von ihm mit Püffen und Schlägen an die befohlene Arbeit getrieben wurde. Der Paul hatte dann abends im Bett geweint, er hatte sich gegrämt und geänstigt wegen seines zerrissenen Schulheftes und der unausgeführten Arbeit. Frau Schreiber war am Morgen darauf zu dem Lehrer Kirsch roth gegangen und hatte ihm die Sache erzählt. Der hatte sie beruhigt; er wußte von den Verhältnissen und bedauerte den Paul sehr, von dem er viel hielt, weil er ein begabter Schüler und ein stiller, guter Junge war. „Der hat a Hellen Koop, man merkt, 's steckt was andersch in ihm drinnem sagte Frau Schreiber, deren müdes, verfallenes Gesicht sich belebte, als sie von ihrem Sohne sprach. Der Lehrer hatte gemeint, er wolle ihren Mann mal zur Rede stellen Und ihm den Kopf zurechtsetzen. Darauf hatte sie ihn ängstlich gebeten, es lieber nicht zu tun, es nütze nichts, sondern würde den gewalttätigen Mann noch mehr reizen. Herr Kirschroth hatte es dennoch ge tan und, wie sie vorausgesehen, damit Schreibers In grimm und Haß gegen den Jungen noch mehr auf gestachelt. Er hatte ihm eine Weile nichts getan, aber sie hatte voll Angst und Unruhe beobachtet, wie er ihn mit bösen Augen verfolgte, und hatte die wüsten, halblauten Verwünschungen gehört, die er gegen ihn ausstieß. Der Paul war ihm nach Möglichkeit aus dem Wege gegangen. An dem verhängnisvollen Tage hatte Schreiber in Lem schmalen Hofraum, der sich zwischen dem Hause und der dicht dahinter ziemlich steil ansteigenden Bergwand befand, Holz zerkleinert. Er hatte die Arbeit unter brochen, war ins Saus gegangen, um nach seinem Rasiermesser zu suchen. Was er damit wollte, wußte Frau Schreiber nicht, er rasierte sich nie mitten in der Woche. Er hatte plötzlich zu schelten und zn fluchen an gefangen — das Rasiermesser wies Scharten auf und er verlangte von ihr Aufklärung, wie sie hineingekommen waren. Der Junge müsse es in den Fingern gehabt haben. Sie hatte sich sehr erschrocken: Der Paul, der so gern bastelte und baute, batte sich tags zuvor aus Pappe, Holzstäbchen und Zwirnsfäden ein kleines Flugzeug ge macht — die Anregung dazu hatte er aus der Schule heimgebracht. Auf der Suche nach einem recht scharfen Messer hatte der Junge, der sonst seinem Stiefvater gegenüber sehr ängstlich und vorsichtig war, in einer Leichtsinnswandlung dessen Rasiermesser genommen. Das batte Schreibers unterdrückten Ingrimm neu entfesselt. In einem an Raserei grenzenden Wutanfall hatte er die fürchterlichsten Drohungen gegen den Paul ausgestotzen, und Frau Schreiber hatte bei dem Auftritt Todesangst ausgestanden und geglaubt, er würde ihr mit dem scharfen Messer, mit dem er herumfuchtelte, zu Leibe geben. Er hatte dann das Haus verlassen nnd war in die Schänke gegangen. Sie aber konnte nicht fort, Lie Ziege soUe gerade ein Lamm kriegen. Auch müßte sie, um den Paul zu warnen, auf dem Wege zur Schille an dem Wirtshaus vorbei, und das wagte sie nicht. Nach ungefähr einer Stunde war ihr Manu wieder- gctommen, cs war ihm anznmerkcn gewesen, daß er stark getrunken hatte. Unverständliches vor sich hinbrummend, war er im Hause umhergegangen, mit einem von Trunk nnd Wut so entstellten Gesicht, daß sich ihr vor Augst die Gedanken verwirrten. Sie hatte nicht gewagt, aus dem Hause zu gehen, um dem Paul eine Nachricht zukommen zu lassen, sie wußte, daß ihr Mann, ihre Absicht durch schauend, sich