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Dresdner Journal : 16.12.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-12-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-189612160
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18961216
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18961216
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-12
- Tag 1896-12-16
-
Monat
1896-12
-
Jahr
1896
- Titel
- Dresdner Journal : 16.12.1896
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vet»,«»rtt«: Für Dresden vierteljährlich: r Mark 50 Pf, bei den Kaiser- sich deutschen Postanstalten vierteljährlich » Mark; außer halb de« Deutschen Reiche« Post» und Stempclzuschlag. Einzelne Nummern: IO Pf. Erscheinen: Täglich mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage abend«. Fernspr -Anschluß: Nr 1LSL Vres-mr M Immml. Ankündi»un««getühren: Für den Raum einer aespal- tcnen Zeile kleiner Schrift r» Ps. Unter „Eingesandt ' die Zeile Ü0 Pf. Bei Tabellen- und Zifferusatz entsprechender Aufschlag Herausgeber: Königliche Expedition de« DreSdner Journal« Drerdcn, Zwingerstr. 20 Fcrnspr-Anschluß: Nr. 12S3 Mittwoch, den 16. Dezember, abends. Amtlicher Teil. BuUttiu. Dresden, 16. Dezember, früh 8 Uhr. Ihre Kaiser!, und König!. Hoheit die Frau Prinzessin Friedrich August und der Heine Prinz befinden sich wohl. Regelmäßige Berichte werden nicht mehr aus gegeben. vr. Leopold. vr. Fiedler. Se. Majestät der König haben dem in Ruhestand getretenen Weichenwärter II. Klosse bei der Staats eisenbahnverwaltung Drache in Coswig das Allge meine Ehrenzeichen AUergnädigst zu verleihen geruht' Se. Majestät der König haben Allergnädigst zu genehmigen geruht, daß der in Sachsen staatsange hörige Verwalter einer Restauration in St. Peters burg, Gustav Richard Laub old den ihm von Sr. König!. Hoheit d.m Fürsten von Bulgarien ver liehenen St. Alexander-Orden 6. Klasse annehme und trage. Srnennungen, Versetzungen re. tm öffentlichen Dienste. Tepartkuikiit der Finanzen. Bei der Verwaltung der Staatseisenbahnen sind ernannt worden: Döche, zeiiher Stations Assistent I kl, als Fahrgeld Kassierer in Riesa; Jacob. Mende und Rudolph, zeiiher S:aiio. s-Aisistenlcn ll. Kl., als Stalions Assistenten I. KI. in Neumark, LoitcrS reulh und Plauen i B. ob Bhs.; Kirsten, Lungwitz, Ernst Richard, und Otto, zeither Aufseher ll. Kl., als Stations- Assistenten I Kl. in Chemnitz, Nossen und Leipzig II; Bret schneider, Enderlein, Ranft uns MilitLr-AmvärtcrSchenk, zeither Expeditions-Hilfsarbeiter als Station» Assistenten ll. Kl. in Kappel i. S„ Scharsenstein, Wünschendors und Voitersreuth; Bauer* und Lorenz°. zeither Schaffner, als Obcrschaffner in Rochlitz und Zwickau; Zeh, zeither Weichenwärter ll. KI., als Schirrmeister in Hos; Mittag, zeither Weichenwärter ll. Kl, als Weichenwärter >. Kl. in Dre-dcn-N. Il; die nachgenannten Bremser als Schaffner: Buchwald in Trcsdcn-N. II, Hor nickel' und User' inDrcsden-A, Kallosen inBiencnmühle, Klemmer in Chemnie, Lehmann" in Leipzig 1, Militär- Anwärter Lorenz" in Zwickau, Richter" und Schmidt" in Leipzig II; Himsel, Krämer. Remanc und Schneider, zeither H ls-weichenwärter, als Weichenwärter II Kl. in Plauen i B ob. Bhf., Flöha, DreSdcn-N. II und Drcsden-A.; Militär Anwärter Feldmann, zeither Hilsspacker, als Packer in Rade- b.rg; Aurich