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Dr. Anio Schütte, Syndikus der Pocker-Werke, Buenos-Aircs — Hamburg. „Ich lasse bitten." Wie grausam sie ist, dachte Anio, als er zehn Minuten wartete und noch immer nichts von der geliebten Frau zu sehen war. Vielleicht batte sie nur im ersten Impuls zugcsagt, ihn zu empfangen. Bereute nun und suchte nach einer Ausrede, ihn wieder wegzuschicke«. Aber er wurde bleiben, und wenn cs sein mutzte, bis zum Abend. Bon Maximilian batte er erfahren, datz sic morgen abreiseu würde. Kein Wort, keine Zeile von.ihr, die ihn davon verständigte, datz dies der letzte Tag war, an dein sie die gleiche Luft mit ihm atmete. Sie wäre ge gangen ohne Grus;, ohne Abschied, ohne ihm noch ein mal Gelegenheit zu gcbM, sie zu sehen. „Du frierst jb," sagte sie mitleidig, als sie, rasch ein- tretcnd, ihre Hand in die seine nahm. „Du bist noch immer nicht ganz ans der Höhe, Anio. Soviel mir Generaldirektor Scven mitteilt, hat er demnächst in Neapel und Rom zu tim. Tu kommst mit ihm und kurierst dich aus. — Es ist unbedingt nötig. Hast du ein bihchen Zeit?" „Ich fürchte, du hast keine Zeit!" Er war empört über sich selbst. Trotz aller guten Vorsätze war es ihm un möglich, sich gefaßt zu zeigen. „Du hast jedenfalls noch viel zu packen." „Oh!" meinte sie leichthin. „Was nicht in meinen und der Uebeltäter sein. Der Eismasse folgte noch eine Menge gefrorenes Erd reich nach. Eycke sah mit Entsetzen, datz die Verletzung Ellys schwerer Art war, wurde kopflos und rannte, was ihn die Füße trugen." „Aber meine Handschuhe!" zweifelte Schütte. „Auch darüber wutzte Eyckes Freund Bescheid. Sie hatten auf deinem Schreibtisch gelegen, ebenso das Notizbuch. Baron Eycke hat sie aus reinem Versehen zu sich gesteckt und sie im Steinbruch deiner Frau über geben." „Und meine Krawattennadel?" „Die lag im Safe bei den Effekten. Der Baron mag es wohl als lächerlich empfunden haben, sie allein drinnen liegen zu lassen und hat sie ebenfalls mitge nommen und dann Elly ausgeyändigt." „Und mir drehten sie daraus den Strick!" „Es ist noch nicht alles. Jaros fand auch den Knecht, der damals vom hochgelegenen Rand der Kiesgrube eine Fichte für den Weihnachtstisch holte. Der hat dabei wahrscheinlich die Gesteinsmassen versehentlich losgelöst und war schuld an dem ganzen Unglück. Jaros hat mir gebeichtet, datz er in all den langen Jahren immer ge- glaubt habe, du selbst hättest die Hand gegen deine Frau erhoben. Aber ich denke, er hat seinen Fehler gut gemacht, indem er das letzte Glied der Beweiskette ge funden hat. Und nun ruft das Leben wieder! — Wirst du kommen, Anio?" „Ich habe keinen Mut mehr." wehrte er ab. „Sieh mich doch an! Ich bin einunofunfzig Jahre und so alt und verbraucht, als hätte ich siebzig auf dem Rücken. WaS soll ich noch? Wenn du meine Tochter an dein Herz nimmst, braucht mich niemand mehr." »Du tust mir leid," sprach sie ernst. „Da wLrx es „Du hast Detektive bestellt, Doridl?" Sie nickte. „Seit ich dich in Not wußte, fand ich keinen Frieden mehr. Ich begrub meinen Mann und kam herüber, habe mich mit der Polizei ins Benehmen ge setzt uno Kaspar Jaros suchen lassen." Sie ließ ihm gar nicht Zeit, zu fragen und berichtete weiter: „Staats anwalt Klenze hat mir die Akten vorgelesen und von deiner Tochter bekam ich die Zeitungen, die alle auf den Fall Bezug nahmen. Deine Mutter hatte sie gesammelt und aufgehoben. Von Jaros erfuhr ich, datz Eycke eine große Rolle in der ganzen Sache spielte. Meine beiden Beauftragten