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ZZsS -ZL Er hob das Gesicht und sah sie an, hielt den Mund halb aeöffnct und drückte die Lippen wieder aufein ander. Als lein Kopf zurückglitt, machte sie erschrocken einen Schritt auf ihn zu. „Soll ich die'Kinder rufen? Sag, Anto?" „Latz!" stammelte er, sank in die Knie und drückte das Gesicht in die Falten ihres Kleides. Ihre Hände legten sich um sein Haupt und liebkosten es in stummer Erschütteruug. „Nicht!" wollte sie bitten und wagte kaum den Fuß zu bewegen, so krampfhaft hielt er sie umfangen. „Du wirst dir schaden!" mahnte sie. „ES ist ja alles gut, Aniol Und verziehen — längst verziehen! Glaub' mir doch!" bettelte sie zu ihm herab. „Wie soll ich das verantworten können, wenn du einen Rückfall erleidest. Ich muß die Kinder rufen, wenn du nicht auf mich hören willst." Langsam erhob er sich, schritt nach einem Stuhl, wäh rend sie klopfenden Herzens dabcistand. Sie merkte, daß er sprechen wollte, dann mit einem Achselzucken die .Jähne aufeinanderbiß und nicht verhindern konnte, daß Träne um Träne über sein Gesicht rieselte. „Sobald du dich genügend erholt hast" versuchte sie ihn abzulenken, „möchte ich dich bitten, mir behilflich zu sein, ein Objekt für mich zu suchen, das mir zum ständigen Wohnsitz dienen könnte. Wenn es möglich wäre, möchte ich gerne den Kießlinghvf zurückerwerben. Glaubst du, daß sich das bewerkstelligen läßt?" Und so, ihn immer weiter aus der Wirrnis seiner Ge danken führend, sah sie das erste Aufleuchten einer scheuen Freude in seinen Augen. „Ach, Anio, wie müßte das schön sein, wieder einmal durch Paßfurt zu wandern, den Hang hinauf, nach Sankt Korona hin über, am Moor vorbei. Weißt du noch?" Diesmal wehrte sie ihm nicht, als er nach ihren Hän- den griff und feine Lippen darauf drückte. „Wollen wir den Kindern das alles zeigen, Anio? Deine Tochter ist so ernst. Ich möchte sie gerne lachen lehren. — Wollen wir?" Er strich über ihre Hände. „Wenn ich gewußt batte, daß du lebst " „Was wäre dann gewesen, Anio?" „Dann hätte ich doch wenigstens gewußt, wohin ich mich flüchten konnte." „Ich danke dir," sagte sie gütig. „Aber das ist ja nun alles durchlitten." „Wer war die andere, die man statt deiner begrub, Doridl?" kragte er zuiammenfröstelnd. „Ich weiß es nicht. Als ich damals von dir ging, war ich so verzweifelt, daß ich alles mögliche erwog. Aber zuletzt siegte doch die Liebe zu meiner Mutter. Eben wollte ich die Fahrbahn überqueren, da sprang zu meinem Entsetzen ein Mädchen an mir vorüber und warf sich direkt vor ein heransausendes Auto. Im ersten Schrecken war ich wie gelähmt. Während der Chauffeur um Hilfte eilte, tat ich. was ich bei klarem Verstand vielleicht niemals getan haben würde: Ich schlich mich zu der Toten hin, sah, daß sie einen Zettel umkrampft hielt und zog ihn ohne weiteres aus den Fingern. Nur ein paar Worte standen daraus: „Gönnt einer Heimat losen die Ruhe." Kurz entschlossen steckte ich ihn ein, nahm meine Tasche und legte sie neben die Leiche, desgleichen meinen Hut. Den ihren, der über den Weg gekollert war, nahm ich an mich. Sogar soviel Geistesgegenwart besaß ich, in ihrem Mantel nachzusehen, ob sie nicht eine Visitenkarte oder sonst einen Ausweis bei sich trug. Aber ich fand nichts. Ich lief dann fort und rief von der nächsten Telcphon- zelle aus Balthasar an. Er war entsetzt, kam aber doch nach einer halben Stunde und brachte mich in ein Hotel im Zentrum. Ich überredete ihn solange, bis er endlich einstimmte, bei der Polizei Anzeige zu erstatten, daß