und Klöppel, zeither Stellvertreter, als Bahn- wärier für Posten Dresden-Werdau 4V und L.ipzig-Hos 84 n*/84; Melzer und Oertel, zeither Vorarbeiter, als Bahnwärter slir Posten Wolkenstein-Jöhstadt 2 und Lcipzig-Hos Sün*1l. Departement de» Kultus un« öffentlichen Unterricht«. Zu besetzen: die neugegründete vierte ständige Lehrerstclle in Weißenborn. Kollator: die oberste Schulbehörde. Einkommen: I0ON M und 200 M. Wohnungsacld Gesuche sind bis zum 7. Januar I8S7 an den König!. Bezirlsschulinfpektvr Schulrat vr. Winkler in Freiberg einzurcichcn. Uichiaintlicher Teil. .Konservatismus und Landwirtschaft. (Fortsetzung.) Es hieße übe:Haupt unser Volk, ja die Menschennatur, überschätzen und Unmögliches erwarten, wenn man von den produzierenden Ständen, die jahrein, jahraus im harten Kampf um- Dasein stehen, die vor allem nicht zu den oberen gebildclcn Klassen gehören, m hr als einen realistischen, praktischen Ideen- und Jnterejjeukrcis voraussetzcn wollte Das zn glauben und daraus die Einrichtungen des politischen Lebens auszubaucn ftt eine jener Täuschungen der idealen Schwärmer, dir unpraktischen, daS wirkliche Leben und Fühlen des Volkes nicht kennenden und daher bloß nach Theorien urteilend n Kunst und Wissenschaft. Konzert. Am Dienstag hat der Bach-Verein vor einer großen Hörerschaft im Gewerbehause das Weihnachts oratorium seines Schutzpatrons zur Ausführung gebracht. Teile dieses Werkes sind in Dresden mehrfach zu Gehör gekommen, eine Wiedergabe aller sechs Kantaten ist unseres Wissens gestern zum ersten Male erfolgt. Auch in anderen Städten hat man sich zumeist mit einzelnen Abschnitten begnügt und dabei die Franzsche Ausgabe der beiden ersten Kantaten bevorzugt; wo eine vollständige Ausführung ge macht worden ist, hat das Ergebnis den gehegten Erwart ungen nicht entsprochen. Diese Erfahrung ist nun auch bei uns bestätigt worden. Die zwei ersten Kantaten haben gestern als Ganzes den alten starken Eindruck hcrvorgerufen, während es in den folgenden nur zu Einzelwirkungen gekommen ist. Das erklärt sich einmal aus der Beschaffenheit des steigerunzslosen Textes, der die Hauptsache in den beiden ersten Teilen erledigt und in den späteren sein Grund thema, die Weihnachtsfreude, nur mehr äußerlich variiert, und zweitens aus der Haltung der Musik, die in den letzten Abschnitten wesentlich an Kraft und Hoheit ein- büßt Nicht nur, daß Tonsätze wie der Eingangschor und das Choralrezitatio (Duo in 6) in der ersten und wie die herrliche Pastoralsinsonia, der groß figurierte Chor „Ehre sei Gott", der Choral „Vom Himmel hoch" mit den Instrumental-Zwischensätzen aus der Sinfonia — ein Glanzstück unter den genialen Eingebungen des Komponisten — und das Wiegenlied des Alt in der zweiten Cantate in den anderen Abteilungen ausbleiben, sondern es wird auch der Durchschnitt der Bachschen Kunst in ihnen nicht überall ganz erreicht Gerade den unbedingten Verehrern des Groß meisters steht cs wohl an, dieses Verhältnis mit ungeschminkten Worten hervorzuheben, ja es muß weiter noch gesagt werden, daß die Beziehungen unseres musikfreundlichen PubjikumS zur Bachschen Tonkunst und zur klassischen überhaupt durch Aufführungen umfangreicher aber ungleichmäßiger Werke keineswegs gefördert werden. Gerade bei kirchlichen Werken klassischer Herkunft hat der moderne Hörer mit so manchen liberalen