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Dresdner Journal : 23.12.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-189612234
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18961223
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18961223
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-12
- Tag 1896-12-23
-
Monat
1896-12
-
Jahr
1896
- Titel
- Dresdner Journal : 23.12.1896
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Nrste Verlag zu >.298 des Dresdner Asnrnals. Mittwoch, den 23. Dezember 1896, abends. Tagesgeschichte. lFortsetzung au- dem Hauptblatte.) K r « »t r e t ch. r»,Pari« Der oberste KriegSrat trat vorgestern früh unter dem Vorsitz de« Präsidenten der Republik im Elysöe zusammen An demselben nahmen die 15 Generäle, aus denen er besteht, sowie Ministerpräsident Meline teil. Nur Marineminister Admiral Besnard hatte sich wegen eines Trauerfalles in seiner Familie ent schuldigen lassen. — Die nächsten großen Manöver finden, wie ver lautet, im September 1897 in der Region des 1. Armec- corps statt, dessen Zentrum Lille ist. Sie sollen von besonderer Bedeutung sein, da die Bewegungen des 1 und 2. ArmeecorpS mit einer Aktion der Flotte kombiniert werden. Letztere wird hauptsächlich in Landungüversuchen bestehen, welche da« Nordgeschwader ausführt Der Präsi dent der Republik nimmt voraussichtlich wieder an den großen Manövern teil. * Pari«. Die Tagung der Kammern, die am Sonnabend zu Ende ging, hat genau den Verlauf ge nommen, den der urteilsfähige Beobachter, wenn ihn nicht etwa radikale Parteileidenschast verblendete, schon im Oktober vorhersehen und vorhersagen konnte Ihre eigent liche Aufgabe, die Beratung über das Haushaltsgesetz, hat die Kammer nicht erledigt. Sie hat sich einesteils zuviel Abschweifungen gegönnt und sie ist anderseits von radi kalen Frage- und Antragstellern absichtlich zuviel abgelenkt und aufgehalten worden. Die Regierung hat sich zwei vorläufige Zwölftel bewilligen lassen müssen, was hier her kömmlich, nach einer Art Übereinkunft, als ein großes Übel angesehen wird, obschon es der breiten Masse des Volkes sichtlich vollkommen gleichgiltig ist. Aber die Kammer hat wenigstens vermieden, eine Regierungskrise heraufzubeschwören, und das ist ihr immerhin als Verdienst anzurechnen Das Kabinett Meline ist nach wie vor am Ruder, und es war im Grunde während der ganzen Herbsttagung nicht ein einzigeSmal einer wirklichen Gefahr auSgeseyt. Nach den Russentagen nahmen die Radikalen den Mund sehr voll und thaten, als wären sie des nahen Sieges ganz sicher. Hr. Bourgeois sah sich schon wieder als Ministerpräsident und Hr. Doumer setzte in den Blättern, für die er schreibt, die Finanzpläne auseinander, die er unverzüglich verwirklichen würde. An dieser Stelle ist indes immer gezeigt worden, daß dies eitel Flunkerei sei und ein neues Ministerium der Radikalen weit im Felde stehe. Bei allen entscheidenden Abstimmungen hatte die Regierung Mehrheiten von 60 bis 80 Stimmen, und je länger die Tagung dauerte, um so stärker wurden diese Mehrheiten. Es ist eben eine alte KriegSregel, die auf die parla mentarischen Feldzüge ebenso paßt wie auf die militärischen: ein Sieg übt seinen Einfluß auch auf nachfolgende Kämpfe; er stärkt die Zuversicht des Siegers und nimmt dem Unterliegenden da« Selbstvertrauen. Anfangs traten die Radikalen geschloffen auf, die Gruppe der berufsmäßigen Überläufer, von Isambert gegründet, jetzt von Sarrien geführt, schlug sich zu ihnen, und die Rechte beobachtete eine mürrische Unentschlossenheit Nach den ersten Nieder lagen lockerte sich jedoch die Mannszucht der Gegner