ich abaänaia sei. Meine Mutter beschwor mich, Gott nicht zu versuchen. Aber ich wollte tot sein. Und so begrub man die Un glückliche oben in meiner fränkischen Heimat als das Doridl vom Kießliughof." „Und in mir sahen sie deinen Mörder!" stöhnte Anio. „Damit hatte ich nicht gerechnet, Anio. Ich dachte, die Tote würde dir weniger im Wege sein als die Lebende. Und du hattest dich doch selbst von mir los gesagt. Außerdem mußte ich Ellen bei dir . . ." Das Gesicht herabgcneigt, fragte er: «Soll ich dir erzählen?" „Ich weiß alles," sprach sic mit einem tröstenden Lächeln. „Nein, sprich nicht, Anio! Maximilian hat mir von allem Leid berichtet, durch das du gegangen bist." „Und du, Doridl? Bist du glücklich gewesen?" Wenn sie „Nein" sagte, nahm seine Schuld kein Ende mehr. Trotzdem schrak er bei ihrem „Ja" zusammen. Sie war glücklich gewesen. So klar, als hätte sie das Leben nie voneinander ge trennt, las sie in seinen Gedanken, und als sein er wartender Blick aus sie gerichtet blieb, erzählte sie, daß Balthasars Bruder acht Tage, nachdem sie bei ihm cin- gctroffen war, die Frau verlorn habe und damit auch Maximilian die Mutter. „Du bist nicht keine Mutter?" entfuhr es ihm. „Ncin> Anto. Aber wenn ich ihn auch nicht geboren habe, so ist er doch unter meinen Augen, in meiner Obhut ausgewachsen. Wir sind eins geworden, wie nnr Mutter und Sohn eins sein können." „Und Pockcr?" fragte Anio verwirrt. ! „Mein toter Mann liebte mich mit einer Innigkeit, daß ich gar nicht fühlte, welch großer Altcrsuntersch'ed zwischen uns bestand. Die achtzehn Jahre, die ich seine , Frau gewesen bin, waren ein einziger Tag des Glückes." Sie hörte sein schweres Atmen und bereute, das gesagt zu haben. „Ich habe dir weh getan," sprach sic abbittend. . „Ich hätte dir das nicht erzählen sollen. Aber dafür will ich dir etwas anderes sagen: Ich bin Haupt aktionärin eines amerikanischen Stahltrustes, der eine ! Zweigniederlassung in Hamburg hat. Würdest du die Stellung eines Snndikus annehmen, wenn ich dich vorschlage?" - Sie hörte sein erregtes „Nein!" und sagte verwun dert: „Warum nicht, Anio?" Und dann in jähem Be- greifen: „Du willst keine Gefälligkeit von mir?" „Nein." ' „Verzeih, es sollte durchaus kein Almosen sein." Sie erhob sich und glättete das schwarze Kleid. „Wirst du auch darauf ein „Nein" haben, wenn ich für Maxi milian um die Hand deiner Tochter bitte?" Er sah sie an und senkte das Haupt. „Würdest du ihn liebhaben können, meinen großen Jungen? Sag, Anio?" fragte sie leise. „Wollen wir den Kindern nicht alles ersparen, was wir selbst an Leid getragen haben? Ach, Anio!" Es war zu Ende mit ihrer Selbstbeherrschung. Er hörte das erschütternde Weinen und wagte nicht ' aufzusehen. „Hab' Erbarmen, Doridl!" flehte er. „Bist du nicht tausendfach gerächt für alles, was ich an dir s verschuldet habe? Kann ein Mensch mehr sühnen, als ? ich es mußte? Sind siebzehn Jahre gehetzten Lebens i nicht Butze genug für jene Stunde, in der ich mich von i dir lossagte? Keine Schmach ist mir erspart ge« blieben. Ich habe im Gefängnis gesessen, wurde zum ! Mörder gestempelt und dann freigesprochen aus Mangel > au Beweisen. Wenn das dir noch nickt Vergeltung > genug ist, dann sag es. — Wirst du mich nie wieder ! achten können? Sag, Doridl!" „Ich habe dich nie verachtet, Anio. Du mutzt mir -aS glauben!" bat sie, als er den Kopf schüttelte. „Selbst wenn die Detektive, die ich bestellt hatte, die Beweise ! deiner Unschuld nicht zu erbringen vermocht hätten, für mich wärst du nie der Schuldige gewesen."