Doktrinäre, die an unseren ganzen mißlichen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen eine so große Mit schuld tragen. Dir unendliche Mehrheit des V lkeS hat weder Sinn, noch Verständnis für hohe Ideale, für große Politik, sür abstrakte Theorien, für konservative oder liberale Schlagworte, sür allgemeine BolkSbeglückungS-deen und die „höchsten politischen oder philosophischen Ideen der Menschheit." Und sie kann eS nicht haben, weil solch schwierige Fragen ihr viel zu fern liegen, sic zu deren richtiger Beurteil»« g viel zu geringe Vorbildung besitzt Die große Masse hat nur Sinn für prc.l- tische, ihr naheliegende Fragen, denn sie interessiert sich nur für daS, was sie versteht. Vein Privatinteresse kennt der Mann aus dem Volke genau, aber allgemeine Grund und Menschen rechte begreift er nicht. Gerade so geht eS ihm mit dec Frei heit. Ihn leitet kein politisches Prinzip, sondern sein Jntcrcsse, und in der Sozialpolitik sieht er nichts anderes, al- seinen Standcsvorteil, sagt C Jentsch mit Recht Der DurchschnitlS- mann aus dem Voile will durchaus nichts wissen von abstrakten Allgemeinheiten, sondern nur von garz bestimmten, konkreten, ihm bekannten Dii gen und Interessen: der Bauer vom Ackerbau, der Handwerker vom Handwerk, der Arbeiter von höherem Loh» und Hebung seiner speziellen Lebenslage, nnd jeder null vor allem sein bestimmtes Lebens- und Berussgebiet gepflegt und gesörderl sehen. Die ossene Geltendmachung von Berussintercssen in den Parlamenten ist daher durchaus nicht un natürlich und ungesund, oder gar „unmoralisch" und dem Vaterlande schädlich, wie es liberale Theoretiker dar- zustellcn lieben Es kann der Regierung nur wüwchenSweit und nützlich sein, wenn sic genaue Kenntnis erhält von den Wünschen, Bedürfnissen, Nöten und Zuständen in allen Berufs klassen und LandeStcilen. Es ist ein großer Irrtum, eine geradezu verhängnisvoll gewordene Idee des herrschenden Liberalismus, „das Volk" als einen bloßen abstrakten politischen Begriff, als ein willkommenes Versuchsobjekt sür politische und soziale Theorien, oder als »ine Sprossenleiter sür ehrgeizige Streber zu betrachten, anstatt als die Summe vieler Einbeiten, die aus lauter einzelnen wirtschaftlichen Erwerbszwei^en und organischen Gliederungen mit ganz verschiedenen, voll berechtigten Interessen zusammengesetzt sind. Auch die Forderung erhöhter Kornpreijc bedeutet, richtig betrachtet, durchaus keine unberechtigte, egoistische Jntcr effenpolitik Hohe Kornprcise sind vielmehr die unerläßliche Vorbedingung der Beseitigung der landwirtschaftlichen Notlage Denn diese stammt keme-wegS allein daher, — wie Unwissende oder Übelwollende immer von neuem glauben zu machen suchen — daß einzelne ihren Besitz zu teuer gekauft nnd infolgedessen zu viel Schulden haben, sondern vor allem daher, daß der Getreidebau wegen der niedrigen Preise die Herstellungskosten nicht mehr deckt. Aus diesen sind aber alle Landwirt-, ob groß oder klein, in der Hauptsache angewicjen. Solange die Preise daher nicht erhöht werden, sind alle anderen Mittel unzulänglich. Tas ist und bleibt die gemeinsame Forderung der gesamten Landwirtschaft und ihrer Freunde In welcher Weise daS ge schieht, ob eS in einer dem „Antrag Kanitz" ähnlichen Form oder durch andere Mittel erreicht wird, ist dabei ganz gleichgiltig Opfer muß