des Kabinetts, während dessen Anhänger sich strammer zu sammenschloffen. Zuletzt waren die Gruppen der Linken ganz auseinander gefallen. Die Sozialisten marschierten getrennt. Die ihnen am nächsten stehende äußerste Linke unter Goblet sagte sich beinahe vollständig von der Führung des Hrn Bourgeois los, ohne sich jedoch den Genoffen JauröS und Millerand unterzuordnen. Sarrien bereitete, wie zu erwarten war, seine Schwenkung zum Stärkeren, also diesmal zum Kabinett, vor, und Bourgeois stützte zuletzt seinen Anspruch auf die Rückkehr zur Re gierung auf eine heilige Schar von etwa 60 Getreuen. Er hatte thatsächlich aufgehört, Hrn Meline gefährlich zu sein. ul — Indem gestrigen Ministerrate teilte der Minister für Kolonien Lebon mit, General Gallieni sei fast voll ständig Herr der aufständischen Bewegung in Emyrne. Die letzten Banden seien in die Wälder zurückgeworfen; es seien Maßregeln getroffen, um sie zu verfolgen und einzuschließen — Der Kriegsminister General Billot machte Mitteilung von dem vorgestern dem obersten Kriegsrat vorgelegten Gesetzentwurf, betreffend die Schaff ung der vierten Jnfanteriebataillone. — Die bevorstehende Neubesetzung des französischen Botschafterpostens in London erregt hier begreiflicherweise großes Interesse Um irrigen Folgerungen vorzubeugen, muß vor allem betont werden, daß der Rücktritt des Barons Courcel von dieser Stellung durchaus nicht auf politische Ursachen zurückgeführt werden darf Der gegen wärtige Botschafter hat, als er 1894 auf den Lonvoner Posten berufen wurde, diese Mission ausdrücklich nur als eine zeitweilige, für ungefähr zwei Jahre übernommen. Da diese Frist im Oktober abgelaufen ist, scheidet Baron Courcel nunmehr aus seiner Stellung; er wird sein Abberufungsschreiben der Königin von England gegen Ende Januar überreichen. Die Thätigkeit, die Baron Courcel in London entfaltet hat, verdient Anerkennung. Daß er zu stände bringen werde, die Schwierig keiten, die seit einigen Jahren zwischen Frank reich und England bestehen, vollständig zu beseitigen, hat billigerweise niemand erwarten können E« ist ihm aber gelungen, zur Milderung einiger dieser Differenzen bei zutragen und die Lösung anderer zwischen den beiden Staaten schwebender Fragen vorzubereilen. So darf man z. B auf eine baldige Verständigung über die Neuregelung der handelspolitischen Beziehungen zwischen England und Tunis hoffen. In der wichtigsten der angedeuteten Fragen, nämlich in der ägyptischen, ist allerdings bedauerlicher weise keinerlei Änderung eingetreten. In England denkt man noch lange nicht an die Räumung Aegyptens, während Frankreich bekanntlich an dieser Forderung festhält. So lange nun diese Angelegenheit nicht geregelt lst, wird die Quelle von Mißverständnissen zwischen den beiden Staaten offen bleiben und ein rückhaltlos freundliches Verhältnis zwischen Paris und London kaum hergestellt werden können, eine Thatsache, über die man sich am Quai d'Orsay wie im Foreign Office ganz klar ist. Es mag hierbei bemerkt sein, daß das Urteil des Appellationsgerichtshofes in Alexandrien in Angelegenheit der Verwendung von Reserve geldern der ägyptischen Dette publique sür die Dongola- Expedition keinen Anlaß zu einem Meinungsaustausche zwischen den Kabinetten von Paris und London geboten hat. Dagegen ist vorauSzusehen, daß die finanzielle Bei hilfe, welche England der ägyptischen Regierung zu leisten beabsichtigt, zu neuen Auseinandersetzungen führen werde. — Es wird den Israeliten zum Tröste gereichen, daß der neueste Spion, der in Amiens abgefaßte Exhauptmann Guillot, zwar Franzose ist, aber nicht, gleich Dreyfus, zu ihren