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ihn vor ihren Unhold von Mann zu schützen. Beim Anhören dieser Dinge fühlte Wolter sein Herz ' hart n»d dumpf pochen. Ihm war, als kämen die Wände des niedrigen Himmers auf ihn zu und neigten sich über ihn. Ein Zittern befiel ihn, das seine Zähne gegenein- andcrklirren ließ. Mit Anstrengung suchte er der Schwäche Herr zu werden, sie vor der Fran zu ver bergen. Er gab ihr eine Summe Geldes und bat sie, für Ersatz der zerrissenen Kleidungsstücke zn sorgen; sagte ihr, er werde den Arzt aus Petersdorf bea »tragen, den Jungen zn untersuchen . . . Wenn nun B.ttruhe notig sei, ob das Kind dann hierbleiben könne, wo cs offenbar besser ausgehoben sei, als in seinem Eltern- Hause? Die Frau bejahte die Frage. Er merkte, sie war äußer lich rauh, aber gutmütig. Und sie spürte, daß auch ihr selber hierbei ein kleiner Vorteil winkte. Sie zeigte sich gefügig nnd versprach, alles nach seinem Wunsche zu richten. Sie wollte auch morgen früh mit dem Bäcker wagen der Schwester Nachricht zukommen lassen, damlt diese sich nicht wegen Pauls Ausbleiben beunruhige. Der Staatsanwalt sagte ihr einige Dankesworte, daun trat er noch einmal in den Winkel, wo das Bett stand. Er beugte sich hinab, streichelte den blonden Haar schopf und murmelte ein paar Worte, eine Redensart — er wußte selbst nicht was. Ueber das Gesicht des Knaben ging ein scheues fächeln, seine braune Hand kam unter dem Deckbett hervor und umschloß sacht die weihen Mäuucrfinger, die leise zitterten. » Wolter war zumute, als ob in ihm sich etwas spannte nnd zerriß. Er richtete sich auf nnd verließ schnell, flucht artig das Haus. Er steuerte seinen Wagen durch die herumlttngcruden Kinder, denen sich einige erwachsene, neugierig gaffende Dorfbewohner zugesellt hatten. In seiner Villa angelangt, rief er sogleich den Arzt in Petersdorf an und bat ihn, möglichst bald nach dem kleinen Verunglückten in Kaiserswaldan zu sehen nnd dann Bericht zu erstatten. Der Arzt versprach es zu tun. Dann machte er sorgfältig Toilette. Er wußte, länger als sonst wurde heute mit dem Essen auf ihn gewartet; dennoch eilte er nicht. Die gewohnten Hantierungen bei Zurichtung seines Aenßcren waren ein Beruhigung?« mittel. Während er sich wusch, eine Flut Köllnischen Wassers über den Schädel stäubte und sich umkleidete, verging das leidige Zittern, das im Wagen noch wie Fieberschauer seinen Körper geschüttelt hatte. Als er vor den Spiegel trat, wies ihm der das gewohnte Bild; nnr ein paar blatzrotc Flecken auf den Wangen, da, wo die Brillengläser auflagen, verrieten etwas von einer Erregung. Prüfend, vergleichend betrachtete er - fein Gesicht im Spiegel, wandte sich dann hastig ab und l trat an das Fenster des kühlen Zimmers, in dem ein ! von Blüttcrgrün gedämpftes Licht herrschte. Hierher war er aus dem gemeinsamen Schlafzimmer, das nach > Osten lag, bald nach der Uebersiedlung umgczogen. ! Dorthinein drang in der Frühe eine Fülle von Licht, ! das störte ihm den Morgenschlaf. Marlene wiederum wollte nicht hinter dichten dunklen Vorhängen ruhen Lange stand er und starrte selbstvergessen in das Grün ! der Bäume vor seinem Fenster. Da ging die Tür ans l und ließ einen breiten Streifen Sonnenlicht herein, in ihm stand seine Fran. „Kommst du nicht zum Essen, Philipp? Iba ist schon ganz verzweifelt!" sagte sie. „Ich komme sofort," antwortete er und blinzelte mit den Augen. Durch das gegenüberliegende Fenster des Treppenganges flutete die Nachmittagssonne, umfloß Marlenes Gestalt in ihrem blaßgelben Kleide und ließ das Haargekräusel an ihren Schläfen in metallischem Glanze flimmern. Zu jäh war der Bildermechsel. Eben hatte er noch mit aller Deutlichkeit den dunklen Winkel einer Bauern stube vor sich gesehen, rotwciß gewürfelte Kissen und einen blonden Haarschopf