jeder Stand dem andern bringen-, das ist eine doppelte Pflicht, wenn eS sich, wie hier,, um de-i» größten nnd wichtigsten Stand handelt. Aber ganz abgesehen davon, liegt in der Erhöhung der Kornpreise gar keine wirkliche, sondern nur eine scheinbare Schädigung der übrigen Berufsstände, und fpeziell der Arbeiter. Sie kommt, recht betrachtet, i n Grunde allen zu gute, mit wenigen, nicht ins Gewicht fallenden, Ausnahmen Daß die ganze ländliche Bevölkerung, einschließlich der kleineren Städte, sich bei höheren Einnahmen der Landwirtschaft besser steht, bedarf keines Beweises. Aber es gilt auch für das Gewerbe, sowie die Industrie und ihre Arbeiter in den Groß städten Es ist eine alte Erfahrung und ein anerkannter Grundsatz der Nationalökonomie, daß wenn die Preise hoch sind, auch der Verdienst und die Lebenshaltung aller bcsscr ist als bei nicd rigcn Preisen. Das alte Sprichwort ist thatsächlich wahr: „Hat der Baner Geld, hal's die ganze Welt." Wenn insolge zu niedriger Kornpreise die Landwirtschaft daniederlicgt, keine Kaufkraft mehr besitzt, so muß bei der engen Wechselwirkung naturgemäß auch die Industrie leiden nnd d e Löhne der Industriearbeiter müssen sinken. Umgekehrt ist cs natürlich ebenso, denn auch Handel und Jndnstue sind vorzugsweise auf den inländischen Absatz angewiesen und werden es in Zukunft noch viel mehr sein, wenn erst des Ausland nnd speziell Amerika seine heimische Industrie durch die in Aussicht , enommencu hohen Zölle geschützt haben wird. Die Ansicht der liberalen Manchester- lenle und ihrer unbewußten Nachbeter: die Hauptsache sei, daß die Arbeiter billige L.ben-miMl bekämen, ist daher durchaus salsch. In Wahrheit ist die Hauptjacte, daß sic hohe Löhne erhalten. DaS ist aber nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung nur möglich bei hohen Preisen, und zunächst bei genügend hohen Betreideprciftn ist der Verdienst gut; dann können und werden alle, und speziell auch dir Arbeiter, gern und willig die paar Pfennige sür teureres Brot zahlen Diese geringe Mehrausgabe steht nicht im Verhält« s zur besseren Einnahme So sind Landwirtschaft und Industrie nicht Feinde, sondern Freunde Schon der eigene Vorteil sollte daher Handel und Industrie zur möglichsten Erhöhung der landwirtschaftlichen Käussähigkeit nnd deshalb auch zur freudigen Bewilligung der dazu notwendigen Maßregeln der Gesetzgebung veranlassen. Von einer unberechtigten Jntcressenpolilik kann bei den Bestrebungen des Bundes der Landwirte und der sie unter stützenden Konseivativen um so weniger die Rede sein, al- cs sich hier nicht um egoistische Privalintereffe, sondern nm ein eminent wichtiges össentliches, staatliches Interesse, um das wahre Wohl der Gesamtheit handelt. Die konservativen, deren Mitglieder ja vielfach, wie auch Schreiber dieses, „keinen Ar und keinen Halm" besitzen, betrachten eS einsach als eine patiiotische Pflicht, als eine staatserhaftend.