Glaubensgenossen gehört. Auch soll er, wie der „Eclair" in Erfahrung gebracht, kein staatsgefährlicher Spion sein; er verkaufte nur, was jeder Offizier wissen konnte, offenkundige Geheimnisse, „Ik8 seerets cko Uoliebi- nells", wie man sich hier ausdrückt. Die Macht aber, mit der er seinen Briefwechsel unterhielt, war angeblich wieder Deutschland; und daher gilt sein Verbrechen sür so Hassenswert, wie das des Hauptmanns Dreyfus. Guillot hielt sich nach seiner Flucht aus Frankreich nicht in Bel gien, sondern in der Schweiz auf; die Briefmarken der Bittschriften, die er an das Kriegsministerium wegen seiner Pensionsverhältnisse sandte, bezeugen dies. Diesen Bitt schriften hat er es zu verdanken, daß die Untersuchung betreffs seiner Schuld offen erhalten wurde, sodaß die Verjährung ausgeschlossen blieb Guillot hatte offenbar davon keine Ahnung, als er unklugerweise von Amiens aus seine Pensionsfrage wieder anregte; er verriet sich dadurch selbst der Polizei. Leider wird dem „Eclair" zu folge die Untersuchung gegen ihn, wie gegen Dreyfus, bei geschloffenen Thüren geführt werden; die Öffentlichkeit dürfte also nur das Maß der Strafe, nicht das seiner Schuld erfahren. — Zwölf radikale Abgeordnete bewerben sich um Sen als sitze, jedoch mit geringen Aussichten. Rußland. * St. Petersburg. Der Bericht des „RegierungS- anzeigers" über die Studentenunruhen auf der Moskauer Universität löste der russischen Presse die Zunge bei der Beurteilung dieses wichtigen inneren Ereig nisses. „Dem Wesen nach — so schreibt der Herausgeber und Leiter des „Nowoje Wrem ja", Hr. Suworyn, in seinem „kleinen Briefe" — ist dieser Bericht in jeder Richtung äußerst wichtig. Es ist erfreulich, daß die Regier ung, wie der Bericht es bezeugt, diese Jugendunruhen nicht so angesehen und behandelt hat, wie einen Aufruhr von Erwachsenen. In allen diesen Unruhen, die von langer Hand vorbereitet worden sind, giebt cs Dinge, die von der Unachtsamkeit der Erwachsenen gegen die Er scheinungen des Lebens und von ihrem Mangel an Ver ständnis für dieselben Zeugnis ablegen. Die Regierung hat sich den jugendlichen Unruhestiftern gegenüber so human und nachsichtig erwiesen, wie man sich zur lernenden Jugend, nicht aber zu aufrührerischen Verschwörern ver halten kann und verhalten muß. Unsere Universitäts- Verhältnisse und unsere Unterrichtswissenschaft erfordern große Aufmerksamkeit und vielleicht auch — Reformen." Auch die „Mosk. Wjedomosti" zollen der Haltung der Regierung gegenüber diesem Studentenaufruhr Beifall „Man muß — heißt es hier — der Regierung aufrichtig dankbar dafür fim, daß sie dem vielgenannten „Bundes rat der vereinigten Landsmannschaften", der sich schon seit langer Zeit in der Moskauer Universität fest eingenistet und so manches Hundert der jungen Leute, die in seine verbrecherischen 'Netze gerieten, zu Grunde gerichtet hat, endlich die Larve vom Gesicht gerissen hat. Von jetzt ab ist jene freche Mystifikation unmöglich, durch welche den „Studentenaffairen" das Ansehen unbedenklicher Schul unordnungen gegeben wurde, die mit irgend welchen außerhalb des UniversitätsdodenS stehenden Fragen nichts zu thun hätten Jetzt wissen wir, wer diese Unruhen hervorgerufen hat und zu welchem Zwecke es geschah Der Kampf gegen die Professoren und die Uniocrsitäts- behörden ist nur ein Vorwand, um die lernende Jugend zum Kampfe gegen die Regierung und den Staal vor zubereiten, und um in der russischen Gesellschaft Verwirrung zu säen. Viele Studenten sind Opfer dieser abscheulichen Machenschaften geworden, ohne von deren eigentlicher Existenz etwas zu wissen, und die Eltern dieser unglück