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Sonne mußte Malwine -öch haben unü Ler Junge auch. MiL-Präst-ent Steinheil hatte er ebenfalls noch Rück« spräche genommen. Anio würde sich jederzeit Rat und Auskunft bei ihm holen dürfen. Der förderte feinen Jungen schon und half ihm, wo er konnte. Freilich — sie würden alle wie aus den Wolken gefallen fein. Aber eS konnte ja auch gut ausgehen. Vielleicht lebte er noch ein paar Jahre, bis Anio sein Staatsexamen gemacht hatte. Wie notwendig ein Sohn -och seinen Vater brauchte — fünfundzwanzig Jahre und länger. Anio kam auf bloßen Füßen zum Bett geschlichen und neigte sich über das fahle Gesicht, -aS jetzt in der mil chigen Helle mager und greisenhaft erschien. — „Vater," flüsterte er und fühlte wieder jene unheimliche, rätsel hafte Angst, die ihn am Abend schon einmal gepackt hatte. Der Amtmann rührte sich nicht, hatte die Lider ge schloffen und atmete gleichmäßig. Armer Bub, ob er ahnte, -atz sie wahrscheinlich zum letzten Male ein Zimmer miteinander teilten? Anio zog ihm die Decke etwas weiter gegen die Brust herauf und drückte einen Kuh auf seine Stirn, dann tastete er wieder nach dem Sofa zurück. Wenn der Vater wüßte, wie ihn die Nachricht über den Kietzlinghof getroffen hatte! Es war nicht auszu- denken, wenn das Gut unter den Hammer kam. Ver gantet der Wald, die Wiesen, die Felder, der schöne Be sitz, an dem das Doridl und ihre Mutter mit ganzer Seele hingen und den die Kießlings seit Jahrhunderten ihr Eigen genannt hatten. Er war so müde. Aber wie konnte er jetzt schlafen, wenn dem Doridl so Entsetzliches drohte? Und er noch immer ohne Verdienst, daß er hätte vor sie hintreten und. sagen können: „Was liegt daran, mein Mädchen, ich verdiene zwar nicht viel, aber so weit reicht es, -aß du nicht hsingern brauchst." Selbst wenn er sein Referendar-Examen gemacht hatte, war er noch nichts. — Ein Mensch, der mit fünfundzwanzig Jahren noch vom Gclde des Vaters lebte. Durch die Dunkelheit sah er das Bett Herüberleuchtey. Aber das Gesicht des Amtmanns war gegen die Wand geneigt. Es war nichts zu unterscheiden. Diese entsetzliche Müdigkeit! Nun wurden ihm auch schon die Hände schlaff und dösig . . . man mußte dem Doridl natürlich zur Seite stehen, soviel es ging. Viel leicht sah der Vater doch zu schwarz. Unü die Merkts wären ja auch noch da. Die würden sicher nicht zugeben, -atz AIS Amtmann Schütte gegen sechs Uhr früh erwachte — er erwachte immer um diese Zeit — hob er leise den Kopf und sah nach dem Sohn hinüber. Das Gesicht auf die gefalteten Hände gelegt, schlief Anio und hatte ein Lächeln um den Mund: Das Doridl feierte wieder sech zehnten Geburtstag und es gab Vanille-Eis mit Schlag rahm un- selbstgebackenen Waffeln dazu. Und morgen wir- er weinen, dachte der Amtmann und setzte behutsam den Fuß auf den Boden. Rasteren, Waschen, Anziehen, alles ging so lautlos vor sich, -atz Anio erst erwachte, als der Vater schon angekletdet vor -eyr Sofa stand. „Ich möchte keine Störung Ver ursachern" flMerte er halblaut. „Ich gehe in ein Kaffee frühstücken. Sobald ich meine Angelegenheiten erledigt habe, bekommst--« Nachricht. Jedenfalls weißt du gegen Abend, wo -u mich treffen kannst." „Ja, bitte, Vater." Anio war noch so schlaftrunken, datz er aar keine Einwände machte. Erst als die Tür ins Schloß klappte, fiel es ihm schwer auf -ie Seele, -aß er seinem alten Herrn nicht einmal einen Mörgenkutz ge geben hatte. Ein Expreßbote brachte gegen fünf Uhr abends eine« Brief für Anio. „Ich wäre Dir für Dein Kommen sehr dankbar. Dein Vater. Nymphenburger Krankenhaus, Zimmer Nr. SS.