- That, diesen ge sundesten, größten und notwcnd gsten Berussstand mit allen gesetzlich und moralisch erlaubten Mitteln vor dem drohenden Untergange za retten Nach konservativer Auflassung bedürfen Monarchie und Gesellschaft, jedes gesunde Staatswesen, auf das Dringendste einer blühenden, kaufkräftigen Landwirtschist, und zwar sowohl einer durch Großgrundbesitz unabhängigen Aristokratie, als auch eines möglichst zahlreichen Kieinbesitzce, eines lebe»S:rä tigcn Bauernstandes Die Landbcvölkerung ist das Marl und der Holt unseres Volkstums und unserer Wehrkraft, die Quelle körperlicher nnd moralischer Gesundheit, welche den Städten sortwährcnd neues Blut und srische Arbeitskraft zusührt Das Land ist und bleibt der Jungbrunnen sür unser deutsches Volk, für den Einzelnen wie sür die Gesamtheit „der große Quell aller Lebenrkrast", wie Gustav Freytag sagt. Was daher sür das Land, sür den Grundbesitz gcthan wird, kommt dem ganzen Volke zugute, wie denn auch der Landbesitz eine der Grimdsäulen der Monarchie, eine der Hauptbedingunge» der ge cllschaftlichen Ordnung und einer gesunden Entwickelung ist Wenn aber der Landmann zur Ausgabe seines Besitzes, zur Auswanderung in die S:äd:e oder ins Ausland gezwungen ivird, od.'r zuni Verbitterie« Proletarier herabsinlt, dann gehen Staat und Gesellschaft den schwei sten politischen Gefahren und Katas rophen entgegen. „Wir haben keinen zweiten Bauernstand in Reserve, wenn der jetzige abgewirtschaftet Hal", ries warnend der preußische Minister v. Heyden aus Ter Untergang des Bauernstandes wäre gleichbedeutend mit dem früheren oder späteren Siege der Umsturzbestrcbungen. Hat doch der Londoner Sozialistenkongreß ausdrücklich die Zerstörung des Bauernstandes als Vorbedingung sür das Gelingen der sozialen Revvlut on bezeichnet. Soll daher diese Gesahr abgewcndet unser deutsches Volk wieder gesund nnd stark, lebenskräftig und zusrieden werden, so sorge man vor allem dcsüc, daß dieser Lebensborn und krasl- quell nicht verschüttet, diese eminent staatse,haltende Macht möglichst gestärkt und gegen die ag>arseindlichc« Theorien des Liberalismus geschützt werde Es ist die höchste Zeit, daß dem vou Roscher sehr richtig erkannten Streben drr demokratischen und der geldoligarichschen Partei nach voller Mobilisierung des Grundes und Bodens, — jener, um die aristokratischen G rrkomplcxe zu zerschlagen nnd den Vorzug der Erstgeburt aufzuheben, dieser, um schrankenlos ihre Speku lationen ausdehnen zu können — energisch entgegengclreten und dec zerstörende, atomisierende Einfluß der liberalen man- westerliien Wirtschastslehren beseitigt werde, welche in der Stabilität d-s Grundbesitzes nur ein unbequemes Hemmnis des Verkehrs, cine unberechtigte Erschwerung des Gifterschnheis und des raschen Geldmachrns erblickt Derartige Doktrinen sind eine Borsrucht Ler Sozialdemokratie Denn a„s der Los lösung von der väterlichen Scholle, von Heimat und Besitz, aus der Mobillisierung, folgt fast immer über kurz oder lang Verarmung, Proletarisierung und Demokratisierung So ist denn die Agrarfrage, das Streben nach Hebung und Rettung dcr Landwirtschaft, nach Erhaltung des Grund besitze- keineswegs ein bloßes Standes-, sondern ein StaatS- intc resse allerersten Ranges, ja geradezu cine Lebensfrage für Königtum und Gesellschaft Darum rust Adolf Wagner mit Recht unserm ganzen deutschen Volle zu: ,,'Iua res n^itur! Um Deine eigene Angelegenheit, deutsches Volk, handelt cs sich bei dieser Frage." So werden denn, wie mit Bestimmtheit gehofft werden kann, weder die Lockungen noch die in der Theorie so schön klingenden, in dcr Praxis abcr höchst verderblichen Lehren des Liberalismus bei dcr beabsichtigten Landagitation von Erfolg sein Dcr „Bauern fang" wird ihm nicht glücken