lichen Opfer, die gleichfalls durch die „unschuldigen" Zwecke der „Landsmannschaften" irregesührt wurden, konnten sich in ihrer Betrübnis nicht Rechenschaft darüber geben, warum ihre Söhne verfolgt würden; sie waren deshalb stets bereit, wider die Regierung zu murren, welche die jungen Leute „um wahrer Kleinigkeiten willen" aufreize. Schöne „Kleinigkeiten", welche den Boden bereiten, der Rußland gar zu gut bekannt ist, auf den zurückzukehren wahrer Wahnsinn wäre Der vom „Regierungsanzeiger" veröffent lichte Bericht wird, wie wir hoffen, nur der erste Schritt zu einer ernsten Bekämpfung dieses Übels und zur end- giltigen Befreiung unserer Jugend aus seiner schmählichen Knechtschaft, in der sie von herzlosen Agitatoren gehalten wurde, die sie nur als Kanonenfutter betrachteten Jede Maßregel der Regierung, welche darauf gerichtet ist, diesen Betrug, der sich so lange in unserer Universität breit ge macht hat, zu vernichten, wird von allen aufrichtigen Freunden unserer Jugend mit vollem aufrichtigen Beifall begrüßt werden." Serbien. Belgrad. Der Ministerpräsident und Minister des Äußern, Novakovitsch, hat an die diplomatischen Ver treter Serbiens im Auslande eine Zirkularnote über die Metropolitenfrage in Uesküb gerichtet, in welcher die Vorgeschichte dieser Angelegenheit und die jüngsten Schritte der serbischen Regierung m ausführlicher Weise dargestellt werden. — Der „Widelo" giebt der Erwartung Ausdruck, daß die Schritte der von der serbischen Bevölkerung der Uesküber Eparchie nach Konstantinopel entsandten Depu tation von Erfolg begleitet sein werden. Sollte sich diese auf günstige Anzeichen gestützte Hoffnung nicht erfüllen, so würden, wie das Blatt ankündigt, die Serben in der Türkei, dem Beispiele der Rumänen in diesem Reiche folgend, sich gänzlich vom griechischen Patriarchate trennen; es sei gar nicht unmöglich, daß sich die orientalisch orthodoxen Kirchen, die sich vom Patriarchate losgesagt hätten, aus einem gemeinsamen Konzil das bisherige öku menische Patriarchat und die demselben anhängenden Griechen als Schismatiker erklären würden. Bulgarien. Sofia. Es ist bekannt, daß während der letzten Monate seines Lebens Stambulow beständig die Über zeugung äußerte, er werde ermordet werden, und daß die jenigen, deren Pflicht es sei, ihn und im allgemeinen die öffentliche Ordnung zu sichern, absichtlich der Verschwörung freien Lauf ließen, sie wohl gar ermutigten Diese Über zeugung war bei Stambulow unerschütterlich geworden, als man einem parlamentarischen VoruntersuchungsauSschuß zu Liebe ihm die Reise in das Ausland trotz seiner Zucker krankheit untersagte, und als die beiden Briese, die Stam bulow deswegen an den Fürsten geschrieben hatte, un beantwortet geblieben waren In jener Zeit verfaßte Stambulow ein Schreiben, das am ersten Tage der Verhandlung gegen die Mörder StambulowS vom Präsidenten des Gerichtshofes verlesen wurde Dieses Schreiben lautet in Übersetzung wie folgt: „Dieser Brief ist nach meinem Tode zu öffnen. In ihm sind einige Geheimnisse meiner politischen Gegner enthalten, die das Volk und die Gerichte erfahren sollen Sofia, 16 März 1895. S. Stambulow. Der Plan für meine Ermord ung. Am 15. März 1895 kam in das Haus des Hrn. Slawkow CH. Zachariew aus Samakow und be nachrichtigte ihn, daß Natschewitsch mit Tüfektschiew eine Bande von 10 bis 15 Mann gebildet habe, die mich unter allen Umständen zu ermorden trachten werde Diese Drei WeihnachtSbrtefe. Bon M. W. Sophar. Feldpostbrief. An den General v. T., Commandeur der *** Jnfanteriebrigade Vor Paris. Orleans, 22. Dezember 1870. Im Hauptquartier der Zweiten deutschen