Volltext Seite (XML)
Wieder stehen sich „Musiziersinfonie“ und „Inhaltsinfonie“ gegenüber. Bei der zweiten ist es ohne weiteres einleuchtend, daß für die Komposition lediglich die musikalischen Ge setze bestimmend sind. Würde die Sinfonie etwas aus dem Leben Beethovens widerspiegeln, müßte sie andere Züge tragen. Leidvollere, schmerzensreichere. Denn es war eine schlimme Zeit für den Tondichter, jener Sommer 1802 in Heiligenstadt. Der 32jährige wurde sich immer deutlicher bewußt, daß sein Gehörleiden unheilbare sei. Und von diesem Alp befreite er sich, nicht wie anzunehmen wäre, mit einer Tondichtung, sondern mit einem leidenschaft lichen Erguß in Worten, dem „Heiligenstädter Testament“, das jeder, der Zugang zur Musik Beethovens sucht, kennen muß. Es ist eine Abrechnung mit dem Schicksal, es i t eine glühende confessio, die darin gipfelt, daß der so schwer Heimgesuchte trotz allem Ja zum Leben sagt. Nichts von dem Leid, nichts von dem Trotz in dieser damals entstandenen Sin fonie. Es ist, als wollte Beethoven das Vermächtnis Mozarts weiterführen. Und so atmet sie den Geist der unbeschwerten Heiterkeit, die dem Menschen Beethoven damals versagt war. Im ersten Satz, wo die beiden Themen die Illusion einer frischfröhlichen Wanderung er wecken können. (Bezeichnend, daß auch das zweite Thema, vielleicht noch stärker als das erste, das Thema: „Wer recht in Freuden wandern will“ anschlägt.) Im Larghetto, das wie ein friedliches Lied zur Rast erklingt und die Stimmung des Mozartschen Scherzo-Trios aufzunehmen scheint. Im Scherzo, einem Stück voll Humor und voller Überraschungen, einem sprühenden Spiel der Töne, an dem sich die einzelnen Instrumentengruppen in aus gelassener Laune beteiligen; hier hat der Humor des Trios „con-sordino“-Charakter. Und im Schlußsatz mit seinem munter hinstürmenden ersten Thema und dem lieblichen Seiten thema — dieses Finale endet wie etw a das der Mozartschen Es-Dur-Sinfonie mit einem fröh lichen Lachen, das den Hörer ansteckt, wenn er nicht ein rechter Griesgram ist. Hat die Siebente Sinfonie einen „Inhalt“? Sie hat einen, aber er wurde erst später in sie „hineingetragen“. Von keinem Geringeren als Richard Wagner, der sie mit folgenden Worten als die Sinfonie, als die „Apotheose des Tanzes“ charakterisiert hat: „Seinen Tongestalten selbst jene Dichtigkeit, jene unmittelbar erkennbare sinnlich sichere Festigkeit zu geben, wie er sie an den Erscheinungen der Natur zu so beseligendem Tröste wahrgenommen hatte, das war die liebevolle Seele des freudigen Triebes, der uns die über alles herrliche A-Dur- Sinfonie erschuf. Aller Ungestüm, alles Sehnen und Toben des Herzens wird hier zum won nigen Übermutc der Freude, die mit bacchantischer Allmacht uns durch alle Räume der Natur, durch alle Ströme und Meere des Lebens hinreißt, jauchzend selbstbewußt überall, wohin wir im Takte dieses menschlichen Sphärentanzes treten. Diese Sinfonie ist die Apo theose des Tanzes selbst: sie ist der Tanz nach seinem höchsten Wesen, die seligste Tat der in Tönen gleichsam idealisch verkörperten Leibesbewegung.“ In den ersten beiden Sätzen ist diese Deutung am wenigsten zu belegen. Der erste Satz beginnt mit einer langsamen Ein leitung, verhaltene Klänge gehen dem Hauptteil voraus. Dieser ist von allem thematischen Ballast befreit, er ist nicht auf einem Thema, sondern auf einem Rhythmus aufgebaut. In vier Takten wird er festgestellt. Dann erst setzt in den Flöten das Hauptthema ein, im Piano, später bringen es die Streicherim Fortissimo. Dieses federnde Thema beherrscht den ganzen Satz, auch das zweite Thema steht in seinem Bann, es ist im Grunde nichts Neues. Auch die Durchführung wird von dem Rhythmus des Hauptthemas beherrscht, und so ist der ganze Satz ein einziger Rausch von Glück und Freude. Gelegentlich huschen Schatten vorbei. So im Überleitungsthema, so in der Koda, wo zu den lichten Figuren der Violinen und dem Orgelpunkt-E der Bläser in den tiefen Streichern ein drohend schleichender Basso ostinato ertönt. Um so hinreißender, um so feuriger und freudiger ist dann der Aufschwung, den der Satz schließlich wieder mit dem Hauptrhythmus nimmt. Auch der zweite Satz ist von einem mehr rhythmischen als eigentlich melodischen Thema beherrscht. Es ist der Rhythmus eines Trauermarsches. Er bestimmt den Hauptteil, in dem Bratsche und Cello und dann die zweiten Geigen leise vor sich hinzuweinen scheinen, er ist aber auch in dem das Bild etwas aufhellenden Mittelteil durch das eigensinnig dumpfe Pochen der Bässe weiterhin wirksam. Nun aber entspringt der Verhaltenheit Tanz und Bewegung. Das Scherzo, Nachkomme des Menuetts, ist erst recht — wie aller Tanz — vom Rhythmus bestimmt. Ein wilder Tanz von Naturgeistern, von Kobolden und Käuzen. Sehr stark gegensätzlich das Trio, das Beethoven einem alten österreichischen Wallfahrergesang nachgebildet haben soll. Der vierte Satz endlich ist ein bacchantisches Rasen, ein orgiastisches Sichausleben. Nun verstehen wir Richard Wagner. Nun haben wir die Apotheose des Tanzes erlebt. Dr. Karl Laux.