trotz alles heißen Bemühens. Unserc Landwirte sind durch die traurigen Erfahrungen, die sie am eigenen Leibe gemacht haben, gewitzigt worden, und wiisen genau, daß sie ebenso wic die Handwerker vom Liberalismus nie und nimmer eine gründliche Besserung ihrer Lage zu er warten haben, daß Vieler vielmehr mit seinen Grundsätzen des Ini-sor ullor, des sreicn Spiels der Kräfte, des Manchestertums und Freihandels, der unbeschränkten Gewcrbefreiheil und Kon kurrenz dcr größte Feind des produktiven Mittelstandes ist und bleibt Dir Be;ithnngttt zwischen Rußland und Preußen-Dentschland bilden den Gegenstand interessanter Betrachtungen eines ungenannten „alten Diplomaten" in den unter der Redaktion des dem russischen Kaiser Nikolaus ll nahestehenden Fürsten Uchtomsky erscheinenden „St. Pet. Wjedomosti". Besonders beachtensweit auch sür deutsche Leseikreise ist der fünfte Teil der Betrachtungen, in welchem die Unstetigkeit dcr freundschaftlichen Be ziehungen durch geschichtliche Reminiszenzen aus dem vorigen Jahrhundert, sowie auch aus neuerer Zeit illustriert und dann — allerdings mit teilweise will lürlich gewählten Argumenten — aus die Dauer haftigkut des jetzigen freundschaftlichen Verhältnisses zwischen den beiden Nachbarreichen hingewiesen wird. Der „alte Diplomat" gerät in seinen Ausführ ungen mitunter selbst aus unaufgeklärte und widerspruchsvolle Pfade. Trotz feiner offensichtlichen Vertrautheit mit der Geschichte drr deutsch russischen Beziehungen scheint er über den Gesamtcharakler der selben in früheren Zeiten nicht ganz klar zu fein, denn er stellt zuerst die „Beständigkeit" der rusfisch- preußischen Freundschaft, die nur im siebenjährigen Kriege eine Unterbrechung erfuhren habe, fest, um gleich darauf zu vermerken, daß die jetzigen rufsisch- deutschen Beziehungen „in gleicher Weife eine „krumme Linie", wie es im vorigen Jahrhundert und zu Be ginn dieses Jahrhunderts der Fall gewejen sei", bildeten. Nachdem der Anlor auf die Widersprüche der öffentlichen Meinung Rußlands gegenüber Deutsch land, welcher in den Gesinnungswechsel des verstor benen Katkow besonders schroff zu Tage getreten seien, hingewiesen, wirft er die Frage aus, wie die Bezieh ungen zur Zeit überhaupt beschaffen seien und ins besondere, ob Rußland bei etwaigen ernsten Ver Wickelungen in der Türkei oder im fernen Osten auf den Beistand Deutschlands rechnen könne. Er kommt zu dem Schluffe, daß Rußland thatsächlich auf die Beihilfe der deutschen Politik icchnen dürfe. „Nicht die Gefühle des deutschen Volkes, nicht die Liebe der dentfchen Staatsmänner, noch die Gerechtigkeit der einflußreichen deutschen Blätter so heißt es hier weiter — gewährleisten uns diese Mitwirkung, sondern nur e i n Mann — Kaiser Wilhelm II. Die bedeutende Persönlichkeit des jungen deutschen Kaisers laßt sich schwer analhsieren: so viel Talent, jugendliche Be geisterung, ritterliches Gefühl und alles bezwingender Wille stecken in ihm! Er ist ein Künstler in der Politik, und ein Politiker in der Kunst; er ist in feinem Innern Aristokrat, seinem Herzen und Verstand nach ein Mona chist. Er ist ein Mann mit eisernem Willen und alles unterwerfender Energie, zugleich ist ihm aber auch jenes freie Verständnis, jenes Ungestüm der Handlungsweise nicht fremd, die stets das schöne Geschlecht ausgezeich net haben. Das ist der Schlüssel