Armee. Liebster Vater! Ich erfahre soeben, daß Ihr Euch gestern bei Le Bourget wieder einmal mit den Rothosen hart näckig in den Haaren gelegen habt. Wenngleich Deine tapfere Brigade rühmlichst erwähnt wird, so hoffe ich zu Gott, daß Du unversehrt geblieben bist: Melden doch die Berichte nichts über den Unfall eines höheren Offiziers. Bitte, schreibe mir sofort einige Zeilen; sie sollen mir, von Deinem Wohlergehen berichtend, das schönste Weihnachtsgeschenk sein. Wie wird Dir bei dem Gedanken an Weihnachten, lieber Vater? Weißt Du noch, wie wir im vorigen Jahre unsern Robert als frischgebackenen Sekondelieutenant be grüßten? Jetzt liegt der arme Junge schon zehn Wochcn im Lazarett! Golt sei Dank, sind wir beide ja bis jetzt glimpflich davongekommen. Allerdings will mein Bein noch immer nicht so recht mitthun. Ich habe ihm aber zu verdanken, daß ich jetzt im warmen Ouartier sitze, während meine armen Kame raden bei dem Teufelswetter hinter der Plebs her jagen, was sich hier Armee schimpft. Es ist ein Skandal, daß sich brave deutsche Soldaten mit solch' einem Gesindel herumschlagen müssen! Meine Beschäftigung sagt mir sehr zu, und ich nehme alles zurück, was ich früher je auf die „Feder fuchser" als lustiger Frontoffizier raisonniert habe. Auch die Federfuchserei bei uns ist nicht zu verachten, überdies erfährt man auf der Adjuta, tur doch mehr als bei der Truppe und erweitert so seinen Gesichts kreis. Von einer Sache möchte ich Dir noch erzählen, die mich seit voriger Woche ungemein beschäftigt. Uns re Bureaus sind in einem Hause eingerichtet, dessen Bewohner bis auf den Portier teils vor uns, teils aber auch vor den eigene» Landsleuten längst Reißaus genommen haben. Die zwei oberen Stock werke sind durch die Kugeln arg mitgenommen. Wir belegten das Parterre und den ersten Stock. An der ganzen Einrichtung des Hauses läßt sich erkennen, daß es von Leuten'unseres Standes bewohnt worden ist. Der Portier hat mir das auch bestätigt. Das Haus gehörte dem französischen Oberst de Guichard, der vor Metz gefallen ist. Seine Gattin wollte mit ihrem vierjährigen Töchterchen zu Verwandten nach Paris flüchten — sie kam aber nicht weit und mußie umkehren. Während Geschosse ihr Haus verwüsteten, erlag sie einer typhösen Krankheit. Das kleine Mädchen, von den gewissenlosen Dienstboien verlassen, fand bei den Portiersleutrn Unter kunft Der Portier stand früher im persönlichen Dienste des Obersten und ist der Familie treu ergeben. Der arme Mann hat aber selbst eine zahlreiche Familie zu ernähren, was ihm in dieser Zeit doppelt schwer fällt. Er fühlt auch heraus, daß sich die kleine Mar guerite nicht in der richtigen Umgebung befindet, und so hat er mich, der ihm vi lleicht am freundlichsten erschienen ist, um Beistand für das Kind gebeten. Die Verwandten des Obersten sind ihm unbekannt. Es ist von dem Regiment auch keine einzige Familie mehr hier. So stellt mir der Mann die Verhältnisse dar, und seine Mitteilungen erscheinen mir glaub würdig. Wo soll ich jetzt aber mit dem Kinde bleiben? Es ist ja ein reizendes Ding, an dem unsere Luise ihre Helle Freute haben würde. Die Kleine aber jetzt nach Deutschland zu schicken, ist eine undankbare Sache. Wer sollte sie begleiten? Mein getreuer Martin spielt jetzt in seinen Muße stunden Kindermädchen. Zu Weihnachten bereitet er für Marguerite, die wir in einem Zimmer ihrer elterlichen Wohnung untergebracht haben, und für die Portierskinder einen Baum vor. Ich freue mich jetzt schon auf das verwunderte Gesichtchen und die großen Augen, die das Kind machen wird. ES ist ganz zuthulich zu mir, vermutlich sagt ihm die Uniform