ihr in den Weg stellen würde. Sie hatte auch nach der Ziege sehen müssen. Als sie dies wieder einmal tat, hatte sie die Stimme ihres Sohnes gehört . .. sein Schreien. Aus dem Stall stürzend, erblickte sie ihren Mann, der mit dunkclrotem, wutverzerrtem Gesicht den sich heftig sträubenden Jungen aus Ler Tür über den schmalen Hof nach dem Hackstock hinschleifte, um den herum die Holzscheite lagen . . . Vis dahin war der Bericht klar, nun aber machten alle Aussagen der Angeklagten den verworrensten Ein druck und widersprachen sich zum Teil. Es wiederholten sich die Angaben: Sie hätte au der Stalltür gestanden, hätte schreien wollen, doch keinen Ton aus der Kehle bekommen. Ihr Mann mußte über eines der herum- liegenden Holzscheite gestolpert sein, und dabei mar ihm der Knabe entschlüpft und den steilen Abhang hinauf- geflttchtet. Der Mann war ihm nach, doch schwerfällig i und unsicher geworden von dem reichlich genossenen ! Alkohol, war er zurückgeglitten und — hatte im nächsten : Augenblick mit zerschmettertem Hinterhaupt vor den Füßen der Frau gelegen. Paul Schreiber war laut schreiend aus dem Hause ge- ! rannt. Leute aus der Nachbarschaft waren herzu- gekommen und hatten Frau Schreiber neben ihrem - Mann kniend gefunden, bemüht, mit ihrer Schürze das ! Blut zu stillen, das aus seinen schwarzen Haaren her- vorquoll. Sie hatte einen völlig verwirrten Eindruck l gemacht. Die Kunde von dem Ereignis war wie ein Lauffeuer durch das Dorf geflogen, immer mehr Neu gierige herbeilockend; sie drängten alle in den engen Hofraum. Man hatte Schreiber aufgehoben und in das Haus getragen. Darüber war der Ortsvorstcher, der dazu kam, sehr ungehalten gewesen. Er hatte die Leute fvrtgeschickt, einen Arzt holen lassen nnd die Polizei be nachrichtigt. Er war oer erste, dessen Aussagen zu Pro tokoll genommen wurdem und aus diesen Anssagen sprach schon ein gewisser Verdacht gegen Fran Schreiber, ! obwoh er versicherte, daß er ihr eigentlich eine solche > Tat nicht zutraue. Das taten auch die andern Seifershauer nicht, Frau i Schreiber galt als eine ruhige, fleißige Frau, die man ! allgemein bemitleidete wegen ihres furchtbaren Loses an der Seite des rohen, arbeitsscheuen Trinkers, für den l sich auch nicht eine Stimme der Sympathie erhob. Oesters hatten sie und ihr Sohn bei den Nachbarn Schutz suchen müssen vor den Mißhandlungen des wüsten Menschen, und manchmal hatte die Geplagte in Erregung und ohn mächtiger Verzweiflung Drohungen gegen ihren Mann ausgestoßen. Immer war ihre schlimmste Angst gewesen, daß er mal ihrem Kinde etwas antun würde; aber auch ein fanatischer Wille, dieses Schlimmste zn verhindern. Hierin deckten sich die Aussagen der bisher vernomme nen Zeugen mit ihren eigenen — dies war nun eine Stütze der Anklage gegen sie geworden. Der elfjährige Paul war verhört worden, nnd seine Angaben ergänzten und bestätigten die seiner Mutter. Nachdem es ihm gelungen war, sich den Fäusten seines Stiefvaters zu entwinden, war er die steile Anhöhe hin- anfgeflüchtet bis an den Gartenzaun eines höherliegen den Gehöfts. Auf diesen war er noch in seiner Angst hinaufgeklettert und hatte dann, von dort sich nmblickend, den Vater unten liegen sehen, neben dem regungslos und stumm die Mutter stand. „Es war ihm die Frage vorgelegt worden, ob die Mutter die Axt in der Hand gehabt hätte. Dies hatte er verneint. —