zu dem ungeheueren und intensiven Einflnß, den die Persönlichkeit Wilhelms!). sowohl in Rußland, als in Frankreich auf die schöne Hälfte des menschlichen Geschlechtes ausübt. Es giebl an Forni nnd Ausdruck haftenden Eigentümlichkeiten des damaligen Zeitstandpunktes und Geschmacks zu kämpfen, daß man seine Aufmerksamkeit und seine Liebe für das bleibende Schöne in diesen Produktionen nicht unnötig auf die Probe stellen darf. Damit »vollen »vir das Unter nehmen des Vachvereins, die Initiative des Leiters und die Arbeit des Chors nicht entwerten; nur sollte bezüglich des Wcihnachtsoratoriums von Versuchen, das ganze Werk für die Gegenwart zurückzugewinnen, nunmehr abgesehen werden Die gestrige Aufführung, welcher Ihre König!. Hoheiten Prinz Georg und Prinzessin Mathilde bis zum Schluffe beiwohnten, war äußerst fleißig vorbereitet und ergab in den Chorpartien vielfach den Eindruck dcr Vollendung Der Bach Verein verfügt über ein ungewöhnlich frisches und vor allem in den Stimmgruppen gleichmäßiges Material Seine Mitglieder sind zudem mit großer Freude bei der Sache und werden in dieser Hingabe durch ihren tüchtigen, lebendigen Dirigenten aufrechterhalten So führten sie die größeren Chöre durchweg schlagfertig in den Einsätzen, frisch bewegt im Vortrag aus und namentlich sangen sie die Choräle mit einer Reinheit und Schön heit d:S Klanges, mit einer Einfachheit und Wärme des Ausdrucks, die den Hörer wahrhaft erquickten Unter deit Solisten trat Frau Amalie Joachim, deren Stimme immer noch merkwürdig viel in der Höhe auSgiebt, während sie in der Tiefe vollständig verbraucht ist, durch stilvolle Behandlung des Vortrags heraus Frau v Grumbkow (Sopran) setzte in dieser Richtung wenig mehr als den besten Willen ein, Hr. Ritter (Tenor) traf auch nicht immer den referierenden Ton und hatte sehr viel Mühe mit den hohen und Fs und Hr Hungar, der sich als der Geübteste in diesem Trio bewährte, ließ dafür an Tragkraft und Reiz der Stimme zu viel vermissen Die Ausführung der GewerbehauSkapcllc war nur zum teil befriedigend, rein und klar, was bei der Belastung des Orchesters mit vielerlei und rasch wechselnden Ausgaben nicht weiter Wunder nimmt Am Harmonium wirkte Hr Brandt-CaSpari sachentsprechend mit. Die Ausführung nahm, trotzdem ihr Zeitmaß ein sehr hastiges und in dein Werke große Kürzungen geschehen waren, dritthalb Stunden in Anspruch. Das Publikum hielt aber treu aus, so daß die im Textbuch verkündete Verfügung, dcr zufolge nach dem ersten Teil des Konz rlS die Saalthüren bis zum Ende geschloffen gehalten würden, sich als so überflüssig erwies, wie sie an sich eine un berechtigte war. Nach dem Schlußchor — es wurde an stelle des eigentlichen Final-Chorajs der Eingangschor der ersten Kantate wiederholt — zeichneten die Konzcrt- besucher insonderheit den Dirigenten Hrn v. Baußnern sehr lebhaft aus. H. P. Dichter-Nachlässe. Die Sorge, die in vergangenen Jahrhunderten so oft Freunde, LebenSgenoffen und gelegentlich auch hohe Obrig keiten beim Tode eines namhaften Dichters und Schrift stellers beschlichen hat, daß dem litterarischen Nachlaß des Geschiedenen, als einem Pandoragesäß, geharnischte Manner, Krieg und alle Übel entsteigen möchten, ist neuern Ge schlechtern gründlich abhanden gekommen Wir wissen jüngst, daß, verschwindende Ausnahmen abgerechnet, heute jeder