zu, und der Haß ter Landsleute hat es noch nicht gelehrt, zwischen französischer und preußi scher Uniform zu unterscheiden. Von Schwester Luise habe ich regelmäßige Nach richten und reiche Sendungen. Sei ferner Gott befohlen, liebster Vater. Dein getreuer Karl. II. Bonn, 24. Dezember 1885). Lieber Onkel Karl! Ich habe Dir ein großes Paket für Deinen Weihnachtsbaum zurechtgemacht. Tante Luise erzählte mir, daß Du General ge worden bist und uns im nächsten Monat besuchen willst. Darf ich Dich dann noch Du nennen? Meine Freundinnen sagen, es schicke sich das gar nicht. Als wenn sie wüßten, wie wir beide zn einander stehen! Ich weiß es genau. Ich weiß auch, daß, wenn Tu mich vor fünfzehn Jahren nicht mit nach Deutschland genommen hättest, ich elendiglich zu gründe gegangen wäre, denn bei dem guten Meunier hätte ich es doch nicht lange ausgehalten, so klein und unvernünftig ich damals auch noch war. Mitunter will es mir gar nicht in den Sinn, daß sich meine beiden Tanten nicht gemeldet haben, Räuber sind in dem Gasthause der Gebrüder Iwanow und in dem Lokal von Roblscheto untergebracht Natsche witsch hat den Mördern versprochen, daß sie im Falle ihrer Festnahme nicht zum Tode verurteilt werden würden und daß er nach Verbüßung einer einjährigen Haft im Gefängnis ihreBegnadigung bei dem Fürsten erwirken werde 'Natschewitsch giebt Naum Tüfektschiew Geld sür den Unterhalt der Räuber. Natschewitsch und Tüfektschiew kommen fast jeden Abend zusammen und besprechen die Ermordung CH. Zachariew sagt aus, daß an die Vertrauten in der Provinz schon Briefe gesandt seien, durch die ihnen die geplante Er mordung StambulowS mitgeteilt und ihnen der Auftrag gegeben werde, sobald es geschehen sei, nach Sofia an den Fürsten und an die Zeitungen Dankdepeschen zu senden, daß das Land von dem Tyrannen befreit sei. Der Zweck dieser Depeschen sei, das Schreckliche und die Wirkung de« niederträchtigen Mordes zu mildern. Naums Gehilfen bei dem Morde Belischews waren die beiden Brüder Minko und Toscho Jwanowi. Da diese beiden Verbrecher sehr schlau sind und da sie wissen, daß die Gerichtsbehörden sie fassen werden, da sie auch den Versprechen Natschewitschs nicht trauen, so thun sie jetzt Schritte, sich mit mir auszusöhnen Als Vermittler bedienen sie sich Gatews, Garibows und Kalpaktschiews. Tie Brüder T. und M. Jwanowi dringen darauf, daß diese Aussöhnung sobald als möglich geschehe, weil ersichtlich die Zeit zur Ausführung der Verschwörung gekommen ist. CH. Zachariew hat Slawkow noch mit geteilt, daß auch gegen den Fürsten eine Verschwörung be stehe, an der viele Offiziere der Garnison von Sofia be teiligt seien. Awram Stanischew hat Hrn. Ji. Lukanow gemeldet, daß einer der geheimen Polizei-Agenten der Hauptstadt ihm von dem Plane, Stambulow durch die Bande von R. Tüfektschiew zu ermorden, Kenntnis gegeben habe und daß die hauptstädtische Polizei selbst dieser Bande helfe, indem sie ihr mitteile, wann und wohin Stambulow ausgehe. Der alte Stanischew, der mit einem Macedonier aus Debra be freundet ist, dem Genossen von Bone Georgiew aus dem Gefängnis von Debra, hat Lukanow gesagt, daß auch ihm bekannt sei, daß die Bande gebildet sei, um Stambulow zu ermorden, und daß er bitte, dies Stambulow mitzu teilen, damit er sich vorsehe. Naum Tüfektschiew, der Mörder von Beltschew und Wulkowitsch, ist besonders bei der Abteilung für das Studium der Zentralbahn angestellt worden, damit er in Sofia nichts zu thun habe und sich mit der Leitung der Bande beschäftigen könne. Sobald die Sache gut geordnet ist, wird er Sofia verlaffen, um an dem Tage des Mordes nicht hier zu sein. Von