darin. Eine von weißen > Leinenstreifen umwundene Kinderstirn und darunter < ein Paar blane Augen, die ihn schen ansahen, mit einem Blick, der ihm im Herzen weh tat . . . Als Marlene während des Essens nach dem Verlauf und dem Ergebnis der heutigen Schlnßverbandlnng in Hirschberg fragte, merkte er mit Verwunderung, wie weitab ihm dieses Ereignis bereits lag. Und wie über ein Hindernis hinweg sprach er zu seiner Frau von den Vorgängen des Vormittags. Oester fuhr er dabei mir der Hand über die Stirn, als müsse er andringcnde, störende Gedanken verscheuchen. Sie saßen zu dreien im Eßzimmer, dessen offene Glas türen auf die Veranda hinausführten. Süßer Blumen- atem wehte herein, und auf dem Tisch stand eine Schale mit Maiglöckchen, die so stark dufteten, daß es Wolter zur Pein wurde; er beugte sich vor, um sie weiter fort zurücken. Da stand Marlene auf und trug sie hinüber zum Kaminsims. Doch ehe sie die Blumen niedersetzte, beugte sie ihr Gesicht auf sie herab und sog tief und genießerisch den süßen, betäubenden Duft ein. Wolter erinnerte sich, was ihm Herr Ansorge unter wegs erzählt hatte, und er berichtete Marlene davon, kündigte ihr den wahrscheinlich baldigen Besuch des jungen Ansorge, des künftigen „Caruso^ an. „Ick würde mich.freuen, wenn dn etwas Vergnügen dabei hättest!" sagte er nach dem spöttischen Zusatz. Es finden sich hier leider wenig Gelegenheiten für dich, mit musikalischen Menschen zttsammenzukommen." Marlene hatte während seiner Worte unwillkürlich au ihre Morgenwanderung denken müßen — an die Stimme, die sie hoch im Walde gehört hatte, und an die Wagnermelodien. „Sänger sind nicht immer durchaus musikalische Menschen, dafür aber öfters unausstehlich!" entgegnete sie. Ihr Gatte lächelte. „Dennoch haben sie das GlüH daß gerade die Damenwelt im allgemeinen nicht so denkt." „Es lernen wenige sie so kennen, wie ich sehr früh tn meinem Elternhanse dazu Gelegenheit hatte. Ab gesehen von ihrer Knnst, waren sie mir zllmeist a!S Menschen wenig sympathisch. Es verträgt eben selben jemand das Gefeiertwerden, die andauernde B.w.ch- räuchernng," sagte sie. Nach der Mahlzeit verschwand die Base Ida, die heute wie alle Tage stumm, aber voll Aufmerksamkeit dem Gespräch lauschend, mit am Tisch gesessen hatte. Wolters früheren Bemühungen, sie mit in die Unterhaltung zu ziehen, hatte sie sich mit Erfolg zu widersetzen verstan den. Mittlerweile hatte man sich an ihre Art gewöhnt. Den Kaffee nahm das Ehepaar allein in der Veranda, von der man einen prächtigen Ausblick auf das breit hingelagerte Gebirge hatte. Der Staatsanwalt hatte sich mit seinem Stuhl in den Schatten gerückt. In kleinen Schlucken schlürfte er den starken Kaffee, den er schwarz trank. Dazwischen führte er die Zigarette zum Munde und sah schweigend ihren bläulichen Rauchringeln nach. Seine Gedanken liefen den Fahrweg nach Kaiserswaldan, kreisten forschend, und bohrend um sein heutiges Erlebnis. Marlene saß nn Glanze der Nachmittagssonne. Wie liebkosend empfand sie den warmen Schein, und bereits zeigte sich bei ihr wieder auf dem Nacken und den Unter armen ein leichter bräunlicher Schimmer. Auf ihrem Schoß hielt sie ein junges Kätzchen, das sie kürzlich halbverhungert von einem Feldweg aufgelesen hatte. Die acht Tage in ihrer Pflege hatten sein Aussehen schon sehr verändert, es wuchs und gedieh. Sie hatte ihm ein wenig Milch gegeben und hielt ihm Kuchenbrocken vor das rosige Mäulchen. Es ließ sich nicht vergebens nötigen und saß dann still unter ihrer warmen Hand, schloß die grünlichen Augen bis auf einen schmalen Spalt nnd schnurrte behaglich. Marlenes leises, spielerisches Sprechen zu dem Tier chen verstummte; ihre Augen beobachteten heimlich ihren Gatten. Wie sehr hatte sich sein Gesicht verändert in den Jahren ihrer Ehe. Er trug nicht mehr -ep kurzen.