« Eine Welle lähmenden Schreckens, -ujmvfer Wirbelet den Schläfen, ein Sunkles Schwindelgefühl, -aS ihn einen Halt suchen ließ. — Nymphenburger Kranken haus! — — Gestürzt? Von einem Auto überrannt?. Von einer Tram erfaßt worden? Drei Möglichkeiten, von Lenen Lie eine so grauenhaft war wie die andere. Er riß seinen Mantel aus Lem Schrank, -ie Tür flog ins Schloß, -aß die Professorin erschrocken aus -er Küche gesprungen kam. Da war Anio schon -ie Treppe hinunter. „Nymphenburger Krankenhaus!" Selbst der Chauf feur batte Erbarmen mit so viel offensichtlicher Not. Der Wagen flitzte nur so -ie Straße hinab, bog um die Ecke, wartete mit surrendem Motor aus den Lichter- wechsel un- sauste Sann wieder Lie glatte, spiegelnde . Fläche -es Asphalts hinunter. Kinos spien glitzernde Reklame in -ie Finsternis, leise begannen -ie ersten Flocken herabzutanzen. In fünf Wochen feierte man Weihnacht. „Sie haben mir zuviel gegeben!^ rief der Chauffeur Anio nach, aber der lief bereits durch den großen Bogen, der den Eingang zum Krankenhaus überdachte. Das Fünfmarkstück zwischen den Fingern, schüttelte der Chauffeur den Kopf. — ' „Zimmer Nr. 68, Schwester." Die weiße Haube warf einen Schatten über das schmale, blaffe Frauengesicht Ler Krankenschwester, die ihn erst eine Treppe hinauf, dann einen langen Korridor hinunter führte. Behüt- ! sam fiel ihr Knöchel gegen das weiße Holz. „Bitte/sagte drinnen eine Stimme. Vater, dachte Anio. Er lebte noch! Alles drehte sich im Kreise. Der kleine, warm erhellte Raum, das weiße, an die Wand gerückte Bett, der Diwan neben dem § Fenster, alles schaukelte durcheinander. „Nun habe ich dich aber richtig erschreckt, nicht wahr, mein Bub?" Anio sah nur wie durch einen Nebel und ging der Stimme nach, die aus den Kissen klang, fühlte eine Hand, Lie nach der seinen griff, und hielt sich Laran fest. „Setz dich, Anio. — Danke, Schwester," sagte Schütte, als diese einen Stuhl ans Bett schob. „So. Was hast du sür kalte Hände. Kann mein Sohn vielleicht ein Glas Wein bekommen, Schwester?" Die Pflegerin nickte und verließ das Zimmer. „Komm, setz dich endlich, Anio. Ich yav nur — — ich wollte eigentlich hat mirs Sanitätsrat Fühl schon vor Wochen gesagt, datz meine Leber nicht in Ordnung ist. Nun wollte ich doch Gewiß- § heit haben und konsultierte hier eine Kapazität. Du ! mußt mich nicht so erstarrt ansehen, mein Kind," sagte er und wich dem Blicke des Sohnes aus. „Einmal darf dein alter Vater doch auch ein bißchen krank sein, nicht?" - „Was sagt der Professor?" , „Ich soll morgen operiert werden." Der Nebel, der sich etwas gelichtet hatte, stand ur- , plötzlich wieder dicht wie eine Mauer vor Anio. Glocken riefen. Ein Hupensignal irrte draußen vorüber und ließ ihn zusammenfahren. „Na, na/ na, mein Bub," mahnte Schütte, nun selbst aus der künstlich suggerierten Ruhe aufgestört. „Zwanzig werden hier täglich operiert, manchmal sogar noch mehr, sagt die Schwester. Daran stirbt man nicht gleich. Ich habe dich rufen lassen, -aß du die Mutter verständigst. Aber erst, wenn es vorüber ist. Vor übermorgen darf mich auch niemand besuchen." „Ich möchte am liebsten tot sein," stöhnte Anio und drückte die Hände über das Gesicht. Der Amtmann brauchte Sekunden, bis er zu sprechen vermochte. „Ach — un- ich habe geglaubt, daß du mir Trost und Hilfe bringen würbest." Jäh sielen Anios Hände nach -er weiß eingeschlagenen Decke herab. Fünfundzwanzig Jahre lang war er von seinem Vater betreut wor-en, hatte immer Hilfe, Zu flucht, Rat und Trost von ihm erwartet und bekommen, un- immer hatte der alte Herr ohne Murren gegeben, und er hatte nichts als genommen und genommen, wieder und immer wieder. Und heute, -aS «stemal, -g