diesem beabsichtigten Morde weiß auch Ratscho Petrow . . . Dieke Angaben habe ich ausgeschrieben, damit man wisse, daß mir der Plan der Mörder bekannt gewesen ist, und damit, früher oder später, meine Freunde und meine Kinder ihre Bestrafung verlangen. Sofia, 16. März >895. S. Stam bulow." — Der Gerichtshof im Prozesse setzt sich aus 3 Richtern und aus 3 Geschworenen zusammen. Die drei Angeklagten, von welchen Tüfektschiew sich bisher gegen Kaution auf freiem Fuße befand, jetzt aber in Haft ge nommen ist, erklären sich sür nicht schuldig. Tüfektschiew sagte aus, er sei an der Ermordung nicht beteiligt, würde jedoch Stambulow getötet haben, wenn er ihm begegnet wäre, denn Stambulow sei ein Tyrann gewesen, der,seinen (Tüfektschiews) Bruder zu Grunde gerichtet hätte. Die Zeugenaussagen boten bisher nichts neues. Petkow be kundete, Stambulow habe Haliu und Tüfektschiew als seine Mörder bezeichnet. Grekow erklärte, Stambulow sei stets in Sorge gewesen, daß sein Haus mittels Dynamit in die Luft gesprengt würde — Der Brief StambulowS enthält nicht viel anderes, als was in ähnlicher Art seiner Zeit auch in der „Swoboda" über die gegen Stambuloms Leben ge planten Anschläge zu lesen war. Es sind nur einige Namen hinzugefügt Christo Zachariew und die beiden Stanischew werden als die Hauptbelastungszeugen genannt. Ihre Mitteilungen sind an Slawkow und Lukanow, Ver traute StambulowS, gemacht worden. Es wird ent scheidend sein, ob sie diese Mitteilungen, deren Umfang die Zeilen StambulowS nicht genau erkennen lassen, vor Gericht zugeben werden. Daß Stambulow von der Richtigkeit dessen, was er geschrieben hat, überzeugt war, kann nicht bezweifelt werden. Slawkow und Lukanow hatten auch kein Interesse, Stambulow Unwahrheiten zu sagen. Ob sich dasselbe von Zachariew und den Stanischew behaupten läßt, wissen wir nicht. Zachariew war Beamter und der Schuldner von Slawkow. Man könnte vielleicht annehmen, daß er, der Slawkows Nach sicht bedurfte, zu diesem so gesprochen hat, um die Nach sicht zu erlangen, was seine Glaubwürdigkeit verringern würde. In welchem Verhältnis die Stanischew zu als Du sie damals so oft im „TempL" dazu auf fordertest. Sie sind wahrscheinlich beide gestorben. Ich habe kein Heimweh nach Frankrech, das brauchst Du nicht zu glauben. Ihr habt mich so deutsch erzogen und ich bin so glücklich bei Tante Luise, daß ich mich recht undankbar schelten würde, wäre es anders. Ich war ja noch zu jung, um den Verlust meiner teuren Eltern tief genug zu empfinden! Fast hält.' ich vergessen, Tir zu Weihnachten zu gratulieren. Nimm also meinen herzlichsten Glück wunsch! Sei aber ckicht zu stolz gegen Deine kleine Nichte Marguerite. III. An der Riviera, Weihnachten 1895. Liebste Schwester! Marguerite und ich, auch der Stammhalter, be dauern es sehr, daß Du das schöne Fest dieses Mal nicht mit uns feiern kannst. Wir sind nnn schon eine ganze Weile verheiratet, und ich bedauere es noch immer nicht, eine Frau ge heiratet zu haben, die fast dreißig Jahre jünger ist als ich Was mich am meisten beglückt, ist, daß meine liebe Marguerite durchaus deutsch empfindet, und das verdanke ich nur Dir, liebste Schwester. Ich habe sie ihiem Heimatland? nicht untreu machen wollen, aber das Geschick des Kindes konnte nicht anders geleit t werden als cs geschehen ist, sollte Mar guerite nicht unter einem immerwährenden Zwiespalt leiden. Die Hauptsache bleibt, wir sind glücklich, .. . glücklich! Meine Kriegsbeute ist das Herrlichste, was ich mir errungen habe. Unser Junge gedeiht prächtig. In Liebe Dein Bruder Karl.
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