bei Lebzeiten heraussagt, was er auf dem Herzen oder auch nur auf der Zunge hat. Es ist eine andere Furcht, die neuern litterarischen "Nachlässen gegenüber ob waltet, die Furcht, Unbedeutendes, Zusammengekehrtrs, zu fällig oder mit gutem Grund beiseite Geschobenes zu erhalten An wie vielen Meistern hat sich moderne Herausgeberleidenschast, der Ehrgeiz, Neues, seither Unbe kanntes ans Licht zu bringen, geradezu versündigt, welch' wunderliche wertlose Abschnitzel in VerS und Prosa sind unnötig ans Licht gezogen worden! Da begreift man wohl, daß die Ankündigung cincS Dichternachlasses meist sehr geteilte Empfindungen weckt, daß in Erinnerung an die Scheffel- und Reuterrcliquien jeder neue Werke dieser Art mit einigein Mißtrauen zur Hand nimmt Wie schon bei der ersten Ankündigung hervorgehobcn wurde, steht es um die beiden Bände, tue den poetischen Nachlaß von Emanuel Geibel und Otto Roqurtte bringen, wesentlich besser. Zwar kann keine Rede davon sein, daß der eigentliche Ruf dieser Dichter durch die Nach laßgedichte verstärkt, daß neue Seiten ihres Talents oder besondere Steigerungen ihrer längst bekannten Eigenart durch die neuen Bände offenbart würden Aber die Miß- empsindung, die der Drang nach Vollständigkeit um jeden Preis und der Vergleich dürftiger Reste mit dem aus dem Vollen Geschaffenen weckt, bleibt uns erspart, Vie Pietät, die diese Nachläße den Gcsamtleistungcu der bciven Dichter hinzusügt, ist in ihrem Recht, und beive Bände enthalten einiges, was zum Besten des früher von Geibel und Roquette Veröffentlichten gereiht werden darf. Die „Gedichte" aus dem Nachlaß von Emanuel Geibel (Stuttgart, Verlag der I. G Cottaschen Buch handlung) umfassen seither »»gedruckt gebliebene und einige wenlge in Zeitschriften zerstreute, schwer zugängliche Jugenv- gedichte des Dichters; Dichtungen, die in Geibels Schul zeit (1831) zurückrcichen, poetische Tagcbuchblätter, die bis ins Jahr 1879 sich erstrecken, stehen in dem mäßigen Bande beisammen Es sind viele melodische Nachklänge zu den bekannten Weisen dcr Geibelschen Lyrik, doch nur einige unter ihnen, die uns tiefer ergreifen Die bunte Lebensfahrt des Dichters, mit den ihm stets unvergeßlichen Stationen: Lübeck und die Waldbuchten an der Ostsee, der schimmernde Rhein, der Habichtswald, Athen und die griechischen Inseln, München und die Alpen tauchen auch in den hier vereinigten Jugendgedichtcn und Vermischten Gedichten wieder empor, Lieder, wic daö „Waldesrauschen Jugendglück" überschriebene: O wie rührt ihr sehnsucht-bang Heut an mein Gcmüte, Waldesrauschen, Waldgcsang, Duft drr Waldesblütc! odcr „Thöricht Herz und bangst du wieder", „In der Pause meiner Schmerzen, die dcr Abendstcrn »nir bringt", das träumerisch schöne, tiefrcsignierte „Fernher woget des Stromes Gang": Fernher woget des Ltromcs Gang, Tuntlcr webt cS nm Wald und Flur, Wiege mich c»n mn deine!« Gesang, Mutier Natur! auch das Gedicht „Spätherbst" prägen sich unvergeßlich ein Zu den beiden Höhepunkten der männlichen Lyrik Geibel« laßen sich einzelne Gedichte dieses Nachlaßbandes sammeln Den schönen und schwungvollen weltgeschicht- lichcn Bildern, die dem Dichter zum Spiegel des innersten Wesens seiner eigenen Tage dienten und unter denen „Der Bildhauer des Hadrian" und „Omar" die bedeutendsten
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