haben die Fährte ausgenommen und herausgebracht, datz sein intimster Freund in einer Mansardenstubc im Tal hungere." „Von einem Freund hat Eycke nie etwas gesagt!" warf Schütte dazwischen. „Leider nicht. Das war dein Nachteil, Anio. Der Freund verweigerte zwar jede Auskunft, aber als ich selbst zu ihm ging, kam die Sache doch ins Nollen. Ich habe ihm eine lebenslängliche Rente von tausend Dollar zngesagt und einen Posten als Aufseher iu einer meiner Plantagen, was er aber abgclchut hat. Die Ncure akzeptierte er und vertraute mir dafür sein Wissen an. Du muht dich setzen. Anio." bat sie, als er unsicher iy den Knien schwankte. „Tie Hauptsache weißt du ja in Umrissen: Eycke hat deine Fran getroffen. Sic gingen in deine Wohnung, um sich dort ungestört ausjprechen zu können. Von deiner Wohnung weg vegaven sie sich nach dem heimlichen Spielsalvn, fanden aber das Haus versperrt. Vielleicht weil es Heiligabend war. Im Eifer des Gesprächs kamen sie immer weiter über die Stadt- grcnzc hinaus, und da Eycke den noch vorhandenen Be stand der Effekten bei sich trug und der arge Sturm es ihm nicht erlaubte, sie deiner Frau auf offenem Ge lände zu übergeben — sie schien mißtrauisch gewesen zu sein, ob er ihr auch alles zurückgab — traten sie in den Steinbruch. Während er ihr nun die einzelnen Stücke anshändigte, löste sich von oben eine Eismasse und traf deine Frau qn den Schläfen. Sie schrie: „Anio!" und dann „Nicht, Anio!!" wohl in dem Glauben, du müßtest in der Nähe Koffern Platz hat, nimmt Maximilian zu sich. Ich habe eine Menge unnützes Zeug gekauft. Nun staut es sich natürlich. Wie verstehst du dich mit den Aktionären? Es sind nette Menschen dabei, nicht wahr? Nörgler gibt es überall. Nach sechs Monaten erhöht sich dein Gehalt. eigentlich bester gewesen, ich hätte mich nicht für dich be müht. Was du fünfzehn Jahre getragen hast, würdest du jedenfalls auch noch weitere fünfzehn getragen haben. Du bist zum mindesten undankbar, Anio, und ein schlechter Vater." „Doridl!" „Ja," wiederholte sie. „Ein schlechter Vater. Mir legst du dein Kind ans Herz, und du selber willst dich davonschleichen. Ich habe andere Ansichten von Pflicht und Liebe. Vielleicht überlegst du dir das mit der Syndikusstelle noch einmal." Zwei Köpfe spähten zur Tür herein und EllenS Stimme fragte schüchtern: „Dürfen wir kommen?" Und als Schütte ihr wortlos die Hände entgegenstreckte, flog sie statt in seine in Doridls Arme und barg das Ge sicht an deren Brust. * * » „Herr Doktor Schütte," meldete das Zimmermädchen und überreichte Frau Pocker eine Visitenkarte. Das Doridl überflog sie und lächelte. Und nach zwei Jahren steigt es um noch einmal soviel. : Du mußt nichts Besonderes dahinter suchen, das geht vollkommen automatisch. Ich habe nicht das geringste dabei zu tun." „Wirst du immer in Buenos-Aires bleiben?" Sie sah ihn an und lächelte. „Ich weiß noch nicht," meinte sie nachdenklich. Er tat ihr so leid. Sein Ge sicht, das bereits wieder eine schwache Rundung auf- wies, war blaß und die Lippen zuckten. „Vielleicht führt dich der Weg einmal nach Argentinien, Anio. Dann vergiß nicht, daß ich auf dich warte." „Wann?" Sie sah ihn verwundert an. „Wie meinst du das?" „Wann ich kommen darf, Doridl?" „Aeü ekzeit!" Llus seinen Augen brach ein erschütterndes Flehen. „Jetzt? — Darf ich jetzt kommen? Ach, Doridl!" rief er verzweifelt. „Warum willst du mich denn nicht ver stehen? Du weißt ja nicht, wie ich mich von einem Tag WM sicherst fürchte, es könnte noch einmal zuDät sein.